SWR2 Tandem

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Mit Behinderungen ist zu rechnen
Witze über eine Randgruppe und warum sie sich ein Zeichner
erlauben kann
Mit dem Comiczeichner Phil Hubbe spricht Natalie Putsche
Sendung: Freitag, 30. Dezember 2016, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2016
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Mit Behinderungen ist zu rechnen
Anmoderation:
1988 erhält Phil Hubbe die Diagnose Multiple Sklerose. Es ist die Zeit, als er überlegt
sein abgebrochenes Mathematikstudium wieder aufzunehmen. Aber nun entscheidet er
sich anders. Trotz aller körperlichen Bedenken beschließt Hubbe seine Leidenschaft,
das Zeichnen, zum Beruf zu machen. Heute sind Hubbes schonungslose
Einbildzeichnungen über alle möglichen Behinderungen vielen bekannt. Lars
Johannson, der beste Freund von Hubbe, kann sich gut vorstellen, warum so mancher,
auch abseits der Cartoons, denkt, sein Freund sei ein ziemlicher Schwarzseher.
o-ton Lars Johannson, bester Freund: "Philipp wirkt auf den ersten Blick immer so ein
bisschen eher rau. Der lächelt ja kaum. Aber er ist eigentlich ein ganz lebensfreudiger
und sehr lustiger Kerl. Man muss ihn nur ein bisschen kennen. Weil manchmal guckt der
ein bisschen finster und man denkt: Warum guckt der so finster? Er meint das gar nicht
so. Er is'n klasse Mensch und er is'n toller Zeichner. Und ich find es großartig, wie der
mit seiner Krankheit umgehen kann. Das ist ja nun nicht leicht. Aber er redet nie drüber.
Er lebt das und das finde ich faszinierend und toll."
Mit Tochter Sophie und seiner Frau Ute lebt Phil Hubbe in Magdeburg. Seit über 25
Jahren sind die beiden zusammen. Auch schon zu dem Zeitpunkt als Hubbe die
Diagnose MS bekam. Bis heute sind die großen Schübe der Krankheit zum Glück
ausgeblieben:
o-ton Ehefrau Ute Hubbe: "Er kann halt sportlich nichts mehr machen. Also wenn er jetzt
schnell laufen müsste, dann wird er eben unsicher im Gang, stolpert öfter mal. Und
wenn er unter Anspannung steht, irgendwelche Situationen sind, so was wie ein
wichtiger Termin, dann merkt er, dass ihn das anstrengt."
Eins ist klar: ohne die Diagnose MS würde es die Behinderten Cartoons nicht geben.
Und schon gar nicht MS Rainer. Auf unserer Homepage www.swr2.de/tandem können
Sie sich einige der Bilder angucken. Zum Beispiel das:
Man sieht ein Lokal von außen. Ein Hund und ein Rollstuhlfahrer, eben Hubbes MS
Rainer, sitzen beide mit frustrierten Gesichtern vor dem Eingang. Vor ihnen das Schild,
das Hundehalter nur zu gut kennen: "Wir müssen draussen bleiben". Ganz offensichtlich
gilt das hier jedoch auch für den Rollstuhlfahrer MS Rainer. Denn der Eingang des
Ladenlokals ist - wie so oft - nicht barrierefrei.
Mit Behinderungen ist zu rechnen.
Witze über eine Randgruppe und warum sie sich ein Zeichner erlauben kann.
Natalie Putsche hat ihn in seinem Atelier besucht.
Natalie Putsche:
Starten Sie immer mit dem Kopf?
Phil Hubbe:
Bei Figuren starte ich mit den Augen, der Nase, also alles am Kopf und arbeite mich
dann nach unten hinab.
Natalie Putsche:
Warum? Hat sich das irgendwann mal so ergeben, dass das leicht ist für Sie oder ist
das so ein, läuft so Ihr Strich? Sagt man das so, ich weiß nicht...
Phil Hubbe:
Ja, es läuft so ab bei mir in dem Sinne, dass die Proportionen dann funktionieren. Es
ist einfacher, wenn ich da mit dem Gesicht anfange, so hat es sich irgendwann ergeben.
