Leseprobe zum Titel: DER SPIEGEL Nr. 52/2016

Ausland
Terror 48 Stunden, die das Land verändern –
Botschaftermord in Ankara stärkt Putin /
Hunderttausende junge Migranten
in den USA fürchten die Deportation
84
Irak Der Angriff auf den IS
in Mossul stockt – Reportage aus einer
Erste-Hilfe-Station
86
Nahost Wie der britische Abenteurer
Thomas Edward Lawrence vor 100 Jahren
den Nahen Osten umgestaltete
90
Justiz SPIEGEL-Gespräch mit Fatou Bensouda,
der Chefanklägerin des Weltstrafgerichts,
über die Schwierigkeit, Kriegsverbrechen
zu ahnden
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Essay Der Autor Beppe Severgnini erklärt,
warum Italiener Krisen gelassen meistern 102
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Deutschland
Leitartikel Der Preis der Freiheit
Meinung Kolumne: Der schwarze Kanal /
12
So gesehen: Orientalische Hausmannskost
Gabriel bremst Rüstungsexport an NatoPartner / Pflegebedürftige mit
Psychopharmaka ruhiggestellt /
Bundesbank lässt Nazivergangenheit
untersuchen
Außenpolitik Was Kanzlerin
Angela Merkel vom künftigen
US-PräsidentenDonald Trump hält
Verteidigung Nato-General
Ben Hodges warnt vor
dem Expansionsstreben Moskaus
EU Ein Deutscher hat es zum bestgehassten
Beamten Brüssels gebracht
Internet Wie Innenminister Thomas de
Maizière gegen Falschnachrichten
bei Facebook und Co. vorgehen will
Justiz Warum ein pauschales Verbot
sogenannter Kinderehen falsch wäre
Familie Mütter propagieren eine
Extremform der natürlichen Geburt –
ohne Arzt oder Hebamme
Finanzen Wird Deutschlands erfolgreichstes
Steuerfahnderteam zerschlagen?
Essay Zu viel Aufregung, zu wenig
Aufklärung
14
Sport
40
Konkurrenz für König Fußball / Magische
Momente: der ehemalige Skispringer
Sven Hannawald über die Gefühle bei
seinem größten Triumph
105
Doping Der Jurist Travis Tygart
im SPIEGEL-Gespräch über den Betrug
Russlands und die Heuchelei des IOC
106
Football Leaks Staatsanwälte ermitteln
gegen Fußballstars
110
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Wissenschaft
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46
48
52
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Gesellschaft
Früher war alles schlechter: Wie
viele weiße Weihnachten
hat es seit 1950 gegeben?
Eine Meldung und ihre Geschichte Eine
Braut wird von ihrem
toten Vater zum Altar geführt
Pflege Ein Platz im Altenheim ist teuer –
viele deutsche Senioren werden
deshalb in osteuropäischen Pflegeheimen
untergebracht
Homestory Was ein Familienvater
mit dem Gehalt von
Özil und Ronaldo zu tun hat
Warum die Entwicklungshilfe auf
Frauen setzt / Können Computer wie
Künstler komponieren? /
Einwurf: Schöner schenken
Psychologie Ein Lehrer hat ihn jahrelang
vergewaltigt, als er klein war – ohne
die Musik wäre der Pianist James Rhodes
daran zerbrochen
Klimawandel In der Arktis schmilzt das
Eis – beschleunigt sich die Erderwärmung?
Tiere Böser Wolf, guter Wolf – Schäfer
fordern einen härteren Umgang mit dem
Liebling der Naturschützer
57
58
66
Wirtschaft
Deutsche Bank und Exmanager im
Dauerstreit / Wie viel die Welt
für Weihnachten ausgibt / Hilft politisches
Chaos der Börse?
