und was 2016 sonst noch wichtig war

Aufsteller des Jahres
und was 2016 sonst noch wichtig war
Sonderbeilage vom 29. Dezember 2016
St. Galler Tagblatt • Thurgauer Zeitung • Appenzeller Zeitung • Toggenburger Tagblatt • Der Rheintaler • Wiler Zeitung • Werdenberger & Obertoggenburger • Rheintalische Volkszeitung • Ostschweiz am Sonntag
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Sie erholsame Ferientage im
nördlichen Teil Frankreichs
von Compiègne an der Oise
bis zum pulsierenden Paris an der Seine. Der Flusslauf der Oise ist ruhig und bettet sich sanft in die
Landschaft der Picardie ein. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten zeugen von einer jahrtausendealten,
wechselvollen Geschichte dieser Region. Erkunden
Sie mit dieser Reise eine touristisch weniger bekannte, aber wunderschöne Region. Sie werden begeistert sein.
Herzlich willkommen an Bord der beliebten
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Paris–Saint-Mammès–Vernon–Compiègne
8 Tage ab Fr. 1590.– (Rabatt Fr. 400.– abgezogen, Hauptdeck hinten, Vollpension)
1. Tag Schweiz–Compiègne
startet ein Busausflug* zum grösstem Privatschloss Frankreichs, Vaux-le-Vicomte aus dem 17. Jh. Der Schlosspark gilt es
als Vorgänger der Parkanlagen von Versailles.
2. Tag Compiègne–Saint-Leu d’Esserent
Geniessen Sie die Fahrt bis zur Ankunft in Paris am Mittag. Der
Nachmittag steht für eigene Erkundungen zur Verfügung oder
Ausflug+ zum Schloss Versailles. Die westlich von Paris gelegene Schlossanlage gehört zu den grössten Europas und diente
als Vorbild zu ähnlichen Bauten.
Bahnfahrt ab CH-Wohnort nach Paris (10.34 Uhr ab Basel mit
TGV). Bustransfer nach Compiègne und Einschiffung. Willkommens-Apéro und anschliessend Abendessen an Bord.
7. Tag Melun–Paris
Am Vormittag Besichtigung* der typisch französischen Altstadt
von Compiègne. Sehenswürdigkeiten wie das klassizistische
Schloss mit seinem Landschaftspark, die Kirche Saint-Jacques
aus dem 12. Jahrhundert sowie das Théâtre Impérial machen
die Stadt sehenswert. Vor dem Mittagessen «Leinen los!».
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Paris–Compiègne
29.04.–06.05.° 400
19.08.–26.08. 400
13.05.–20.05. 400
30.09.–07.10. 400
27.05.–03.06. 400
° geändertes Programm, inkl. Zusatzausflug, siehe Internet
Compiègne–Paris
06.05.–13.05. 400
20.05.–27.05. 400
03.06.–10.06. 400
26.08.–02.09. 400
07.10.–14.10. 400
8. Tag Paris–Schweiz
3. Tag Auvers-sur-Oise–Mantes-la-Jolie
Rundgang* durch Auvers. Das an der malerischen Oise gelegene Dorf zog viele berühmte Künstler an wie Cézanne, Pissarro,
Daubigny und Vincent van Gogh, der innerhalb kurzer Zeit 70
Gemälde erschaffen hat und später auch hier gestorben ist.
Geniessen Sie am Nachmittag die Weiterfahrt nach Conflans-Ste-Honorine, wo etwas Zeit zur individuellen Besichtigung zur Verfügung steht. Weiterfahrt nach Mantes-la-Jolie.
4. Tag Vernon–Mantes-la-Jolie
Der Ausflug* am Vormittag führt nach Giverny zum Haus von
Claude Monet und seinem berühmten Garten mit dem Seerosenteich, welcher in vielen seiner Bilder zu sehen ist. Im Verlauf des Nachmittags Fahrt zurück nach Mantes-la-Jolie.
Ausschiffung nach dem Frühstück und Fahrt im TGV von Paris
nach Basel und Weiterfahrt an Ihren Wohnort.
* im Ausflugspaket enthalten, vorab buchbar
+ Fak. Ausflug vorab und an Bord buchbar
Programmänderungen vorbehalten
Reederei/Partnerfirma: Scylla AG
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2-Bettkabine Oberdeck mit franz. Balkon
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Zuschlag Alleinbenutzung HD/OD
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Kreuzfahrt inkl. Vollpension, Bahnfahrt 2. Kl. mit ½-Tax-Abo/GA
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Paris–Compiègne
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Busausflug* zum Schloss Fontainebleau, ehemals bevorzugter
Aufenthaltsort von Napoleon I. Weiterfahrt nach Melun. Hier
Das unter Schweizer Flagge fahrende Schiff erfreut sich
dank ihres luxuriösen Interieurs grosser Beliebtheit. Die 44
Aussenkabinen bieten Platz für 88 Gäste. Alle Kabinen haben
eine Grösse von ca. 11,5 m² und sind mit zwei Betten, Dusche/
WC, Föhn, Minibar, Safe, TV, Radio und individuell regulierbarer Klimaanlage ausgestattet. Auf dem Oberdeck haben die
Kabinen französische Balkone, auf dem Hauptdeck sind die
Fenster nicht zu öffnen. Auf dem Hauptdeck können die Betten
auf Wunsch etwas auseinander gestellt werden. Zur Bordausstattung gehören Salon mit Tanzfläche und Panorama-Bar,
grosszügiges Restaurant, kleine Bordboutique und teilweise
überdachtes Sonnendeck. Gratis WLAN
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Nichtraucherschiff (Rauchen auf dem Sonnendeck erlaubt).
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Vaux Le Vicomte
5. Tag Paris–Melun
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zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, lernen Sie am Morgen
während einer Rundfahrt* kennen. Weiterfahrt nach Melun.
6. Tag Saint-Mammès–Melun
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Zeigen die USA unter ihrem neuen Präsidenten der Welt den Rücken? Donald Trump an einer Wahlveranstaltung.
3
Bild: Paul Sancya/KEY (Sterling Heights, Michigan, 23. November 2016)
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen
Politik Populismus und Machtpolitik auf dem Vormarsch, die alte Ordnung erschüttert: Was wir 2016 erlebten, war der Beginn eines
grossen weltpolitischen Experiments. Der Ausgang ist offen und betrifft uns alle.
Pascal Hollenstein
Es gibt Momente im Leben einer jeden
einigermassen informierten Person, in
denen sich die Politik plötzlich in das
eigene Leben drängt. Diese Momente
sind heute, da wir mit dem Smartphone
gewissermassen in Echtzeit am Nachrichtenfluss teilhaben, naturgemäss intensiver als noch vor wenigen Jahren.
2016 waren sie aber auch häufiger: Der
Entscheid der Briten, aus der EU auszutreten; der gescheiterte Putsch und die
darauf folgenden brutalen Säuberungsaktionen in der Türkei; die Wahl des
grossen Alles-Kleinhackers Donald
Trump zum mächtigsten Mann der Welt;
das italienische Nein zur Verfassungsreform. Dieses Jahr war gewiss nicht arm
an bedeutenden Entwicklungen. Das
Smartphone in der Hand, ahnte man:
Das ist nicht mehr der normale Lauf der
Politik – da kommt etwas ganz Fundamentales ins Rutschen. Es beginnt das
Ende der Welt, so wie wir sie kennen.
Es war die Welt der postkommunistischen Ordnung. Unter dem Dach der
Pax Americana erfreute sich in dieser
Welt Europa einer Periode der politischen Stabilität und wirtschaftlichen Expansion. Die osteuropäischen Staaten,
aus der Vorhölle des Kommunismus befreit, stiegen wirtschaftlich auf. Der Prozess einer immer tieferen Integration
Europas verlief zwar dornenvoll, schien
im Grunde aber unumkehrbar.
Das Nationale lockt mit einer
bequemen Ordnung
Man durfte hoffen, und die Zahlen zeigten es auch, dass es immer mehr Personen auf diesem Planeten besser geht.
Freiheit, Demokratie und Liberalismus
schienen zum Selbstläufer zu werden,
Freihandel zum Ordnungsprinzip einer
immer globaleren Wirtschaft.
Gewiss, das Fundament dieser Entwicklung war bereits vor dem Jahr 2016
rissig geworden: Dem in jeder Hinsicht
rechtswidrigen Angriffskrieg Russlands
gegen die Ukraine hatte die Staatengemeinschaft nichts entgegenzusetzen.
Der Arabische Frühling entwickelte sich
zum Fiasko, die Flüchtlingsströme droh-
ten Europas Politik zu destabilisieren.
Der Westen zeigte sich unfähig, der Barbarei in Syrien Einhalt zu gebieten, der
islamistische Terror stellte die offenen
Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Eine zunehmende Zahl von Personen begann, befeuert von der russischen Propaganda, die Errungenschaften des Westens in Zweifel zu ziehen
– zunächst in den Untiefen des Internets,
dann auf der Strasse. Das Nationale, gelegentlich das Völkische gar, scheint diesen Menschen die übersichtlichere und
bequemere Ordnung zu bieten als der
globale Wettbewerb, die Herrschaft starker Männer attraktiver zu sein als fein
austarierte politische Institutionen und,
ja, Bürokratie und Technokratie. Wir erlebten den Aufstieg des Populismus.
Die Gefahr für die alte Ordnung lag
also gewissermassen in der Luft. Jetzt ist
sie erschüttert. Donald Trump hat die
amerikanischen Sicherheitsgarantien für
den Westen zur Disposition gestellt und
der Isolation der Supermacht das Wort
geredet. Was aber bedeutet es für uns
alle, wenn das für den Westen so frucht-
bare amerikanische Zeitalter endet? Was
bedeutet es, wenn Freihandel plötzlich
kein vordringliches Ziel internationaler
Politik mehr ist – zumal für ein machtpolitisch unbedeutendes, aber auf Gedeih und Verderb auf Export angewiesenes Land wie die Schweiz? Und was wird
aus einer schwächelnden Europäischen
Union, der man je nach tagespolitischer
Lust und Laune den Laufpass geben
kann? Was bedeutet es für diesen Kontinent, wenn sich ein Nachbarstaat wie die
Türkei Schritt für Schritt in ein despotisches Sultanat verwandelt? Wie wird der
starke Mann im Kreml die neue Lage
nutzen? Und geht der Siegeszug des politischen Populismus weiter?
rung stellt in Deutschland Strafanzeige
gegen Böhmermann wegen Beleidigung
von Vertretern ausländischer Staaten.
Am 4. Oktober wird das Strafverfahren
gegen Böhmermann eingestellt.
10. Ein Regierungssprecher in Damaskus erklärt, die Stadt Aleppo werde mit
Hilfe der russischen Luftwaffe «befreit»
werden. Die russisch-syrische Militäroperation auf Aleppo beginnt.
April
Mai
3. Die «Süddeutsche Zeitung» veröffentlicht die «Panama Papers», die Steuerund Geldwäschedelikte sowie weitere
Straftaten von Kunden der Kanzlei Mossack Fonseca enthüllt.
9. Nach dem Rücktritt von Werner Faymann wird Christian Kern neuer Kanzler in Österreich.
Das Beruhigende ist: Die Zukunft
bleibt offen
Es sind diese Fragen, die uns im neuen
Jahr beschäftigen werden. Wir sind Zeugen eines politischen Experiments, dessen Ausgang derzeit niemand vorhersagen kann. Nicht diejenigen, welche mit
geradezu pubertärer Freude alles begrüssen, das sich gegen das sogenannte
Establishment richtet. Aber auch nicht
diejenigen, welche in jeder Veränderung
den Beginn des Unterganges sehen.
Denn noch weiss niemand, was der neue
mächtigste Mann der Welt wirklich im
Schilde führt – vermutlich nicht einmal
er selber. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wohin die EU steuert. Und
niemand weiss, ob der Populismus längerfristig zu einer dominierenden Kraft
wird und mit welchen Folgen.
Die Zukunft ist unsicherer geworden, aber sie bleibt zumindest offen.
Noch gibt es in den Köpfen der Bürger
eine Menge Vernunft, das hat die österreichische Präsidentschaftswahl gezeigt.
Die Menschen haben es in der Hand, ihre
Zukunft zu gestalten, statt sie in die Hände von Rattenfängern zu legen. Und sie
können Fehlentscheide auch wieder korrigieren. Man darf klüger werden. Das ist
die Kraft einer freiheitlichen Gesellschaft und Demokratie.
Diese Gewissheit immerhin bleibt.
Sie lässt uns 2017 mit gelassener Heiterkeit entgegenblicken. Willkommen in
einer, in unserer neuen Welt!
Jahreschronik
Januar
Februar
5. Massive Übergriffe auf zahlreiche
Frauen in der Silvesternacht rund um
den Kölner Hauptbahnhof rufen in
Deutschland Entsetzen hervor. Innenminister de Maizière kritisiert die Polizei, und Bundeskanzlerin Merkel forderte eine harte Antwort des Rechtsstaates.
Bei einem grossen Teil der Täter soll es
sich um Männer aus Nordafrika handeln.
1. Wegen der rasanten Ausbreitung des
Zika-Virus ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den globalen Gesundheitsnotstand aus.
16. Das Atomabkommen mit Iran tritt in
Kraft. Damit werden die mit dem iranischen Atomprogramm zusammenhängenden Sanktionen durch die EU und die
UNO aufgehoben. Zwischen den USA
und Iran findet ein Gefangenenaustausch statt.
März
24. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird der Kriegsverbrecher Radovan Karadzic wegen
seiner Verantwortung im Massaker von
Srebrenica zu 40 Jahren Haft verurteilt.
31. Ein Fernsehbeitrag des deutschen Satirikers Jan Böhmermann löst eine diplomatische Krise zwischen Deutschland
und der Türkei aus: Die türkische Regie-
6. In einem Referendum zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine in
den Niederlanden lehnt eine Mehrheit
von 61 Prozent der Abstimmenden den
Vertrag mit der Ukraine ab.
22. Der Grüne Alexander Van der Bellen
wird im zweiten Wahlgang zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt. Er
kann sich aber nur kurz über den Sieg
freuen. Die unterlegene FPÖ ficht die
Wahl erfolgreich an. Grund sind Verstösse gegen das Wahlgesetz.
Juni
2. Der Deutsche Bundestag verurteilt die
Massaker an den Armeniern während
des Ersten Weltkrieges als Völkermord.
Die Türkei ist empört.
12. Bei einem Anschlag auf einen Schwulenclub in Orlando im US-Bundesstaat
Florida werden 49 Personen getötet und
53 weitere verletzt.
16. Mitten im Brexit-Wahlkampf wird im
Norden Englands ein Mordanschlag auf
die Labour-Politikerin und Brexit-Gegnerin Jo Cox verübt.
