punktum. SBAP. Schweizerischer Berufsverband für Angewandte Psychologie Association Professionnelle Suisse de Psychologie Appliquée Associazione Professionale Svizzera della Psicologia Applicata Dezember 2016 Familien Secondos und ihre Primos Neue Väter braucht das Land Family Mental Health Trend zur Randzeitenfamilie Familien-AG mit Tücken 2 Editorial Nicht nur an Weihnachten «Familie» ist das Schwerpunktthema der letzten Ausgabe dieses Jahres, die Sie kurz vor Weihnachten im Briefkasten vorgefunden haben und nun in den Händen halten. Pro Familia Schweiz definiert Familie unter anderem als «zeitlich überdauernden Ort des Aufgenommen-Werdens, der Zugehörigkeit, der Orientierung für jeden Menschen». Wir alle sind also Teil einer Familie – nicht nur an Weihnachten, auch wenn sie just zum Jahreswechsel eine vielleicht noch bedeutendere Rolle einnimmt als ohnehin schon. Gerne stelle ich Ihnen die Beiträge unserer Autoren vor: Beat Honegger hat mit Professor Heinz Stefan Herzka gesprochen. Die Koryphäe der Pädiatrie skizziert die Entwicklung der Familie von der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zur Randzeitenfamilie in den letzten 50 Jahren (Seite 12). Arist von Schlippe kennt sich mit Familienbetrieben bestens aus, hat er doch den Lehrstuhl Führung und Dynamik von Familienunternehmen der Universität Witten-Herdecke in Nordrhein-Westfalen inne. Er berichtet von Schwierigkeiten, die sich in der Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedern von Unternehmerfamilien nicht selten ergeben; Vereinbarungen untereinander, bei denen jeder eine andere Idee davon hat, wie sie zu interpretieren seien, ohne dass dies explizit geklärt Family is a little world made of e v o L wird (Seite 15). Andrea GrünenfelderSteiger schreibt über Risikofaktoren und Resilienz sowie die Weitergabe von depressiven Symptomen innerhalb von Familien an die nächsten Generationen (Seite 9). Beate Schwarz schildert das Spannungsfeld, in dem sich viele Secondos in Bezug auf ihre Eltern befinden. Die älteren Immigranten haben hinsichtlich der Vermittlung zwischen den kulturellen Unterschieden besonders hohe Erwartungen an ihre erwachsenen Kinder (Seite 3). Markus Theunert, Psychologe und Generalsekretär des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterorganisationen, widmet seinen Artikel dem Vatersein heute. Er zeigt das Spannungsfeld der Erwartungen auf, in dem sich Väter befinden: erfolgreicher Geschäftsprofi, «richtiger Mann», engagiertes Elternteil, emotional kompetenter Partner, einfühlsamer Liebhaber (Seite 5). Für die ZHAW-Serie «Studium & Forschung» schliesslich haben Verena Wüthrich-Peter, Gabriela Schuler- Kaiser und Verena Berchtold-Ledergerber das Thema Familie aus interdisziplinärer Perspektive unter die Lupe genommen (Seite 18). Mit dieser Ausgabe ist für mich die Zeit gekommen, Ihnen als Redaktionsleiterin auf Wiedersehen zu sagen. Ich habe die Redaktion nach der Beendigung meiner Zeit im Vorstand mit Freude weitergeführt. Ich danke dem SBAP.-Vorstand für das Vertrauen und dem langjährigen Redaktionsteam sowie dem erweiterten punktum.-Team vom Lektorat bis zur Druckerei für die immer gute und engagierte Zusammenarbeit. Insbesondere danke ich unserer Produktionsleiterin Heloisa Martino. Sie hat unser Verbandsorgan über die Jahre hinweg mit ihren Ideen, ihrer sorgfältigen Recherchearbeit und ihrem kritischen Blick mitgeprägt. Nun ist es Zeit für Neues. Auch für das punktum. und für die Redaktions-Familie: Nächstes Jahr wird das Heft in der gedruckten Version neu dreimal jährlich erscheinen. Zum ersten Mal im Mai 2017 zum Thema «Hölle». Aufgrund der Umstellung und infolge der zum Teil neuen Zusammensetzung des Teams gibt es zwischen dieser Dezember-Ausgabe und dem punktum. im neuen Kleid eine etwas längere Pause. Selbstverständlich werden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in der Zwischenzeit mit dem SBAP.