68
Stress Wenn Manager meditieren –
die Innerlichkeitsmode der Achtsamkeit
70
Einzelhandel Tengelmann-Eigner
Karl-Erivan Haub beschreibt im SPIEGELGespräch den schwierigen Verkauf
seiner Supermarktkette
76
Konzerne Der Abstieg von Air Berlin eröffnet
neue Chancen für Lufthansa
80
Computerspiele Warum Nintendo vor allem
mit Retrospielen begeistert
82
Wolfgang Petersens „Vier gegen die Bank“
im Kino / Mel Gibsons Comeback /
Kolumne: Besser weiß ich es nicht
Architektur Ein Bau, den es eigentlich
gar nicht geben dürfte – die
Hamburger Elbphilharmonie steht kurz
vor der Eröffnung
Genuss Der britische Starkoch Nigel Slater
redet im SPIEGEL-Gespräch über
die Ernährungshysterie unserer Zeit
und Fehler beim Weihnachtsmenü
Comic-Kritik „Charlie Hebdo“-Zeichnerin
Catherine Meurisse erzählt,
wie sie den Schock nach dem Attentat
überwunden hat
Bestseller
Impressum
Leserservice
Nachrufe
Personalien
Briefe
Hohlspiegel / Rückspiegel
Er war fasziniert vom Orient
und den Menschen – ein britischer Archäologe und tragischer Abenteurer. Erst stiftete
er die Araber an zum Aufstand gegen das Osmanische
Reich, dann musste er sie verraten und opfern. Seite 90
112
114
Fatou Bensouda
118
Sie schaut als Chefanklägerin
des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag in
menschliche Abgründe, klärt
Kriegsverbrechen auf und
bringt Tyrannen hinter Gitter.
Doch die Weltjustiz steht
unter Druck. Seite 98
120
Kultur
56
Lawrence von Arabien
122
124
ANDREA ARTZ / DER SPIEGEL
eine Rekonstruktion des
Anschlags von Berlin
Einwurf Warum wir auf den Terror
ganz kühl reagieren sollten
Islamisten Wie die Behörden im
Umgang mit dem Gefährder
und Verdächtigen Anis Amri versagten
Essay Die neue Übersichtlichkeit
in Zeiten von Islamismus und
Rechtspopulismus
PETER ARNO BROER / DER SPIEGEL
Titel
ROBERT HUNT LIBRARY / INTERFOTO
In diesem Heft
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Wegweiser für Informanten: www.spiegel.de/investigativ
Nigel Slater
Er ist der Erzähler der Küche,
der Literat unter den Kochbuchautoren, berühmt in
Großbritannien. Doch die aufgeregte Debatte um richtige
oder falsche Ernährung lässt
ihn kalt: Essen sollte wie ein
guter Freund sein. Seite 132
DER SPIEGEL 52 / 2016
11
Das deutsche Nachrichten-Magazin
Leitartikel
Kein feste Burg
Warum Deutschland ein offenes Land bleiben muss
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DER SPIEGEL 52 / 2016
schafft sich dann die Gelegenheit, auch wenn dafür ein
paar Männer über Monate lernen müssen, Großraumflugzeuge zu steuern, wie im Jahr 2001 in den USA.
Es war schon immer so: Je höher die Mauern einer
Festung, desto stärker regen sie Fantasien an, sie zu
überwinden. Totale Sicherheit ist weder möglich noch
erträglich.
Das Konzept für eine Demokratie muss gewünschte
Sicherheit heißen. Welches Maß an Sicherheit wünscht
eine Gesellschaft? Wie wird dieses Bedürfnis austariert
mit anderen Faktoren, die ihm widersprechen können, mit
den Freiheiten, mit den Werten, mit dem Lebensgefühl?
Das Leben in der Festung war schon früher wenig erfreulich. Hohe Mauern nahmen das Gefühl der Freiheit.
Heute sind es Sicherheitsgesetze oder Grenzzäune, die
einem liberal denkenden
Menschen Unbehagen bereiten. Als solcher wünscht man
eher Offenheit, Durchlässigkeit. Wäre es nicht seltsam, in
Städten zu leben, in denen
die Plätze und Boulevards
komplett verpollert sind, um
Lastwagen fernzuhalten, die
von Terroristen oder Irren gesteuert werden?
Freiheit hat einen Preis,
weil sie den Raum der Möglichkeiten erweitert, auch der
schädlichen. Das weiß jeder,
der besondere Freiheiten
sucht, mit dem Motorrad, mit
dem Drachenflieger.