29. Eine Mehrheit der Briten stimmt für
den Brexit.
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Stunde der Friedenstauben
Gewinner
Abkommen Der Frieden in Kolumbien galt als tot. Bis Präsident Santos im September
den Vertrag mit den Farc unterzeichnete.
Gewalt hat in Kolumbien Tradition. Seit der Unabhängigkeit
1810 gab es zehn Bürgerkriege –
einschliesslich des aktuellen, der
vor 52 Jahren begann. Mehrere
Präsidenten hatten vergeblich
versucht, ihn zu beenden. Deshalb warnten alle Berater Präsident Juan Manuel Santos vor diesem «aussichtslosen Unterfangen». Trotzdem erklärte Santos
im September 2012 die Eröffnung
von Gesprächen mit der GuerillaOrganisation «Revolutionäre
Streitkräfte Kolumbiens» (Farc).
Santos’ Argumente: Die Farc
waren durch die Militärschläge
geschwächt wie nie zuvor; Kuba
und Venezuela erklärten sich zur
Vermittlung bereit; der Krieg
war aufgrund der Geografie und
der Verstrickung der Farc in den
Drogenhandel nicht militärisch
zu gewinnen; wollte Kolumbien
sein wirtschaftliches Potenzial
entfalten, ginge das nur, wenn der
StaatdasganzeLandkontrollierte.
Die folgenden Jahre verlangten
dem Pokerspieler Santos sein
ganzes Geschick ab. Er musste
nicht nur mit den Farc verhandeln, sondern auch die Militärs
beschwichtigen. Er musste das
Ausland mit ins Boot holen, um
den Prozess zu legitimieren. Das
schlosseineGeneralamnestie aus–
denn die hätte gegen das Völkerrecht verstossen, und den Kriegsverbrechern beider Seiten hätten
Prozesse vor dem Internationalen Strafgerichtshof gedroht. Vor
allem aber musste er die Bevölkerung überzeugen und eine Elite,
die teils mit Krieg und Landraub
reich geworden war. Im Septem-
5
François Fillon
Bei den Primärwahlen der französischen Konservativen kommt es zu einem Überraschungssieg des
früheren Premiers François Fillon. Ex-Premier Alain
Juppé unterliegt in der Stichwahl; der ehemalige
Staatspräsident Nicolas Sarkozy scheidet bereits im
ersten Durchgang der Vorwahl aus. Die Konservativen gehen bei der Präsidentschaftswahl im April
2017 mit sehr guten Wahlchancen ins Rennen.
Verliererin
Hillary Clinton
Historischer Moment: Farc-Chef Rodrigo Londoño spricht nach der Unterzeichnung des Vertrags. Bild: KEY
ber schlug die Stunde der Friedenstauben, als Santos und FarcChef Rodrigo Londoño ihre
Unterschrift unter das Vertragswerk setzten. Doch der Triumph
dauerte nur kurz. Am 2.Oktober
stimmten die Kolumbianer gegen
das Abkommen. Der Vertrag garantiere den Farc Straffreiheit,
fördere die Homo-Ehe und den
Kommunismus, so die Kritiker.
Wenige Tage später erhielt Santos
den Friedensnobelpreis. Dadurch
Aufsteller
gestärkt, trug er die Vorschläge
der Kritiker an den Verhandlungstisch. Ende November war
ein neuer Vertrag fertig, der nun
den Weg durch die Instanzen
geht. Santos hat dem Land ein
historisches Abkommen beschert
– ob daraus auchwirklichFrieden
wird, liegt in der Hand der Bevölkerung und seines Nachfolgers,
der 2018 gewählt wird.
Sandra Weiss/Puebla
Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht
Bei der US-Präsidentschaftswahl am 8. November
unterliegt die ehemalige First Lady (1993–2001)
und frühere Aussenministerin (2009–2013) Hillary
Clinton gegen den Republikaner Donald Trump.
Clintons Niederlage gleicht einem politischen Erdbeben: Die meisten Umfragen hatten die Demokratin als Siegerin gesehen. Der Entscheidung ging ein
heftiger Wahlkampf voraus.
Gesagt
Syrien Fast eine halbe Million Menschen fiel dem Konflikt seit 2011 zum Opfer,
die humanitäre Lage bleibt in vielen syrischen Gebieten katastrophal.
Die Rückeroberung der früheren
syrischen Wirtschaftsmetropole
Aleppo durch das Regime von
Bashar al-Assad ist kein Signal
der Hoffnung. Aus einer Position
der scheinbaren Stärke heraus
bekräftigt er sein Kriegsziel, ganz
Syrien wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Eine militärische
Lösung also – in einem Land, in
dem die humanitäre Lage zumindest in Kampfgebieten katastrophal ist.
Assads Strategie heisst weiter: Rebellengebiete einkesseln,
aushungern und sturmreif bombardieren. Diese ist aber unter
seinen Verbündeten Russland
und Iran umstritten. Vor allem
der iranische Einfluss in Syrien ist
2016 soweit gewachsen, dass von
einer wirklichen Souveränität des
Staates kaum noch die Rede sein
kann. Russland bombt Assad
zwar den Weg frei. Die desolate
syrische Armee aber wäre dennoch kaum in der Lage, zurückeroberte Gebiete zu halten, zu befrieden und zu verwalten, wären
da nicht iranische Kämpfer und
die zu Iran loyale libanesische
Hisbollah-Miliz, die stärksten
Bodentruppen auf Seiten des
Regimes.
Hinzu kommt nun, dass Moskau und Teheran mit der Türkei
eine neue Syrien-Allianz aufzubauen versuchen. Die Erfolgsaussicht ist unklar, das Konfliktpotenzial gross. Die angekündigte diplomatische Offensive, um
die syrische Opposition in einen
Kompromissfrieden mit dem Regime zu führen, steht nicht nur im
Widerspruch zu Assads militäri-
scher Alles-oder-Nichts-Strategie. Der Konflikt mit den jihadistischen Kräften würde so nicht
beendet. Und deren Kapitulation
wäre nur zu erzwingen, wenn die
sunnitischen Golf-Monarchien
ihre Unterstützung der Jihadisten
aufgäben. Zudem kämpften auch
Kurden weiter für eine zumindest
ausgedehnte Autonomie, was
aber der Türkei missfiele. Ein
Ende des Krieges ist nicht in
Sicht.
«Erdogan hat seinen Fuss von
der Bremse genommen, wir fahren mit Vollgas auf die Wand zu.»
Der damalige Chefredakteur der türkischen Zeitung
«Cumhuriyet» Can Dündar warnt während des «Cumhuriyet»-Prozesses im März des Jahres vor dem autoritären Wandel in der Türkei.
Walter Brehm
Jahreschronik
Juli
14. Während der Feierlichkeiten zum
französischen Nationalfeiertag rast ein
Attentäter auf der Promenade von Nizza
mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge und schiesst um sich. Die Folgen
sind verheerend. 86 Personen werden
getötet und mehr als 300 zum Teil
schwer verletzt.
15. In der Nacht auf den 16. Juli scheitert
ein Putschversuch von Teilen des Militärs in der Türkei. Staatspräsident Recep
Tayyip Erdogan ruft zu Massenprotesten
auf. Seine Regierung beschuldigt die Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, hinter
dem Putsch zu stecken.
13. Theresa May löst David Cameron als
britischen Premierminister ab.
August
1. Der türkische Präsident Erdogan übernimmt den Oberbefehl über die Streitkräfte und ordnet den radikalen Umbau
der Armee an.
25. In Kolumbien unterzeichnen die Regierung und die Guerilla-Miliz Farc
einen historischen Friedensvertrag, der
den Bürgerkrieg beenden soll.
September
26. In der serbischen Teilrepublik von
Bosnien-Herzegowina stimmt in einem
umstrittenen Referendum eine überwältigende Mehrheit für die Beibehaltung
des gesamtstaatlich verbotenen «Nationalfeiertags» am 9. Januar.
Oktober
2. Rückschlag für Präsident Juan Manuel
Santos: Eine knappe Mehrheit der Kolumbianer erteilt dem Friedensvertrag
mit der Farc eine Absage.
17. Die monatelang geplante Offensive
auf Mossul beginnt. Sie dürfte länger
dauern. Ziel ist die Rückeroberung der
wichtigsten von der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) kontrollierten Stadt in
Irak und der militärische Sieg über die
Jihadisten in dem Land.
November
8. Donald Trump wird überraschend
zum 45. US-Präsidenten gewählt. Auf
ihn entfallen 290 Wahlmännerstimmen.
Die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, unterliegt mit 232 Wahlmännerstimmen.
20. Sie hat noch nicht genug: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) kündigt ihre Kanzlerkandidatur
für die Bundestagswahl 2017 an.
25. Der kubanische Revolutionsführer
Fidel Castro stirbt 90-jährig in Havanna.
Bereits seit 2008 war Castros Bruder
Raúl mit der Führung der Amtsgeschäfte beauftragt.
27. Frankreichs Ex-Premier François Fillon gewinnt die Primärwahlen der französischen Konservativen vor der Präsidentschaftswahl im April 2017.
Dezember
13. Der Fall von Aleppo ruft weltweite
Empörung hervor. Nach einem Zermürbungskrieg ist das ehemalige Handelszentrum Syriens wieder unter der vollständigen Kontrolle des Assad-Regimes.
19. Ein tunesischstämmiger Attentäter
steuert einen Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Zwölf Menschen
sterben, Dutzende werden teils schwer
verletzt. Der Attentäter wird vier Tage
später in Mailand erschossen.
6
Schweiz
Schweiz
7
Auf neue Art ganz nah
Gewinnerin
Simonetta Sommaruga
Digitalisierung Nicht nur die Post denkt 2016 darüber nach,
was Kundennähe im Internet-Zeitalter bedeutet.
Bis zu 600 traditionelle Poststellen sollen bis 2020 in der
Schweiz verschwinden. Der im
Herbst angekündigte Abbau hat
viele Emotionen geweckt. Zwar
wird ein Teil der Standorte durch
private Agenturen ersetzt. Der
Begriff vom «Poststellen-Kahlschlag» bleibt aber präsent. Die
Sorge über die Veränderungen
zeigt: Die Post gilt als etwas sehr
Elementares. Als Unternehmen
befördertsienichtblossGeschäftssachenvon AnachB,sondern auch
sehr viel Persönliches. Die Post
kommt uns täglich sehr nah.
Was Kundennähe ausmacht,
darin liegt ein entscheidender
Punkt im aktuellen Streit. Für Generationen ist es der gelbe Postbriefkasten, die Filiale mit dem
persönlich bedienten Schalter.
Für eine jüngere Generation heisst
Nähe, ein Smartphone mit einer
Post-App für alle Bedürfnisse
griffbereit zu haben. Jüngst hat
die Post auch Drohnen und Ro-
Ihr Privatleben? Steht in der Schwebe. Im Sommer
ist Simonetta Sommaruga (56) aus dem gemeinsamen Haus von Lukas Hartmann (72) ausgezogen.
«Vielleicht führt es irgendwann auseinander, vielleicht auch nicht», sagt der Ehemann. Auf politischer Ebene lief es der Justizministerin hingegen
wie geschmiert. Nein zur Durchsetzungs-Initiative,
Ja zum neuen Asylgesetz: Zwei Siege gegen die SVP.
Verlierer
Christophe Darbellay
boter getestet, um Pakete autonom zum Empfänger zu schicken.
Sie beteuert, nicht die Dienstleistungen reduzieren zu wollen,
sondern diese auf eine andere
Weise zu erbringen. Die Herausforderung dabei, nicht nur für die
Post: Es kann nicht einfach ein
Hebel umgelegt werden, und
plötzlich ist die gesamte Welt
digital. Angebot und Kundenbedürfnisseverändernsichschrittweiseundunterschiedlichschnell,
ein Wandel, der auch die Mitarbeitenden in vielen Branchen
betrifft.
Banken stellen ebenfalls fest,
dass gewisse Filialen nicht mehr
so häufig besucht werden wie in
früherenJahrzehnten.Fürwichtige
Beratungen bevorzugen Kunden
zwar weiterhin das Gespräch
unter vier Augen. Doch eine wachsende Zahl will Transaktionen
rund um die Uhr und von jedem
Ort aus tätigen – und sei es nur,
abends im Pyjama das Online-
Banking zu erledigen. Eine
Branche, die schon früh vom Umbruch erfasst wurde, ist der
Detailhandel. Stationäre Läden
waren eine der ersten, die durch
Internet-Händler konkurrenziert
wurden. Inzwischen zeigen sich
interessante Kombinationen aus
beiden Welten. Ob Modehäuser,
Elektronik oder Velozubehör:
Wichtige Produkte aus dem Sortiment lassen sich vor Ort begutachten und kaufen. Accessoires
werden im Laden über InternetTerminals auf eigene Wünsche
angepasst und bestellt. So verschmilzt die Ladenfläche vor Ort
mit der noch viel grösseren im
weltweiten Netz. Denn viel häufiger als gedacht löst etwas Neues
etwas Bisheriges nicht völlig ab –
es ergänzt es oder wandelt um.
Was bleibt, ist die komplexe Aufgabe, einen möglichst reibungslosen Übergang zu finden.
Thorsten Fischer
Im Zweifel für die Bilateralen
Migration Pro Forma ist die Zuwanderungsinitiative der SVP
umgesetzt. In der Praxis dürfte die Einwanderung weitergehen.
Sein Privatleben? Ist turbulent. Der frühere CVPPräsident Christophe Darbellay (45) wurde zum
vierten Mal Vater – mit einer ausserehelichen Affäre. Seit der Bund eine Sexstudie publiziert hat, überrascht das niemanden mehr: Walliser haben überdurchschnittlich viele Sexpartner. Ob sie deshalb
Darbellays Fauxpas verzeihen? Die Regierungsratswahlen vom kommenden März werden es zeigen.
Gesagt
Ein Selfie im Weltrekordtunnel: Drei junge Frauen fotografieren während der Fahrt beim Publikumsanlass.
Die Schweiz und die Welt
feiern das Jahrhundertwerk
Neat Ein Schlüsselprojekt für die Verlagerung der Güter auf die Schiene ist Realität:
Der Neat-Tunnel am Gotthard ist in Betrieb. Dafür erhält unser Land viel Lob.
Kari Kälin
«Ich staune, mit was für einer
frivolen Leichtfertigkeit Sie sich
über Verfassungsbestimmungen
hinwegsetzen.»
Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel (51) greift
in der Frühlingssession Simonetta Sommaruga an.
Wenig später verlässt die Justizministerin den Saal.
