Weihnachten, 24./25./26. Dezember 2016, Nr. 298 DEFGH HF2 SZ: Signor Ancelotti, kann es sein, dass Sie sich langsam wieder an Ihre Heimat in der Emilia Romagna heranpirschen? Von allen Karrierestationen der letzten sieben Jahre liegt München am nächsten. Carlo Ancelotti: Das stimmt! Ich kann endlich wieder mit dem Auto nach Hause fahren. Erst kürzlich war ich noch bei meiner Schwester, die in der Nähe von Modena lebt. Meine Eltern sind leider gestorben, deshalb ist in meinem Heimatort Reggiolo niemand mehr. Aber Modena liegt ja nicht weit davon entfernt. Die Autofahrt von München führt durch eine wunderbare Gebirgslandschaft, die ich jedes Mal sehr genieße. Bis Sie schließlich in der heimatlichen Ebene ankommen. Nebel im Winter, schwülwarmes Wetter im Sommer. Es ist eigentlich immer sehr feucht, ein schwer erträgliches Klima. Sie sind als Bauernsohn in Reggiolo aufgewachsen. Ihr Vater hielt Kühe. Haben Sie eigentlich Melken gelernt? Natürlich! Ich war regelmäßig damit betraut, aber nicht frühmorgens, sondern erst mit der Abendschicht. Wir hatten zehn Milchkühe im Stall. Die Milch verkaufte mein Vater an die lokale Kooperative für Parmesan-Käse. Wenn ich jetzt daran den- „Wer kocht? Na, ich! Unser Weihnachtsmenü ist nicht sehr kompliziert. Als Hauptgang gibt’s Bollito.“ ke, überkommt mich die Nostalgie. Meine Familie kannte keinen Stress. Sicher, die Eltern arbeiteten hart und mussten sehr früh aufstehen. Geld hatten wir auch nicht viel. Aber es fehlte uns an nichts. Ich hatte wirklich eine sorglose Kindheit. Welche Tiere gab es noch auf dem Hof? Ein einziges Schwein. Das wurde in der Weihnachtszeit bei uns zu Hause geschlachtet. Ein Fest! Da wurden Würste gemacht, die Salamis baumelten dann zum Trocknen direkt über meinem Bett. Sie schliefen umhüllt vom Duft der Salami? Na ja, die rochen nicht von Anfang an gut. Gut Ding muss Weile haben! Werden Sie auch diese Weihnachten in der Emilia Romagna sein? Nein, ich feiere mit meiner kanadischen Frau in Vancouver. Ihre spanischen Eltern sind auch dabei. Ich werde einen Weihnachtsbaum aufstellen, wie früher. Nur auf die Krippe muss ich leider verzichten, denn sie richtig aufzubauen, mit allen Figuren und der aus Krippenpapier geformten Landschaft wie in Italien, ist zu zeitaufwendig. Aber die Küche wird italienisch sein! Wer kocht? Na, ich! Unser Weihnachtsmenü ist nicht sehr kompliziert. Es gibt Tortellini in Fleischbrühe, die ich selber mache. Die Tortellini kaufe ich aber. In Vancouver gibt es tatsächlich ganz gute frische Pasta. Den Hauptgang übernehme ich wieder ganz: Bollito, gekochtes Fleisch. Und zum Schluss natürlich Panettone, den klassischen italienischen Weihnachtskuchen. Die Tradition wird hoch gehalten! Weihnachten ist längst auch ein Fest des Konsums. Sie sind ohne viel Geld aufgewachsen. Welches Verhältnis haben Sie heute zum Materiellen? Ich arbeite jedenfalls nicht des Geldes wegen. Aber es hat Momente in meinem Leben gegeben, als Geld wirklich wichtig für mich war. Weil ich keines hatte. Was das für ein Gefühl war, das erste Gehalt zu bekommen, daran kann ich mich gut erinnern. Aber heute? Die Verhandlungen über mein Salär laufen immer sehr entspannt. Sie sind Jahrgang 1959, in Ihrer Kindheit war Italien noch ein stark landwirtschaftlich geprägtes Land. Gibt es jene italienische Provinz noch, in der Sie aufgewachsen sind? Heute gibt es weniger Kleinbauern und noch weniger junge Leute, die die Höfe von ihren Eltern übernehmen. Die