-Newsletter regelmässig auf dem Laufenden halten. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien im Namen der Redaktion eine schöne Weihnachts- und Festzeit, das Allerbeste fürs neue Jahr – aber nun zuerst eine anregende Lektüre dieser Dezember-Ausgabe. Lianne Fravi, Redaktionsleiterin punktum. Fachwissen Secondos und ihre Eltern Mittendrin im Spannungsfeld Im Vergleich mit älteren Schweizern sind ältere Immigranten öfters gesundheitlich beeinträchtigt. Und die erwachsenen Kinder spielen für ihre Unterstützung eine zentrale Rolle. Klar ist: Die älteren Immigranten haben aufgrund ihrer Herkunft und der kulturellen Unterschiede besondere Erwartungen an ihre erwachsenen Kinder. Darüber, wie sich diese Erwartungen im Laufe der Jahre in der Schweiz verändert haben, weiss die Forschung momentan aber noch wenig. Die Alterung der Bevölkerung betrifft nicht nur Schweizer, sondern ebenso Immigranten in der Schweiz. Der Anteil von Immigranten bei Personen, die 65 Jahre und älter sind, beträgt in der Schweiz zurzeit etwa 29 Prozent und wird in Zukunft noch steigen (Bolzman, Poncioni-Derigo, Vial & Fibbi, 2004; eigene Berechnungen basierend auf Daten des BfS). Wir wissen allerdings noch wenig über diese wachsende Bevölkerungsgruppe und ihre Familienbeziehungen. Grössere Gesundheitsprobleme bei älteren Immigranten Die meisten älteren Immigranten in der Schweiz stammen aus südeuropäischen Ländern wie Italien, Ex-Jugoslawien, Portugal und Spanien. Während die Gesundheit bei älteren Schweizern auch im Alter lange recht gut ist, findet sich bei älteren Immigranten ein höherer Anteil von Personen, die schon vor dem Rentenalter vermehrt über Gesundheitsprobleme klagen, was mit deren höheren Lebens- und Arbeitsbelastungen zu erklären ist (Bolzman et al., 2004). Auch bei recht guter Gesundheit steigt im Alter der Bedarf an Unterstützung in alltäglichen Dingen, bei gesundheitlichen Problemen umso mehr. Die erwachsenen Kinder sind hier generell eine wichtige Hilfe (Perrig-Chiello et al., 2008). Im Folgenden möchte ich die Besonderheiten der Beziehungen von älteren Immigranten und ihren Kindern herausarbeiten, die aufgrund der Immigrationssituation entstehen. Ältere Immigranten sind von ihren Kindern abhängig Eine grössere Komplexität der Intergenerationenbeziehungen in Familien mit Migrationshintergrund kann durch Unterschiede in der Akkulturation in die Schweizer Kultur und in den kulturell bedingten Erwartungen an familiäre Verpflichtungen entstehen. Nicht nur aufgrund ihrer schlechteren Gesundheit sind ältere Immigranten abhängiger von ihren Kindern als Einheimische. Wegen mangelnder Sprachkenntnisse werden die Kinder als Übersetzungshilfen bei Arztbesuchen und Behördengängen gebraucht, und ein Übergang in ein Altersheim ist angstbesetzter, da man nicht weiss, ob man sich mit dem Pflegepersonal verständigen kann. Das familiäre Netzwerk ist zudem kleiner und beschränkt sich stärker auf die eigenen Kinder (Bolzman et al., 2004). Somit können die Erwartungen der älteren Immigranten, dass ihre Kinder die Pflicht haben, sie zu unterstützen, erhöht sein. Starke Familienorientierungen und traditionelle Familienwerte Dies wird auch durch ihre Herkunft gefördert. Die Länder, aus denen viele Immigranten stammen, kennen kein umfassendes soziales Sicherungssystem, die Familie muss viele Aufgaben übernehmen (Glaser, Tomassini & Grundy, 2004). Darüber hinaus herrschen, verglichen mit der Schweiz, in diesen Ländern stärkere Familienorientierungen und