Landesnaturschutzbeauftragter zur Biodiversität interviewt

Umwelt 77
■ BAUERNBLATT | 24. Dezember 2016
Artenvielfalt in der Agrarlandschaft fördern, Teil 13
Landesnaturschutzbeauftragter zur Biodiversität interviewt
Sie sind gerade von Minister Robert
Habeck erneut zum Landesnaturschutzbeauftragten berufen worden und werden weitere fünf Jahre dieses Amt bekleiden. Sie sprechen von einem alarmierenden
Rückgang der Artenvielfalt. Welche
Maßnahmen stehen diesbezüglich
für Sie im Fokus?
Prof. Dr. Holger Gerth: Der Verlust an Flächen durch Bebauung ist
unverändert zu hoch. Bundesweit
werden täglich zirka 80 ha Fläche
für Wohn- und Gewerbebau sowie
Straßen versiegelt. Letztere zerschneiden zudem die Landschaft.
Dieser Flächenfraß betrifft nicht
nur die Landwirtschaft, sondern
zugleich auch den Naturschutz. Außerdem hat die Intensivierung der
landwirtschaftlichen Nutzung vielerorts zu Rückgängen von Lebensräumen geführt und damit einen
Artenrückgang an Fauna und Flora ausgelöst. Der Rückgang der Artenvielfalt ist alarmierend.
Kann der Vertragsnaturschutz den
Artenrückgang bremsen?
Ohne Frage hilft der Vertragsnaturschutz, die Artenvielfalt zu
erhalten. In Schleswig-Holstein
wurden in diesem Jahr auf fast
30.000 ha Grünland- und Ackerfläche Verträge für Naturschutzmaßnahmen geschlossen und dafür über 9 Mio. € an die Landwirte ausgezahlt. Wir sehen an diesen
Zahlen, dass das Interesse groß ist.
Hätte das Land mehr Geld für den
Vertragsnaturschutz zur Verfügung, hätten noch mehr Landwirte mitmachen können.
die Artenvielfalt von immenser
Bedeutung sind und wo sich
Biodiversität entwickeln kann.
Meine Befürchtung ist, dass
sich durch die wenigen Rückzugsgebiete der allgemeine
Artenrückgang in unserer Kulturlandschaft nicht aufhalten
lässt. Ich würde mir daher andere Formen der Zusammenarbeit von Naturschutz und
Landwirtschaft wünschen. Zunehmend pflegen Landwirte
Flächen, die als Ausgleich für
Eingriffe in den Naturhaushalt, wie beispielsweise beim
Bau von Häusern, Straßen
oder Windkraftanlagen, aus
der landwirtschaftlichen NutIm Himmelmoor bei Quickborn wird mit extensiver Nutzung der Grünlandflä- zung genommen wurden. Für
chen die Landschaft gepflegt und eine Verbuschung verhindert. Diese Form der diese Pflegearbeiten im Sinne
Landschaftspflege mit Rindern fördert die Artenvielfalt.
des Naturschutzes erhalten sie
Geld. Diese Einkommensquelle
erbrachten Ökosystemleistungen integrieren. Derzeit finden wir in kann mitunter ein wichtiger Zuervon der Gesellschaft anerkannt unserer Landschaft dagegen zum werb für Landwirte sein und liefert
und honoriert werden;
einen Bereiche mit den Anreiz, mehr Artenschutz zu
mit dem zusätzlichen
intensiver landwirt- betreiben. Gleichzeitig kann es aber
schaftlicher Produkti- nicht sein, dass Landwirte ihr KernEffekt von voraussichtlich mehr Akzeptanz
on, wo für eine Viel- geschäft, die Produktion von Nahfalt von Pflanzen und rungsmitteln, nicht mehr ausüben
der Landwirtschaft in
der Bevölkerung.
Tieren wenig Platz ist, können, um öffentliche Leistungen
und daneben zum zu erbringen. Hier gilt es, gangbaanderen
Bereiche, re Kompromisse zu finden im Sinne
Was muss geschehen?
wo Naturschutz pur von mehr Artenschutz auch auf inWir brauchen Formen
der Landwirtschaft, die
gemacht wird. Dies tensiv genutzten Flächen.
nicht auf eine Trennung Prof. Holger Gerth. Er- sind Naturschutzgeder Landschaft hinaus- reichbar unter Tel.: biete sowie Vogel- Wie lautet Ihr Credo für Ihre Auflaufen, sondern land- 04 31-9 88 70 80, holger. schutz- und FFH-Ge- gaben als Landesnaturschutzbewirtschaftliche Produk- [email protected] biete oder auch Aus- auftragter in den kommenden
tion und Naturschutz Foto: privat gleichsflächen, die für fünf Jahren im Sinne des Artenschutzes?
Die Frage des Artenrückgangs
bleibt ein dringendes Zukunftsthema, dem ich mich in den kommenden fünf Jahren verstärkt weiterwidmen werde. Dafür müssen die
Weichen in Kiel gestellt werden
und auch in Berlin und Brüssel. Die
elf Mitglieder des neu berufenen
Landesnaturschutzbeirates bündeln hohe ökologische Kompetenz.
Wir werden gemeinsam Position zu
aktuellen Themen des Naturschutzes beziehen und diese in die Praxis
tragen. Dafür sind die Institutionen
in der Landwirtschaft wie zum Beispiel die Landwirtschaftskammer
und der Bauernverband wichtige
Partner im Sinne eines gemeinsamen Dialoges für den Artenschutz
Knicks mit Überhältern prägen die Landschaften in Schleswig-Holstein und in Schleswig-Holstein.
Welche Rückschlüsse ziehen Sie?
Setzen wir die 30.000 ha ins
Verhältnis zur gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche
in Schleswig-Holstein von rund
1 Mio. ha, so sind es gerade einmal 3 %. Die übrige Fläche wird
größtenteils intensiv bewirtschaftet. Auch für diese Flächen benötigen wir Regeln, die den Artenrückgang stoppen können. Vorstellbar
wären zum Beispiel Programme
zur Förderung der Weidehaltung,
um hier wieder einen Wandel zu
mehr Artenreichtum zu erhalten.
Auch von einer Extensivierung
oder auch kleinteiligeren Flächennutzung könnte die Natur pro- sorgen für Artenvielfalt. In einem Arbeitskreis wurde von Naturschützern
fitieren. Voraussetzung ist aber, und Landwirten über die schonende Knickpflege diskutiert.
dass die durch die Landwirtschaft Fotos (2). Prof. Holger Gerth
Interview: Kerstin Ebke,
Landwirtschaftskammer