Jungen gehen weg. Das Problem ist, dass dadurch bestimmte Kulturtechniken und Berufe verschwinden. Der Käsemacher! Wer früher den Parmigiano Reggiano, den weltberühmten Parmesankäse herstellte, war an- „Natürlich kann ich Kühe melken“ FOTOS: J. SUPER/THE INDEPENDENT; A. SCHELLNEGGER; A. PALMA/LAIF; G. NITSCHKE/BRAUER; F. GULOTTA/ACTIONPRESS; IMAGO (6); PANINI (2) 38 SPORT gesehen und hatte ein gutes Einkommen. Heute ist das leider nicht mehr so. Als Fußballer sind Sie Italien stets verbunden geblieben. Sie spielten in Parma, später beim AS Rom und schließlich beim AC Mailand. In Rom hatten Sie aber schon einen ausländischen Trainer, den Schweden Niels Liedholm. Wir nannten ihn „Baron“, wegen seiner feinen Manieren. Liedholm war mit einer echten italienischen Gräfin verheiratet und Besitzer eines Weingutes im Piemont. An ihm war nicht mehr viel Schwedisches, außer vielleicht seinem trockenen Humor und der Gemütsruhe, die einer hat, der aus einem derart großen und leeren Land kommt. Liedholm vertrat die Auffassung, dass Fußball von allen unwichtigen Dingen die wichtigste sei. Und ich glaube, er hatte recht. Der Fußball mag viele Menschen beschäftigen, aber er bleibt am Ende doch ein Spiel. Manchmal nimmt man den Fußball zu wichtig, als ginge es um Leben und Tod, als wäre so ein Spiel wie eine Schlacht. Das finde ich übertrieben. In Mailand fiel der Liedholm-Zögling Ancelotti in die Hände von Arrigo Sacchi. Da hatten Sie dann allerdings einen Trainer, für den es nichts Wichtigeres als Fußball gab. Sacchi war von Taktik besessen. Das war schon ein Unterschied zum alten Baron. Sacchi war ja viel innovativer. Er hat den italienischen Fußball revolutioniert, die italienische Mentalität umgekrempelt. Mit ihm wurde das Spiel offensiver, organisierter, spektakulärer. Beim Training wurde man ganz anders gefordert. Am Anfang war das für alle ein Schock, besonders für uns Spieler. „Ich habe nicht daran gedacht, dass es ein Problem sein könnte, auf Pep Guardiola zu folgen. Im Gegenteil.“ Als Assistent von Sacchi bei der Nationalelf starteten Sie mit 33 Jahren selbst eine erfolgreiche Trainer-Laufbahn. Und erarbeiteten sich einen Ruf nicht zuletzt mit Ihrer Anpassungsfähigkeit. Was sicher nützlich war, weil Sie in Ihrer Karriere oft auf starke Trainer-Kollegen folgten: bei Real Carlo Ancelotti, Bauernsohn aus der Emilia Romagna, ist heute einer der erfolgreichsten Fußballtrainer der Welt. Ein Gespräch über den langen Weg zum FC Bayern – und Salamis überm Kinderbett interview: birgit schönau u n d c l au d i o c at u o g n o Madrid auf José Mourinho, beim FC Bayern auf Pep Guardiola. . . Das ist ja nur positiv. Bei Real habe ich ein Team mit einem starken Charakter vorgefunden, auch mit einem hervorragenden Mannschaftsgeist. Hier beim FC Bayern habe ich eine bestens organisierte Mannschaft vorgefunden, die den Ballbesitz beherrscht und technisch bestechend ist. Ich bringe immer auch meine eigenen Ideen mit, wir alle versuchen, einen Stempel aufzudrücken. Aber dabei müssen wir die Vergangenheit berücksichtigen. Und auch die Geschichte des Klubs, seine Eigenheiten. In Madrid mussten Sie als Nachfolger des herrischen Mourinho wahrscheinlich nur die Fenster weit öffnen und einen neuen Geist hereinwehen lassen. . . Die Mannschaft hatte ein schwieriges Jahr hinter sich, da ist es leicht, Neuerungen einzuführen. Bei den Bayern, die auch in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich waren, ist