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Max Bauer
SÜDWESTRUNDFUNK
STUDIO KARLSRUHE
ARD-Rechtsredaktion Hörfunk
RadioReport Recht
Aus der Residenz des Rechts
Dienstag, den 03. Januar 2017
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Ein Mausklick für die Menschenrechte –
Menschenrechtsschutz in der digitalen Welt?
was
wird
aus
dem
Max Bauer: Ein Mausklick für die Menschenrechte – was wird aus dem
Menschenrechtsschutz in der digitalen Welt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wissen, wo Ihr seid, wer Ihr seid,
was Ihr wollt. Und wir werden künftig Euch auch sagen können, was Ihr denn
erwartet, was Ihr denkt.
Max Bauer: „Wir wissen, was Ihr wollt. Wir wissen, was Ihr denkt.“ Ein
Satz des Google-Chefs, zitiert von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die
frühere Bundesjustizministerin beschäftigt sich seit langem damit, wie Internet
und digitale Medien unser Leben verändern.
Leutheusser-Schnarrenberger: Inzwischen haben wir ja 20 Jahre
rasante technologische Entwicklung, in der die Digitalisierung wirklich alle
Lebensbereiche durchdrungen hat. Es entstehen wirklich unglaubliche
Mengen an Daten, deren Speicherung, Verarbeitung, Analyse und Vernetzung
kaum technische Grenzen kennt. Smart-Home, Gesundheits-App, Auto als
rollendes Smart-Phone, Online-Bankgeschäfte jeglicher Art sind ja nur einige
Aspekte des immer transparenter werdenden Verhaltens der Menschen. Diese
Technik eröffnet viele Chancen, aber natürlich ist die Kehrseite dieser
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Digitalisierung eine große Gefahr für die Selbstbestimmung des einzelnen, für
den Schutz seiner Privatsphäre, für den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte.
Max Bauer: Das Leben in der digitalen Welt macht uns durchsichtig wie
nie zuvor. Im World Wide Web hinterlassen wir überall Spuren. Datenspuren,
die für Google, Facebook, Apple und Co. bare Münze sind, zum Beispiel weil
sie der Werbewirtschaft ganz genaue Informationen liefern. Und auf die kann
auch der Staat immer leichter zugreifen. Das Internet macht unser privates
Leben leichter und gleichzeitig sorgt es dafür, dass es nicht mehr privat bleibt.
Sie erinnern sich, in Deutschland wurde seit dem Volkszählungs-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts der Datenschutz großgeschrieben. Viele Bürger
haben damals, in den 80er Jahren, für den Schutz ihrer Privatsphäre
gekämpft. Und das Verfassungsgericht hat ein eigenes Grundrecht für den
Datenschutz geschaffen. Heute, da mit jedem Klick viele persönliche Daten
um den ganzen Erdball sausen, ist ein Datenschutz, der nur innerhalb der
staatlichen Grenzen stattfindet, nicht effektiv. Das sagte Verfassungsrichter
Ferdinand Kirchhof neulich auf einer Tagung der Friedrich-Naumann-Stiftung.
Ferdinand Kirchhof: Mir ist immer noch der Fall vor Augen. Vor zwei
Jahren spielte der vorm Amtsgericht Reutlingen. Da wollte jemand eine
Eintragung aus Facebook entfernen. Und der Reutlinger Amtsrichter ist nur
dabei gewesen, zu wissen, wem er eigentlich diese Klage zuschickt. Erst nach
Deutschland. Facebook sagt, sie wären eigentlich nur ein Büro und ein
Aushängeschild und sie wären rechtlich überhaupt nicht zuständig. Also, das
heißt, es kann sein, dass Sie ein gutes Recht auf Datenschutz haben. Nur Sie
können es nicht durchsetzen, weil Sie den Partner oder Gegner, wie Sie es
nun nennen wollen, nicht finden.
Max Bauer: Der Datenschutz im Inland geht ins Leere. Deshalb muss er
zu einer Angelegenheit des internationalen Rechts werden, erläutert Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger.
Leutheusser-Schnarrenberger: Eigentlich wäre die Antwort leicht. Alle
Menschenrechte, die offline gelten, gelten auch online. Ist das jetzt eine neue
Erkenntnis? Nein, denn der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat
das in zwei einschlägigen Resolutionen bereits unmissverständlich deutlich
gemacht, mit Blick auf die Meinungsfreiheit, auch mit Blick auf das Recht auf
Privatleben.