traditionelle Familienwerte, die Loyalität und Verpflichtung der jüngeren gegenüber der älteren Generation beinhalten, Respekt vor älteren Menschen und ein grosser Zusammenhalt (Daatland & Herlofson, 2003). Inwieweit sich diese durch die Herkunftskultur geprägten Erwartungen im Laufe der Jahre in der Schweiz verändert haben, wissen wir kaum. Ältere Immigranten in der Schweiz bringen zumindest eine hohe Familienorientierung zum Ausdruck (Bolzman et al., 2004). Aus anderen europäischen Ländern gibt es Hinweise, dass die Erwartungen von älteren Immigranten an ihre erwachsenen Kinder höher sind als bei Einheimischen (Albert, Ferring & Michels, 2013). Beate Schwarz, Prof. Dr., ist Leiterin der Fachgruppe Entwicklungs- und Familienpsychologie des Psychologischen Instituts am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW. Nach ihrem Psychologiestudium an der TU Berlin hat sie sich in verschiedenen Forschungsarbeiten mit Themen der Familienpsychologie beschäftigt, zum Beispiel mit der Frage nach den Auswirkungen von Scheidung und Ehekonflikten auf die Entwicklung von Jugendlichen und den Intergenerationenbeziehungen im Erwachsenenalter mit einer kulturvergleichenden Perspektive. Starke familiäre Verpflichtung von Immigrantenkindern Wie sieht nun die Perspektive der erwachsenen Kinder aus? Insbesondere wenn sie früh in die Schweiz gekommen sind oder hier geboren wurden, sind sie stärker als ihre Eltern in die Schweizer Kultur akkulturiert. Sie haben in der Regel bessere Bildungsabschlüsse und Sprachkenntnisse, traditionelle Geschlechterrollenvorstellungen weichen auf, individualistische Werte, die Selbstentfaltung und Autonomie betonen, sind eine stärkere Orientierung. Berufskarrieren sind für beide Geschlechter somit wichtiger und werden von der Schweizer Ge- 3 4 Fachwissen Secondos und ihre Eltern sellschaft auch erwartet, gleichzeitig sind die Erwartungen an die Unterstützung der alten Eltern durch erwachsene Kinder in der Schweiz geringer ausgeprägt (Haberkern & Szydlik, 2008). Gleichzeitig sind die erwachsenen Kinder mit der stärkeren Hilfsbedürftigkeit ihrer Eltern konfrontiert und fühlen sich ihrer Herkunftskultur meist auch noch stark verbunden. Verglichen mit einheimischen Erwachsenen, empfinden erwachsene Kinder von Immigranten meist eine stärkere familiäre Verpflichtung, die allerdings unterhalb den Erwartungen ihrer Eltern liegen (Albert et al., 2013; Kobi, 2008). Ambivalenzen in Intergenerationenbeziehungen Eine weitere Besonderheit in Familien mit Migrationshintergrund kann darin bestehen, dass die erwachsenen Kinder ein stärkeres Gefühl haben, in der Schuld der Eltern zu stehen. Die erste Generation der Immigranten hat die Heimat und das soziale Netz dort aufgegeben, um in der Schweiz für die eigenen Kinder eine bessere Zukunft zu schaffen. Sie haben dafür hart gearbeitet, unter oft sehr belastenden Arbeitsbedingungen, sie haben somit sehr viel für das Wohlergehen ihrer Familie geopfert (Boski, 2013). Dies kann bei der zweiten Generation ein starkes Bedürfnis erzeugen, den Eltern etwas zurückgeben zu wollen, wenn diese alt sind. Die Situation der erwachsenen Kinder von Immigranten im Spannungsfeld der Anforderungen einer individualistischen Gesellschaft und der Verpflichtungen, die sich aus der Herkunftskultur und dem Migrationsstatus ergeben, sind somit prädestiniert für die Erzeugung von Ambivalenz, wie sie von Kurt Lüscher (2007) als genuin für die Intergenerationenbeziehungen definiert wurde. Ambivalenz entsteht bei zumindest momentan unauflösbaren Widersprüchen in Emotionen und Erwartungen, in Bereichen, die für unsere Identität bedeutsam sind. Wie es den erwachsenen Kindern gelingt, mit diesen Ambivalenzen