handelsagenten.at NR. 4 | DEZEMBER 2016 VOM BLINDFLUG ZUM SICHTFLUG TEIL 4 DER SERIE KENNZAHLEN ALS RÜSTZEUG Die richtige Provision: Was Handelsagenten von ihrem wichtigsten Gewinntreiber wissen müssen (Fortsetzung von der letzten Ausgabe). Text: Dr. Andreas Paffhausen B eim Abschluss eines Handelsagentenvertrages wird meistens über die Höhe des Provisionssatzes nicht ernsthaft verhandelt. Oft genug wird von den vertretenen Unternehmen nur der „übliche Provisionssatz“ gewährt, wobei nicht bekannt ist, wie dieser Wert überhaupt errechnet wurde. Anstatt den Provisionssatz nur „Pi mal Daumen“ zu vereinbaren, sollte der Handelsagent sich die Zeit nehmen, sich ein paar Gedanken zur Provision zu machen und möglichst sorgfältig zu kalkulieren. Vor allem muss ihm klar sein, dass der Provisionssatz der wichtigste Gewinnbringer in seiner Handelsagentur ist. Kalkulationsgrundlage Der Handelsagent sollte beim Beginn seiner Tätigkeit festlegen, wie die aktuellen und potenziellen Kunden verkäuferisch betreut werden sollen. Dies ist die Basis für den Einsatz aller Marketinginstrumente. Dabei ist es unbedingt notwendig, dass die Wünsche und Anforderungen des vertretenen Unternehmens einbezogen werden. Bestimmt werden muss sowohl die Breite als auch die Tiefe der Verkaufsarbeit: UMFANG DER VERKAUFSARBEIT KUNDEN (nach Zahl und Klasse) TÄTIGKEITEN (nach Art und Umfang) BESUCHSHÄUFIGKEIT ARBEITSKAPAZITÄTEN 16 In der Breite der Marktbearbeitung wird festgelegt, welche Kunden überhaupt in die Betreuung durch die Handelsagentur einbezogen werden. Zu erfassen ist also, wie viele Kunden bereits im Bezirk vorhanden sind. Auch die Zahl der zu bearbeitenden potenziellen Kunden sollte zumindest annähernd genau festgelegt werden. Es empfiehlt sich dabei, die Kunden in Klassen einzuteilen, um die Bedeutung und den Betreuungsaufwand besser festlegen zu können. Häufig verschlingen viele kleine Kunden, mit denen nur ein geringer Teil des Gesamtumsatzes getätigt wird, einen Großteil des gesamten Besuchs- und Betreuungsaufwandes. Man kann so vorgehen, dass alle Kunden nach Maßgabe der Höhe ihrer Umsätze bzw. Umsatzerwartungen in eine Reihenfolge gebracht werden. Danach bildet man drei Kundenklassen, indem beispielsweise die ersten 10 % der Kunden (die größeren Kunden also) der Klasse A, die nächsten 20 % (die mittleren Kunden) der Klasse B und die restlichen 70 % (Kleinkunden) der Klasse C zugeordnet werden. In der Tiefe der Marktbearbeitung legt die Handelsagentur dann den Umfang ihrer Tätigkeit fest, den sie für die einzelnen Kunden erbringen kann bzw. erbringen möchte. Auch hier muss die Frage geklärt werden, wie intensiv die Betreuung der derzeit nicht kaufenden Kunden sein soll. Insbesondere müssen sich die Handelsagentur und das vertretene Unternehmen darüber im Klaren sein, welche Aufgaben, die über die normale Vertriebstätigkeit hinausgehen, getätigt werden sollen, beispielsweise Reparaturdienste, Teilnahme an Messen, Durchführung spezieller Befragungen, Regalpflege, Reklamationsbearbeitung oder Personalschulung. Mit der Festlegung der Anzahl der Kunden und des Betreuungsaufwandes lassen sich die Besuchshäufigkeiten ermitteln. Aus den jährlichen Besuchshäufigkeiten wiederum ergeben sich die Arbeitskapazitäten, die durch die neue Vertretung gebunden sind. Richtschnur ist dabei die Tagesleistung einer Vertriebskraft, beispielsweise vier bis sechs Besuche pro Tag. Die Kapazität der Marktbearbeitung für ein bestimmtes vertretenes Unternehmen muss im Zusammenhang mit allen weiteren vertretenen Unternehmen gesehen werden, die mit der Handelsagentur