Natalie Putsche:
Mögen Sie MS-Rainer?
Phil Hubbe:
Ich denke schon, also ich habe nicht umsonst die Figur angefangen zu zeichnen und
dass die dann solchen Widerhall hatte, da fand ich das schon gut und habe dann ja
auch kleine Geschichten mit MS-Rainer gemacht und es ist ja eine Figur die eben gut
funktioniert in der Hinsicht.
Natalie Putsche:
Und die Leute haben ja auch öfter schon gedacht, dass Sie das sind. Hat das so
angefangen, dass Sie sich auch vorgestellt haben, wie Sie dann sind, wenn Sie
vielleicht doch so einen Schub kriegen oder Schübe kriegen, dass es doch irgendwann
nötig wäre im Rollstuhl zu sitzen? Stellen Sie sich das vor und zeichnen das vielleicht in
dieser Figur wieder?
Phil Hubbe:
Na ja, nicht unbedingt, also es waren auch Leute, die meinten, ich müsste ja im Rollstuhl
sitzen, die mir sagten, nicht jetzt wegen MS, sondern dem Punkt, wer das so gut
umsetzen kann, die Probleme von Rollstuhlfahrern, der kann nur selbst im Rollstuhl
sitzen. Und das war schon ein Lob, dass ich das so umsetzen konnte. Und von der
Hinsicht, damals als ich einen großen, schweren Schub hatte, saß ich ein paar Tage im
Rollstuhl, aber das kann man nicht vergleichen mit einem, der wirklich im Rollstuhl sitzt.
Und in dem Sinne überlege ich nicht, wie würde das sein? Also das wäre jetzt Quatsch
sich da Gedanken drum zu machen, sich da schon hinzugeben, der Krankheit. Nee, das
will ich nicht und das muss ich auch glaube ich nicht machen.
Natalie Putsche:
was für ein Typ ist denn dieser MS-Rainer? Ist das ein gut gelaunter, ist das auch einer
mit so einem offenen Blick in der Welt?
Phil Hubbe:
Na, ich denke schon, aber so ausgearbeitet ist die Figur glaube ich noch nicht. Also ich
setze ihn teilweise als Figur ein für meine Witze, aber ansonsten versuche ich ihn schon
so hinzubringen, dass er vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit hat, nicht nur die große
Nase, sondern auch von den Eigenschaften her ähnlich mir vielleicht mal wird oder ist.
Natalie Putsche:
Warum heißt der eigentlich Rainer?
Phil Hubbe:
Kann ich nicht mal mehr genau sagen, wie ich darauf gekommen bin, aber ich fand
glaube ich Rainer, ich will jetzt keinen beleidigen, der Rainer heißt, aber ich fand den
Namen ein bisschen blöd und er passt so ein bisschen mit MS.
Natalie Putsche:
Rein akustisch?
Phil Hubbe:
Rein akustisch, also hat jetzt nichts irgendwie mit dem Rainer zu tun, keineswegs. Ich
kenne Leute, die heißen Rainer und die sind sehr nett und sympathisch.
Natalie Putsche:
Sie haben eine von Fans sehr geliebte Serie, sie trägt den sehr schicken Name, finde
ich, „Behinderte Cartoons“. Kennen Sie aber auch Menschen, sagen wir mal in Ihrer
näheren Umgebung, die jetzt irgendwie Leute in sozialen Netzwerken sagen: „Damit
kann ich was anfangen, damit nicht“, das ist klar, dafür sind diese Foren und sind die
sozialen Netzwerke auch irgendwie da und auch diese Gefällt-mir-Seiten. Aber wie ist
das mit dem näheren Umfeld, gab es da zu irgendeinem Zeitpunkt oder als Sie damit
anfingen, mit den Behindertencartoons, auch sehr viele Kritiker und Leute die sagen:
„Also irgendwie ist mir das jetzt echt auch eine Spur zu hart“, oder hatten Sie auch da
direkt Zuspruch und das Gefühl, das geht in die richtige Richtung?
