Neujahrsansprache 2017 von Stadtpräsidentin

Neujahrsansprache 2017 "Aarau zeigt Herkunft"
Stadtpräsidentin Jolanda Urech
01.01.2017
Liebe Aarauer und Aarauerinnen
Liebe Gäste
Von Herzen wünsche ich Ihnen ein gutes, neues Jahr!
Sie alle kommen gerade von einem der 22 Orte zurück, welche eindrücklich veranschaulichen,
wie vielfältig Aaraus Herkunft ist – in den Quartieren unserer Stadt, von den
unterschiedlichsten Menschen gestaltet. Herzlichen Dank an die Neujahrskommission - unter
der Leitung von Vizestadtpräsidentin Angelica Cavegn Leitner - sowie an alle Gastgeber/-innen
für dieses wiederum wunderbare Fest, welches die Bevölkerung zusammenführt.
Nicht unweit von hier, gleich um die Ecke im Stadtmuseum Aarau, portraitiert eine
Dauerausstellung 100 Aarauerinnen und Aarauer. Die Geschichten dieser Aarauer
Persönlichkeiten, die auch in der AZ-Serie „100xAarau“ aufgearbeitet und bebildert wurden,
faszinieren mich:

Dazu gehört ein Porträt der Milchhandlung Neeser, welche 1920 in der Halde eröffnet
worden war und in Spitzenzeiten pro Tag 480 Liter Milch zu Joghurt verarbeitete.
Trachtenfrauen sassen um den Küchentisch herum und schnetzelten Berge von Tessiner
Erdbeeren ins Joghurt. Das erste Früchtejoghurt im Kanton Aargau, "Neea" genannt.

Ganz anders das Porträt von Frida Rothpletz, der letzten Bewohnerin des Aarauer
Schlösslis, welche, wie es sich für eine Frau der bürgerlichen Oberschicht im 19.
Jahrhundert gehörte, keiner bezahlten Arbeit nachging, sondern viel reiste und
fotografierte.
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Lili Zschokke wiederum lernte ihren späteren Mann Helmut, den Urenkel von Heinrich
Zschokke, in den 30er Jahren in einer kommunistischen Studentengruppe kennen.
Während Lili zuhause sechs Kinder gross zog, führte Helmut in den 40er Jahren das
Optikergeschäft an der Kasinostrasse. Als Kommunisten verschrien, wurden sie von den
Aarauern gemieden.

Die berührende Geschichte des italienischen Dienstmädchens Giulia, welches in den
40er Jahren nach Aarau gekommen war, weckte in mir sehr persönliche Erinnerungen
an die 60er und 70er Jahre, als viele Gastarbeiter/innen von Italien zu uns in die Schweiz
kamen und unseren Alltag veränderten und bereicherten.
Ja, und unweigerlich stellte sich mir die Frage, was mich denn eigentlich an diesen Porträts so
fesselte und berührte. Waren es die alten Schwarzweissaufnahmen, welche aus einer Zeit
erzählten, in welcher die Uhren noch langsamer gingen? War es der scheue, noch ungewohnte
Blick der Menschen in die Kamera?
Es ist viel mehr: All diese porträtierten Menschen haben hier in Aarau gelebt und gewirkt oder
leben heute noch hier. Hier, wo auch ich und wir alle zuhause sind. Sie zeigen Herkunft. Eine
Herkunft, welche ich teilen kann, weil sie auch mit meiner Herkunft und meinen Wurzeln zu tun
hat. Diese Wurzeln prägen und begleiten uns durch unser Leben, sie geben uns Kraft, Halt und
Gestaltungswille.
Neujahrsansprache 2017 "Aarau zeigt Herkunft"
Stadtpräsidentin Jolanda Urech
01.01.2017
Ein gut verwurzelter Baum hat einen sicheren Stand. Das gilt auch für Aarau. Zum soliden
Wurzelwerk gehören Pioniertaten, welche die Entwicklung vom einstigen mittelalterlichen
Kyburgerstädtchen zur heutigen modernen und selbstbewussten Kantonshauptstadt
ermöglichte. Aarau zeigt Herkunft. Und: Aaraus Zukunft braucht Herkunft.