zusammenarbeiten. Da die Handelsagentur meistens mehrere Unternehmen vertritt, wird ein beachtlicher Teil der zu besuchenden Kunden für mehrere vertretene Unternehmen angesprochen. Dadurch lassen sich die Kosten pro Besuch auf mehrere Schultern verteilen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass auch im Innendienst einer Handelsagentur Tätigkeiten anfallen. Auch diese Personalkapazität ist zusätzlich zu der Außendienstkapazität zu beachten. (siehe Tabelle auf Seite 18.) Kosten als Berechnungsbasis Wenn die Handelsagentur ihr Leistungsangebot und die dafür benötigte Arbeitskapazität festgelegt hat, sind gleichzeitig auch die Kostenarten und -höhe bestimmt, beispielsweise für Personal oder Reisekosten. Jedem Gespräch mit vertretenen Unternehmen über die Höhe des Provisionssatzes müssen daher Berechnungen über die Höhe der Kosten vorausgehen. Das folgende Beispiel zeigt die Durchschnittskosten einer Handelsagentur. Die angegebenen Prozentzahlen der betriebswirtschaftlichen Kosten beziehen sich auf die Provisionseinnahmen, und zwar der Handelsagenturen mit jährlichen Provisionseinnahmen von 150.000 bis 200.000 Euro. handelsagenten.at NR. 4 | DEZEMBER 2016 DURCHSCHNITTSKOSTEN EINER HANDELSAGENTUR (Betriebe mit Provisionseinnahmen von € 150.000 bis € 200.000) in % der Provisionseinnahmen Beispielrechnung: Provisionseinnahmen in Höhe von € 175.000,- Personalkosten ohne Provisionen an selbständige Untervertreter und ohne Unternehmerlohn 34,8 60.900,- Kalkulatorischer Unternehmerlohn 22,9 40.075,- Betriebswirtschaftliche Kosten Kraftfahrzeugkosten 6,7 11.725,- Raumkosten 6,9 12.075,- Sonstige Kosten 22,5 39.375,- Betriebswirtschaftliche Gesamtkosten 93,8 164.150,- 6,2 10.850,- Betriebswirtschaftliches Betriebsergebnis gleichen Kosten für Personal, Reise, Verwaltung usw. verursachen. Ferner wird unterstellt, dass die bestehenden Kapazitäten ausreichend sind, um eine weitere Vertretung übernehmen zu können. Damit nun alle Kosten für diese Vertretung gedeckt sind (noch kein Gewinn!), sind folgende Warenumsätze und somit folgende Provisionssätze erforderlich: ERMITTLUNG DES PROVISIONSSATZES KOSTENSATZ PRO TAG VON € 223,84 X 220 ARBEITSTAGE = GESAMTKOSTEN VON € 49.244,80 Ermittlung des Provisionssatzes Auf der Grundlage dieser Durchschnittskosten lassen sich zunächst die Kosten für einen Arbeitstag und einen Kundenbesuch errechnen. Wenn also die Gesamtkosten – wie in der Beispielrechnung dargestellt – in einer Handelsagentur 164.150 Euro betragen bei Bruttoprovisionseinnahmen von 175.000 Euro, dann kosten: Vorstellungen über die Zahl der Kunden und der Kundenbesuche sowie über die zu entrichtenden Tätigkeiten zu haben, wie es bereits beschrieben worden ist. Eine andere Möglichkeit, um zu einer Kalkulationsbasis zu kommen, besteht darin, über einen gewissen Zeitraum die Zahl der Kundenbesuche für jedes einzelne vertretene Unternehmen auf- BERECHNUNG DER KOSTEN FÜR EINEN ARBEITSTAG UND EINEN KUNDENBESUCH ein Arbeitstag wenn jährlich zur Verfügung stehen ein Kundenbesuch bei 3 Besuchen pro Tag bei 5 Besuchen pro Tag € 227,99 € 136,79 240 Arbeitstage € 683,96 220 Arbeitstage € 746,14 € 248,71 € 149,23 200 Arbeitstage € 820,75 € 273,58 € 164,15 Zu beachten ist hierbei, dass es sich um eine Vollkostenrechnung handelt, das heißt, alle Kosten einer Handelsagentur sind einbezogen. Nicht berücksichtigt ist ein Gewinnzuschlag, der jedoch bei einer individuellen Berechnung unbedingt in angemessener Weise einzubeziehen ist. Für die Berechnung oder die Nachkalkulation eines Provisionssatzes muss der Handelsagent ermitteln, wie