Phil Hubbe:
Der Großteil war Zuspruch, also Kritik kam eigentlich wenige oder erst zu Anfang so ein
bisschen und dann, als die merkten, dass die Zeichnungen aber gerade bei Betroffenen
sehr gut ankamen, war das dann wie weg. Ich habe von einer Mutter mal welche
bekommen, deren Sohn verstorben ist, der auch MS hatte, der sogar jünger war als ich.
Und da ist es verständlich, dass die meine Zeichnungen in dem Sinne nicht gut findet.
Die hat immer gesagt: „Ich finde deine Zeichnungen, deine politischen und so, okay,
aber die anderen nein, die gehen nicht.“ Sie hat ihren Sohn verloren, das ist eine ganz
normale Reaktion. Aber ansonsten, aus dem näheren Umfeld, habe ich eigentlich mehr
oder weniger fast bloß Zuspruch und kaum Kritik. Und ja, ich weiß nicht ,ob es sich
keiner traut oder...
Natalie Putsche:
Ja, gut, aber die „Titanic“, das Satiremagazin, denen war es zu fies am Anfang. Oder
wollten die sich nicht über Randgruppen lustig machen oder wie war das? Oder gibt es
die Geschichte dann doch nicht?
Phil Hubbe:
Die Geschichte gibt es ein bisschen anders. Also ich hatte die Zeichnung „Titanic“ und
„Eulenspiegel“ geschickt. „Titanic“ rief mich damals, da war Sonneborn noch
Chefredakteur, sogar persönlich an und sagte, sie finden es nicht so witzig, die
Zeichnungen. Also es war auch für mich verständlich, weil der Strich der
„Titanic“-Zeichner ist ein bisschen ein anderer als meiner. Der „Eulenspiegel“ schrieb
aber zurück. Ja, die finden die Zeichnung ganz okay, aber aus Rücksicht auf Leserbriefe
haben sie Befürchtungen und wollen es erst mal nicht drucken, so ungefähr. Also das
war beim „Eulenspiegel“ gewesen, nicht „Titanic“. Was aber nicht ganz unrecht war in
der Hinsicht, es gibt da so eine Zeichnung von Peter Thulke, da fällt ein Einbeiniger aus
dem Bett und die hatte der „Eulenspiegel“ gedruckt. Daraufhin war wirklich in der
nächsten Ausgabe des „Eulenspiegels“ ein Leserbrief, der dann eben schrieb, aufgrund
dieser Zeichnung bestellt er das Abo ab. Wo ich dann dachte, was soll der Quatsch?
Das ist ein Satiremagazin und auf solche Leser bin ich doch nicht angewiesen. Wie es
jetzt ist, kann ich nicht mal sagen, weil ich denen lange keine Behindertencartoons mehr
geschickt habe. Politische haben sie von mir gedruckt. Aber ich fand das damals eine
komische Antwort, dass die nicht funktionieren. Das dürfte sich ein Satiremagazin
eigentlich nicht erlauben.
Natalie Putsche:
99/2000, Start mit den Behindertencartoons. Was war da ausschlaggebend? Eventuell
ein neuer Schub von Ihnen oder hat Ihnen ein Bekannter zugetragen: „Du solltest mal
was über behinderte Menschen machen, du gehörst doch irgendwie auch dazu.“ Also
wie muss ich mir das vorstellen?
Phil Hubbe:
Ja, so vielleicht sogar in die Richtung. Also es gab einen Amerikaner, John Callahan, der
hat im „New Yorker“ Behindertencartoons veröffentlicht und es gab da böse Leserbriefe
drauf. Und zu dem Zeitpunkt ist auch in Deutschland ein Cartoonband von ihm
erschienen und auch seine Biographie. Und da haben dann Freunde, Kollegen wirklich
gemeint: „Das könntest du doch auch machen. In irgendeiner Weise kannst du sagen,
du bist selbst betroffen.“ Also war das dann wirklich der Auslöser damit anzufangen. Und
ich habe es ganz vorsichtig, habe dann die ersten Behindertencartoons, Zeichnungen
gemacht und habe die anderen Behinderten gezeigt, die mich nicht persönlich kannten,
die auch eine andere Behinderung hatten, eine andere Krankheit und gefragt, ob das
geht, ob ich das machen darf. Weil ich mache da Witze über Rollstuhlfahrer und sitze
nicht im Rollstuhl.