Die Schweiz protzt nicht mit ihren
Grossartigkeiten. Sie versteckt sie
lieber unter der Erde. Selbstverständlich rückte der Gotthard-Basistunnel die Schweiz dennoch ins
globale Scheinwerferlicht, als er
am 1. Juni mit Pauken, Trompeten, einem spektakulären Theater
und kunstvoll in die Luft gezogenen Figuren der Patrouille Suisse
eingeweiht wurde.
Mehr als 300 Medienvertreter aus der ganzen Welt begleiteten die Eröffnungsfeier des 57
Kilometer langen Neat-Tunnels
zwischen Erstfeld und Bodio vor
Ort. Dabei präsentierte sich die
Schweiz von ihrer Sonnenseite.
Die ausländische Presse berichtete nicht über Alpenfinsterlinge,
die unversteuerte Milliarden
bunkern, das Land mit Schäfchenplakaten zutapezieren und
einen europapolitischen Sonderzug fahren, sondern bejubelte das
Gelingen des weltlängsten Eisenbahntunnels als Beitrag an
die europäische Infrastruktur.
«Triumph der Ingenieurskunst»
(BBC), «Die Schweiz – Baumeisterin des Rekordtunnels» («Le
Figaro») oder «präzise wie ein
Schweizer Uhrwerk» («La Repubblica») sind nur drei von Hun-
derten Streicheleinheiten, die der 12,5 Milliarden Franken teure
Schweiz zuteil wurden. Viel An- Werk, das Herzstück des Schieerkennung gab es für das Kosten- nenkorridors auf der Achse Genua–Rotterdam, das eimanagement. «Die
nen Meilenstein für die
kleine Schweiz beschämt den Rest EuroVerlagerung der Güter
pas dabei wieder einmal
von der Strasse auf die
mit ihrer ProfessionaliSchiene darstellt. «Das
ist ein Freudentag. Wir
tät: Ihr Beispiel zeigt,
dass es kein Naturgesetz
danken der Schweiz,
gibt, nach dem sich die
dass wir uns mitfreuen
Kosten für grosse BauAufsteller dürfen», sagte die deutvorhaben der öffentsche Bundeskanzlerin
lichen Hand vervielfaAngela Merkel. Matteo
chen müssen», schrieb
Renzi, damals noch Itadie «Frankfurter Allgemeine Zei- liens Premierminister, betitelte
tung». Auch die europäische den Basistunnel als «grossartiges
Politprominenz bewunderte das Werk». Merkel und Renzi beton-
Bild: Alexandra Wey/Keystone (Gotthard-Basistunnel, 4. Juni 2016)
ten, dass sie nun ihre Hausaufgaben zu erledigen haben, sprich:
vorwärts mit den Zufahrtsstrecken machen müssen. «Heute
wird ein Traum Wirklichkeit. Die
Schweiz darf stolz sein, den
längsten Tunnel der Welt gebohrt
zu haben», sagte Frankreichs
Präsident François Hollande. Es
komme selten vor, aber an diesem Tag verneige sich Frankreich
vor der Schweiz. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann
absolvierte einen veritablen
Interviewmarathon, sprach von
einem «aussergewöhnlichen
technischen Exploit», einer
«epochalen Leistung» und einem
Beitrag zum «Gedeihen des Kontinents». Für Verkehrsministerin
Doris Leuthard symbolisiert der
Tunnel die Offenheit der Schweiz
und deren Pioniergeist.
Wettbewerbsgewinner
auf der Einweihungsfahrt
Als erste Passagiere brausten am
1. Juni indes nicht Politiker, sondern Wettbewerbsgewinner
durch den Gotthard-Basistunnel.
Der Bund hatte Tickets für die
Premiere verlost. So kamen 1000
Vertreter der Bevölkerung in den
Genuss, die Einweihungsfahrt
mitzuerleben. Die Eidgenossenschaft dankte auf diese Weise
dem Volk, das den Tunnel mit
mehreren Entscheiden an der
Urne erst ermöglicht hatte. Rund
80 000 Besucher feierten am
Wochenende darauf (4./5. Juni)
die helvetische Pionierleistung
auf den vier Festplätzen in Erstfeld UR, Rynächt UR, Pollegio TI
und Biasca TI.
Freilich herrschte bei der Entstehung der Neat nicht immer eitel Sonnenschein. Kostendiskussionen, politische Streitereien,
Klagen wegen Baulosvergaben
begleiteten den Bau des Jahrhundertwerks. Tempi passati. Seit
dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember ist der neue Tunnel offiziell in Betrieb. Die Reise von der
Deutschschweiz ins Tessin dauert nun 30 Minuten weniger lang.
Ganz ohne Misstöne nahm
die Neat ihren Betrieb nicht auf.
Lokalpolitiker kritisierten, dass
von Luzern nun weniger Direktverbindungen in den Kanton Tes-
sin führen. Andere Sorgen hatte
die Aargauer SVP-Nationalrätin
Sylvia Flückiger-Bäni. Sie fand, in
der Theateraufführung am 1. Juni
seien Schweizer Grundwerte verraten worden – wegen tanzender
Derwische. Diese würden eine
Annäherung an Allah bedeuten.
Regisseur Volker Hesse kanzelte die Reaktion der Aargauer
Politikerin jedoch als «armselig»
ab. Er habe im Spektakel das
Ausser-sich-Sein beschreiben
wollen. Dazu hätten die Drehungen der Derwische und der Heuhaufen-Figuren gedient. Diese
Tänze seien elementar menschliche Ekstaseformen. Er habe nie
an eine politische Polemik gedacht, so Hesse.
Letztlich war die Posse um
das Theater aber eine Randnotiz.
Die Einweihung des GotthardBasistunnels bleibt vielmehr als
Aufsteller des Jahres in Erinnerung. Und nach der Eröffnung
des Gotthard-Scheiteltunnels im
Jahr 1882 – er war mit 15 Kilometern damals der längste der Welt
– ist die Schweiz im 21. Jahrhundert abermals Rekordhalterin.
Innenpolitisch war 2016 das Jahr
der Europapolitik. Es war das Jahr
der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Bundesrat
und Parlament suchten fieberhaft
nach einem System zur eigenständigen Steuerung der Zuwanderung, ohne die EU vor den Kopf
zu stossen. Die viel zitierte Quadratur des Kreises, sie gelang
nicht.
Die Neuverhandlungen der
Personenfreizügigkeit mit der EU
kamen nie richtig in Schwung. Als
sich Grossbritannien im Juni von
der EU lossagte, wurde das Vorhaben definitiv aussichtslos. Die
Schweiz war gezwungen, die Initiative ohne den Segen der EU
umzusetzen.
Grosser Teil der Initiative
bleibt toter Buchstabe
Der Bundesrat schlug vor, Kontingente und Höchstzahlen auch
gegenüber der EU einzuführen,
sobald die Einwanderung einen
bestimmten Schwellenwert überschreitet. Dies ging dem Parlament zu weit. Es schreckte davor
zurück, das Personenfreizügigkeitsabkommen zu verletzen und
damit die bilateralen Verträge mit
der EU zu gefährden. Auf die Ein-
FDP-Ständerat Philipp Müller während der Zuwanderungsdebatte in der
Wintersession.
Bild: Anthony Anex/Keystone (1. Dezember 2016)
führung von Kontingenten und
Höchstzahlen verzichtete es, den
Inländervorrang entstellte es zur
Unkenntlichkeit. Nach langem
hin und her einigten sich die Räte
auf einen Vorrang für Stellensuchende. Demnach müssen
Arbeitgeber bei Berufsgruppen
mit
überdurchschnittlicher
Arbeitslosenquote ihre offenen
Stellen den Arbeitsämtern melden, sodass Stellenlose einen
Vorteil erhalten. Die Arbeitgeber
sollen zudem mehrere vermittelte Stellenbewerber zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen.
Weitere Massnahmen sind nur
im Einverständnis mit der EU
möglich. Die Reaktion von rechts
blieb nicht aus. Eine Initiative zur
Kündigung der Personenfreizügigkeit ist auf dem Weg.
Roger Braun
Jahreschronik
Januar
7. Kurseinbrüche an Chinas Börsen wirbeln die Finanzmärkte durcheinander.
In Schanghai wird der Handel wegen
eines 7-prozentigen Kursrutsches abgebrochen. Auslöser dafür ist die erneute
Abwertung des Yuan.
29. Die Tötung zweier Kinder durch ihre
eigene Mutter in Flaach ZH am Neujahrstag 2015 hätte von der Kesb nicht
verhindert werden können. Zu diesem
Schluss kommen zwei Gutachten.
rochemiekonzern Syngenta für 43,7 Milliarden Franken. Die geplante Übernahme ist die grösste Übernahme in der
Chemiebranche weltweit.
28. Das Volk lehnt die DurchsetzungsInitiative (DSI) der SVP deutlich ab. Ein
neuer Star der Zivilgesellschaft ist geboren: Studentin Flavia Kleiner (26) von
der Operation Libero ist der Kopf der Anti-DSI-Kampagne. Am gleichen Sonntag
geben die Stimmbürger grünes Licht für
den Bau eines zweiten Gotthard-Strassentunnels.
Februar
März
3. Das Gerücht bestätigt sich: Die chinesische ChemChina kauft den Basler Ag-
18. Das Bundesstrafgericht verurteilt
drei der vier irakischen Angeklagten im
IS-Prozess zu Freiheitsstrafen, zwei von
ihnen zu 4 Jahren und 8 Monaten.
23. Armeechef André Blattmann tritt per
Ende März 2017 zurück, ein Jahr vor dem
Ruhestand. Sein Nachfolger wird der
59-jährige Walliser Philippe Rebord.
April
17. Die Schwyzer Nationalrätin Petra
Gössi löst den Aargauer Ständerat Philipp Müller als FDP-Präsident ab.
24. Der Zuger Nationalrat Gerhard Pfister präsidiert neu die CVP anstelle von
Christophe Darbellay. Bei der SVP übernimmt der Berner Nationalrat Albert
Rösti das Zepter von Toni Brunner.
Mai
Juni
4. Der bundeseigene Rüstungskonzern
Ruag ist Opfer eines Cyber-SpionageAngriffs geworden. Es wird vermutet,
dass Russland dahintersteckt. Die parlamentarische Oberaufsicht in Bern wird
aktiv und beurteilt den Angriff als gravierend.
2. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé
feiert sein 150-jähriges Bestehen. In Vevey eröffnet Nestlé das Museum «Nest».
Die Erlebniswelt zeichnet die Geschichte des Konzerns nach.
24. Die über 140-jährige Geschichte der
Tessiner Privatbank BSI endet mit einem
unrühmlichen Kapitel. Die Finanzmarktaufsicht Finma verfügt, dass die Bank
aufgelöst wird. Zwar darf die BSI wie beabsichtigt von der Konkurrentin EFG
übernommen werden. Allerdings nur,
wenn sie vollständig in diese integriert
wird.
5. Das Volk stimmt dem neuen Asylgesetz, mit dem die Verfahren beschleunigt
werden sollen, deutlich zu. Die Initiative
für ein bedingungsloses Grundeinkommen dagegen hat keine Chancen.
Juli
6. Der Unterricht in der zweiten Landessprache soll in der Primarschule beginnen. Das will der Bundesrat im Spra-
chengesetz verankern, falls die Kantone
ihre Sprachenstrategie nicht umsetzen.
26. Das Smartphone-Spiel «Pokémon
Go» von Nintendo ist innerhalb von 19
Tagen weltweit mehr als 75 Millionen
Mal heruntergeladen worden.
27. Der Bundesrat schickt einen Brief
nach Brüssel, in dem er die EU über den
Rückzug des 1992 eingereichten EU-Beitrittsgesuchs der Schweiz informiert.
Dies geschieht auf Geheiss der eidgenössischen Räte.
August
1. Die neue Hymne «Weisses Kreuz auf
rotem Grund» erlebt an der Bundesfeier
auf dem Rütli eine Premiere. Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft
will damit in absehbarer Zeit den Schweizerpsalm ersetzen.
September
19. Das Schweizer Modeunternehmen
Charles Vögele wird nach fünf Jahren in
den roten Zahlen an die Investorengruppe Sempione Retail um den italienischen
Modekonzern OVS verkauft. Der Name
Charles Vögele wird verschwinden.
22. Das Bodluv-Beschaffungsprojekt für
den Ersatz des Fliegerabwehrsystems
der Armee ist laut einer Untersuchung
zwar regelkonform abgewickelt worden,
der Sistierungsentscheid des VBS-Chefs
aber politisch nachvollziehbar. Guy Parmelin selbst sieht seinen Entscheid vom
Frühling bestätigt.
25. Eine Erhöhung der AHV-Renten um
10 Prozent hat an der Urne keine Chancen. Klar angenommen wird ein neues
Gesetz, das dem Nachrichtendienst
mehr Befugnisse verleiht.
Oktober
11. Der südkoreanische SmartphoneMarktführer Samsung stoppt mit sofortiger Wirkung die Produktion und den
weltweiten Verkauf des mit Problemen
behafteten Galaxy Note 7. Anlass sind
immer mehr Berichte über brennende
und explodierende Smartphones.
25. VW kann den grössten Brocken seiner «Dieselgate»-Rechtslasten in den
USA aus dem Weg räumen. Ein amerikanisches Gericht stimmt einem Vergleich
zu. Demnach soll VW 14,7 Milliarden
Dollar zahlen.
in Zürich eingeführt. Bis im Frühling
2017 sollen die Raschelsäcke in allen
Coop-Filialen nicht mehr gratis sein.
26. Der Bundesrat will gegen Lohndiskriminierung vorgehen. Unternehmen
mit mindestens 50 Mitarbeitenden sollen verpflichtet werden, Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern
transparent zu machen.
2. Die Zürcher Justiz führt eine Razzia in
der umstrittenen An’Nur-Moschee in
Winterthur-Hegi durch. Gegen vier
Männer wird ein Strafverfahren eröffnet,
darunter auch gegen den äthiopischen
Imam. Dieser soll zum Mord an Muslimen aufgerufen haben, die sich nicht an
die Gebetszeiten halten und nicht in der
Moschee erscheinen.
November
Dezember
1. Bei der Migros kosten Einwegplastiksäcke neu 5 Rappen. Bei Coop wird die
Kostenpflicht testweise bei zehn Filialen
7. Das Parlament wählt Doris Leuthard
mit einem Glanzresultat zur neuen Bundespräsidentin.
8
Ostschweiz
Ostschweiz
9
Die Natur zieht ein
Aufgefallen
Stefan Kölliker
Museumskultur Naturmuseum und Baumwipfelpfad:
Das ist eine zweifache Verbeugung vor der Natur.
Im Naturmuseum am Ostrand
der Stadt St.Gallen haben die
Tiere seit Mitte November ihren
grossen Auftritt. Und wie es dem
Stadtsanktgaller Wappentier
zukommt, beginnt die Entdeckungsreise durchs neue Museum im Reich der Bären. Sie
werden nicht gefüttert und sie
laufen nicht davon, sondern werden dem Publikum in begehbaren Raumbildern gezeigt.