Es ist wichtig, die Geschichte unserer Stadt auf den Errungenschaften der Vergangenheit
fortzuschreiben. Darum tun wir es mit Umsicht und Sorgfalt. Das im Entstehen begriffene
Aeschbachquartier dreht sich um die Aeschbachhalle, eine Zeitzeugin aus der Zeit der
Industrialisierung. Sie wird mit Restaurants und Läden das Herzstück des neuen Quartiers sein,
in welchem neue Bewohner/innen einziehen werden. Gleiches lässt sich von der Aarenau mit
dem historischen Schützenhaus von 1924 sagen: Dieses ist eine Reminiszenz an die
Vergangenheit und soll zukünftig, inmitten des neuen Quartiers, als Treffpunkt genutzt werden.
Ebenso wartet das historisch bedeutungsvolle Kasernenareal darauf, zu zivilem Leben erweckt
zu werden. Auch hier wird im nächsten Planungsschritt auf seiner Herkunft aufgebaut werden.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Alte Reithalle, in welcher modernes Theater, Konzerte und
Tanz stattfinden sollen. Die Eröffnung der sanierten und erneuerten KEBA wurde begleitet von
einzigartigen Fotos aus den Anfängen der Kunsteisbahn. Und im neueröffneten und modernen
Hotel Kettenbrücke ist die Geschichte rund um die legendäre Wirtin Mina Frey wunderbar
präsent.
Ja, wer mit offenen Augen durch unsere Stadt geht, begegnet der Verschränkung von Herkunft
und Zukunft auf Schritt und Tritt. Der Aargauer Heimatschutzpreis 2016 für die Erweiterung des
Stadtmuseums ehrt uns und zeichnet uns genau für diese Politik aus. Altes und Neues findet
sich ergänzend und wie selbstverständlich nebeneinander.
Auch in der Kunst. Dank dem goldenen Ring von Otto Grimm an der Remise des Forums
Schlossplatz erinnern wir uns daran, dass dort früher Tiere angebunden wurden. Und Hugo
Suters Zitat "Ein Schwadron, ein Storch und ein Ochse" auf der schwarzen Granitwand hier im
Foyer des KuK symbolisiert die drei Umbauten dieses prominenten Hauses: 1883 entstand an
der Stelle der 1877 abgebrochenen Kaserne der erste Saalbau, 1929, nach dem Abbruch der
Storchenscheune, wurde der Saalbau erweitert und zu guter Letzt erfuhr er 1996 nochmals eine
Erweiterung um die angrenzende Ochsenscheune und wurde zum KuK.
Natürlich sagen Sie nun zu recht, dass es nicht sein darf, in der Vergangenheit zu verharren
oder diese gar zu verklären.
So, wie es ein Heimweh nach der Vergangenheit gibt, gibt es auch ein Heimweh nach der
Zukunft. Ich bin überzeugt: Zukunft braucht Herkunft. Was bedeutet das? Auf den Geschichten
und Pioniertaten unserer Vorfahren, auf ihrem Mut, ihrer Weitsicht und ihrer Gestaltungskraft
dürfen wir überzeugt weiterhin aufbauen und Aaraus Geschichte fortschreiben. Der gutgebaute
Grund, das breit verästelte, solide Wurzelwerk geben uns Mut und Freude die Zukunft zu
gestalten und ihre vielfältigen Herausforderungen anzunehmen. Dazu gehören wichtige
Entscheide, welche in der Stadt 2017 anstehen. So zum Beispiel die Gründung einer Kreisschule
Aarau-Buchs, die Verselbständigung der Pflegeheime sowie die Zukunft der Alten Reithalle.
Zudem wird die revidierte Bau- und Nutzungsordnung öffentlich aufgelegt werden, welche
aufzeigt, wo in unserer Stadt zukünftig wie hoch und wie dicht gebaut werden darf. Intensive
Diskussionen stehen uns bevor, ich freue mich!