Natalie Putsche:
Auch schön fand ich Ihren Cartoon, wo jemand ganz dringend auf Toilette muss und da
ist ein schönes Toilettenzeichen, aber wie so oft führt das bei so einer Bar oder bei
einem Club oder bei einem Café runter in den Keller und da sind Treppen und sonst
nichts. Er kann halt überhaupt nicht, ganz offensichtlich, runter, und er pullert dann
quasi die Treppen runter. Also ich find, das ist sehr logisch, weil wie soll er das sonst
machen?
Phil Hubbe:
Na, das ist so eine Sache, ein bisschen zugespitzt, weil es ist ja der Großteil, dass es
wirklich da nicht geht, - und wenn es mal eine Behindertentoilette vielleicht dann gibt in
dem Geschäft oder in der Bar, ist es oft so, dass Behindertentoiletten dann zugemüllt
sind, weil die relativ groß sind, als Abstellraum. Also das habe ich schon selber live
erlebt, dass ich dann mal reingeguckt habe, wie es da aussieht und dann war das ein
Abstellraum. Und das ist ein Punkt, wo noch eine Menge gemacht werden muss. Ich
hätte diese Einsicht ja auch nicht, wenn ich nicht selber, dadurch dass ich betroffen bin,
Kontakt hätte mit Betroffenen. Das sind so Sachen, die man als Normaler, in
Anführungsstrichen, nicht mitbekommt, wenn man das nicht selber mal gesehen hat
oder ausprobiert hat. Ja, die alltäglichen Probleme auf die man trifft.
Natalie Putsche:
Wann ist der Begriff Behinderung bezüglich Ihrer eigenen Krankheit zum ersten Mal
gefallen? Haben Sie sich behindert gefühlt in dem Sinne? Haben Sie einfach viel
darüber gelesen und haben das Wort dann irgendwie auch sich und Ihrer Krankheit
zugeordnet oder wurde Ihnen das mitunter von außen schon so zugetragen, dass Sie
auch in diesen Bereich fallen mit der Krankheit MS?
Phil Hubbe:
Also bewusst der Begriff Behinderung oder Behinderter wurde mir eigentlich erst, als
mein Neurologe mir damals, Anfang der neunziger, geraten hat, dass ich einen
Behindertenausweis, einen Schwerbeschädigtenausweis beantragen solle und er in
dem Sinne das auch unterstützen würde. Und da war mir das so bewusst, dieser Begriff
erstmal, weil ich selber keine größeren Einschränkungen hatte eigentlich, wo ich sagen
würde, dass das eine richtige Behinderung wäre in der Hinsicht.
Natalie Putsche:
Haben Sie Menschen mit Behinderung in Ihrem Umfeld, in Ihrem näheren?
Phil Hubbe:
Habe ich, eine Selbsthilfegruppe mit der ich mich regelmäßig treffe und dann auch, weil
ich oft eingeladen werde zu Veranstaltungen, wo ich dann eben meine Sachen vorstelle.
Dadurch haben sich auch Freundschaften ergeben mit Leuten, die eben betroffen sind
und auf unterschiedlichste Art. Also zähle ich auch Betroffene zu meinen Freunden.
Natalie Putsche:
Muss ich mir das manchmal auch als so eine schwarzhumorige Truppe vorstellen, bei
der Selbsthilfegruppe manchmal? Wenn man sich schon kennt und wenn man vielleicht
die ganz tiefergehenden Probleme gerade nicht bespricht, dass das auch irgendwie so
ein Bild für Ihren Cartoon sein könnte, wie man dann zusammenhockt mit seinen
Behinderungen und irgendwie auch zusammen lustig ist?