umzugehen, wird entscheiden, ob daraus Belastungen oder auch Stärken entstehen. Familien mit Migrationshintergrund im Umgang mit Ambivalenzen aus den widersprüchlichen Erwartungen über familiäre Verpflichtungen zwischen den Generationen zu unterstützen und dabei die kulturellen Besonderheiten zu beachten, wird ein wachsendes Tätigkeitsfeld für Psycholog Innen werden. Beate Schwarz Literatur Albert, I., Ferring, D., & Michels, T. (2013). Intergenerational family relations in Luxembourg family values and intergenerational solidarity in Portuguese immigrant and Luxem bourgish families. European Psychologist, 18, 59–69. Bolzman, C., Poncioni-Derigo, R., Vial, M., & Fibbi, R. (2004). Older labour migrants’ well being in Europe: the case of Switzerland. Ageing and Society, 24, 411–429. Boski, P. (2013). The psychology of economic migration. Journal of CrossCultural Psychology, 44, 1067–1093. Daatland, S.O., & Herlofson, K. (2003). «Lost solidarity» or «changes solidarity»: a comparative European view of normative family solidarity. Ageing and Society, 23, 537–560. Glaser, K., Tomassini, C., & Grundy, E. (2004). Revisiting convergence and divergence: support for older people in Europe. European Journal of Ageing, 1, 64–72. Haberkern, K., & Szydlik, M. (2008). Pflege der Eltern – Ein europäischer Vergleich. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 60, 82–105. Kobi, S. (2008). Unterstützungsbedarf älterer Migrantinnen und Migranten: eine theoretische und empirische Untersuchung. Bern: Lang. Lüscher, K. (2007). Ambivalenz – Belastung – Trauma. Psyche, 61, 218 – 251. Perrig-Chiello, P., Höpflinger, F., & Suter, C. (2008). Generationen – Strukturen und Beziehungen, Generationenbericht Schweiz. Zürich: Seismo Verlag. Psychologisches Institut Im Sommer 2016 wurde am Departement Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW das Psychologische Institut gegründet. Damit vereint das Departement künftig zwei Institute unter seinem Dach. Während das Psychologische Institut Forschung und Lehre verantwortet, ist das Institut für Angewandte Psychologie IAP in den Bereichen Weiterbildung und Dienstleistung tätig. Das Psychologische Institut ist in sieben Fachgruppen und dem Zentrum Lehre organisiert. Ausserdem wird ein Fokus in den folgenden vier strategischen F orschungsschwerpunkten gesetzt: – Psychische Gesundheit und Wohlbefinden; – Erleben und Verhalten im Kontext sozialer und technologischer Innovationen; – Umgang mit Risiken und Entscheidungsprozessen; – Vielfalt von menschlichen Entwicklungen, Arbeits- und Lebensformen. Mit der neuen Organisationsstruktur lassen sich die Synergien zwischen den Leistungsbereichen Lehre und Forschung noch besser nutzen, da die F orschenden vermehrt Lehraufträge übernehmen und die Dozierenden ihre E rkenntnisse aus der Lehre in die Forschung einbringen. www.zhaw.ch/psychologie/pi Fachwissen Eltern heute Neue Väter braucht das Land Von Öffentlichkeit und Forschung lange «übersehen», rücken Väter seit einigen Jahren immer stärker in den Fokus. Ihr verstärktes Engagement im Dienst der kindlichen Entwicklung und der mütterlichen Karriere wird immer lauter gefordert. Damit dies funktioniert, braucht es aber mehr als einen isolierten Appell an die männliche Fairness. Ein Blick auf den Stand der Diskussion zeigt, welch komplexes Faktorengemenge väterliches Engagement begünstigt oder bremst. 9 von 10 Männern in der Schweiz wünschen sich eine Familie mit mindestens zwei Kindern. 8 von 10 Männern in der Schweiz werden tatsächlich Väter. 5 von 10 Männern leben mit ihren Kindern im gleichen Haushalt. 