Die Umzugsaktion war gigantisch – 300000 Sammelstücke
wurden gezügelt; das schwerste,
ein Teil des Dinos, bringt fünf
Tonnen auf die Waage. So ist im
Neudorf ein Biotop des Wissens
entstanden: ein Museum mit
grosszügigen, lichten Räumen,
vom Konzept her weit weg vom
Kunklerbau im Stadtpark mit seinem eingepferchten Dinosaurier
im Untergeschoss. Der Zauber
der Natur hatte schon ein Jahr zuvor im St.Galler Stadtparlament
gewirkt, das der Erhöhung der
Der St.Galler SVP-Regierungsrat hat sich im vergangenen Jahr zum starken Mann der St.Galler Bildungspolitik entwickelt. Im heftig geführten Kampf
um den Verbleib des Kantons im Harmos-Konkordat mischte sich Kölliker regelmässig in die Debatte ein – und das nicht etwa moderierend, sondern
mit ebenso deutlichen Worten wie seine Gegner.
Der Lohn dafür: ein haushoher Sieg an der Urne im
September und nationale Aufmerksamkeit.
Abgefallen
Herbert Huser
jährlichen Subventionen für das
Naturmuseum auf 1,75 Millionen
Franken ab 2017 zustimmte.
Vorarbeiten im Frühling möglich.
Und wenn im Herbst gepflanzt
wird, dürfte der Museumspark bis
Ende 2017 fertig sein.
Noch ohne
Noch in den Kinderschuhen
Erlebnispark
steckt der erste Baumwipfelpfad
Der Aussenraum war von Anfang der Schweiz – er ist das, was von
an mitgedacht als Museumspark: der Idee des 2014 abgelehnten
Naturparks Neckertal
Eine neue Welt als
Schnittstelle zwischen
noch übriggeblieben ist.
innen und aussen! Eröff1,2 Millionen Franken
Beitrag stiftet die Bank,
net wurde das Naturbis Ende Jahr sind vormuseum allerdings noch
ohne Bäume, Vogelgeaussichtlich auch die
hege und Wasserspiel.
zwei Millionen Franken
Die Realisierung des ErEigenleistung für das
lebnisparks hat sich verAufsteller 3,8-Millionen-Projekt
zögert, weil er die Decke
zusammen. Spüren,
schmecken, anfassen:
des Tunnels der StadtDas soll ab Mai 2018
autobahn unter der Wiese mit einbezieht. Das Museum rund um den 500 Meter langen
war schon längst im Bau gewesen, Wipfelpfad gelten – am höchsten
als das Bundesamt für Strassen im Punkt 15 Meter über dem ErdSommer 2015 plötzliche neue boden.
Auflagen gemacht hatte. Bis Ende
Jahr soll nun aber die Baueingabe Christoph Zweili
für den Park erfolgen. So wären [email protected]
11 891 Stunden und ein Skandal
Neue Regelung Die Ferienbezüge der St.Galler Staatsangestellten
werden genauer geprüft. Auslöser ist der Fall eines Kadermanns.
Herber Huser startete Anfang 2016 hoffnungsvoll.
Als SVP-Kantonalpräsident sass er fest im Sattel,
gleichzeitig kandidierte er zum zweiten Mal nach
2010 für die Regierung. Im Wahlkampf kamen
Zweifel an seiner Integrität auf. In der Folge scheiterte Huser krachend und verlor auch seinen Kantonsratssitz. Kurz darauf gab er seinen Rückzug aus
der Politik bekannt.
Gesagt
Luftschlösser am Bodensee: Romanshorn wäre im ausgewählten Expo-Projekt der wichtigste Schauplatz für die «Küste» geworden.
Lauer Expo-Aufbruch
vorzeitig abgebrochen
Volksentscheid Die Vision einer Ostschweizer Landesausstellung 2027 scheitert schon
im Entwurf: Die Kantone St.Gallen und Thurgau lehnen im Juni den Planungskredit ab.
Marcel Elsener
[email protected]
«Vom Verkehrsdienst über
die Abfallentsorgung bis zum
Sicherheitsdispositiv hatte der
Veranstalter alles mustergültig
organisiert.»
Polizeisprecher Gian Andrea Rezzoli nach dem Neonazi-Konzert am 15. Oktober in Unterwasser.
Expo-Träume in der Ostschweiz,
war da was? Ein halbes Jahr nach
der Ablehnung des Planungskredites in den Kantonen St.Gallen
und Thurgau mag man sich kaum
mehr daran erinnern. Wäre da
nicht der neuerliche Anlauf der
zehn grössten Schweizer Städte
inklusive der Stadt St.Gallen,
niemand mehr würde in unserer
Region darüber reden.
Ein Aufflackern nur, und
Ende Feuer, oder im Dialekt gesagt: Wer nöd wött hätt ghaa. 60
Prozent Nein im Kanton St.Gal-
len, 53 Prozent Nein im Thurgau
waren ein klares Verdikt. Ausgeträumt die «Expedition 2027»
mit drei Bahnringen in einer Ostschweizer Landschaft, die «zur
grossen Bühne, zum Spielort und
Thema einer Forschungsreise»
werden sollte, wie es die Wettbewerbsgewinner vom Zürcher
Büro Hosoya Schaefer Architects
skizziert hatten. Nie angepfiffen
ihr Spiel zwischen Bodensee und
Alpstein, mit den Landschaftstypen Küste, Stadt, Berg und einem
«Regiezentrum» im Agglomerationsraum St.Gallen-Winkeln;
keine Bewegung auf den «Tanzböden» im Appenzellerland und
keine Geschichten im «Alpentheater» der Flumserberge.
Die Abfuhr kam nicht ganz
überraschend. Denn richtig gezündet hatte die Idee nie, die Begeisterung hielt sich in Stadt und
Land in engen Grenzen. Es fehlte
die Leidenschaft, es fehlten die
Köpfe: Von einer Mrs. oder einem
Mr. Expo nicht die Spur, anscheinend mochte sich niemand – und
noch nicht mal prominente Kulturschaffende – vor den wackligen Karren spannen lassen. Die
Promotoren wägten sich in falscher Sicherheit, statt ihre Idee
dem Publikum herzhaft nahezubringen. «Das Konzept war eine
Kopfgeburt, wir haben damit die
Phase der Emotionen nicht erreicht», sagte IHK-Direktor Kurt
Weigelt. Immerhin übten sie im
Katzenjammer auch Selbstkritik:
«Wir hätten das Siegerprojekt in
den Regionen vorstellen sollen»,
meinte Reinhard Frei von der federführenden Agentur (Freicom)
hinter der Expo-Kampagne. «Es
hätte mehr Mut, Spass und Leidenschaft gebraucht.»
Tatsächlich hatten die Gegner der Ostschweizer Landesausstellung leichtes Spiel: Angeführt
vom SVP-Gespann Esther Friedli und Toni Thoma, setzten sie vor
allem auf das Argument «Geld-
Bild: PD
verschwendung für eine überholte Idee». In Zeiten, wo einem
«gröbere Belastungen ins Haus»
stünden, sei ein «viel zu teures
Sommerfest» unangebracht, so
Thoma; in Leserbriefen wurde
die Expo wahlweise als «überdimensionierte Olma», «überteuerter Monsteranlass» oder «Kilbi-Veranstaltung» des «Establishments» bezeichnet. Andere
wiederum äusserten ihre Skepsis
gegenüber «Grossevents» (wie
auch der Olympiade in Graubünden) oder erinnerten an die zwiespältigen Erfahrungen mit der
Expo 02. Am Ende waren das
mehrheitsfähige Reflexe, die
wohl einer «allgemeineren Verdrossenheit und einer Ablehnung
eines angeblichen Eliteprojekts»
geschuldet waren, wie der Historiker Georg Kreis das Resultat in
unserer Zeitung analysierte.
Den Abbruch des möglichen
Expo-Aufbruchs feierten die
strahlenden Sieger im Toggenburg – bezeichnenderweise in
jener Region, wo im März der
Kantonsratsentscheid gegen das
Klanghaus viel Frustration ausge-
löst hatte. Zwar bemühten sich
die Expo-Gegner, den ideellen
Schaden in Grenzen zu halten
(«Wir müssen endlich mit dem
Selbstmitleid aufhören»). Doch
den Nachwehen einer verpassten
Chance konnten sie nichts entgegenhalten. Die Absage an eine
Expo-Machbarkeitsstudie – fünf
bzw. drei Kantonsmillionen hätten eine Milliarde Franken Bundesgelder ausgelöst – reihte sich
da in die Probleme mit anderen
Projekten in einem zunehmend
abgehängten Landesteil.
Auch der neue Anlauf der
Städte ist kein Selbstläufer
«Zufrieden im Abseits», kommentierte Kaspar Surber im Kulturmagazin «Saiten». «Man ist
offenbar nicht einmal bereit, die
Zukunft mit einem bescheidenen
Planungskredit für die Expo auszuloten. Einmal mehr zeigt sich:
Der Ostschweizer weiss schon im
vornherein, dass etwas im nachhinein nicht funktioniert haben
wird.» Eine fatale Selbsteinschätzung, die einem «gefährlichen
kleinräumigen Denken» ent-
spricht, wie Wirtschaftsspitzen
meinten und die Stärkung eines
«Ostschweiz-Spirits» forderten.
Mit dem Bild einer von der
Restschweiz belächelten, zerknirschten Ostschweiz, die sich
erneut selber ein Bein gestellt
hat, will sich niemand abfinden.
Wenn nicht die Expo, so brauchte es dringend andere Motoren
für die Weiterentwicklung der
Region. Immerhin können sich
die Expo-Befürworter schwach
damit trösten, dass die Ostschweizer Beerdigung keine anderen Regionen beflügelte. Die
Reaktionen waren weniger von
Häme als vielmehr von der Einsicht geprägt, dass es künftige
Landesausstellungen überall
schwer haben. Entsprechend verhalten das Interesse etwa in der
Nordwestschweiz, die mit der frei
gewordenen Bewerbung liebäugelte. Auch der neue Anlauf der
Städte ist kein Selbstläufer, schon
gar nicht in St.Gallen: Die Stadt
sagte, wenn auch knapp, ebenfalls Nein zur Ostschweizer Expo.
Zufrieden im Abseits? Die Frage
wird sich bald wieder stellen.
«Am Schluss stand ich als Abzocker da. Das ist nicht leicht zu verkraften.» Das sagt der ehemalige
Generalsekretär des St.Galler
Gesundheitsdepartements, Roman Wüst. Er hatte bei seiner
Pensionierung eine Entschädigung in der Höhe eines Jahresgehalts zugesprochen erhalten – für
nicht bezogene Ferien. Als unsere Zeitung diese hohe Zahlung im
März aufdeckt, gehen die Wogen
der Empörung hoch. Die Regierung verhält sich kommunikativ
wenig geschickt und tut, was Behörden oft tun, wenn sie unter
Druck geraten: Sie dreht argumentative Pirouetten. Zur Klärung der Hintergründe der Abgeltung und zum Verständnis der
Bevölkerung trägt das wenig bei.
Kritik wird nicht nur in der
Öffentlichkeit laut. Auch die bürgerlichen Parteien reagieren mit
Unverständnis auf die Entschädigung. Ins Visier nehmen sie weniger den Kadermann als vielmehr seine letzte Chefin, SP-Regierungsrätin Heidi Hanselmann.
Für zahlreiche Bürgerliche ist
klar: Es handelt sich um einen
Fall Hanselmann,nicht um einen
Fall Wüst. Juristisch, so ergeben
interne Abklärungen, war die Ab-
Roman Wüst und Heidi Hanselmann.
geltung «rechtmässig». Das hilft
dem gebeutelten Kadermann
wenig. Er zieht einen Schlussstrich – und zahlt die Abgeltung
zurück. Vollumfänglich und freiwillig. «Ich habe einen hohen
Preis bezahlt», sagt er Monate
später im Interview. Sein Ruf sei
beschädigt, er habe ein Jahr ohne
Lohn gearbeitet, und mögliche
Perspektiven für Aufgaben als
Pensionierter seien zerstört wor-
Bild: Urs Bucher
den. Und welche Bilanz zieht die
Gesundheitschefin? Sie gesteht
ein, die Zeitguthaben ihres ehemaligen Generalsekretärs «nie
geprüft» zu haben. Künftig müssen St.Galler Staatsangestellte
mit Fragen zu ihren Feriensaldi
rechnen – in allen Departementen.
Regula Weik
[email protected]
Jahreschronik
Januar
1. Seit diesem Jahr gibt es in Appenzell
Ausserrhoden nur noch fünf Departemente. Mit der neuen Organisation soll
die kantonale Verwaltung effizienter und
billiger werden. Der Regierungsrat erhofft sich auch mehr Freiraum für strategische Vorhaben.
14. Der Kanton St.Gallen muss seine
Einbürgerungsfrist von acht auf fünf Jahre verkürzen. Bisher konnte jeder Kanton selber entscheiden, wie lange eine
Person im Kanton wohnhaft sein muss,
um ein Einbürgerungsgesuch stellen zu
können. St.Gallen kennt bisher nach Uri
die zweitlängste Einbürgerungsfrist. Gemäss revidiertem Bundesgesetz über das
Schweizer Bürgerrecht wird diese Frist
neu vom Bund vorgegeben.
Februar
13. Nach einem Fussballspiel in Vaduz
ziehen Berner Fans in Flums die Notbremse des Extrazugs. Im Industriequartier treffen sie wie zuvor vereinbart auf
Anhänger des FC St.Gallen, mit denen
sie sich eine Keilerei liefern.
28. Bruno Damann (CVP) wird im ersten
Wahlgang in die St.Galler Regierung gewählt. Den Rücktritt haben zuvor Willi
Haag (FDP) und Martin Gehrer (CVP)
erklärt. Für den letzten verbliebenen Sitz
kommt es im April zum zweiten Wahlgang. Eine doppelte Klatsche kassiert der
umstrittene Kandidat Herbert Huser
(SVP): Er erzielt im ersten Wahlgang das
schlechteste Resultat und verliert nach
einem Losentscheid zudem noch sein
Kantonsratsmandat. Zum zweiten Wahlgang tritt er nicht mehr an.
März
2. Das St.Galler Kantonsparlament
schickt das Klanghaus-Projekt im Toggenburg – vor allem aus Kostengründen
– bachab. Bei der entscheidenden
Schlussabstimmung glänzten mehrere
Befürworter mit Abwesenheit. Bis Ende
Jahr werden von der IG Klanghaus Toggenburg über 10000 Unterschriften für
ein neues Projekt gesammelt, dessen Finanzierung und weitere Details neu kon-
zipiert werden sollen. Die Projektgruppe
will der Regierung das neue Konzept Anfang 2017 präsentieren.