das komplizierter. Hier brauche ich ein wenig Zeit für Veränderungen. Haben Sie eigentlich vorab darüber nachgedacht, wie speziell es sein könnte, auf Pep Guardiola zu folgen? Sie sind der erste nicht-spanische Trainer, der von ihm ein Team übernommen hat. Nein, daran habe ich nicht gedacht. Mir war nur bewusst, dass die Bayern sehr stark sind, hervorragend aufgestellt. Aber ehrlich gesagt ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass das ein Problem für mich sein könnte. Im Gegenteil. Dass meine Spieler Guardiolas System verinnerlicht haben, ist doch ein Vorteil für mich. Wie oft sagen Ihnen die Spieler: Letztes Jahr haben wir das aber anders gemacht? Ich muss ihnen halt meinen Standpunkt erklären. Bei Spielern dieser Qualität muss ein Trainer überzeugend sein. Sie haben in den ersten Monaten bei Bayern fast stoisch auf ein 4-3-3-System gesetzt, wie Sie es auch in Madrid spielen ließen. Obwohl sich die Elf damit schwer getan hat. Neuerdings lassen Sie 4-2-3-1 spielen, das alte Guardiola-System. Die Spieler wirken geradezu erleichtert. Das Spielsystem ist nicht so wichtig für mich. Erfolgreich ist nicht das System, sondern dessen Anwendung. Wenn meine Spieler lieber 4-2-3-1 spielen als 4-3-3, dann sollen sie das tun. Für mich sind andere Dinge wichtig. Rhythmus, Spielintensität, Kombinationssicherheit, Organisati- on. Das kann man in allen Systemen immer noch verbessern. Sie sind dafür bekannt, dass Sie Ihren Spielern nicht Ideen aufzwingen, sondern sie davon überzeugen wollen. War es in diesem Fall aber nicht umgekehrt? Dass etwa Philipp Lahm zu Ihnen kam, um Sie vom alten System zu überzeugen? Ancelottis Markenzeichen, schon beim AS Rom: die große Augenbraue. Auch als Panini-Model. „Wir Italiener sind so: Probleme spornen uns an. Nur in der Organisation des Alltags hapert es.“ Nein, nein. Es war so, dass wir beim Training verschiedene Formationen ausprobieren. Ein 4-3-3 verschafft uns Vorteile beim Ballbesitz, das 4-2-3-1 ist nützlicher für die Vertikalisierung des Spiels. Es kommt auf die Partie an, auf den Gegner. Stimmt es, dass Sie von einigen Spielern denken, die bräuchten eigentlich gar keinen Trainer mehr? Natürlich gibt es einige, die derart viel Erfahrung haben und das Spiel so gut verstehen, dass man ihnen nicht mehr so viel beibringen kann wie anderen. Bei den Bayern wären das aus meiner Sicht Lahm, Müller und Alonso. Auf der anderen Seite sind Sie ein SpielerErfinder. Eines Ihrer Produkte heißt Andrea Pirlo. Sie haben ihn entdeckt und ihm jene Rolle als Spielmacher zugewiesen, mit der er weltbekannt wurde. Pirlo hatte in Brescia als hängende Spitze angefangen, natürlich war er auch auf dieser Position sehr gut. Aber beim AC Mailand, wo ich ihn traf, waren andere Dinge gefragt. Unser Spiel sollte offensiv sein, spektakulär, darauf legte der Klubeigner Silvio Berlusconi großen Wert. Ich habe Pirlo also etwas weiter nach hinten verlagert, damit er nicht nur die Angreifer bediente, sondern als Architekt unseres Spiels fungierte. Und damit schrieb er dann tatsächlich Fußballgeschichte. Sie berufen sich gern auf einen Satz des griechischen Philosophen Platon: Die Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung. Was bedeutet das für Sie konkret? Manchmal ist es die Notwendigkeit, sind es die Probleme, die dich aktiv werden las- Carlo Ancelotti (linkes Bild, ganz links) war als Spieler beim AC Mailand ein gelehriger Schüler des großen Trainers Arrigo Sacchi, mit