Marine Biodiversität am Museum? Die Revolution der

Marine Biodiversität am Museum? Die Revolution der farbenprächtigen
Meeresnacktschnecken
Prof. Dr. Michael Schrödl
(Zoologische Staatssammlung München, LMU München, GeoBioCenter LMU)
Photo: Frank Holl.
Wie viele Arten von Tieren gibt es eigentlich global, an Land und im Wasser? Gibt es
noch neue Arten zu entdecken? Wie wirkt sich der „Global Change“ auf die
Meeresorganismen und deren Lebensräume aus? Was können die chronisch unterfinanzierten
Forschungsmuseen gegen den massiven Artenschwund tun?
Am Beispiel einer abenteuerlichen Sammelreise zum Bunaken Unterwasser-Nationalpark
in Nord-Sulawesi erfahren die Zuhörer anschaulich, wie biologische Feldforschung der
Molluskensektion der Zoologischen Staatssammlung (ZSM) funktioniert, wie hübsch und
vielfältig Meeresnacktschnecken sein können, und was es an spannenden Forschungsfragen
gibt. Tropische Korallenriffe sind bunte Oasen und Zentren der Artenvielfalt, doch akut
bedroht durch steigende Wassertemperaturen und Versauerung der Meere. Die Prognosen
sind denkbar schlecht: Bei einem sehr optimistischen Klimaziel von nur 2°C Erderwärmung
werden wohl 98% der Korallenriffe das Jahr 2100 nicht erleben.
Ähnlich erschütternd sieht es aus für die Tierwelt im südlichen Ozean, dem zweiten Ziel
der kleinen Reise. Das Wasser um die Antarktis wird wärmer, doch die Tierwelt ist an
extreme Kälte angepasst und kann nicht ausweichen. Neue molekulare Analysen zeigen, dass
viele Arten eben keine weit verbreiteten und ökologisch toleranten Arten sind, sondern in
Artenkomplexe zerfallen, mit viel mehr kleinräumigen und spezialisierten Arten, die
vermutlich empfindlich auf Umweltveränderungen reagieren. Eine Schlüsselrolle im
südlichen Ozean spielen bisher die ungemein häufigen Flügelschnecken, die auch als Futter
für große Wale dienen. Leider löst sich immer mehr vom Menschen produziertes CO2 im
Meer und bildet Kohlensäure, die die zarten Kalkschalen von Flügelschnecken angreifen
kann. Auch das antarktische Ökosystem ändert sich schneller, als wir es erforschen können.
Vermutlich sind die weltweit bekannten gut 1,5 Millionen Tierarten nur die Spitze des
Eisberges; 3-10 Millionen Arten werden vermutet, oder sogar noch viel mehr. Mittel zur
Inventur dieses unglaublichen Artenreichtums gibt es nicht. Die jährliche Aussterberate dürfte
bereits höher sein als die gut 15.000 Arten, die die Wissenschaft jährlich neu beschreibt. Auch
wenn es noch kaum jemand wahrhaben will: Wir befinden uns im 6. katastrophalen
Aussterbeereignis der Erdgeschichte, diesmal rein Mensch - gemacht. Wo bleibt der
Aufschrei von Wissenschaft und Öffentlichkeit? Wo eigentlich ein globales Rennen um das
Auffinden und Schützen der riesigen unbekannten Artenvielfalt stattfinden sollte ist –
weitgehend nichts!
Dabei würden Museumswissenschaftler mit – etwa im Vergleich zur natürlich genauso
dringend nötigen Klimaforschung oder gar der Verhinderung von Klimaschäden
aufzuwendenden Summen – äußerst bescheidenen Mitteln sehr weit vorankommen. Vielleicht
wären nur etwa 20 Milliarden Euro, global und über viele Jahre verteilt, für eine
Gesamtinventur mit Beschreibung (fast) aller Arten notwendig. Wir brauchen nicht nur ein
paar neue Praktikumsplätze oder Doktorandenstipendien, wir brauchen Hunderte von Stellen
für wissenschaftliche Experten, die mit modernsten Methoden, effizient und unbürokratisch
neue Tierarten erforschen und beschreiben! Und das sehr bald.
Wo bei Instituten, Staaten, Politik und Öffentlichkeit offenbar der Wille fehlt, könnte eine
Initiative für private Spenden helfen: Ein Büchlein zum Aufrütteln der Milliardäre weltweit
ist in Vorbereitung. Vielleicht möchte sich jemand als Erforscher und Retter der globalen
Tierwelt profilieren und positiv in die Menschheitsgeschichte eingehen?
Bis dahin bleibt die Mammutaufgabe des Findens und Beschreibens neuer Tierarten wohl
an engagierten Einzelpersonen hängen. Forscherinnen und Forschern, die wie damals
Humboldt oder Darwin unter teils wenig romantischen Entbehrungen um die Welt reisen und
ihr Bestes für eine spannende und sinnvolle Sache geben. Mit der gesellschaftlichen
Anerkennung solcher Mühen und Leistungen hapert es meist sehr. Umso erfreulicher ist der
mit 100.000 Schweizer Franken dotierte Rolex Award 2016, eine Art ‚Oscar’ für Menschen,
die die Welt verbessern, für die Seeanemonen- und Korallenforscherin Dr. Vreni
Häussermann! Die idealistische Direktorin der Forschungsstation Huinay (www.huinay.cl) in
Chilenisch-Patagonien ist Alumna der ZSM (www.zsm.mwn.de), Mitglied des
GeoBioCenters der LMU München (www.geobio-center.uni-muenchen.de) und langjährige
Expeditions- und Kooperationspartnerin des Vortragenden (www.zsm.mwn.de/mol/staff.htm).
Nähere Informationen zur Preisverleihung mit James Cameron im Dolby Theatre in Los
Angeles finden Sie unter www.zsmblog.de.