17. Die Thurgauer Bodensee-ThurtalStrasse kostet nach neuen Schätzungen
1,55 Milliarden Franken. Im Abstimmungskampf 2012 war von 800 Millionen die Rede. Ein Grund sind die unterschätzten geologischen Probleme im
Raum Amriswil.
April
6. Der ehemalige Generalsekretär des
St.Galler Gesundheitsdepartements,
Roman Wüst, bezahlt eine Abgeltung
über rund 220000 Franken für nicht bezogene Ferien zurück. In den Wochen
zuvor hatte der öffentliche Druck enorm
zugenommen, nachdem publik wurde,
dass dem mittlerweile pensionierten
Chefbeamten ein ganzer Jahreslohn
nachgezahlt wurde.
9. Die Thurgauer Regierung zahlt der
Stiftung Kartause Ittingen weitere
579 685 Franken aus dem Lotteriefonds
als Abgeltung für Vorleistungen, welche
die Stiftung für die Erweiterung des
Kunstmuseums aufgewendet hat. Die
Regierung startet zudem die Planung
neu, wobei sie am Standort Kartause
festhält. Die Nachzahlung wird von jenen Kantonsräten kritisiert, die bereits
gegen die Verletzung des Vergaberechts
beim Architekturauftrag protestiert hatten.
18. Der Teufner Gemeindepräsident
Walter Grob tritt zurück, nachdem er
über eine Erbschaftsaffäre gestolpert
war. Schon zuvor war ihm wegen dem
Knatsch um das Schiesssportzentrum
und die Entschädigungsaffäre im Gemeinderat Führungsschwäche und
Schludrigkeit vorgeworfen worden. Grob
wird später Gemeindeschreiber in Lutzenberg.
23. Marlies Schoch, die Wirtin der
«Hundwiler Höhi», stirbt im Alter von
75 Jahren. Sie wurde einst vom «TagesAnzeiger» als «beste Wirtin der
Schweiz» bezeichnet und war für viele
Menschen Gastgeberin und Vertraute
zugleich. Die «Hundwiler Höhi» führte
sie seit 1971.
24. Im zweiten Wahlgang wird Marc
Mächler (FDP) in die St.Galler Regierung gewählt.
Mai
10. Die St.Galler Erziehungskommission
will die Noten 1 und 2 aus den Halbjahreszeugnissen verbannen. Das Vorhaben
stösst in der Vernehmlassung auf wenig
Gegenliebe. Später krebst die Kommission zurück und leitet das Geschäft an
den Kantonsrat weiter, der im Frühling
2017 darüber befinden soll.
Juni
1. Nachdem sie von bürgerlicher Seite
teils heftige Kritik einstecken musste,
wirft Marianne Mettler (SP) als designierte Verwaltungsratspräsidentin des
St.Galler Spitalverbundes das Handtuch,
noch bevor sie das Amt angetreten hat.
5. Der Traum einer Ostschweizer Landesausstellung ist ausgeträumt: Sowohl
die St.Galler als auch die Thurgauer Bevölkerung versenken den Planungskredit für die Expo 2027 an der Urne deutlich. Im Vorfeld hatte sich eine Gruppe
um Esther Friedli (SVP) gegen eine Landesausstellung stark gemacht.
16. Der Fonds für den Strassen- und Agglomerationsverkehr passiert das Bundesparlament. Damit wird der Bund voraussichtlich per 2020 Eigentümer der
Strasse von Winkeln nach Appenzell.
Folglich rückt der sistierte Autobahnzubringer Herisau in Reichweite.
22. Der Thurgauer Regierungsrat schickt
den revidierten Richtplan in die Vernehmlassung. Das Siedlungsgebiet ist
um 200 Hektaren auf 11350 Hektaren
verkleinert worden. Die SVP kritisiert,
der Kanton gehe weiter, als der Bund verlange. Widerstand kommt auch von den
geplanten Windpark-Standorten Braunau und Wuppenau.
23. Das Bundesamt für Strassenverkehr
kündigt an, die Sanierung des A1-Abschnitts zwischen Rheineck und St.Margrethen nun doch Anfang 2017 an die
Hand zu nehmen. Der Entscheid in Bern
vom Vorjahr, die Bauarbeiten trotz abge-
schlossener Vorarbeiten auf unbestimmte Zeit zurückzustellen, hatte im Vorfeld
heftige Kritik aus der Region ausgelöst.
30. Der strenggläubige Moslem Emir Tahirovic aus St.Margrethen steht zum
wiederholten Mal vor Gericht. Ihm wird
unter anderem vorgeworfen, durch seine strenge Glaubensauslegung die eigenen Kinder bewusst in Aussenseiterrollen zu drängen. Beispielsweise hat er sich
geweigert, seine Tochter zum Schwimmunterricht zu schicken. Auch gilt er als
Verfechter der Kopftuchtragepflicht für
Mädchen. Zudem verweigerte er mehrfach amtliche Anordnungen. Das Gericht verurteilt den Mann zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 30 Franken
und einer Busse von 1000 Franken.
10 Thurgau
Appenzellerland
Wimbledon der Rotsocken
Der Bund verbietet Antibiotika zur Feuerbrandbekämpfung
Aufgefallen
Walter Schönholzer
11
Aufgefallen
Peder Koch
Alpstein Es war das Jahr des Alpsteins. Erst gab es einen Hype um den «Aescher»,
dann kam Roger Federer und im Dezember gefror auch noch der Seealpsee.
Patrik Kobler/Mea Mc Ghee
[email protected]
Auch der zwischenzeitliche Shitstorm um den Zweifränkler für
das Zweitbesteck konnte dem
Hype nichts anhaben: Von «National Geographic» aus dem
Buch über die 225 spektakulärsten Orte der Welt auf die Titelseite gesetzt, ging das Berggasthaus
Aescher in diesem Jahr ab wie geschütteltes Quöllfrisch. Rund um
den Globus wurde «die schönste
Beiz der Welt» gefeiert. Selbst
Tennis-Ass Roger Federer liess
das Racket stehen und besuchte
in diesem Herbst das Wimbledon
der Wandersocken. Der verletzte
Tennisstar twitterte: «Ich vermisse das US Open, aber ich habe
eine phantastische Zeit in den
Schweizer Bergen.»
Nur ein paar Schritte vom
«Aescher» entfernt liegen das
Wildkirchli und die gleichnami-
Der FDP-Politiker Walter Schönholzer wurde im
Februar neu in die Thurgauer Regierung gewählt.
Er holte den Sitz seines zurücktretenden Parteikollegen Kaspar Schläpfer. Per 1. Juni übernahm Schönholzer das Departement für Inneres und Volkswirtschaft. In dieser Funktion setzte er sich unter anderem vehement gegen die geplante Schliessung der
SBB-Drittverkaufsstellen ein.
Abgefallen
Joos Bernhard
Verbot Entsetzen bei den Obstbauern. Im Februar stoppt das Bundesamt für Landwirtschaft
den Einsatz von Streptomycin. Damit darf im Kampf gegen den Feuerbrand künftig kein
Antibiotika mehr in den blühenden Obstplantagen versprüht werden. Solches kam 2008,
im Jahr nach dem massiven Feuerbrandbefall, erstmals zum Einsatz.
Bild: Susann Basler
Acht Kantonsräte haben im April die Wiederwahl in
den Grossen Rat nicht geschafft. Joos Bernhard war
wohl der prominenteste Nichtgewählte. Der CVPPolitiker aus Sulgen war Präsident der CVP/GLPFraktion im Grossen Rat. Völlig überraschend sei
die Abwahl für ihn nicht gekommen, wie er später
sagte. Als möglichen Grund nannte er seine zu geringe Präsenz in der Thurgauer Öffentlichkeit.
Ein Fauxpas à la Thurgovie
Frühfranzösisch So viel nationale Aufmerksamkeit wie dieses Jahr hatte der Thurgau schon
lange nicht mehr. Er hätte wohl gerne darauf verzichtet – denn es hagelte vor allem Kritik.
Christian Kamm
[email protected]
Gesagt
«Von Selbstbedienungsladen zu
reden, ist unverschämt.»
Die SP-Kantonsrätin und Buchhändlerin Marianne
Sax verteidigte die Thurgauer Kulturstiftung. Der
Romanshorner SVP-Kantonsrat Urs Martin hatte mit
einer Interpellation im Grossen Rat eine Reform der
Stiftung gefordert. Diese sei ein «Selbstbedienungsladen», bei dem die Stiftungsräte eigenen Projekten
Geld zusprechen würden.
Manchmal konnte man sich im
alten Jahr nur noch verwundert
die Augen reiben. Freundeidgenössisch ignoriert oder bestenfalls unterschätzt, fristet der Kanton Thurgau in der Regel ein
nationales Schattendasein. Und
nun sollte also das Schicksal der
Nation plötzlich und ausgerechnet an der Thur entschieden werden? Ein bisschen rasant, diese
politische Blitzkarriere – zumal
für die bedächtige Thurgauer
Seele.
Aber mit dem Entscheid der
Kantonsregierung, die Motion
des Parlaments für die Abschaffung des Frühfranzösisch an der
Primarschule umzusetzen, brach
ein nationaler Sturm der Entrüstung los, wie man ihn im Thurgau
noch nie erlebt hatte. Und so
wohl auch nicht erwartete. Plötzlich schien das Weh und Wohl der
Schweiz am Umstand zu hängen,
ob im Thurgau weiterhin bereits
ab der fünften Klasse «Frère
Jacques» gesungen wird.
Die Suppe tapfer
ausgelöffelt
Ins Auge des Sturms geriet
vor allem Erziehungsdirektorin
Monika Knill. Sie durfte die Suppe auslöffeln, die man ihr eingebrockt hatte – denn die Regierung
war gegen die Motion, und Knill
musste nun einen Auftrag umsetzen, den sie gar nie gewollt hatte.
Sie erklärte, beschwichtigte und
versuchte die Wogen zu glätten.
Immerhin: Im Zuge des nationalen Thurgau-Bashings dürfte
auch der eine oder andere aus der
Romandie angereiste Journalist
zum ersten Mal in seinem Leben
einen Fuss auf Frauenfelder Boden gesetzt haben – als kleinen
Beitrag zur Überwindung des
Röstigrabens sozusagen.
Klares Ja zum neuen Lehrplan
Mit der Absicht, den Frühfranzösisch-Unterricht abzuschaffen,
hat sich der Thurgau voll in die
Nesseln gesetzt. So konnte nicht
erstaunen, dass eine Initiative, die
den Kanton zum Sonderfall auch
in Sachen Lehrplan machen wollte, chancenlos war. Das Ausmass
der Niederlage der Lehrplan-21Gegner allerdings überraschte.
Nur 25 Prozent der Stimmenden
votierten am 27. November für die
Initiative. Neben der drohenden
Isolierung dürfte auch das Kostenargument beim Entscheid eine
wichtige Rolle gespielt haben. (ck)
Die nächste Eskalationsstufe
zündete dann der Bundesrat
höchstselbst. Indem Alain Berset
seine Drohungen wahr machte
und im Juli eine Vorlage für ein
Frühfranzösisch-Diktat in die
Vernehmlassung schickte. Und
bist du nicht willig, so brauch ich
eben Gesetzesgewalt…
Davon ist Berset unterdessen
wieder abgerückt und hat seine
Pläne quasi in den Stand-by-Modus versetzt. Das kann er sich
auch leisten, denn die Drohkulisse allein scheint Wirkung zu zeigen. «Die Thurgauer Regierung
krebst überhaupt nicht zurück»,
verkündete Regierungsrätin Knill
im September. Und tat genau das:
zurückkrebsen. Die heisse Kartoffel wurde wieder ans Kantonsparlament geschickt zur erneuten
Begutachtung. Ob man sich dort
nochmals die Finger verbrennen
will, wird sich erst im kommenden Frühling weisen. Oder auf
Frühfranzösisch: On verra.
gen Höhlen. Forschungen und nig Matthias Sempach 2017 PopFundgegenstände belegen, dass star Bastian Baker den Weg zum
schon Neandertaler als Jäger und heimeligen Berggasthaus finden
Sammler in den Alpsteinhöhlen wird.
tätig waren. Heute werden BesuDas Wandergebiet Alpstein
chern spannende Details zum Le- geniesst freilich nicht erst seit der
ben von Steinzeitmensch und Begehung durch den TennisHöhlenbär sowie Wissenswertes champion aus dem Baselbiet
grosse
Popularität.
zum Wirken der EremiSchon seit dem Bau der
ten ab dem Spätmittelalter bis zur Neuzeit verersten Bergwirtschafmittelt.
ten im 19. Jahrhundert
Von einer spektakuist der Alpstein ein belären Lage zurück zur
liebtes Ausflugsziel.
anderen:
Hinge1875 soll es erste Beschmiegt an die senkstrebungen für eine
rechte Felswand wird
Aufsteller Zahnradbahn auf den
das Berggasthaus AeSäntis gegeben haben.
scher ab Mai nächsten
Zahlreiche
weitere
Ideen folgten, bis
Jahres wieder ein besonderer Anziehungspunkt im Alp- schliesslich das Projekt des
stein sein. Gäste aus nah und fern Herisauers Carl Meyer realisiert
werden sich auf den Bänken vor wurde. 1935 konnte die Säntisdem Haus näher kommen. Gut Schwebebahn in Betrieb genommöglich, dass nach Tennis-Ass men werden. Neustes tourisRoger Federer und Schwingerkö- tisches Glanzlicht ist der im Juni
dieses Jahres eröffnete EuropaRundweg auf dem Hohen Kasten.
Immer wieder sorgt auch die
Natur für einzigartige Stimmungen im Alpstein. Da Frau Holle
ihren Dienst in diesem Winter
noch nicht aufgenommen hat,
konnte Väterchen Frost umso
besser wirken. Die eisigen Temperaturen liessen den Seealpsee
im Dezember schwarz gefrieren.
Erstmals seit 2006 war das Eis so
dick, dass man darauf Schlittschuh laufen konnte. Die grösste
Natureisbahn des Appenzellerlandes zog Hunderte von Menschen an.
Warum also nicht das Jahr an
einem der drei Seen im Alpstein
oder auf einem der Berggipfel
ausklingen lassen? Eindrückliche
Ausblicke und Erlebnisse sind garantiert. Fotokamera nicht vergessen – vielleicht kommt unverhofft eine berühmte Persönlichkeit des Weges.
Als Peder Koch vor acht Jahren seine Aufgabe als
Direktor antrat, wurden an der Berit-Klinik in Teufen jährlich 500 Operationen durchgeführt. Unter
der Ägide des Bündners hat sich die Zahl auf 3000
pro Jahr erhöht, und der Personalbestand wuchs von
40 auf 120 Personen. Die Infrastruktur in Teufen
platzte aus allen Nähten, und so bezog die Berit-Klinik Anfang März den 40 Millionen Franken teuren
Neubau in Speicher.
