Feten beim Wachsen zugucken

TECHNIK
VIRTUELLE REALITÄT
Feten beim Wachsen zugucken
Ein Blick durch eine Virtual-Reality-Brille ergibt ein dreidimensionales Bild des
ungeborenen Lebens. Fehlbildungen könnten so besser bewertet werden.
chon bald könnten werdende
Eltern ihr ungeborenes Kind
bei der Entwicklung im Mutterleib beobachten. Dafür wandelt eine neue Technologie Magnetresonanztomographie- (MRT-) und Ultraschall-Daten in ein virtuelles
3-D-Erlebnis um. Die aktuelle Forschungsarbeiten dazu sowie Bilder
Brille, ein Smartphone, ein 3-D-Ultraschall- und MRT-Gerät.
„Das neue Modell könnte unser Verständnis der anatomischen
Charakteristika des Fetus verbessern, in der Ausbildung zum Einsatz kommen oder Eltern einen Einblick gewähren”, sagt Werner. Der
Arzt erhält zudem eine detaillierte
„Vergleichbare Techniken gibt es
in der Neuronavigation, die ebenfalls
in 3-D und virtuell abläuft”, ergänzt
Professor Dr. med. Stefan Knecht,
Vorstandsmitglied der Deutschen
Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung. Trotzdem sei das beschriebene Projekt qualitativ anders. Denn
präsentierten die Entwickler beim
Annual Meeting of the Radiological
Society of North America (RSNA).
Immer dann, wenn Ultraschall
kein ausreichend gutes Bild des Fetus liefert, können Ärzte auf MRT
zurückgreifen. Diese Technik ermöglicht eine hochaufgelöste und
kontrastreiche Bildgebung. Basierend auf MRT haben Forscher
aus Brasilien jetzt Virtual-Reality3-D-Modelle des Fetus im Mutterleib rekonstruiert. Die Konstruktion
sei mit einem gewissen Aufwand
verbunden, was in einigen Fällen
mehrere Stunden in Anspruch nehmen könne, schätzt der Koautor Dr.
Heron Werner Jr. vom Clínica de
Diagnóstico por Imagem in Rio
de Janeiro. Zudem benötige der
Arzt die entsprechende Ausstattung: Eine Virtual-Reality- (VR-)
Ansicht des Atmungstraktes und
könnte Fehlbildung leichter bewerten. Bisher haben die Forscher die
neue Technik bei 22 Feten einer
Klinik in Rio de Janeiro angewendet, von denen zehn eine Fehlbildung hatten. Darunter waren Kinder mit Zwerchfellhernien oder Tumoren, aber auch Zwillinge, Drillinge und Vierlinge.
es stelle ungeborenes Leben dar. Die
Gruppe um Werner hat auch bereits entsprechende nicht virtuelle,
also konkrete Darstellungen per
3-D-Drucker hergestellt, die in Radiologia Brasileira publiziert wurden. „Das hat für viele Menschen
sicherlich etwas Schauriges“, vermutet der Neurologe von der St.
Mauritius Therapieklinik in Meerbusch. Der medizinische Mehrwert
sei aber gegeben, wenn auch in begrenztem Maße, schätzt Knecht.
Werner beschreibt den Nutzen der
aktuellen Forschung wie folgt:
„Wir gehen davon aus, dass
3-D-Bilder die Diskussion zwischen verschiedenen Fachdisziplinen über einige Krankheitsbilder
unterstützen und sie dabei helfen,
▄
Fehlbildungen zu bewerten.“
Fotos: Radiological Society of North America 2016
S
Virtuelles 3-DModell eines
Fetus im Alter von
12 und 26 Wochen,
sowie ein Close-up
des 26 Wochen
alten Fetus.
A 2384
Medizinischer Mehrwert in
Grenzen gegeben
Die Betrachter bestimmen selbst
durch Bewegungen des Kopfes,
welchen Teil des Fetus sie aus welcher Perspektive ins Visier nehmen möchten. Über eine VR-Brille tauchen sie in eine neue Umgebung ein, die dank des Ultraschalls
vom Herzschlag des Ungeborenen
begleitet wird.
Kathrin Gießelmann
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016