dem er auch den Europapokal der Landesmeister gewann (rechtes Bild, ganz rechts). Zuvor prägte Ancelotti das Mittelfeld des AS Rom (mittleres Bild). sen, dich kreativ machen. Wir Italiener verkörpern doch genau diese Philosophie, unsere Schwierigkeiten stacheln uns an. Bei der Lösung schier überwältigender Probleme werden wir richtig kreativ. Nur in der Alltags-Organisation hapert es. Wir Europäer haben halt verschiedene Eigenschaften. Darf ich dazu einen Witz erzählen? Bitte sehr! Ich fürchte, der ist schon ziemlich alt. Also: Das Paradies ist dort, wo die Polizisten Engländer sind, die Köche Franzosen, die Auto-Mechaniker Deutsche, die Liebhaber Italiener, und die Schweizer organisieren alles. Die Hölle ist da, wo die Köche Engländer sind, die Polizisten Deutsche, die AutoMechaniker Franzosen, die Liebhaber Schweizer, und die Italiener organisieren das alles. Können Sie uns sagen, wo in Europa zurzeit der modernste Fußball gespielt wird? Nein. Gibt es den modernen Fußball am Ende gar nicht? Es gibt den Fußball. Und was heute gespielt wird, ist dann wohl modern. Für mich ist das Hauptmerkmal des modernen Fußballs, dass vor allem sehr viel gespielt wird. Es gibt schlicht zu viele Spiele, und das beeinträchtigt zwangsläufig die Qualität. Sicher, die Mannschaften sind heute im Schnitt besser aufgestellt und organisiert. Sacchis AC Mailand galt damals als einmalig, aber wenn ich mir heute alte Spiele anschaue, dann sehe ich, dass wir doch noch sehr viel Platz gebraucht haben. Heute sind die Räume viel enger, es wird intensiver gespielt. Der Fußball geht mit der Zeit. Aber die Fixierung auf Statistiken und technische Daten kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Ich halte das nicht für so wichtig. Der Fußball verändert sich, vor allem aber die Fußballer. Biografien wie Ihre, der Aufstieg des Bauernsohnes oder Arbeiterkindes zum Fußballstar, waren in Ihrer Generation verbreitet. Heute sind zumindest in Europa solche Aufstiegsgeschichten seltener. Wird der Fußball bürgerlicher? In unseren Gesellschaften gibt es generell mehr Wohlstand als vor 50 Jahren. Und die großen Stars verdienen sehr viel mehr Geld als früher. In meinen Augen ist deshalb die Familie nach wie vor sehr wichtig. Ein 20-Jähriger, der so viel verdient und so DEFGH Nr. 298, Weihnachten, 24./25./26. Dezember 2016 HF2 SPORT 39 Mia san Carlo: Ancelotti kennt bereits alles, was in München wichtig ist – die Arena, Alfons Schuhbeck, das Oktoberfest (mit Frau Mariann) und Philipp Lahm (im Uhrzeigersinn). Der Trainer Carlo Ancelotti begann seine Trainerkarriere 1992 als Assistent der italienischen Nationalelf unter Arrigo Sacchi. Seinen ersten Vertrag als Cheftrainer unterschrieb er 1995 beim Zweitligisten AC Reggiana, wo ihm gleich der Aufstieg in die Serie A gelang. Nach nur einem Jahr wechselte er zum AC Parma, später übernahm er Juventus Turin, den AC Mailand, den FC Chelsea, Paris St. Germain, Real Madrid und den FC Bayern. Ancelotti gewann mit dem AC Mailand zweimal die Champions League (2003, 2007), mit Real Madrid einmal (2014). Der Spieler Mit 17 Jahren begann Carlo Ancelotti seine Karriere beim Zweitligisten AC Parma. Nach drei Jahren wechselte er zum AS Rom, wo er in acht Jahren einmal Meister wurde und viermal den Pokal gewann. Von 1987 bis 1992 spielte Ancelotti dann für den AC Mailand und gehörte unter Arrigo Sacchi zum legendären Team um Franco Baresi, Paolo Maldini, Ruud Gullit, Frank Rjikaard und Marco