Phil Hubbe:
Ist man, also wo ich dann selber auch immer überrascht bin, am schwärzesten sind die
Witze von denen, denen es verdammt schlecht geht. Ich bekam jetzt gerade ne Email,
auf einen Artikel, der in der „Frankfurter Allgemeinen“ gewesen ist, da schrieb dann
einer, sitzt im Rollstuhl, kann seine anderen Körperteile kaum noch bewegen,- und
macht diese Mundmalerei. Aber bedankt sich bei mir. Er kennt meine Arbeiten schon
lange und findet meine Zeichnungen klasse und das baut ihn immer wieder auf. Und
wenn ich dann so was lese, das freut mich auch, was diese Zeichnungen leisten können
oder den Leuten das vielleicht dann doch hilft, der Humor vor allen Dingen. Dass sie
über ihre Situation auch lachen können und nicht immer denken, bloß weil es das
übliche Bild ist, Behinderte müssen in der Ecke stehen und jammern. Und er leidet ja an
einer Krankheit, das ärgert mich dann auch immer, wenn über mich geschrieben wird,
dass er seit dreißig Jahren an MS leidet. Ich leide nicht sehr an der Krankheit, ich habe
die Krankheit, ich muss mich damit arrangieren, aber ich selbst leide zur Zeit nicht
dadran. Das ist immer so, Behinderte müssen leiden, das ist so ein Wortspiel oder
zumindest ein Begriff den man immer wieder verwendet, der aber nicht überall zutrifft.
Also gerade Betroffene haben auch Humor und sie wollen nicht bloß bemitleidet werden,
sondern akzeptiert werden und das heißt dann eben auch, dass ich mit ihnen lache und
auch über sie lachen kann.
Natalie Putsche:
Wie kam es, dass Sie sich entschieden haben in eine Selbsthilfegruppe zu gehen oder
haben Sie die gegründet?
Phil Hubbe:
Es hat eine Weile gedauert bis ich in eine Selbsthilfegruppe gegangen bin, weil es mir
relativ gut ging und ich wollte nicht gleich mit Rollstuhlfahrern konfrontiert werden. Aber
irgendwann ist dann der Punkt, wo man so Sachen hat, Symptome mit der Krankheit,
die kann man bloß mit einem besprechen, der da selbst betroffen ist, der das gleiche
kennt. Und da nützen auch nicht Freunde oder Familie, die hören zwar zu, aber die
wissen nicht genau, was man meint. Und das war so für mich der Auslöser mit Leuten
zu sprechen, die das gleiche hatten wie ich und in dem Sinne mich da auszutauschen.
Und das war dann der erste Kontakt, der aber eine Weile gedauert hat, bevor ich das
wirklich gemacht habe.
Natalie Putsche:
Jetzt stelle ich mir Leute vor, die tagesaktuelle politische Cartoons machen oder
Behindertencartoons zeichnen, ja, jetzt stelle ich mir vor, dass die im Leben vielleicht
sogar Zyniker eventuell sogar sind. Liege ich da richtig oder würden Sie das über sich
nicht sagen?
Phil Hubbe:
Ich sage nur immer, ich habe mein Recht auf schlechte Laune. Weil, wer mich jetzt bloß
erst kurz kennt, denkt auch immer: „Meine Güte, der kann einen aber runter ziehen.“
Und wer mich dann ein bisschen näher kennt, weiß, dass ich doch ein ganz anderer Typ
eigentlich bin. Also jetzt nicht unbedingt der Misgram. Aber das ist so ein Punkt für mich,
wo ich mich dann ein bisschen abschotte, wo ich so für mich dann bin. Aber zynisch ist
ein bisschen, das ist ein bisschen zu hart. Ich versuche das umzusetzen, was ich erlebe
und was ich mache und das ist manchmal ein bisschen schwarzhumorig, in der Hinsicht.
Natalie Putsche:
Lachen Sie selber auch am liebsten über schwarzhumorige Sachen, wie Sie es selber
nennen?