Erlauben Sie mir noch einen Blick auf die Welt. Wir leben in äusserst bewegten Zeiten, in
welchen kein Stein auf dem andern zu bleiben scheint. Kriege, Terror und Flüchtlingsströme
machen uns Sorgen. Bilder, welche uns in den vergangenen Tagen und Wochen aus Aleppo oder
Neujahrsansprache 2017 "Aarau zeigt Herkunft"
Stadtpräsidentin Jolanda Urech
01.01.2017
Berlin und zum Jahresanfang aus Istanbul erreichten und bedrängten, taten weh und legten
einen Schatten über die Festtage.
In einer andern AZ-Serie "1816 – Das Jahr ohne Sommer" wurde die Geschichte der ersten
Aarauer Auswanderer erzählt, welche, von Not und Hunger getrieben, unter der Leitung der
Gebrüder Märk vom Hungerberg, ihr Glück im fernen Amerika suchten. Ich probierte mir
vorzustellen, wie gross ihre Not und Verzweiflung gewesen sein musste, dass sie bereit waren
ihre Heimat und ihr vertrautes Umfeld zu verlassen. Ich wünschte ihnen, dass sie in ihrem
Ankunftsland mit offenen Armen und Verständnis empfangen werden, unabhängig von ihrer
Herkunft. Allerdings kamen 84 der 117 Auswanderer bei oder nach der verheerenden Überfahrt
ums Leben.
Eine weitere Geschichte erzählte davon, dass nach dem 2.Weltkrieg rund 1000 Internierte und
Flüchtlinge aus östlichen Ländern in Aarau ankamen und im Pestalozzischulhaus untergebracht
wurden. Dort empfingen sie die Aarauer Stadtsänger mit einem Ständchen. Kaum jemand
weiss, dass Internierte die Aarauer Pferderennbahn bauten, welche wir gerne als die schönste
der Schweiz bezeichnen.
Auch bei diesen exemplarischen Geschichten von menschlichen Schicksalen gilt: "Aarau zeigt
Herkunft". Das diesjährige Neujahrsmotto ist aktueller denn je. In Aarau leben Menschen aus
rund 107 Nationen. Auch sie haben alle eine Herkunft, sind geprägt von ihrer Heimat, Familie,
Kultur und Traditionen, Überzeugungen und Werten. Die einen sind freiwillig hier, andere
kommen aus Ländern, wo sie der Krieg aus ihren zerbombten Städten vertrieben hat. So wurden
sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wie ist es, wenn man die Familie verliert, wenn man
seine Kultur, die Lebensgewohnheiten und Traditionen hinter sich lassen muss? Was dürfen
diese Menschen von uns erwarten? Und was dürfen wir von ihnen erwarten?
."Aarau zeigt Herkunft" – so lautet das diesjährige Neujahrsmotto. Es ist wichtiger und richtiger
denn je. Eben weil Herkunft auch Zukunft ermöglicht. So auch die Zukunft für eine bessere
Welt. Sich für eine bessere Welt zu engagieren – ob im Kleinen oder Grossen - gibt Kraft und
Zuversicht. Und verändert die Welt. Dazu möchte ich Ihnen Mut machen.
Liebe Aarauerin, lieber Aarauer, die Zukunft kann man gestalten. Und genau das werden wir tun.
Gemeinsam. Tun wir dies doch mit Mut, Weitsicht und Zivilcourage. Gemeinsam kann es uns
gelingen, dass aus diesem Jahr ein gutes Jahr wird. Ganz herzlich danke ich allen, welche sich
unter dem Jahr für unsere Stadt und unser Zusammenleben engagieren, oft auch uneigennützig
und ehrenamtlich.
Ich wünsche Ihnen – auch im Namen des Stadtrates - im neuen Jahr Freude und Zuversicht,
sowie Momente, in denen Sie Glück und Dankbarkeit erleben dürfen. Gesundheit und gute
Freundschaften sollen Sie dabei begleiten.
Danke, dass Sie heute alle da sind. Darauf erhebe ich mein Glas und stosse mit Ihnen auf ein
gutes neues Jahr an!