van Basten. Dieses Team gewann in zwei Jahren sechs Titel, darunter zweimal den Landesmeister-Pokal. Ancelotti bestritt 26 Länderspiele. im Rampenlicht steht, braucht Unterstützung, wenn er nicht den Kopf verlieren will. Heutzutage haben viele anstelle der Familie ihre Agenten. Aber ein Agent kann die Familie nicht ersetzen. Sie selbst scheinen für Ihre Spieler mindestens so wichtig zu sein wie ein Familienmitglied. Zlatan Ibrahimovic hat mal über Sie gesagt: „Für einen Coach, der uns so viel Freiraum gewährt, würden wir Spieler alles tun. Sogar töten.“ Das war bislang noch nicht nötig, oder? „Früher haben wir Tischtennis gespielt und viel geredet. Heute umgibt die Spieler die Einsamkeit des Smartphones.“ Nein. Es stimmt, ich möchte ein gutes Verhältnis zu meinen Spielern haben. Viele verwechseln das mit Nachgiebigkeit. Das ist nicht ganz richtig. Disziplin, Einhaltung von Regeln und Respekt sind mir wichtig. Ich bin da nicht obsessiv, aber durchaus durchsetzungsfähig. Ansonsten versuche ich, mit allen zu reden und, was noch wichtiger ist, allen zuzuhören. Auf Augenhöhe. Ich würde zum Beispiel niemals auf meinen Zeitplänen bestehen. Wenn die Spieler lieber nachmittags trainieren wollen als vormittags – warum denn nicht? Wie abgeschottet leben Fußballspieler heute? Abgeschottet? Sie stehen ständig mit der ganzen Welt in Kontakt, jedenfalls vordergründig. Durch die sozialen Medien ist die Arbeit für einen Trainer schwierig geworden. Es gibt da dieses Phänomen, das ich „die Einsamkeit des Smartphones“ nenne. Die Spieler isolieren sich damit. Deshalb vermeide ich inzwischen längere Trainingslager oder Klausur-Einheiten. Wenn die Spieler zu Hause sind, müssen sie mit ihren Frauen und Kindern reden. In Klausur hängen manche drei Stunden am Bildschirm. Als ich noch Fußballer war, gab es im Trainingslager den intensivsten Austausch. Wir spielten Karten, Tischfußball, Tischtennis, vor allem redeten wir miteinander. Jetzt wird fast nur noch beim gemeinsamen Essen geredet. Was interessiert Sie außer Fußball? Das Kino. Lieblingsfilme? „Der Pate“ und „Die durch die Hölle gehen“. Außerdem mag ich das italienische Kino. „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni oder „La Grande Bellezza“ von Paolo Sorrentino sind Meisterwerke. Dazu hören Sie wahrscheinlich die Musik von Bob Dylan . . . Nicht ganz. Ich bevorzuge Elton John. Elton John? Das schreiben wir aber lieber nicht. Warum denn nicht? Ich höre auch die italienischen Liedermacher. Antonello Venditti, Claudio Baglioni, die sind im Ausland aber nicht so bekannt. Täuscht der Eindruck, dass von Fußballern zunehmend auch schauspielerische Fähigkeiten verlangt werden? Die großen Stars der Fußballshow spielen ihre Rollen, Zlatan Ibrahimovic ist der Schurke, Cristiano Ronaldo gibt die Diva. . . Es gibt den Ibrahimovic und den Ronaldo auf dem Platz, und dann gibt es diese Männer als Personen. Das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun. Seitdem Fernsehkameras jede Bewegung, jedes Mienenspiel auf dem Platz einfangen, sind Fußballer in der Tat wie Schauspieler. Früher hat man Fußball einmal in der Woche gesehen, im Stadion. Heute sieht man die Akteure des Weltfußballs dauernd im Fernsehen. Hinzu kommen die sozialen Netzwerke. Wissen Sie, wie viele Follower Cristiano Ronaldo auf Twitter hat? Fast 50 Millionen! Wird der Fußball noch wichtiger, noch mächtiger werden – oder hat er seinen Zenit bald überschritten? Ich glaube, dass es