Phil Hubbe:
Eigentlich schon. Also ich bin schon so ein Freund vom schwarzen Humor, also in dem
Sinne das Übliche, die alten Sachen wie Monty Python, da bin ich ein großer Fan
gewesen, da bin ich immer noch ein großer Fan, dafür kann ich mich begeistern. Er
sollte nicht zu flach sein und es sollte schon ein bisschen wehtun vielleicht auch.
Natalie Putsche:
Kann man eigentlich sagen, dass das Zeichnen für Sie eventuell auch eine Therapie ist
oder ist es das nicht?
Phil Hubbe:
Das habe ich zu Anfang nicht so gesehen, aber im Nachhinein würde ich es vielleicht
doch so ein bisschen sagen, dass es für mich eine Art Therapie ist. Also für mich ist es
erstmal Arbeit, die ich habe. Aber eine Arbeit, die man nicht vergleichen kann mit einer
anderen normalen Arbeit. Also für mich ist das schon ein bisschen mehr, weil ich habe ja
schließlich aus meinem Hobby einen Beruf gemacht und da ist dann die Zeichnerei
schon so eine Art Therapie, weil ich sehe es ja bei anderen Betroffenen, die aus einem
Beruf herausgerissen wurden und keine Aufgaben mehr haben. Da habe ich einen
riesen Vorteil, weil ich eben eine Aufgabe noch habe, womit ich mein Geld mit
verdiene. Ich bin noch im öffentlichen Leben unterwegs. Also in dem Sinne ist es schon
so eine Art Therapie für mich, dass ich eben da auch ein bisschen meine Krankheit
abarbeiten kann.
Natalie Putsche:
Hatten Sie auch zwischendurch mal das Gefühl, aua, das geht nicht mehr. Also das Sie
nicht in der Lage waren in dem Moment zu zeichnen?
Phil Hubbe:
Also so eine Situation hatte ich noch nicht gehabt. Also wenn Beeinträchtigungen mal
waren, waren sie erstmal in den Beinen, ich hatte eine Sehnennerventzündung ,dreimal
schon. Habe auch ständig mal irgendwo Beschwerden, mal ein Kribbeln im Bein oder in
den Händen oder so Sachen, wo man Unsicher ist, könnte das ein Schub sein oder
nicht. Die Krankheit ist ja nicht so, ich mache mal so einen blöden Vergleich, wie bei
einem, wo der Arm ab ist. Der weiß, woran er ist. Aber ich kann nicht sagen, wie es mir
in zehn Jahren geht. Das ist immer dieser schleichende Prozess, der Unterscheid, und
dann, ich habe ja schon mehrere Medikamente gehabt und dann fragt man sich auch
eben, was ist, wenn das nicht mehr wirkt oder dergleichen. Man hat natürlich
logischerweise im Hinterkopf, wenn es einem mal ein bisschen schlechter geht und man
ein Kribbeln hat in den Beinen, unsicher ist und so was, es sich durch den Kopf gehen
lässt. Aber ansonsten jetzt konkret zu sagen, oder aufzuwachen und zu sagen, ich kann
jetzt nicht mehr zeichnen oder so was, diese Angst habe ich noch nicht gehabt. Und für
mich ist eben das Zeichnen das entscheidende, also dass ich meine Hände bewegen
kann , - und da hoffe ich, dass ich das wirklich noch lange genug machen kann.
Natalie Putsche:
Wie lange brauchen Sie, wenn die Idee erst mal da ist, für jetzt sagen wir einen Cartoon
wie diesen hier?
Phil Hubbe:
So vom rein technischen her zwei bis drei Stunden, so um den Dreh rum. Also wie
gesagt ohne die Idee, manchmal ist das Suchen nach der Idee länger als das Zeichnen
selber. Aber so für das rein technische zwei bis drei Stunden. Also ich bin noch einer der
per Hand arbeitet, also in dem Sinne nicht mit einem Grafikprogramm, sondern alles
noch mit Zeichenfeder und Pinsel macht.