Abgefallen
Walter Grob
Spitalreifer Verbund
Patient Nur kurz war die Phase der Ruhe. Seit Bekanntgabe des millionenschweren
Defizits im Frühjahr brodelt es wieder rund um den Ausserrhoder Spitalverbund.
Auch das Jahr 2016 war in Appenzell Ausserrhoden geprägt von
der unsäglichen Geschichte um
den Spitalverbund. Schon 2014
hatte die erste Garnitur Verwaltungsräte mit Thomas Kehl und
alt Bundesrätin Ruth Metzler an
der Spitze durch unverschämte
Griffe in die Gebührenkasse für
einen handfesten, sich über
Monate hinziehenden Skandal
gesorgt. Das Jahr 2015 brachte
ein wenig Ruhe, da erst im Juni
mit Christiane Roth als Präsidentin ein erneuerter Verwaltungsrat
seine Arbeit aufnahm. Dann ging
es wieder los: Im Frühjahr 2016
musste die Bevölkerung von
einem 10-Millionen-Defizit
Kenntnis nehmen; Detailzahlen
dazu werden nicht veröffentlicht.
Unsere Zeitung hat nun Akteneinsicht verlangt.
Der Ausserrhoder Spitalverbund ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt im Besitz des Kantons; ihm gehören die beiden somatischen Spitäler in Herisau
und Heiden sowie das Psychiatrische Zentrum in Herisau an.
Das zuständige Departement von
Landammann Matthias Weishaupt hat sich bis eben Zeit gelassen, eine Eigentümerstrategie
Am Spital Heiden gehen 45 Arbeitsplätze verloren. Bild: Benjamin Manser
vorzulegen; diese ist bescheiden,
macht kaum verbindliche Vorgaben und lässt für alle Eventualitäten Raum. Bereits am 1. September präsentierte jedoch der
Verwaltungsrat des Spitalverbunds eine sogenannte Strategieanpassung: Im kommenden Jahr
wird die Chirurgie des Spitals
Heiden in die nahe gelegene
Hirslanden Klinik am Rosenberg
ausgelagert. Einzig die operative
Tätigkeit der bis anhin erfolgreichen Geburtshilfe soll im Spital
Heiden verbleiben. Momentan
verdichten sich jedoch die Gerüchte, dass auch diese am Spital
Heiden nicht mehr lange Bestand
habe.
Nach Meinung von Gesundheitsexperten ist mit diesem Vorhaben das Ende des Spitals Heiden, wenn nicht des ganzen Verbunds, eingeläutet worden. Ärzte
und Hebammen springen ab, und
aus Insiderkreisen hört man, dass
die Zahlen der Frauenklinik stark
am Einbrechen sind. Ebenso ist
jetzt schon klar, dass der Spitalverbund wiederum ein zünftiges
Defizit vorlegen wird. Die Strategieanpassung kostet zudem
45 Arbeitsplätze.
Die Öffentlichkeit wird von
offizieller Seite mit stark geschönten Mitteilungen mehr verwirrt denn informiert. Dass eben
erst der ärztliche Direktor gekündigt hat, wurde so verklausuliert
formuliert, dass es kaum jemandem auffiel. Dabei ist dieser Abgang nur einer von mittlerweile
unzähligen. Alleine auf dem Posten des CEO wurden seit der Verselbständigung 2012 bereits drei
Personen verheizt, momentan ist
ein ehemaliger Hirslanden-Kadermann ad interim am Wirken,
im nächsten Jahr wird mit einer
Frau CEO Nummer vier eingesetzt. Sowohl der Verwaltungswie auch der Regierungsrat pflegen gegen aussen eine Kommunikation, die jeder Beschreibung
spottet.
Monika Egli
[email protected]
Die Affären in Teufen schienen kein Ende zu nehmen. Doch Gemeindepräsident Walter Grob hielt
unverdrossen durch. Bis es im April zum Knall kam
und er seinen Rücktritt auf Ende Mai erklärte. Weil
er in eine Erbschaftsaffäre verwickelt war, entzogen
ihm Gemeinderat und Geschäftsprüfungskommission das Vertrauen.
Gesagt
«Das erste Tor in der NHL ist
wirklich etwas Spezielles, etwas,
wovon man träumt. Es war eine
grossartige Erfahrung.»
Der 20jährige Herisauer Timo Meier hat am 17. Dezember mit den San Jose Sharks sein erstes Spiel in
der NHL bestritten und sein erstes Tor erzielt.
Jahreschronik
Juli
27. Trotz bestehendem Vertrag mit dem
Landbesitzer ordnet die St.Galler Kantonspolizei die Räumung eines Platzes
in Waldkirch an, auf dem sich vorübergehend eine Gruppe Jenischer niedergelassen hat. Gerufen wurde die Polizei
von der Gemeinde, die damit auf Anrufe
von Anwohnern reagieren wollte. Nach
einem klärenden Gespräch vor Ort dürfen die Fahrenden aber wie vertraglich
geregelt zwei Wochen bleiben.
August
1. In der Niederteufner Strafanstalt
Gmünden wird die Leiche eines Häftlings (25) in seiner Zelle entdeckt. Später
stellt sich heraus, dass er an einer Überdosis eines Heroinersatz-Medikaments
starb, das er von einem Mithäftling erhielt. Ob er das Substrat mit Absicht
überdosiert hatte, ist bis heute unklar.
11. Der Kanton Thurgau renoviert den
ehemals geheimen Führungsstandort
Waldegg in Frauenfeld. Im Kriegsfall
wird der Kanton von hier aus geführt.
14. Am Schwägalpschwinget kommt es
mit 12 500 Besuchern zu einem Zuschauerrekord. Der Thurgauer Samuel
Giger und der Bündner Armon Orlik teilen sich den Festsieg.
21. In St.Gallen läuten alle 118 Kirchenglocken. Die dreiteilige Komposition
«Zusammenklang», in der alle Stadtkirchen involviert sind, lockt Tausende
Schaulustige auf Drei Weieren, von wo
das Konzert am besten zu hören ist.
Selbst die «Tagesschau» berichtet.
September
25. Der Kanton St.Gallen lehnt mit 69,6
Prozent der Stimmen eine vom Verein
«Starke Volksschule St.Gallen» eingereichte Ausstiegs-Initiative deutlich ab
und spricht sich damit für einen Verbleib
im Harmos-Konkordat aus.
29. Die Ausserrhoder Regierungsrätin
Marianne Koller-Bohl (FDP) gibt auf
Mitte 2017 ihren Rücktritt bekannt. Sie
gehörte der Regierung seit 2005 an und
leitete das Departement Bau und Volkswirtschaft.
29. Das St.Galler Innendepartement hat
entschieden, dass Gemeindepräsidenten ihre Löhne offenlegen müssen. Die
«Zürichsee Zeitung» hat diese Information in mehreren Gemeinden im Linthgebiet per Öffentlichkeitsgesetz eingefordert, nachdem die Gemeinde Gommiswald die entsprechende Auskunft
verweigert hatte.
Oktober
1. Das parkuhrfreie Appenzell Innerrhoden ist Geschichte. Auf drei Parkarealen
im Dorf Appenzell werden Gebühren
eingeführt. Davon betroffen sind auch
Staatsangestellte. Zudem wird der
Landsgemeindeplatz neu gestaltet und
darf von Reisebussen nicht mehr angefahren werden.
15. In der Toggenburger Gemeinde
Unterwasser versammeln sich über
5000 Rechtsradikale zu einem Konzert.
Weder Hallenbesitzer noch Gemeindebehörden wussten im Vorfeld, um was
für einen Anlass es sich handelt. Die Veranstalter selbst organisieren eigene Verkehrs-, Entsorgungs- und Sicherheitsdienste. Die Kantonspolizei sieht sich ob
der Übermacht der mehrheitlich
deutschstämmigen Neonazis überrumpelt. Die Staatsanwaltschaft verzichtet
mangels Hinweisen auf Gesetzesverstösse auf eine Strafuntersuchung.
22. Nur eine Woche nach dem Grossanlass in Unterwasser spielt der Sänger
einer Rechtsrockband an einem Balladenabend für die Partei national orientierter Schweizer (Pnos). Der deutsche
Sänger, über den ein Einreiseverbot verfügt worden war, erreichte das Lokal in
Kaltbrunn ungehindert. Die Polizeibeamten vor Ort lassen ihn das Konzert
spielen und eskortieren ihn anschliessend an die deutsche Grenze.
November
7. Der Wahlzirkus in Rapperswil-Jona findet ein Ende: Neuer Stadtpräsident ist
Martin Stöckling (FDP). Bereits der erste Wahlgang war begleitet von einer
aussergewöhnlichen Schlammschlacht.
Der Verleger der «Obersee-Nachrichten», Bruno Hug, hatte gegenüber dem
Bisherigen Erich Zoller (CVP) schwere
Vorwürfe erhoben und war selbst zur
Wahl angetreten. Hug holte im ersten
Wahlgang am meisten Stimmen, verzichtete aber auf eine Kandidatur im
zweiten Wahlgang.
7. Der Kanton St.Gallen gibt bekannt,
dass bereits 2023 die ersten Ärzte ihren
Abschluss am Kantonsspital St.Gallen
machen können. 2020 sollen in St.Gallen die ersten Masterstudiengänge in Kooperation mit der Universität Zürich angeboten werden. Unter Dach und Fach
ist der «Joint Medical Master» aber erst,
wenn der Zürcher Regierungsrat grünes
Licht gibt.
13. Mit einem Protestmarsch demonstrieren Mitarbeiter des Spitals Heiden
gegen die Schliessung der Chirurgie, die
in Teilen an die benachbarte HirslandenKlinik Am Rosenberg ausgelagert wird.
Finanziell ist es um den Ausserrhoder
Spitalverbund seit längerem nicht mehr
gut bestellt. 2015 wurde ein Verlust von
rund 10 Millionen Franken verbucht. 45
Mitarbeiter sind vom Stellenabbau im
Spital Heiden betroffen. Einige Mitarbeiter sollen an der Hirslanden-Klinik weiterbeschäftigt werden.
25. Der Kanton Thurgau erbt sechs Millionen Franken. Der unbekannte Frauenfelder Unternehmer Walter Enggist
hat die Kantonsbibliothek und das Amt
für Archäologie als Erben bestimmt.
27. Die Thurgauer Stimmbürger verwerfen die Volksinitiative «Ja zu einer guten
Volksschule ohne Lehrplan 21» mit
einem Nein-Anteil von 75 Prozent.
Dezember
12. Das Verwirrspiel um die vier Ostschweizer Zollstellen in Buchs, St.Gallen, Romanshorn und Bargen hat ein
Ende. Bundesrat Ueli Maurer erklärt im
Ständerat, dass er mit der Ostschweiz
nicht «in den Kriegszustand treten» will.
Zuvor war angekündigt worden, dass die
Zollstellen aus Spargründen geschlossen
werden sollen. Darauf regte sich politischer Widerstand in der Region. Im
Herbst hiess es dann, die Zollstellen seien gerettet, nur um kurz darauf wieder
zu vernehmen, dass der Bundesrat «gewisse Schliessungen» bereits in die
Wege geleitet hatte. Mit der Zusage von
Maurer sind die Zollstellen aber gerettet.
14. Die weggewiesene Marija Milunovic
(17) aus Sargans muss doch nicht nach
Serbien zurückkehren. Für 2017 hat sie
eine Anstellung als Au-pair bei einer Familie im liechtensteinischen Balzers gefunden. Damit gilt die Wegweisungsverfügung als erfüllt. Diese erfolgte, weil
ihre Mutter Einreichungsfristen von Dokumenten zum Familiennachzug verstreichen liess. In der Folge wurden in
Milunovics Umfeld Unterschriften gesammelt. Die Aktion zeitigte aber keinen
Erfolg. Der Wegweisungsentscheid
bleibt bestehen.
12 Sport
Sport 13
Der Geist von Lugano
Gewinner
Glarner ist Schwingerkönig
Der Schwingerkönig ist zum dritten Mal in Folge ein
Berner. Am 28. August triumphiert am Eidgenössischen in Estavayer aber weder Kilian Wenger noch
Matthias Sempach, sondern der 30-jährige Matthias Glarner aus Meiringen. Im Schlussgang besiegt
Glarner nach 13:30 Minuten den 21-jährigen Bündner Armon Orlik. Bester Ostschweizer: Der junge
Thurgauer Samuel Giger auf Rang zwei.
Verlierer
Fussball Im 2016 legt die Schweiz einen Steigerungslauf hin:
Schwach der Start, solid die EM, viel besser die Fortsetzung.
Es war am Abend des 13. November, als Vladimir Petkovic sagte:
«Ich bin zufrieden, in welcher
Verfassung wir sind. Aber wir
können in jedem Bereich besser
werden.» Der Schweizer Nationaltrainer sagte im Rückblick auf
das 2:0 gegen die Färöer in Luzern auch Sätze wie: «Es braucht
mehr Inputs von jedem Einzelnen.» Oder: «Wir müssen mehr
Druck machen und einen solchen
Gegner überrennen können.»
Es sind dies ungewohnt kritische Sätze des Chefs einer Auswahl, die noch nie unter Selbstunterschätzung gelitten hat. Er
hätte auch sagen können, dass
die Schweiz ihrer Favoritenrolle
gegen einen Gegner gerecht worden ist, der sich in der Historie als
äusserst unangenehm erwiesen
hat. Doch das tat Petkovic nicht,
nicht einmal nach dem vierten
Sieg im vierten Spiel der laufenden Qualifikation für die WM
2018 in Russland. Und mit Portugal war davor der aktuelle Euro-
Für Bronze sind
Ostschweizerinnen
zuständig
Olympische Spiele Dreimal Gold, je zweimal Silber und Bronze:
Die Schweizer Bilanz in Rio de Janeiro ist einmal mehr erstaunlich.
Das Ziel in weiter Ferne
Klaus Zaugg, Ralf Streule
Natürlich: Mit dem ersehnten Aufstieg war aus Sicht
des FC Wil in dieser Saison von Beginn weg nicht
zu rechnen. Mit dem FC Zürich mischte ein übermächtiger Club die Challenge League auf. Aber dennoch: Die 20 Punkte Rückstand nach der Hinrunde
sind aus Wiler Sicht eine Enttäuschung. Trainerentlassungen und die sportliche Unkonstanz unter der
türkischen Führung stimmen wenig zuversichtlich.
Gesagt
«Aber fragen Sie bitte nicht:
Was ist mit dem Trainer?»
