Adieu chichte Eine Kurzges hneiter c von Gianni S Seit Jahren bin ich daran, eine neue und bessere Welt aufzubauen. Mein Werk ist bald vollendet. Ich danke dem Hausmeister, dass er mir den Hinterhof zu Verfügung gestellt hat. Ich danke dem Filialleiter des Do-it-yourself-Ladens für die fachliche Beratung und insbesondere für den geschenkten Kübel Fugenkitt. Ich danke dem Herrgott, dass er mit dem grossen Regen zugewartet hat, bis mein Schiff fertig war, und ich zur Vernissage einladen konnte. Alle waren beeindruckt. In der Zeitung kam ein ganzseitiger Artikel mit Fotos, den ich am nächsten Tag an den Hauptmast bostichte. Es ärgert mich zwar, dass der Filialleiter darin als Hauptsponsor hingestellt wurde, obwohl ich mindestens achtundvierzig Monatsrechnungen pünktlich bezahlt habe. Auch der Hausmeister wurde für seine Toleranz gelobt, er heisst übrigens Tobler. Der Begriff der «Toblerscher Hinterhof-Belebung» wurde geboren. Und mir attestierte man eine zwar paranoide Kunstauffassung, aber immerhin beachtliche Bastelkenntnisse. Nach vier ununterbrochenen Regentagen begann ich mir über die Besatzung und Ladung ernsthafte Gedanken zu machen. Die biblischen Fehler wollte ich keinesfalls wiederholen. Stechmücken, Ameisen, Giftschlangen oder auch höhere Tierarten wie Giraffen hatten auf meinem Kahn nichts verloren, da ich keinen zoologischen Garten, sondern eine neue Welt eröffnen wollte. Erst jetzt fiel mir auf, wie wenig Übung ich darin hatte. Was musste hinübergerettet werden? Die Qual der Wahl machte mich fast wahnsinnig. Ich lag ausgestreckt auf dem Achterdeck und versuchte mich trotz des Verkehrslärms zu konzentrieren. Was würden wir in der neuen Welt brauchen? Ein bisschen Kant oder eher die Gebrüder Grimm? Die Formeln des Pythagoras? Etwas Uran für alle Fälle? Die Bibel eher nicht, das ging schon mal schief. Sicher einige Rebstöcke und Schafe, darauf kann man aufbauen. Inzwischen wurden die Wetterprognosen nur noch einmal täglich ausgestrahlt, um eine grössere Unzufriedenheit zu verhindern. Die Sprecher variierten dezent zwischen weiteren Niederschlägen möglich und anhaltender feuchter Witterung, sodass mir für längere Grübeleien wenig Zeit blieb. Ich schickte eine Einladung an die Abschlussklasse des Mädchengymnasium. Als Schiffskoch engagierte ich Christian Etienne, der im Bug einen wohlriechenden Kräutergarten anpflanzte. Wir hieften unterwegs einen Jazz-Pianisten über die Reeling, der auf seinem Flügel trieb, einen alternden Clown, der nicht mehr schwimmen wollte, eine Wahrsagerin, die es vorausgesehen hatte, einen Schachspieler, einen Dokumentarfilmer, dem das Wasser schon sechzehn Millimeter bis zum Hals stand. Wer keinen guten Witz wusste, musste wieder von Bord. Langweiler konnten wir in der neuen Welt nicht brauchen, keine Pessimisten, keine Regengesichter. Wir waren eine fröhliche Crew, die einfach die Angst vor Kriegen, Politikern, Einzahlungsscheinen und Stechmücken vergessen wollte. Alles Leute, die schon früher an jene Insel zwischen vielleicht und wahrscheinlich geglaubt hatten, lange bevor die Mieten in den oberen Stockwerken stiegen. Irgendwie waren wir darauf vorbereitet, als das Boot langsam Boden verlor. Es knarrte in den Balken und einen Moment fragte ich mich, ob ich nicht doch besser rostfreie Schrauben genommen hätte. Es war ein Stapellauf der Fantasie und Hoffnung. Wir setzten keine Segel, da wir nicht wussten wohin. Die Vergangenheit versank. Um den Kirchturm tanzten Delphine. Der Uhrzeiger hüpfte nochmals drei Minuten vorwärts, zwei zurück wie immer. Dann verschwand alles in der unendlich grauen Sauce. Um die Leute da unten machte ich mir wenig Sorgen. Sie waren so anpassungsfähig, dass ihnen Kiemen wuchsen. Unser Pianist spielte zum vierten Mal sein Repertoire. Ich steckte diese Aufzeichnungen in die erste leere Weinflasche und warf sie in den endlosen Wasserspiegel. Eines Tages wird ein fröhliches Strandvolk unsere Geschichte lesen, Blumenschmuck und Drinks für uns vorbereiten.
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