Markt und Mittelstand - Dezember/2016 Januar 2017

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Strategie und Personal
Antrieb von innen
Die Effizienz oder die Qualität der Produkte zu verbessern ist nicht nur Aufgabe
des Managements. Der Input von Mitarbeitern ist mindestens ebenso wertvoll.
Von Jens Kemle
FÜR EINE Kapazitätserhöhung reicht
es manchmal schon aus, genau hinzusehen. Uwe Suerbier, der als Dienstleister
im Drahtwerk Elisental W. Erdmann in
Neuenrade bei Dortmund arbeitet, fiel
auf, dass neben den Gestellen, in denen
die Drahtspulen geglüht werden, noch
ziemlich viel Platz im Ofen ungenutzt
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bleibt. Über das interne betriebliche Vorschlagswesen seines Arbeitgebers schlug
der 52-Jährige vor, die Gestelle leicht zu
verkürzen. Das Ergebnis: Statt der zwei
Gestelle mit 800 Kilogramm Spulen passen nun vier Gestelle mit insgesamt 1.600
Kilogramm in den Glühofen. Die Verdopplung der Glühkapazitäten war letztlich nur eine Frage von wenigen Zentimetern.
Es sind oft Kleinigkeiten, sie sich in der
Summe groß auswirken. Das Beispiel
der Drahtspulen zeigt auch: Für die besten Ideen braucht es meiste keine hochbezahlten Berater. „Gerade die eigenen Mitarbeiter kennen die Abläufe im
Unternehmen aus der täglichen Praxis
am besten und wissen, wo es hakt“, sagt
Hans-Dieter Schat, Wirtschaftswissenschaftler an der FOM Hochschule >>
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Strategie und Personal
>> für Oekonomie und Management in
Frankfurt am Main.
Mittelständler können diese Potentiale
mit einem betrieblichen Vorschlagswesen
(BVW) oder durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) heben
(siehe Kasten unten). Laut einer Studie
der IHK Kassel sind BVW- und KVPAnsätze im produzierenden Gewerbe am
weitesten verbreitet. „Rund 55 Prozent
der Industrieunternehmen betreiben
bereits ein Ideenmanagement“, schätzt
Michael Dietzsch vom Technologie
Transfer Netzwerk Hessen. Nachholbedarf sieht er noch in den Branchen Energieversorgung und Dienstleistungen.
Aus 29 werden 520 // Für den Gabelstapleranbaugeräte-Hersteller Meyer aus
Salzgitter, der mit rund 150 Mitarbeitern
Klein- und Einzelserien fertigt, standen
eine bessere Qualität und eine höhere
Kundenzufriedenheit im Fokus, als er
vor mehr als 15 Jahren ein strukturiertes
Ideenmanagement (IM) einführte. Die
Folge: Die Zahl der eingereichten Vorschläge schoss von zuvor 29 auf fast 520
im Topjahr 2006.
„Viermal im Jahr gibt es bei uns die
Möglichkeit, eine Prämie zu bekommen“,
sagt Andreas Wunsch, Leiter des Qualitätsmanagements bei Meyer. So landen
etwa alle Vorschläge des Jahres in einer
Weihnachtstombola. Die drei Gewinner
erhalten Prämien in Höhe von insgesamt
5.000 Euro. „Wenn wir durch den Vorschlag jährlich mehr als 2.500 Euro einsparen, bekommt der Einreicher zudem eine
Prämie in Höhe von 20 Prozent der Einsparung im ersten Jahr“, erklärt Wunsch.
Fünfstellige Einsparung // Ob BVW
oder KVP – in der Praxis kombinieren
die meisten Unternehmen die beiden
BVW oder KVP: Wo liegen die Unterschiede?
Betriebliches Vorschlagswesen (BVW)
>> Das Optimierungssystem beruht auf der freiwilligen Initiative der Mitarbeiter.
>> Verbesserungsvorschläge werden spontan geäußert und außerhalb der Arbeitszeit
entwickelt.
>> Die Ideen betreffen sowohl kleine wie auch große Verbesserungen, betriebsübergreifend über alle Abteilungen hinweg.
>> Die Einreichung und die Umsetzung der Vorschläge erfolgen unbürokratisch und
­transparent.