viel Zeit seine Tätigkeit oder die seiner Mitarbeiter für die jeweils vertretenen Unternehmen durchschnittlich in Anspruch nimmt. Dafür dürfte es ausreichen, den Arbeitsanfall (Innendienst- und Außendiensttätigkeiten) über einen gewissen Zeitraum zu ermitteln. Bei einer neuen Vertretung kann die zeitliche Belastung natürlich nur geschätzt werden. Hierbei ist es wichtig, genaue zuzeichnen. Durch Multiplikation der Anzahl der Besuche mit den Kosten pro Besuch (siehe Werte in der Beispielrechnung) ergibt sich die Höhe der für jedes vertretene Unternehmen aufgewendeten Gesamtkosten. Beispiel: Wie man nun den richtigen Provisionssatz findet, soll an der folgenden Beispielrechnung gezeigt werden: Ein Arbeitstag in unserer Beispiel-Handelsagentur kostet bei 220 zur Verfügung stehenden Arbeitstagen 746,14 Euro, die Tätigkeit für eine neue Vertretung nimmt schätzungsweise 30 % der Arbeitszeit in Anspruch. Dies ergibt einen Kostensatz pro Tag von 223,84 Euro (746,14 x 30 %). Dieser Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass alle Vertretungen die DIESE ENTSPRECHEN bei einem Provisionssatz von bei einem Warenumsatz von 1% € 4.924.480,00 2% € 2.462.240,00 3% € 1.641.493,30 4% € 1.231.120,00 5% € 984.896,00 6% € 820.746,66 7% € 703.497,14 8% € 615.560,00 9% € 547.164,44 10 % € 492.448,00 Die Beispielrechnung zeigt nun: Um die jährlichen Gesamtkosten in Höhe von 49.244,80 Euro, die für diese Vertretung anfallen, decken zu können, ist beispielsweise ein Provisionssatz von 3 % erforderlich, wenn ein vermittelter Warenumsatz von rund 1,6 Mio. Euro erwartet werden kann. Auch wenn die hier zugrunde liegenden Kosten nur sehr grob ermittelt worden sind, so geben die Ergebnisse gute Näherungswerte, die zeigen, welche Warenumsätze bei den verschiedenen Provisionssätzen getätigt werden müssen bzw. welche Provisionssätze vereinbart werden müssen, um bei einer geschätzten Umsatzgröße zu einer Kostendeckung zu kommen. Fazit Der Preis für die Tätigkeiten der Handelsagenturen ist überwiegend die Provision. Zu Beginn einer Zusammenarbeit zwi17 handelsagenten.at NR. 4 | DEZEMBER 2016 ERMITTLUNG DER MARKTBEARBEITUNGSKAPAZITÄT FÜR EINE VERTRETUNG Anzahl Besuche je Kunde pro Jahr Kundenbesuch insgesamt pro Jahr bestehende Kunden: • A-Kunden • B-Kunden • C-Kunden potentielle Kunden: • A-Kunden • B-Kunden • C-Kunden SUMME Gesamtzahl der Besuche pro Jahr Zahl der möglichen Besuche pro Tag = Tage (Arbeitstage im Außendienst) abzüglich Zeiteinsparung, da Kunden bereits wegen anderer Vertretung besucht werden./. Tage zuzüglich geschätzte Zeit für Sonderaufgaben außerhalb der normalen Kundenbetreuung + Tage gebundene Arbeitskapazität für vertretenes Unternehmen = Tage schen einer Handelsagentur und einem vertretenen Unternehmen wird über die Höhe des Provisionssatzes sehr häufig nicht ernsthaft verhandelt, sondern der „übliche Provisionssatz“ vereinbart. Als Dienstleister im Vertrieb müssen jedoch auch die Handelsagenturen einen Preis für ihre Leistungen kalkulieren, der sich sowohl an den eigenen Kosten als auch an den Marktgegebenheiten orientiert. Eine solche Kalkulation und die Vereinbarung eines individuellen Provisionssatzes sind von großer Bedeutung, da hier der wichtigste Gewinnhebel in einer Handelsagentur liegt. 18 Dr. Andreas PAFFHAUSEN berlinz consulting UG Diplom-Kaufmann, war Dozent an verschiedenen deutschen Hochschulen und viele Jahre Hauptgeschäftsführer der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) in Berlin. [email protected] www.berlinz-consulting.de
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