mit dem Wachstum noch eine ganze Weile weitergehen wird. Aber die wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigen schon jetzt die Qualität, weil wir eben immer öfter auf den Platz müssen. Da besteht mittelfristig das Risiko, dass bei sinkender Qualität auch das Interesse nachlässt. Der Fußball könnte sich sozusagen selber fressen. Er wird zu sehr ausgepresst. Weniger Spiele, mehr Qualität, da müssen wir hin. Bei der WM 2026 sollen 48 Mannschaften dabei sein. Fifa-Präsident Gianni Infantino will damit kleinere Teams stärken. Bei der letzten Europameisterschaft gab es bereits zu viele Mannschaften, zu viele Spiele und zu wenig Sehenswertes. Es ist klar, dass die Fifa die ganze Welt am Tur- nier beteiligen will. Aber es besteht doch das Risiko, dass ein Großteil der Spiele ziemlich uninteressant wird. In Ihrem Heimatland Italien kann man gerade beobachten, wie viele Traditionsklubs in den unteren Ligen Pleite gehen, während die Großen von internationalen Investoren übernommen werden. Welchen Eindruck macht es auf Sie, dass in der alten Fußballmetropole Mailand die Klubs Inter und Milan von Chinesen aufgekauft werden? Ein bisschen seltsam fühlt es sich schon an. Bisher gehörte der italienische Fußball den einheimischen Industriebossen. Der AC Mailand seit 30 Jahren Silvio Berlusconi, Inter Mailand dem Erdölmagnaten Moratti, Juventus Turin der Fiat-Dynastie Agnelli. Die haben zwar alle sehr viel Geld in ihre Klubs gesteckt, aber fast ausnahmslos in Spieler. Sie haben es versäumt, in Stadien zu investieren – mit Ausnahme von Juventus Turin. Mit dem Ergebnis, dass Juve konkurrenzfähig geblieben ist und weiter den Agnellis gehören wird. Die anderen sind auf die ausländischen Investoren angewiesen. Und auch deshalb hinkt der früher so erfolgreiche italienische Fußball der internationalen Konkurrenz heute hinterher? Die Stadionfrage ist schon sehr zentral. Viele Klubs sind da auch an der italienischen Bürokratie gescheitert. Bedenken Sie, dass Italien seine Stadien zuletzt für die WM 1990 renoviert hat. Vor 26 Jahren! In der Seine erfolgreichsten Jahre: beim AC Mailand. Der skeptische PaniniBlick bleibt der gleiche. „Uli Hoeneß ist so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Es gibt in dieser Branche kaum Überraschungen.“ Bundesliga ist mir gleich aufgefallen: Die Stadien sind wunderbar! Auch die kleineren Klubs haben schöne Arenen, die komfortabel für das Publikum sind. Und vor allem gibt es hier keine Gewalt. Das hängt alles miteinander zusammen. Sie haben sowohl für die alten Fußballpatriarchen vom Schlag eines Berlusconi oder Florentino Pérez in Madrid gearbeitet als auch für die neuen Herren wie Roman Abramowitsch beim FC Chelsea Der lässige Onkel: Carlo Ancelotti hat mit den Größten der Großen zusammengearbeitet – und sie schwärmen alle bis heute von ihm. Von links: Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimovic und Andrea Pirlo. und die Scheichs von Katar bei Paris SaintGermain. Worin besteht der Unterschied? Roman Abramowitsch und Nasser AlKhelaifi, der junge Präsident von Paris St. Germain, waren ebenso präsent wie die alteingesessenen Patriarchen. Es gibt da keinen großen Unterschied. Das Problem ist eher, dass ein Fußballklub nicht so funktioniert wie ein normales Unternehmen. Wer einen Klub übernimmt und diesen dann von seinem Management schlicht als weiteres Element einer Unternehmensgruppe verwalten lässt, der geht schon ein großes Risiko ein. Weil es im Fußball mehr Unwägbarkeiten gibt? Wenn eine Firma ein gutes Auto herstellt, wird sie es wohl verkaufen. Im Fußball können hervorragende Profis wunderbar spielen, müssen aber deshalb noch lange nicht gewinnen. 