>> Gute Ideen werden mit Geldprämien honoriert.
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)
>> Teil des betrieblichen Qualitätsmanagements
>> Die Optimierungen betreffen vor allem technische Einrichtungen und den Arbeits­ablauf.
>> Die Verbesserungen erfolgen permanent in kleinen und kleinsten Schritten.
>> Der Ablauf ist vorgegeben und strukturiert und umfasst bis zu zwölf Einzelschritte.
Er wird vor der Umsetzung in Workshops erarbeitet.
>> Die Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen erfolgt in einzelnen Teams, die sich
auf ihre Abteilung beschränken.
>> Die Geschäftsleitung ermächtigt die Teams zur direkten Umsetzung der Ideen und
stellt dafür die notwendigen Ressourcen zur Verfügung.
>> In der Regel wirkt auch der Betriebsrat aktiv mit.
>> Gute Ideen werden mit wenigen Ausnahmen mit Prämien honoriert.
Quellen: Hans-Dieter Schat, Markt und Mittelstand
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Foto: Klauke Gruppe
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Daniela Karstens, Ideenmanagerin bei Klauke
Konzepte. „Entscheidend ist, dass das
Hinterfragen von Abläufen als wertvoll
angesehen wird – und nicht als Eingeständnis von Fehlern“, empfiehlt Christian Flick, Autor des Buches „Betriebliche Verbesserungsprojekte als Erfolgsfaktor im Mittelstand“. Darin listet er 123
Best-Practice-Beispiele auf, mit denen
sich Kosten senken oder die Effizienz
steigern lassen.
Ab einer Größe von etwa 100 Mitarbeitern oder mehreren Standorten ist
es sinnvoll, eine Software für das Einreichen und Bearbeiten der Verbesserungsvorschläge einzusetzen. „Wir sind
an drei Standorten tätig, da kann es vorkommen, dass eine Idee schon woanders
umgesetzt wurde“, sagt Daniela Karstens.
Per Computer verteilt die Ideenmanagerin bei dem Automobilzulieferer Klauke
in Remscheid die Vorschläge an die Leiter der verschiedenen Fachabteilungen,
die die Ideen dann begutachten.
ROI zeigt Wirksamkeit // „Anschließend findet ein persönliches Gespräch
mit dem Einreicher statt. Darin geht es
um die Gründe für die Nichtumsetzung
oder um die Realisierung und die Höhe
der Prämie“, erläutert Karstens das weitere Vorgehen. Im vergangenen Jahr
haben die rund 530 Klauke-Mitarbeiter
insgesamt 334 Vorschläge eingereicht.
Die 140 Mitarbeiter des Drahtwerks
Elisental in Neuenrade haben 2015 sogar
308 Vorschläge gemacht. Nichtrechenbare Vorschläge ohne messbare Einspa-
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rung werden gestaffelt mit Prämien in
Höhe von 60, 100 und 180 Euro belohnt.
Für rechenbare Vorschläge erhält der
Ideengeber 10 Prozent der Ersparnis.
Über die Wirksamkeit von Verbesserungsvorschlägen geben Benchmarks
wie der Return of Investment (ROI)
Auskunft. „Die Mittelständler kommen
meist auf einen Wert von 1:2 oder 1:3“,
hat Wirtschaftsprofessor Hans-Dieter
Schat errechnet. Das bedeutet: Jedem
eingesetzten Euro Kosten stehen zwei bis
drei Euro erreichbare Mehreinnahmen
gegenüber.
Exklusiv für „Markt und Mittelstand“
hat der IM-Experte erhoben, wie kreativ
und ideenreich die deutschen Arbeitnehmer sind. „Im Mittelstand werden rund
2,5 Ideen pro Mitarbeiter und Jahr eingereicht. Bei größeren Unternehmen
ist es nur gut eine Drittel Idee pro Mitarbeiter.“ Allerdings ist die rechenbare
Einsparung pro Mitarbeiter und Jahr im
Mittelstand mit 300 Euro geringer als bei
den großen Unternehmen mit 550 Euro.
„Dieser Skaleneffekt resultiert meist
aus der höheren Stückzahl, die gefertigt
wird“, sagt Schat.