Max Bauer: Das Recht auf Privatsphäre ist auch international
geschützt. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im UN-Pakt für
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bürgerliche
und
politische
Rechte,
in
der
Europäische
Menschenrechtskonvention. Es gibt also viele Menschenrechte, die
persönliche Daten absichern. Das Problem ist aber, wie so oft im
internationalen Recht, Menschenrechte auch wirklich durchzusetzen.
Leutheusser-Schnarrenberger: Dann wissen wir, dass allein schon mit
Blick auf die Geheimdienste es hier nicht einen absoluten Schutz geben kann.
Ich spiele damit an auf die Enthüllungen von Edward Snowden über die
Aktivitäten
amerikanischer
Geheimdienste,
aber
auch
britischer
Geheimdienste, die in umfangreicher Weise auf die Daten von internationalen
Konzernen, von IT-Konzernen, auf deren Servern Unmengen Informationen
ihrer Nutzer, ihrer Kunden, aber auch vieler, die nur einmal bei ihren
Dienstleistungen vorbeischauen, bei der Suchmaschine etwas surfen, die sind
dort gespeichert in unglaublicher Menge und auf die wurde und wird in weitem
Umfang zugegriffen.
Max Bauer: Internet-Konzerne können heute Unmengen an privaten
Daten sammeln. Auf der anderen Seite können Staaten immer besser auf
diese Daten zugreifen. Und erschwerend kommt hinzu, dass es kein
Schutzsystem mit harten Sanktionen bei Eingriffen in die private Daten-Sphäre
gibt. Wie können unsere Daten da überhaupt besser geschützt werden?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Leutheusser-Schnarrenberger: Da war etwas effektiver, meine Damen
und Herren, der europäische Gerichtshof, der in seiner Entscheidung zu Save
Harbour, einem sicheren Hafen, auf die Klage von Max Schrems, einem
österreichischen Jura-Studenten damals, der wissen wollte, welche Daten
Facebook denn über ihn gespeichert hat, hat dann – das war kein ganz
einfacher Weg zum Europäischen Gerichtshof zu kommen – entschieden,
dass jedenfalls die damalige Praxis, zu sagen, wenn sich Unternehmen in eine
Liste eintragen, und sagen, wir achten schon so allgemeine
Datenschutzstandards, dass das nicht ausreicht angesichts der Enthüllungen
von Snowden, dass massenhaft auf die Daten von Unternehmen, von
Privatpersonen, gerade
natürlich
auch
von Nicht-Amerikanischen
Staatsangehörigen zugegriffen wird, und haben darin die Verletzung der
Europäischen Grundrechte-Charta mit Blick auf Privatsphäre, mit Blick auf
Datenschutz, Art. 7 und Art. 8 festgestellt.
Max Bauer: Das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofs war
wichtig. Aber ein Urteil allein reicht nicht aus. Der europäische Gesetzgeber
hat verstanden, dass das Problem nach ganz neuen Regelungen ruft und hat
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die europäische Datenschutz-Grundverordnung geschaffen, die im Mai 2018
in Kraft treten wird. Wichtiges Detail: das neue europäische Datenschutzrecht
gilt auch für die amerikanischen Internet-Riesen. Die haben ihren Sitz zwar
nicht in der EU, aber natürlich ihre Kunden. Es gilt nun das Datenschutzniveau
des Marktes, auf dem man aktiv sein möchte. Juristen sprechen deshalb vom
Marktortprinzip. Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist das Europarecht
ein wichtiger Baustein für den Datenschutz.
Leutheusser-Schnarrenberger: Also, wir brauchen ein Zusammenspiel
von nationalem, europäischen und internationalem Recht. Denn wir haben
eben faktische Schwierigkeiten eines Mehrebenen-Systems, und da kommen
wir allein mit Antworten auf nationaler Ebene letztendlich nicht ans Ziel.
Max Bauer: Wichtig ist er für uns, der europäische Datenschutz.
Leutheusser-Schnarrenberger verschweigt nicht, dass es aber auch Zweifel
gibt.
Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt Skeptiker, und zwar deutliche
Skeptiker, die sagen, das gelingt nicht, wir brauchen heute gar nicht mehr vom
gläsernen Menschen zu reden, sondern der Mensch ist ja heute schon ein
Produkt der Internet-Giganten.