Dölf Früh, der Präsident des FC St. Gallen, vor dem
Cup-Achtelfinal beim FC Zürich im «Tagesanzeiger».
Die St. Galler befanden sich Ende Oktober in der Krise, die Diskussionen um Trainer Joe Zinnbauer waren
in vollem Gang. Doch der Präsident blieb standhaft,
obwohl die Mannschaft auch in Zürich verlor.
Im Blick zurück wird noch deutlicher, wie stark sich Rio 2016 von
den anderen Spielen unterscheidet. Einerseits ist die Kulisse in
der landschaftlich schönsten aller olympischen Städte grandios,
ja exotisch. Andererseits rücken
die sozialen Gegensätze, die
politischen Verstrickungen, die
Doping-Problematik und die Erkenntnis, dass das olympische
Spektakel womöglich auf Kosten
der Bevölkerung geht, wie nie zuvor ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Doch am Ende ist es
so, wie es schon immer war: Die
Strahlkraft der olympischen
Helden ist stark genug, um das
Gesamtbild aufzuhellen.
Die Schweizer Bilanz ist einmal mehr erstaunlich. Mit dreimal Gold und je zweimal Silber
und Bronze kommt die Schweiz
im Medaillenranking auf Rang 24
– weit vor vergleichbaren Nationen wie Norwegen (74.), Finnland (80.) oder Österreich (84.).
Gold holen der Leichtgewichtsvierer im Rudern, Radprofi Fabian Cancellara im Zeitfahren
zum Abschluss seiner grossartigen Karriere und Mountainbiker
Nino Schurter. Silber gewinnen
das Tennisdoppel Timea Bacsinszky/Martina Hingis und Triathletin Nicola Spirig. Bronze gibt es
für zwei Ostschweizerinnen: für
die Sportpistolen-Schützin Heidi
Diethelm Gerber und für Turnerin Giulia Steingruber im Sprung.
Auch wenn Steingrubers
Olympiaauftritt mit einer verpatzten Übung im Bodenfinal
und dem Aufbrechen der alten
Fussverletzung unglücklich zu
Ende geht, bleibt eines herausragend: Die Gossauerin ist die erste Schweizer Kunstturnerin, die
eine Olympiamedaille gewinnen
kann.
Nach einem «nacholympischen Blues» und dem Entscheid,
die anstehende Fussoperation
zu Gunsten einer Australienreise
auf Januar zu verschieben, wird
das Jahr 2017 für die 22-Jährige
ein eigentlicher Karriereneustart.
Etwas deutlichere Konturen
hat die mittelfristige Zukunft der
47-jährigen Heidi Diethelm Gerber. Auch dank ihrer Medaille in
Rio kann sich die Märstetterin
weitere vier Jahre lang dem Spitzensport widmen. Mit dem Ziel,
in Tokio 2020 mindestens ebenso gut abzuschneiden wie im vergangenen Sommer.
«Mal schauen,
wohin mich
der Sport
noch führt.»
Giulia Steingruber
nach aufwühlenden
Olympia-Wochen
Faszinierend, weil angekündigt und geplant, ist der Olympiatriumph der Ruderer Mario Gyr,
Simon Schürch, Simon Niepmann und Lucas Tramèr im
Leichtgewichtsvierer. Planung,
Durchführung und Vollendung
erreichten eine selbst im internationalen Sport seltene Perfektion.
Das Team überwand seit 2010
alle Rückschläge: Verletzungspech, vorübergehende Trennung
und die olympische Enttäuschung 2012. «Wichtig ist, im
richtigen Augenblick oben zu
sein», sagte Mario Gyr nach dem
Triumph.
Der lang ersehnte Triumph
Ski alpin Lara Gut gewinnt den Gesamt-Weltcup. Damit beendet
sie eine 21-jährige Durststrecke der Schweizerinnen.
Jolanda Neff im
Verletzungspech
Hätte Jolanda Neff Gold gewonnen im Cross-Country, so hätte
man im Rückblick so ziemlich die
gleichen Worte gebraucht wie für
den Goldvierer. Und das mag
zeigen, wie schwierig es ist, einen
Wettbewerb für sich zu entscheiden, der nur alle vier Jahre stattfindet. Wie schwierig es ist, sich
vier Jahre lang, mehr als tausend
Tage, auf einen einzigen Wettkampf vorzubereiten. Die bald
24-jährige Thalerin war als Mitfavoritin auf Gold angereist, ein
Sturz und eine Rippenprellung in
den Tagen vor dem Wettkampf
liessen nur einen sechsten Platz
zu. «Zu stürzen ist ein Teil des
Spiels, und es ist das, was meine
Spiele zerstört hat», sagte die
Rheintalerin. Das Sturzpech ist
inzwischen nicht verschwunden:
Vor einigen Tagen brach sich Neff
während einer Trainingsfahrt bei
Barcelona das linke Handgelenk.
als gegen Aussenseiter. Aber was
sagt die Statistik unter Petkovic?
Seit seinem Jobantritt am 8. SepDie Statistik –
tember 2014 erreichte er in 27
und eine Hoffnung
Spielen 15 Siege und 4 UnentDas Verhalten von Petkovic mag schieden. Gegen die Grossen
zwei Gründe haben. Der erste aber: ein Sieg gegen Portugal, ein
ist der Modus. Nur der Gruppen- Unentschieden an der EM gegen
erste qualifiziert sich direkt für Frankreich und drei Niederlagen,
zwei in der EM-Qualidie WM, die acht besten
Gruppenzweiten kämpfikation gegen Engfen in der Barrage. Das
land und eine im Test
gegen Belgien.
Problem für die SchweiAber seit Petkovic
zer: Bei Punktgleichheit
sein Team vor der EM
entscheidet die Tordiffeam Lago Maggiore zurenz. Petkovic’ Team liegt
nach vier von zehn Runsammengezogen hat,
den bei sechs Plustoren,
Aufsteller weht der Geist von Ludas zweitplazierte Portugano. Darüber hinaus:
gal bei deren 13. Doch am
Petkovic verwaltet
10. Oktober, im letzten
nicht mehr, er gestalSpiel dieser Kampagne, hat der tet. Und er gibt den Kandidaten
Europameister im eigenen Land für das Nationalteam seit dem
vielleicht die Chance, den aktuel- Heimsieg gegen Portugal endlich
len Drei-Punkte-Rückstand wett- Perspektiven. Das macht Hoffzumachen. Für gewöhnlich tut nung.
sich die Schweiz gegen höher eingestufte Gegner weniger schwer Andreas Ineichen
pameister unter den besiegten
Gegnern in der Gruppe B.
Die Gossauerin Giulia Steingruber gewinnt als erste Schweizer Kunstturnerin eine Olympiamedaille.
Bild: Dmitri Lovetski/AP
Mit Rang drei in der Kombination
von Lenzerheide steht Lara Gut
am 13. März vorzeitig als Gesamtweltcup-Siegerin fest. Die zuvor
letzte Schweizerin, die diesen
Titel gewonnen hat, war Vreni
Schneider vor 21 Jahren. Weitere
Schweizer Gesamtsiegerinnen
vor Gut und Schneider: LiseMarie Morerod, Marie-Theres
Nadig, Erika Hess, Michela Figini, Maria Walliser. Der letzte
Schweizer Gesamtsieger war
2010 Carlo Janka, der vorletzte
Paul Accola 1992.
Nach 40 Rennen hat Gut
1522 Punkte auf ihrem Konto, die
zweitplazierte US-Amerikanerin
Lindsey Vonn 1235 Punkte. Dieser Triumph ist der momentane
Höhepunkt einer Karriere, die
mitten in der Blüte steht. «Jahrelange harte Arbeit und das richtige Team um mich herum haben
diesen Sieg ermöglicht», erklärte
die damals 24-jährige Tessinerin,
die auch noch die Disziplinenwertung im Super-G zu ihren Gunsten entschieden hatte. In der Saison 2015/16 errang Gut sechs
Weltcup-Siege in vier Disziplinen
und stand insgesamt 13-mal auf
dem Podest. «Es geht darum, ei-
Lara Gut mit der grossen Kristallkugel.
nen Schritt nach dem anderen zu
machen. Irgendwann hast du
dann die Möglichkeit, um so etwas Grosses zu kämpfen», sagte
die Gesamtweltcup-Siegerin.
Jetzt fehlen der Ausnahmekönnerin nur noch Siege an
Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Gut war bereits
ein paar Mal nahe dran: Sie gewann Olympiabronze in der Abfahrt 2014 in Sotschi, WM-Silber
Bild: Gian Ehrenzeller/KEY
in der Abfahrt und in der SuperKombination 2009 in Val d’Isère,
WM-Silber im Super-G 2013
in Schladming und WM-Bronze
in der Abfahrt 2015 in Vail/
Beaver Creek. Vom 6. bis 19. Februar 2017 findet die nächste
WM in St.Moritz statt. Gut will einen Schritt nach dem anderen
machen.
Albert Krütli
Jahreschronik
Januar
Februar
29. Martina Kocher überrascht zu Beginn
der Schlittel-WM im bayrischen Königssee. Im erstmals ausgetragenen Sprint
verweist die 30-jährige Bernerin die
Olympiasiegerin Natalie Geisenberger
und Europameisterin Dajana Eitberger
auf die Plätze zwei und drei.
6. Der Bobpilot Beat Hefti sichert sich
auf der Heimbahn in St.Moritz seinen
fünften EM-Titel. Hefti und Anschieber
Alex Baumann legen den Grundstein
zum Sieg mit Bestzeit im ersten Lauf.
31. Fabian Bösch gewinnt an den
X-Games in Aspen die Goldmedaille im
Big Air der Ski-Freestyler. Der 18-Jährige
aus Engelberg setzt sich bei seiner ersten
Teilnahme am prestigeträchtigen und
marketingtechnisch wichtigsten Anlass
der Saison vor dem US-Amerikaner
Bobby Brown durch. Bronze erringt mit
Elias Ambühl ein weiterer Schweizer.
26. Der neue Präsident des FussballWeltverbandes Fifa heisst Gianni Infantino. Der 46-jährige Walliser wird am
Fifa-Kongress in Zürich zum Nachfolger
von Sepp Blatter gewählt.
März
5. Marcel Hirscher schlägt in Kranjska
Gora drei Fliegen auf einen Streich. Mit
dem Sieg im Riesenslalom sichert er sich
die Kristallkugeln für den Gesamtweltcup und die Disziplinenwertung. Der
27-jährige Österreicher ist der erste Fahrer, der den Gesamtweltcup fünfmal
nacheinander gewinnt.
28. Die goldene Ära der Schweizer Curlerinnen geht weiter. Das Team des
CC Flims erringt in Kanada seinen zweiten WM-Titel und den vierten für das
Schweizer Frauencurling innerhalb der
vergangenen fünf Jahre. Im Final siegt
die Schweiz gegen Japan 9:6.
28. Steve Guerdat gewinnt wie im Vorjahr den Weltcupfinal der Springreiter.
Auf Corbinian bleibt der 34-jährige Jurassier in Göteborg am Finaltag in zwei
Umgängen ohne Abwurf.
April
30. Der FC Basel steht fünf Runden vor
Ende der Super-League-Saison als
Schweizer Meister fest. Mit dem siebten
Titelgewinn in Folge baut Basel seine Erfolgsserie weiter aus. Rekordmeister mit
27 Titeln sind weiterhin die Grasshoppers, der FC Basel ist nun 19-facher
Meister.
Mai
8. Die Rheintaler Mountainbikerin Jolanda Neff verteidigt in Schweden ihren
EM-Einzeltitel im Cross Country in überlegener Manier. Wenige Wochen später
sichert sie sich den WM-Titel im Marathon.
22. Kanada sichert sich an der Eishockey-WM in Russland zum zweiten Mal
in Folge – und zum 26. Mal insgesamt –
die Goldmedaille. Im Final in Moskau
setzen sich die Kanadier mit 2:0 gegen
Finnland durch. Das Schweizer Nationalteam verpasst die Viertelfinals.
zen sich die Zürcher gegen Lugano mit
1:0 durch.
Juni
28. Real Madrid gewinnt zum elften Mal
den wichtigsten Wettbewerb im Clubfussball. Die Spanier setzen sich im
Champions-League-Final in Mailand
gegen Stadtrivale Atlético im Penaltyschiessen 5:3 durch.
3. Die Welt trauert um den grössten Boxer: Muhammad Ali stirbt im Alter von
74 Jahren. Der an Parkinson leidende Ali
hatte seine Karriere im Jahr 1981 beendet. In den vergangenen Jahren war er
wegen gesundheitlicher Beschwerden
mehrfach im Spital behandelt worden –
so auch zweimal im Jahr 2014 und einmal im vergangenen Jahr.
29. Vier Tage nach dem Abstieg aus der
Super League gewinnt der FC Zürich
zum neunten Mal den Schweizer Cup.
Im Final im heimischen Letzigrund set-
5. Mit zwei Goldmedaillen avanciert
Giulia Steingruber an der Kunstturn-EM
in Bern zur Dominatorin der Gerätefinals. Nach ihrem dritten EM-Titel im
Sprung holt die 22-jährige Ostschweizerin am Boden erstmals EM-Gold. In den
Tagen zuvor gewannen die Schweizer
Männer im Team-Wettkampf und Christian Baumann am Pauschenpferd jeweils
Bronze.
Juli
10. In Amsterdam geht für die Schweizer
Leichtathleten die erfolgreichste EM der
Geschichte zu Ende. Tadesse Abraham
wird im Halbmarathon Europameister
und führt das Schweizer Team zu Gold.
Die Waadtländerin Lea Sprunger gewinnt über 400 m Hürden Bronze, wie
zuvor bereits Kariem Hussein ebenfalls
über 400 m Hürden und Mujinga Kambundji über 100 m.
10. Portugal ist erstmals Fussball-Europameister. Der Aussenseiter bezwingt
im Stade de France trotz des frühen Ausfalls von Cristiano Ronaldo den Gastgeber Frankreich nach einem Treffer von
Eder in der Verlängerung 1:0.
bezwingt im Final den Titelverteidiger
Novak Djokovic aus Serbien 6:7 (1:7),
6:4, 7:5, 6:3. Für Wawrinka ist es der dritte Grand-Slam-Titel nach dem Sieg an
den Australian Open 2014 und dem Erfolg an den French Open 2015.
26. Roger Federer beendet seine Saison
vorzeitig, um sein im Februar operiertes Knie richtig ausheilen zu lassen.
Der Baselbieter verpasst unter anderem
die Olympischen Spiele und das letzte
Grand-Slam-Turnier in New York.
18. Nach Gold über 800 m gewinnt Marcel Hug an den Paralympics in Rio de
Janeiro auch Gold im Marathon. Mit vier
Medaillen bestätigt sich der 30-jährige
Thurgauer in der Rollstuhl-Leichtathletik als weltbester Allrounder.