Für Gesellschaften gilt allerdings: Die Staaten, die am
meisten auf Sicherheit achten,
die dem Verfolgungswahn
am stärksten erliegen, sind in der Regel Diktaturen. Sie
haben auch ihre Toten, meistens mehr, viel mehr als
Demokratien, besonders im Stalinismus oder Nationalsozialismus. Insofern steigt mit den Freiheiten die Sicherheit der Bürger. Das heißt natürlich nicht, dass sich eine
Demokratie Kontrollverlust oder Staatsohnmacht erlauben dürfe. Da gab es Versäumnisse der Regierung Merkel,
aber deshalb ist sie nicht schuld an Attentaten oder
Übergriffen.
Die Suche nach der gewünschten Sicherheit ist eine
ewige Aufgabe. Sie braucht einen vernünftigen Diskurs,
und der ist in den Tagen nach der Tat offenbar unmöglich.
Wenn nach den Feiertagen alle (oder fast alle) zur Besinnung gekommen sind, sollte man das Lutherjahr mit
diesem Ansatz beginnen: Es geht gesellschaftlich nicht
um die feste Burg, es geht um ein offenes Land mit Wachtürmen an den richtigen Stellen.
Dirk Kurbjuweit
HANS CHRISTIAN PLAMBECK / LAIF
E
in feste Burg ist unser Gott“, hat Martin Luther geschrieben, „ein gute Wehr und Waffen.“ Es ist eine
Liedzeile, die vielen Deutschen zu diesem Weihnachtsfest einfallen dürfte, kurz nach dem Attentat von
Berlin, kurz vor dem Lutherjahr 2017. Die feste Burg, die
Festung, ein Ort höchster Sicherheit – jeder wünscht sich
das manchmal, spirituell, aber auch praktisch. Rückzug,
Abschottung, Einigelung. My home is my castle.
Der Festungsgedanke wurde in diesem Jahr vor allem
für die gesamte Gesellschaft diskutiert: Festung Deutschland, Festung Europa. Bollwerke schaffen, mit Gesetzen,
mit Mauern, mit Zäunen, nun auch verstärkt mit Pollern.
Der Gedanke liegt nahe: Poller am Breitscheidplatz in
Berlin, und zwölf Menschen, die nun tot sind und von
ihren Angehörigen vermisst
werden, würden leben, Dutzende andere nicht an ihren
Verletzungen leiden. Ist etwas
Böses geschehen, hat es an
Sicherheit gefehlt – das ist ein
tautologischer, also zweifelsfrei stimmiger Satz. Es gilt
aber nicht, dass totale Sicherheit herrschen muss, damit
nichts Böses geschieht.
Noch ehe klar war, wer
den Lastwagen gesteuert hat,
war vielen klar, was zu tun
sei. Die Zuwanderungs- und
Sicherheitspolitik neu ausrichten (Horst Seehofer, CSU)
und Merkel, die „Terrorkanzlerin“ (AfD), abwählen, weil
sie an solchen Attentaten
schuld sein soll. Das war zum
Teil widerlich, abstoßend, ein
Tiefpunkt des politischen Diskurses in der Bundesrepublik.
Es ist nicht geklärt, warum Martin Luther das Lied von
der festen Burg geschrieben hat. Es könnte sich auf die
Bauernkriege beziehen, aber auch auf eine drohende Invasion der Osmanen, von Muslimen also. Bis heute kommt
da manchem der Festungsgedanke, obwohl es sich nicht
um bewaffnete Heere handelt, sondern zum größten Teil
um notleidende Flüchtlinge. Männer, die vom IS geschickt
wurden oder vor ihren Taten mit dem IS im Kontakt standen, sind krasse Ausnahmen.
Der Terror, man kann es nicht oft genug sagen, entsteht
nicht durch die Flüchtlingsströme, er entsteht in den kranken Hirnen beim IS und anderen islamistischen Organisationen. Sie nutzen manchmal die Flüchtlingsströme für
ihre Zwecke, aber sie brauchen sie nicht. Es gilt nicht:
Gäbe es keine Flüchtlinge, gäbe es keinen Terror in
Europa. Für den Terror ist nicht die Gelegenheit entscheidend, sondern der unbedingte Wille zur Tat, und der