Natalie Putsche:
Und gab es hierzu eine Inspiration aus dem Alltag? Zu diesem Bild mit dem sehr
korpulenten, nicht richtig gut aussehenden Ehepaar am Strand ,glaube ich ist es? Oder
noch nicht mal am Strand, die laufen ja auch so auf der Strandpassage rum und dann
noch diese Dame, die da vor ihnen läuft, über die die beiden sich gerade so das Maul
zerreissen, mit künstlichem Bein.
Phil Hubbe:
Das ist die Sache, weil die Leute sich wirklich echauffieren, aufregen, wenn einer mit so
einer Prothese rumläuft und das offen zeigt. Ich habe einen Bekannten gehabt mit einer
Beinprothese und der sagt auch, wenn er an der Ostsee oder an der Nordsee zum
Baden ist, geht er erstmal eine Runde mit seiner Beinprothese am Strand lang, damit
alle gucken können, damit sie zufrieden sind und dann legt er sich erst in den Sand,
aber erstmal, dass sie alle gucken können. Weil ihn das auch nervt, dass sie ihn so
beobachten. Und das ist ein Punkt, dass die Leute so gucken, wie sieht das aus. Und
wenn dann die Leute aber mal in den Spiegel gucken würden, wie sie rumlaufen... Und
hier ist es ein bisschen zugespitzt, aber diese Typen gibt es eben, die so rumlaufen. Die
selber auf sich gar nicht achten, sehen sonst wie aus, aber wollen über andere urteilen.
Was rein ästhetisch gar nicht mal so schlecht aussieht, wenn man wirklich eine gute
Beinprothese hat. Nicht gerade die, die ich da gezeichnet habe, aber so ist das wirklich.
Das ist so ein Bild aus dem alltäglichen Leben, weil das wirklich existiert und passiert.
Bei meinen Zeichnungen ist die Sache, sie sehen relativ niedlich aus. Sie sind farbig,
bunt und im ersten Moment denkt man eben ganz nett. Und sieht erst im zweiten Blick,
dass es eben doch ein bisschen tiefer geht, ein bisschen schwarzhumoriger ist. So
sehen meine Zeichnungen im ersten Moment relativ niedlich aus, weil ich so einen Stil
habe, diese Knollnasen und so was.
Natalie Putsche:
Es ist immer eine Knollnase. Warum eigentlich? Kennen Sie jemanden mit einer
Knollnase?
Phil Hubbe:
Wie gesagt, ich wollte mal Comiczeichner werden und zu der Zeit gab's ja die Digedags
und die Abrafaxe und da habe ich viel abgezeichnet und wollte ja auch in die Richtung
gehen,- und wollte bei denen auch anfangen eigentlich zu zeichnen. Und das ist dann
ein bisschen hängen geblieben. Und so gesehen habe ich dann meinen Stil nicht so weit
geändert. Kleiner Nachteil, aber so gesehen bin ich bei diesen Knöllnasen geblieben.
Natalie Putsche:
Stimmt das, dass Sie sich als Botschafter für Behinderte auch sehen oder hat das auch
nur irgendwer irgendwann mal über Sie gesagt oder geschrieben?
Phil Hubbe:
Also da kann ich sagen, das hat einer gesagt oder geschrieben über mich. Also in dem
Sinne habe ich das nie behauptet, weil ich bin auch eigentlich immer so rangegangen:
Ich will keine Botschaft verbreiten in dem Sinne. Also erstens sollen die Leute sich da
drüber unterhalten, weil sie es lustig finden, die Zeichnungen sollen unterhalten, sie
sollen drüber lachen. Wenn es sie noch zum Nachdenken anregt, freut es mich umso
mehr, aber ich habe das jetzt nicht als erstes Ziel ausgegeben, ich will jetzt die Welt
verändern oder ich will damit irgendwas als erstes erreichen außer Unterhaltung. Dass
es sich ergibt, ist oft dem Thema geschuldet und es freut mich umso mehr. Und ich bin
letztendlich zu einer Art Botschafter geworden oder zumindest werden meine
Zeichnungen genutzt für gewisse Sachen, um was zu unterstützen, gerade das Thema
Inklusion. Aber den Begriff habe ich nicht benutzt,- und so wird mich mal einer vielleicht
genannt haben. Freut mich, macht mich ein bisschen stolz, aber das habe ich jetzt
selber nicht vorgehabt, das zu werden.