80 Prozent aller Mittelständler nutzen das Ideenmanagement, um Einsparpotentiale zu identifizieren, die Effizienz
zu erhöhen – und damit ihre Wirtschaftlichkeit zu steigern. Bei jedem fünften
Unternehmen jedoch werden die Vorschläge der Mitarbeiter zwar gesammelt
und belohnt – oft aber nicht im Betrieb
umgesetzt. „Eine solche Schweigeprämie
führt dazu, dass das Ideenmanagement
stirbt“, kritisiert Schat.
Erreichbar ab 5:30 Uhr // Aber selbst
wenn es eine lebhafte Ideenkultur gibt,
lässt die Dynamik der eingereichten Verbesserungsvorschläge mit der Zeit oft
nach. Entscheidend ist es deshalb, das
Vorschlagswesen attraktiv zu halten. So
organisiert Daniela Karstens vom Automobilzulieferer Klauke etwa dreimal im
Jahr einen Ideen- und Innovationstag,
zusätzlich schafft sie durch Verlosungen und Give-aways regelmäßig neue
Anreize. Für alle nicht umsetzbaren Vorschläge gibt es eine Trostprämie in Höhe
von 30 Euro: „So geht keiner leer aus“,
sagt Karstens.
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Das Erfolgsrezept von Sylvia Renda vom
Drahtwerk Elisental lautet: Präsenz.
Bereits um 5:30 Uhr fängt sie an zu arbeiten. „Unsere Nachtschicht endet um 6
Uhr, und auch für diese Mitarbeiter will
ich als Ansprechpartnerin da sein“, sagt die
Ideenmanagerin. Damit das Thema sichtbar bleibt, wird jeder Mitarbeiter in der
Gehaltsabrechnung über den Stand seiner
Vorschläge informiert. Jede Idee bekommt
eine Laufnummer, sobald sie in ein spezielles IT-Programm eingepflegt wurde. Die
besten Ideen werden einmal im Quartal
prämiert, und am Jahresende wird unter
allen eine Reise nach Spanien verlost.
Alle Unternehmen, die ein erfolgreiches Ideenmanagement aufgebaut
haben, sind sich einig, dass der Erfolg
von der intensiven personellen Betreuung abhängt. Denn die Motivation aufrechtzuerhalten und Ideen strukturiert zu prüfen und umzusetzen ist sehr
zeitaufwendig. „Nebenbei lässt sich
das nicht organisieren“, weiß Andreas
Wunsch vom Gabelstapler-Zulieferer
Meyer. Bei Klauke wurde deshalb aus
der Teilzeitstelle des Ideenmanagers eine
volle gemacht: „Nur so ergibt es meiner Ansicht nach Sinn – anders geht es
nicht“, sagt Daniela Karstens.
Doch ob Sach- oder Geldprämien
die beste Motivation sind, um Mitarbeiter zu Vorschlägen zu animieren, ist
umstritten. „Wenn ich einen besonders
tollen Vorschlag bekomme, geht unser
Geschäftsführer mit dem Mitarbeiter
zum Essen“, erzählt Daniela Karstens:
„Dass sich der Chef Zeit für die Mitarbeiter nimmt, kommt gut an.“ Highlight
ist zum Jahresende die Prämierung der
innovativsten Abteilung. „Im vergangenen Jahr haben wir eine Blockhütte
gemietet, und der Geschäftsführer stand
für die Mitarbeiter am Grill“, berichtet
die Ideenchefin weiter.
Eigene Inhouse-Schulung // Ein Mittelständler, der nicht namentlich genannt
werden möchte, hat Prämien sogar komplett abgeschafft. Stattdessen schult er
seine Mitarbeiter in KVP-Seminaren
in der Theorie des japanischen KaizenGurus Taiichi Ohno und diskutiert regelmäßig die Verbesserungsideen im Team.
Mit Erfolg: Die Maschinenrüstzeiten
konnten etwa auf ein Drittel reduziert
und im Produktionsablauf erheblich Zeit
eingespart werden.
Das alte Prämiensystem vermisse keiner, heißt es aus dem Maschinenbauunternehmen. Der Antrieb von innen
funktioniere bestens. „Wenn die Leute
verstanden haben, dass sie ihren Arbeitsplatz in eigener Verantwortung verbessern können, ist das die größte Motivation“, lautet das Fazit. <<
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