Max Bauer: Ein besonderes Problem ist die gewaltige Macht der
privaten Internet-Konzerne, die schwer zu durchschauen und noch schwerer
im Zaum zu halten ist. Ihre Dienste bieten aber auch Vorteile.
Leutheusser-Schnarrenberger: Also, natürlich schon Chancen. Wie
sollten sonst auch Flüchtlinge kommunizieren. Wie sollte man wissen, wie
sollten Eltern wissen in Syrien, dass ihr Sohn, der geflohen ist, noch lebt. Ja
ohne diese weltweite Kommunikation wäre das ja auch nicht möglich. Auch,
sich zu verabreden, zu sagen, jetzt stehen wir auf gegen autoritäre Systeme,
gegen Menschen, die versuchen, uns zu unterdrücken.
Max Bauer: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnt, die Chancen
der Digitalisierung nicht zu vergessen. Digitale Technik kann auch ein
Instrument für politische Veränderungen und für den Schutz von
Menschenrechten sein. Menschenrechtsexpertin Katrin Kinzelbach vom
Global Public Policy Institute in Berlin, schildert einen Fall aus Kuba.
Katrin
Kinzelbach:
Heute
können
Menschenrechts-und
Demokratieaktivisten in Echtzeit mit der Welt kommunizieren. Die kubanische
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Bloggerin Juani Sanchez erzählte mir einmal, wie sie mit einer Freundin
zusammen auf dem Weg zu einer Demonstration für Meinungsfreiheit in
Havanna festgenommen wurde. Sie wurde in ein dunkles Auto geschupst und
auf der Rückbank festgehalten. Nach wenigen Minuten erreichte den Fahrer
ein Anruf. Er drehte sich zu seinem Kollegen auf der Rückbank und sagte:
Drück nicht zu stark, die Welt weiß schon Bescheid. Juani hatte auf ihrem
Handy vorsorglich eine SMS formuliert, und im Moment der Festnahme noch
auf Senden drücken können. Diese Nachricht ging an die Mobilfunk-Nummer
an Twitter. Die gibt es wirklich. Das ist für uns heute schwer nachzuvollziehen,
aber für viele Menschenrechtsaktivisten sehr sehr wichtig. Sie schickte also
eine Nachricht an die Mobilfunk-Nummer von Twitter, und diese Nachricht
verbreitete sich dann rasant schnell über soziale Medien. Selbst auf Kuba
also, wo es nur einen sehr beschränkten Internet-Zugang gibt, können soziale
Netzwerke
als
ein
internationaler
Rettungsschirm
für
Menschenrechtsaktivisten dienen.
Max Bauer: Menschenrechtsverletzungen können im Netz leichter eine
Öffentlichkeit finden und das Anprangern ihrer Untaten kann autoritäre
Herrscher unter Druck setzen. Katrin Kinzelbach.
Katrin Kinzelbach: Zunächst einmal erleben wir momentan einen
enormen Zuwachs an Informationen. Dank der fortschreitenden Digitalisierung
ist es sehr leicht geworden, Berichte über Menschenrechtsverletzungen
international zu verbreiten. Egal, ob Sie jeden Morgen noch Zeitungspapier in
die Hand nehmen, oder Informationen im digitalen Format lesen, ich vermute,
Sie sind alle tagtäglich mit Berichten über Menschenrechtsverletzungen
konfrontiert.
Katrin
Kinzelbach:
Die
Digitalisierung
beschert
Menschenrechtsaktivisten also einen Machtzuwachs. Sie bietet neue
Instrumente für die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, die
Verbreitung dieser Informationen und die so wichtige internationale
Vernetzung. Leider haben das aber nicht nur die Menschenrechts-Aktivisten,
sondern auch die Gegner der Menschenrechte gemerkt und sie wissen die
Digitalisierung für ihre Zwecke zu nutzen. Und hier kommen wir zu
ungemütlichsten Konsequenz der fortschreitenden Digitalisierung im Bereich
der Menschenrechtsarbeit.
Max Bauer: Ein Beispiel für die Chancen und Risiken der Digitalisierung
ist China, sagt Katrin Kinzelbach.