Natalie Putsche:
Wenn Sie ein paar Wünsche äußern dürften, was sich in der Zukunft für behinderte
Menschen in der Gesellschaft verändern könnte. Was müsste das sein?
Phil Hubbe:
Was mich immer ein bisschen stört und wo ich das selber auch mitbekomme, das sind
die Möglichkeiten, wo treffen sich Behinderte und Nichtbehinderte mal gemeinsam. Ich
sehe es bei Ausstellungen von mir, da kommt es dann zu Gesprächen mal mit
Betroffenen und Nichtbetroffenen, aber ansonsten im öffentlichen Leben sieht man nicht
so viele Leute. Weil ich auch weiß, aus meiner eigenen Erfahrung, aus meiner
Selbsthilfegruppe, dass die nicht mehr groß im öffentlichen Leben teilnehmen, weil es
für sie zu anstrengend ist und weil es auch so viele Hindernisse gibt, alleine im
öffentlichen Bereich. Und das eben auch ein anderes Bild in der Öffentlichkeit entsteht.
Im Fernsehen und im Radio gibt es ja spezielle Sendungen für Behinderte. Aber das
meinetwegen Beiträge, die da gezeigt werden, einfach in ganz normalen Magazinen
auch gezeigt werden. Oder dass es Moderatoren gibt, wo man mal sieht, dass die
vielleicht auch eine Beeinträchtigung haben, gibt es ja nicht. Dass immer da schöne,
schmucke, hübsche Menschen gezeigt werden, also das Idealbild, und die anderen gibt
es eben eigentlich nicht, weil die will man nicht sehen. Und das ist eben ein Punkt, ja da
gibt es noch verdammt viel zu tun.
Natalie Putsche:
Ich fand's schon ganz, mal irgendwie speziell, dass es mal, ich glaube, ein
Kommissarenpaar gab, wo der eine einarmig war. Das fand ich schon fast auffällig, weil
das eben so selten vorkommt, dass solche Figuren auch geschaffen werden.
Phil Hubbe:
Ich fand das damals gut, obwohl dann gleich sich welche aufregten, dass das ein
Schauspieler gemacht hat , der nicht betroffen ist. Also das ärgert mich dann auch
wieder, also dafür ist er Schauspieler, dass er einen Behinderten spielt. Da muss ich
jetzt nicht einen Behinderten extra nehmen, also dafür ist er Schauspieler. Also die
Diskussion ärgert mich auch so ein bisschen. Weil das kenne ich von Betroffenen, die
dann sagen: Warum macht das nicht ein Betroffener? Von der Sache her ist da noch
eine Menge zu tun, aber das waren so Ansätze, wo es nicht schlecht war, wo es schon
mal funktioniert hat.
Natalie Putsche:
Haben Sie gerade eine neue Idee, die Ihnen im Kopf rumschwirrt für einen Cartoon?
Phil Hubbe:
Es war vorhin eine Meldung im Internet, dass, in Amerika glaube ich, ein Gehörloser
erschossen wurde, bei einer Autostreife. Da kam mir der Gedanke, das klingt ein
bisschen makaber, der hat denn Schuss nicht kommen hören. Das habe ich dann so mir
aufgeschrieben und versuche vielleicht was draus zu machen jetzt. Also es ist eine reale
Meldung, das ist schon sehr makaber diese Angelegenheit, aber trotzdem, weil die so
abstrus klingt oder zumindest eine Vorlage ist, die lässt man nicht einfach liegen, die
muss man irgendwie umsetzen und verarbeiten.
Natalie Putsche:
Okay, Phil Hubbe, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.
Phil Hubbe:
Ich danke auch.
Mit Behinderungen ist zu rechnen. Witze über eine Randgruppe und warum sie sich der
Zeichner Phil Hubbe erlauben kann. Das Gespräch führte Natalie Putsche.