80 Prozent Ballbesitz – und du verlierst trotzdem! Ich habe meine Zweifel, dass die großen Wirtschaftsführer das wirklich verstehen und akzeptieren können. Beim FC Bayern habe ich jetzt zum ersten Mal ehemalige Spieler als Chefs. Die verstehen das ganz bestimmt. Aber wenn in diesem Klub etwas niemals akzeptiert wird, dann sind das doch Niederlagen! Als Sie kürzlich nacheinander in der Bundesliga in Dortmund und in der Champions League in Rostow verloren haben, da dürften auch die ehemaligen Spieler und heutigen Chefs Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß ziemlich nervös geworden sein. . . Nein. Gerade in solchen Momenten, wenn es mal nicht so läuft, sieht man den Unterschied zwischen einem Präsidenten, der immer Rendite erwartet, und einem Chef, der selbst Spieler war. Sie meinen, den Chef Uli Hoeneß kann man dann im Zweifel immer noch mit einer guten Flasche Rotwein besänftigen? Ich meine, natürlich haben wir genau analysiert, wie es zu diesen Niederlagen kommen konnte. Aber ohne Dramen und ohne große Diskussionen. Wie viel hatten Sie denn schon mit Hoeneß zu tun? Ich habe ihn erst ein paar Mal gesehen. Hoeneß ist genauso herzlich und geradeaus, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Wissen Sie, es gibt in unserer Branche kaum Überraschungen. Man kennt sich untereinander, und natürlich sprechen alle über alle. Was mich wirklich überrascht, ist, wie sehr der FC Bayern von seinen Fans geliebt wird. Man konnte das auf der letzten Jahreshauptversammlung beobachten, als Hoeneß wieder zum Präsidenten gewählt wurde. In Madrid spielen sich auf der Vollversammlung immer große Auseinandersetzungen ab. Da werden unangenehme Fragen gestellt, da prallen richtige Fraktionen aufeinander. Hier, beim FC Bayern, herrschte Einigkeit. Es war ein großes Fest. „Vielleicht ist es von Vorteil, dass mein Deutsch noch nicht so gut ist. Da bekomme ich Kritik nicht so mit.“ Das war auch schon mal anders, meistens in den Jahren, in denen der Klub seinen Fans keine Pokale präsentieren konnte. Pep Guardiola ist in seinen drei Jahren beim FC Bayern drei Mal Meister geworden. Sie haben in all den Jahren als Trainer drei Mal die Champions League gewonnen – aber auch erst drei nationale Meistertitel. Die Quote muss in München zwingend besser werden – diesen Erfolgsdruck verspüren Sie, oder? Erfolgsdruck gibt es überall. Oder haben Sie keinen Druck? Druck? Wir? Hmm. Müssen wir darauf antworten? Mir gefällt meine Arbeit. Vielleicht ist es auch von Vorteil, dass mein Deutsch noch nicht so gut ist. Deshalb bekomme ich Kritik von außen im Moment nicht so mit. Und die Kritik von innen. . . Glauben Sie mir, intern sind wir alle ganz ruhig geblieben. Sie fühlen sich also wohl. Ist München wirklich die nördlichste Stadt Italiens? Mich erinnert es eher an Vancouver. So ruhig und freundlich. Ordnung, Sauberkeit und eine fantastische Umgebung. Aber die Mentalität der Leute hier, das ist wirklich schon fast Norditalien. Immer wieder sind Sie für den Posten als italienischer Nationaltrainer im Gespräch. Lockt Sie nicht insgeheim die alte Heimat und ihre Squadra Azzurra? Entschiedenes Nein. Ich möchte nämlich noch lange jeden Tag trainieren.
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