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Katrin Kinzelbach: Vor gut zehn Jahren waren soziale Netzwerke für
Chinas Menschenrechtsaktivisten noch ein Segen. Berühmt ist zum Beispiel
der Fall von Sun Che Gang, ein junger Mann aus Uhan, der am 20. März
2003, im Alter von nur 27 Jahren, wegen vergessener Ausweis-Papiere in
Guang-Cho festgenommen, und dann im Polizeigewahrsam zu Tode gefoltert
wurde. Sein Geschichte verbreitete sich blitzartig über soziale Medien und
führte 2003 zur Abschaffung von Chorong Sin Song, das ist eine Form der
Administrativhaft, wo die Polizei ohne jeglichen richterlichen Beschluss eine
Festnahme für drei plus ein Jahr anordnen kann.
Max Bauer: Brutale Menschenrechtsverletzungen kommen durch das
Internet leichter an die Öffentlichkeit. Allerdings unterliegen viele
Internetdienste, zum Beispiel Google, Facebook, Twitter und Instragram, in
China einer strengen Zensur. Aber nicht nur die Zensur ist ein Problem für
Menschenrechtsaktivisten. Der chinesische Staat nutzt die digitale Technik vor
allem für eine lückenlose Überwachung.
Katrin Kinzelbach: Viele Menschenrechtsaktivisten in China müssen
davon ausgehen, dass alle ihre Gespräche, also nicht nur ihre TelefonGespräche, alle ihre Gespräche über die Handy-Mikrofone mitgehört werden.
Wenn Sie ungestört reden wollen, ich hab das oft selbst erlebt, nehmen Sie
die Batterie raus, denn angeblich reicht es nicht, das Handy auszuschalten.
Aber auch im Exil bekommen kritische chinesische Aktivisten die
Überwachung zu spüren. In Deutschland lebt zum Beispiel ein bekannter
chinesischer Aktivist, Tchang Ping, der China aus Sicherheitsgründen
verlassen musste. Er schreibt jetzt für die Deutsche Welle und hat vor ein paar
Monaten die Nachricht erhalten aus China, er möge doch bestimmte Artikel
wieder löschen, und zwar umgehend. Als er nicht parierte, wurde seine
Familie in China festgenommen. Nicht nur der Menschenrechtsaktivismus ist
international organisiert, auch die Repression kennt keine Staatsgrenzen.
Max Bauer: Während des arabischen Frühlings 2011 sprachen NetzAktivisten davon, dass das Internet früher oder später überall Transparenz und
Mitsprache schaffen würde. Autoritäre Cliquenherrschaft, politische Gewalt
und Korruption wären deshalb ein historisches Auslaufmodell. Heute wissen
wir: je besser die digitale Vernetzung wird, desto besser werden auch die
Überwachungsmöglichkeiten des Staates und desto schlechter sieht es aus
für den Menschenrechtsschutz. Davor warnt Menschenrechts-Expertin Katrin
Kinzelbach.
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Katrin Kinzelbach: Macht haben Menschenrechtsaktivisten in der
digitalen Welt nur so lange, wie sie technisch die Nase vorn haben, oder wenn
es uns gelingt, den Datenschutz, das Recht auf Privatsphäre, Meinungs- und
Informationsfreiheit auch im digitalen Zeitalter effektiv zu schützen. Sobald ein
Staat oder auch ein Unternehmen die technisch zur Verfügung stehenden
Mittel für eine systematische Überwachung wirklich einsetzt, kippt die Macht
von Menschenrechtsaktivisten in Ohnmacht, und dann ist es um die Freiheit
von uns allen nicht gut bestellt.
Max Bauer: Gegen diese Ohnmacht soll uns jetzt das Europarecht
schützten, mit der Datenschutz-Grundverordnung. Wahrscheinlich runzeln Sie
bei so einem Wort-Ungetüm erst mal die Stirn, aber genau solche Gesetze
sind es, die die Privatsphäre gegen internationale Konzerne verteidigen, und
die den Menschenrechtsschutz insgesamt stärken – online und offline.
Das war der SWR1 RadioReport Recht – Ein Mausklick für die
Menschenrechte – was wird aus dem Menschenrechtsschutz in der
digitalen Welt?
Sie können unsere Sendung auch noch einmal hören, unter SWR.de. – auf die
Gefahr hin, dass auch Sie dabei die eine oder andere Daten-Spur
hinterlassen.
Am Mikrofon verabschiedet sich Max Bauer.
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