27. Der deutsche Formel-1-Pilot Nico
Rosberg lässt sich in Abu Dhabi zum
ersten Mal als Weltmeister feiern. Der
Mercedes-Pilot setzt sich gegen seinen
Teamkollegen Lewis Hamilton durch.
September
Oktober
Dezember
12. Stan Wawrinka gewinnt zum ersten
Mal in seiner Karriere die US Open in
New York. Der 31-jährige Waadtländer
9. Daniela Ryf verteidigt den IronmanWM-Titel auf Hawaii – und dies mit
Streckenrekord. Die 29-jährige Solothur-
2. Der 31-jährige Formel-1-Weltmeister
Nico Rosberg gibt überraschend den
Rücktritt bekannt.
nerin verbessert den drei Jahre alten
Rekord der dreifachen Ironman-Weltmeisterin Mirinda Carfrae aus Australien um rund fünfeinhalb Minuten und
erreicht das Ziel nach 8:46:46 Stunden.
November
14 Kultur
Im ausgehenden Kinojahr sind
die Kleinen die ganz Grossen
Kinojahr 2016 Die Schweizer gehen nach wie vor gern ins Kino. Das zeigte etwa der erste gesamtschweizerische Kinotag. Mit zwei
Filmen aus unserer Nähe verbinden sich besondere Hoffnungen. Ob sie sich erfüllen werden, erweist sich indes erst im 2017.
Das Kinojahr 2016 war ein gutes
und in vielerlei Hinsicht besonderes Jahr. Bei den Oscars hat mit
«Spotlight» der sympathische
Underdog triumphiert, und Leonardo DiCaprio holte sich nach
sechs Anläufen endlich die wohlverdiente Trophäe. Die Branche
hat mit einigen Problemen zu
kämpfen, doch scheint ein Kinobesuch nach wie vor eine beliebte
Freizeitbeschäftigung.
Darauf schliessen lässt jedenfalls das Ergebnis des ersten
gesamtschweizerischen Kinotags,
der am 4. September
durchgeführt wurde.
Mehr als 210000 Besucher zahlten den Spezialpreis von 5 Franken
und verbrachten den
Sonntag im Lichtspielhaus – das sind 220 Prozent mehr als an einem
normalen Kinosonntag. Ein Zuschauerrekord, der einerseits aufs
spezielle Programm zurückzuführen ist, das jeder Kinobetreiber
nach eigenem Gusto zusammenstellen konnte; andererseits lässt
die mehr als doppelt so hohe Auslastung vielleicht auch den Rück-
schluss zu, dass das Kinovergnügen ein relativ teures Vergnügen
ist. Zumal für Familien ist das
Home-Cinema wohl doch häufig
die realistischere Alternative.
Aufbruch in eine
neue Ära
Nichtsdestotrotz gibt es jedes
Jahr Filme, die die Leute scharenweise ins Kino locken. In erster Linie sind das Blockbuster
oder Schweizer Filme. In der Kategorie Blockbuster legte das
Spin-off «Rogue One: A Star
Wars Story» mit über
100000 Zuschauern
und 1,8 Millionen Franken Umsatz den besten
Schweizer Kinostart
des Jahres hin – auf 241
Leinwänden gleichzeitig. Im Vergleich dazu
landete der Auftakt zur
neuen Trilogie, «Star
Wars: The Force Awakens», letztes Jahr mit
total 476 523 Eintritten abschliessend auf Platz vier – der
James Bond «Spectre» mit
968684 Eintritten auf Platz 1.
Die abschliessenden Kinozahlen
für dieses Jahr liegen zwar noch
Maren Ade, Regisseurin von «Toni Erdmann», nimmt den Europäischen
Filmpreis entgegen.
Bild: EPA (Wroclaw, 10. Dezember 2016)
nicht vor, es läuft aber wohl auf
ein «Star Wars»-Kopf-an-KopfRennen hinaus.
Jenseits von grossen Studioknüllern rückten 2016 zwei Filme
besonders in den Fokus, die nicht
dem Mainstreamkino zuzuordnen sind. Es sind Werke, denen
Festivals und Preise zu einem gehörigen Anschub verholfen haben. Für ganz viele, sowohl Kritiker als auch Publikum, ist «Toni
Erdmann» der deutschen Regisseurin Maren Ade (40) der beste
Film des Jahres 2016. Begonnen
hat alles im Mai an den Filmfestspielen von Cannes, wo die intelligente Tragikomödie Gesprächsthema Nummer eins war. Nicht
einig war sich die Filmkritik darüber, ob Ken Loach den Hauptpreis für «I, Daniel Blake» verdient hätte, wohl aber in ihrer
Entrüstung darüber, dass «Toni
Erdmann» bei der Preisvergabe
trotzdem leer ausging. «Macht
aber nichts – mit dem Film beginnt so oder so eine neue Ära für
das deutsche Kino», schrieb etwa
der «Spiegel».
Und tatsächlich kam der
hochverdiente Preissegen dann
doch noch: An den Europäischen
Film Awards gingen die fünf
wichtigsten Preise an die deutsche Filmhoffnung, inklusive jenen für die grossartigen Hauptdarsteller Peter Simonischek und
Sandra Hüller. Als «Bester fremdsprachiger Film» ist er für die
Golden Globes nominiert und
steht auf der Oscar-Shortlist – am
24. Januar werden die Nominierungen bekannt gegeben.
Aber auch der Schweizer Film
befindet sich mit dem Animationsfilm «Ma vie de courgette»
von Claude Barras auf einem
wohl einzigartigen Höhenflug.
Die schweizerisch-französische
Koproduktion feierte ebenfalls in
Cannes Premiere und legte seither eine sensationelle Festivalund Kinokarriere hin – Start bei
uns ist Mitte Februar.
Nun darf man hoffen, dass
der prestigeträchtigste Filmpreis
der Welt nach langer Zeit wieder
in die Schweiz oder nach
Deutschland geht. Am besten sowohl als auch: «Ma vie de courgette» ist auch im Rennen um
eine Nomination in der Kategorie
«Bester langer Animationsfilm».
Regina Grüter
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Kultur 15
Grosse, die gingen. Von links: Leonard Cohen in Nîmes, Südfrankreich (20. 8. 2009), Prince auf «Purple Rain Tour» in den USA (13. 9. 1984) und David Bowie auf «A Reality Tour» in den USA (15. 12. 2003). Bilder: Getty/Keystone
Unvergleichlich und unvergleichbar
Musik So unterschiedlich ihre Musik und ihr Stil, so unterschiedlich schieden sie aus dem Leben. Die Popgrössen
David Bowie, Prince und Leonard Cohen beeinflussten Generationen von Musikern auf der ganzen Welt.
Regina Grüter
Mit David Bowie, Prince und Leonard
Cohen sind dieses Jahr drei grosse Musiker gestorben. Manche mögen das Unbestrittene bestreiten: das «gross». Natürlich hat Musik immer mit persönlichen Vorlieben zu tun. Doch ob man ihre
Musik mag oder nicht, ihr Werk und Wirken für überschätzt hält, womit rechtfertigt sich denn das Adjektiv «gross»?
Es sind die Reaktionen aus der Musikwelt selber, die kundtaten, dass sie
ohne den Einfluss des einen oder anderen nicht da wären, wo sie heute sind. So
schrieb «The Roots»-Schlagzeuger
Questlove, für den Prince nicht nur musikalisch ein Mentor wurde, im «Rolling
Stone»: «Ich hatte eine einfache Regel:
Wenn Prince es hörte, hörte ich es
auch.» Er war elf Jahre alt, als es mit seiner Prince-Besessenheit anfing. «Dann
kam ‹Purple Rain›, und auf einmal war
die Welt nicht mehr dieselbe. Plötzlich
wusste jeder, was ich wusste: dass Prince
mit nichts vergleichbar war.»
Gewiss, Prince hatte schon lange
nichts Weltbewegendes mehr veröffentlicht. Während man beim Tod von Amy
Winehouse mit nur 27 Jahren auch grenzenlos traurig darüber war, dass nun all
das nicht mehr auf Tonträger kommt,
was noch hätte kommen können, sind es
bei Prince vor allem seine legendären
Liveauftritte, die fehlen werden. Und
natürlich ist es die Art und Weise, wie
Prince aus dem Leben schied, die betroffen macht. Anders als bei Leonard Cohen, der 82-jährig am 7. November an
den Folgen eines Sturzes starb, hatte mit
dem Tod des kleinen Mannes aus Minneapolis mit nur gerade 57 Jahren niemand gerechnet. Man dachte, Prince sei
einer der wenigen im Musikbusiness, der
IMPRESSUM
sauber war: keine Drogen, kein Alkohol.
Schliesslich waren es dann doch wieder
diese verfluchten Schmerzmittel – ein
zutiefst amerikanisches Problem. Prince
erlag am 21. April – allein im Lift seines
riesigen Anwesens in seinem Heimatstaat Minnesota – einer Überdosis des
Schmerzmittels Fentanyl. Seit einer
Hüftoperation im Jahr 2010 litt er an
chronischen Schmerzen.
War es bei Prince der Schock, stand
bei den Reaktionen auf Cohens Tod die
Würdigung seines umfassenden Werks
als Singer-Songwriter und Dichter im
Vordergrund. Schliesslich lautete die
eine Songzeile des Titelsongs seiner letz-
ten Platte «You Want It Darker»: «I’m
Ready, My Lord». Nick Cave sagte: «Für
viele von uns war Leonard Cohen der
grösste Songwriter von allen.»
Der eigene Tod als
letzte Inszenierung
Auch David Bowie traf der Tod nicht unvorbereitet, wohl aber die Weltöffentlichkeit. Dass er an Leberkrebs litt, behielt er für sich. Zwei Tage nach der Veröffentlichung des Albums «Blackstar»,
am 10. Januar, starb Bowie. Er war 69
Jahre alt. Danach liessen sich Stimmen
verlauten, denen dieses Timing gegen
den Strich ging. Darf man den eigenen
Tod nutzen, um die Vermarktungsmaschinerie des letzten Opus anzukurbeln?
Klar darf man. Zumal man ja selber
nichts mehr davon hat. Dass der Londoner selbst seinen Tod nicht dem Zufall
überlassen wollte, passt zu ihm, der stets
über den Lauf seiner Karriere bestimmte und sich immer wieder neu erfand.
Das eigene Ableben als letzte Inszenierung. So beeinflusste Bowie auch den
heutigen Meister der Selbstinszenierung. Rapper Kanye West twitterte: «David Bowie war eine meiner grössten
Inspirationen, so furchtlos, so kreativ.»
David Bowie und Prince waren eben
nicht nur grossartige Musiker, sondern
auch grosse Showstars. Sie spielten mit
ihren Identitäten. Beide umgab sie eine
gewisse Rätselhaftigkeit. Weit fassbarer
war der Kanadier Cohen, der, wie er
selbst sagte, im Anzug geboren wurde,
und dessen Texte und Musik wenig
Zweideutigkeit aufkommen liessen. Sein
Understatement ist legendär.
Fest steht, alle drei hinterlassen ein
riesiges Erbe. Generationen sind mit
ihren Songs aufgewachsen. Für einige
war es vielleicht sogar die erste musikalische grosse Liebe. Und da haben wir es
wieder, das Wörtchen «gross». Wer im
Stande ist, eine solche Liebe zu entfachen, muss einfach grossartig sein.
Auch diese Kulturgrössen sind 2016 gestorben
4. Januar: Michel Galabru (93), französischer Filmschauspieler
5. Januar: Pierre Boulez (90), französischer Dirigent und Komponist
14. Januar: Alan Rickman (69), britischer Filmschauspieler («Harry Potter»)
17. Januar: Gottfried Honegger (98),
Schweizer Bildhauer und Maler
18. Januar: Glenn Frey (67), US-Sänger
und Gitarrist (Eagles)
19. Januar: Ettore Scola (84), italienischer Regisseur
7. Februar: Roger Willemsen (60), deutscher TV-Moderator und Autor
19. Februar: Umberto Eco (84), italienischer Autor («Der Name der Rose»)
19. Februar: Harper Lee (89), US-Autorin («Wer die Nachtigall stört»)
28. Februar: George Kennedy (91), USFilmschauspieler und Oscar-Preisträger
Einer der ganz Grossen der Schweizer
Kultur: Dimitri starb am 19. Juli mit 81 Jahren. Noch wenige Tage davor war er aufgetreten.
Bild: Keystone (5. April 2015)
5. März: Nikolaus Harnoncourt (86),
österreichischer Dirigent
8. März: George Martin (90): Britischer
Popproduzent, Entdecker der Beatles
24. März: Roger Cicero (45), deutscher
Jazz- und Popmusiker
26. Juni: Götz George (77), Schauspieler
(«Der Totomacher», «Schimanski»)
25. Juni: Manfred Deix (67), österreichischer Zeichner und Karikaturist
27. Juni: Bud Spencer (86), italienischer
Schauspieler mit Schlagkraft
2. Juli: Eli Wiesel (87), Holocaust-Überlebender und Friedensnobelpreisträger
3. Juli: Markus Werner (71), Schweizer
Autor («Am Hang»)
14. Juli: Peter Esterhazy (66), ungarischer Autor
29. August: Gene Wilder (83), US-Komiker und Filmschauspieler
16. September: Edward Albee (88), USAutor(«WerhatAngstv.VirginiaWoolf?»)
20. September: Curtis Hanson (71), USFilmregisseur («L. A. Confidential»)
2. Oktober: Neville Marriner (92), britischer Dirigent und Geiger
9. Oktober: Andrzej Wajda (90),
polnischer Film- und Theaterregisseur
13. Oktober: Dario Fo (90), italienischer
Bühnenautor, Literaturnobelpreisträger
21. Oktober: Manfred Krug (79), Schauspieler und DDR-Kritiker
2. November: Oleg Popow (86), russischer Clown
10. November: Ilse Aichinger (95), österreichische Schriftstellerin
18. Dezember: Zsa Zsa Gabor (99), USSchauspielerin und Sexsymbol
25. Dezember: George Michael (53),
Popstar (Nachruf in gestriger Ausgabe)
Eine Sonderbeilage des St. Galler Tagblatts. Redaktion: Jürg Ackermann, Andri Rostetter, Christian Kamm, Patrik Kobler, Patricia Loher, Arno Renggli, Isabelle Daniel, Kari Kälin. Layout: Stefan Bogner, Sven Gallinelli. Verlag:
St. Galler Tagblatt AG, Fürstenlandstr. 122, 9001 St. Gallen, Telefon 071 272 78 88. Druck: Tagblatt Print, NZZ Media Services AG, Im Feld 6, 9015 St. Gallen. Gemeinsame Beilage von St. Galler Tagblatt Stadt, St. Gallen, Gossau
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