Vorlesung Lexikologie, FS 2006/7 (Pethő Gergely) Thema 10: Fachwortschätze und Terminologien 1. Gliederung des Wortschatzes Der Wortschatz ist kein einheitliches, homogenes, zusammenhängendes Ganzes, sondern gliedert sich nach verschiedenen Gesichtspunkten in mehrere Bereiche. Den Kern des Wortschatzes bildet der Grundwortschatz. Diese Wörter sind: - allgemein in der Alltagssprache gebräuchlich - allen Sprechern der Sprache normalerweise bekannt - ändern sich in ihrer Form und ihrer Bedeutung während einer Sprechergeneration nicht oder nur geringfügig. Zum Grundwortschatz gehören sowohl primäre (nicht motivierte) (z.B. Suppe, gehen) als auch sekundäre (motivierte) Wörter (z.B. Flugzeug, Lehrer). Andere Bereiche des Wortschatzes verfügen über verschiedene spezielle Eigenschaften: - nicht allen Sprechern bekannt, sondern nur bestimmten Gruppen - haben sich während der letzten Generationen geändert (z.B. sind erst vor kurzem Teil des Wortschatzes geworden oder werden heute nicht mehr oder nur sehr selten verwendet). Varianten der Sprache, die nur bestimmten Sprechergruppen bekannt sind: a) Fachsprachen: Varianten der Sprache, die zur eindeutigen Kommunikation unter Fachleuten eines Fachgebietes (z.B. eines handwerklichen Berufs oder einer Wissenschaft) dienen. b) Sprachen von sozialen Gruppen bzw. Randgruppen: - Freizeit- und Interessengruppen (z.B. Sportgruppen, Computerspieler, Briefmarkensammler) - Religionsgemeinschaften - politische Parteien und sonstige Gruppierungen - nach Lebensalter bestimmbare Gruppen (vor allem Kinder bzw. Jugendliche) - Randgruppen (von der Gesellschaft allgemein abgelehnte, negativ bewertete Gruppen, z.B. Verbrecher, Hippies, Prostituierte, Skinheads) c) Regionalsprachen und Dialekte (geographisch bestimmbar) 2. Fachwortschätze Fachsprachen besitzen zum Teil grammatische Besonderheiten (z.B. Syntax von juristischen bzw. Gesetzestexten) und besondere Textstrukturen (z.B. Fachtextsorten wie Werkvertrag, Mietvertrag, Unfallbericht, wissenschaftlicher Aufsatz). Sie lassen sich aber vor allem aufgrund ihrer fachspezifischen Lexik, ihres Fachwortschatzes charakterisieren. Ein Fachwortschatz enthält verschiedene Typen von Fachwörtern. 2.1. Termini Im Zentrum von Fachwortschätzen stehen die Termini. Sie ergeben die Terminologie des jeweiligen Fach- bzw. Wissenschaftsgebietes. Termini sind idealerweise exakt definiert und zeichnen sich so durch Eindeutigkeit und Genauigkeit aus. Durch die Definiertheit ist die Bedeutung bzw. der Referenzbereich von Termini (im Gegensatz anderen Lexemen) exakt festgelegt. Die Terminologie einer Wissenschaft bildet ein System: Bedeutung (Wert) eines Terminus ist nur im Rahmen des jeweiligen terminologischen Systems bestimmbar. Um einen Terminus verstehen zu können, muss man das begriffliche (konzeptuelle) Netzwerk des jeweiligen Fachbereichs kennen. Beispiel 1: Allomorph (ein Terminus der Morphologie) kann nur im Verhältnis zu anderen einschlägigen Termini (Morphem, Morph, Alternation, Distribution usw.) verstanden werden. Beispiel 2: Interferenz (ein Terminus der Physik) Bezeichnet die Überlagerung von zwei oder mehr Wellen nach dem Superpositionsprinzip (also durch Addition der Amplituden). Für das Verständnis dieses Begriffs ist es notwendig, die physikalischen Termini bzw. Begriffe der Superposition, (d.h. der vektorialen Addition von Kräften), der Welle, der Amplitude usw. zu kennen. Termini müssen stilistisch neutral sein, sie dürfen keine konnotativen Merkmale tragen. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Termini sehr oft aus dem Lateinischen oder dem (Alt)griechischen stammen. Native deutsche Wörter haben nämlich in ihrer Alltagsverwendung oft eine stilistische, emotionale Ladung. Beispiel: Sprachwandel (ein Terminus der historischen Sprachwissenschaft) wird heute statt dem Ausdruck Sprachentwicklung benutzt, weil letzteres in der Alltagsprache „Wachstum, positive Veränderung“, d.h. (positive) Werturteile impliziert: die Sprache der Wissenschaften muss neutral sein, darf keine Werturteile ausdrücken. Trotzdem ist die Terminologisierung von Wörtern aus dem nicht fachsprachlichen Bereich (durch Definition) sehr verbreitet. Beispiel: Alltagssprachliche Ausdrücke werden in der Rechtssprache in einer besonderen, vereinbarten, vorgeschriebenen Bedeutung verwendet, z.B. Bestimmung, Regel, Vorschrift, zulässig, gewährleisten, verboten, vorgeschrieben, verpflichtet, wirksam, maßgebend, berechtigt und viele mehr. Viele von diesen werden in offiziellen juristischen Texten (z.B. Gesetzestexten) definiert, z.B. „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt“ (BGB). Umgekehrt kommt auch die Entterminologisierung von Termini vor: Termini verlieren ihren terminologischen Charakter bzw. gehen in den nicht fachsprachlichen Bereich über. Beispiel: der Terminus Dialekt war ursprünglich ein fachsprachliches Wort, das dem „Alltagswort“ Mundart gegenüberstand. Heute ist das Wort Mundart fast verschwunden und wurde auch in der Alltagssprache durch Dialekt ersetzt. – Der Terminus Dialekt ist entterminologisiert worden. 2.2. Halbtermini Halbtermini sind zwar eindeutig fachspezifisch, doch sind sie nicht bzw. nicht so exakt definiert, wie die Termini. Die Fachwortschätze der Geisteswissenschaften enthalten besonders viele Halbtermini, z.B. Wortart, Rektion, Prädikat usw. aus der Sprachwissenschaft oder Gattung, Roman, Novelle, Epik, Lyrik aus der Literaturwissenschaft. 2.3. Fachjargonismen Jede Fachsprache verfügt über Fachjargonismen, die fachspezifisch sind oder zumindest keinen alltagssprachlichen Charakter haben, doch keine Elemente des terminologischen Systems sind, und auch nicht definiert verwendet werden, z.B. prototypisch, falsifizieren, extralinguistisch, systemintern, Frequenz (’Häufig-keit’) usw. in der Sprachwissenschaft. Fachjargonismen lassen sich im Prinzip durch nicht fachsprachliche Wörter ersetzen. Alle drei Schichten von Fachwortschätzen haben eine wissenschaftssoziologische Funktion: ihre Kenntnis und Verwendung ist in der Regel die Voraussetzung für die Akzeptanz innerhalb einer Fach- bzw. wissenschaftlichen Gemeinschaft. Fachsprachen symbolisieren Gruppenzugehörigkeit.
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