1 von 10 Vätern hat seine Erwerbstätigkeit reduziert, und 9 von 10 sagen, sie würden dies auch wollen – wenn sie nur könnten. Diese Eckdaten hat das Schweizerische Institut für Männer- und Geschlechterfragen (SIMG) in seinem Bericht «Vaterland Schweiz» zusammengetragen, der anlässlich der Lancierung des nationalen Programms MenCare Schweiz im Frühjahr 2016 veröffentlicht wurde (Baumgarten & Borter, 2016). Bereits dieser flüchtige Blick enthüllt einige zentrale Spannungsfelder der heutigen Situation der Väter. Zwischen Tradition und Moderne Im Zug der industriellen Revolution etablierte sich im 19. Jahrhundert in den westlichen Ländern das bürgerliche Rollenideal: Die Frau ist zuständig für Haus und Familie (Reproduktion), der Mann für Beruf und ökonomische Sicherheit (Produktion). Dieses Ideal hält sich in abgewandelter Form bis heute: In der Schweiz arbeiten 86 Prozent aller Männer Vollzeit (unter den Vätern ist der Anteil sogar noch höher!). Gleichzeitig gehen mittlerweile zwar auch nahezu 80 Prozent aller Frauen einer Erwerbstätigkeit nach. Drei von vier erwerbstätigen Frauen arbeiten aber Teilzeit (Angaben: Bundesamt für Statistik) – und nehmen damit Einbussen in der Karriereentwicklung in Kauf. Das heutige Durchschnittsmodell der Schweizer Familie baut also nach wie vor auf der Ernährerrolle der Väter auf, wenngleich diese durch den mütterlichen Zweitverdienst abgefedert wird. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit Diese Familienrealität steht in einem Spannungsfeld zum geäusserten Familienideal. Denn auf Einstellungsebene ist die Gesellschaft einen Schritt weiter: Das Bild des Vaters als Patron und Ernährer der Familie hat theoretisch eigentlich bereits ausgedient. Männer in der Schweiz wollen mehrheitlich präsente und emotional involvierte Väter sein. Das Ernährermodell findet nur noch in der heutigen Rentner-Generation sowie in tieferen Bildungsschichten eine Mehrheit. Die Erwerbsbeteiligung der Schweizer Frauen ist denn auch im internationalen Vergleich ausgesprochen hoch. Dies täuscht jedoch eine Fortschrittlichkeit vor, die einem zweiten Blick nicht standhält. Vergleicht man nämlich nicht nur die Erwerbsbeteiligung (ja/nein), sondern auch den zeitlichen Umfang der Erwerbsbeteiligung (Stunden pro Woche), so findet sich die Schweiz plötzlich am Ende der europäischen Rangliste: In keinem anderen Land leisten Männer so viele Stunden mehr bezahlte Arbeit pro Woche als Frauen (Scambor et al. 2012, 45). Ist das ein still genossenes Privileg der Männer? Die erste repräsentative Befragung in der Schweiz zu diesem Thema – durchgeführt im Auftrag des Kantons St. Gallen – kommt zu einem anderen Befund: 9 von 10 Männern äussern hier den Wunsch nach weniger und flexiblerer Erwerbsarbeit (Meier-Schatz, 2011). Zwischen Leistungs- und Familienorientierung Tatsächlich würde es zu kurz greifen, angesichts der harzigen Zunahme von Männern mit Teilzeitpensen das Bonmot des Soziologen Ulrich Beck zu bemühen, der einst bei Männern eine «rhetorische Modernisierung bei gleichzeitiger Verhaltensstarre» diagnostizierte. Denn auch wenn Männer ihr Erwerbspensum nach der Familiengründung nicht reduzieren, so beteiligen sie sich doch namhaft mehr an Markus Theunert ist Psychologe und wirkt als Generalsekretär des Dachverbands Schweizer Männerund Väterorganisationen (www. maenner.ch) und als Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz (www.mencare.swiss). Er ist Vater einer Tochter (3) und lebt mit seiner Partnerin in der Stadt Zürich. [email protected] der Kinderbetreuung als die Generation ihrer Väter. Substanzielle Geschlechtsunterschiede sind zwar nach wie vor vorhanden. Diese sind jedoch geringer, als man es erwarten würde: Für die Kinderbetreuung engagieren sich Schweizer Mütter im Schnitt 20,5 Stunden pro Woche, Väter 13 Stunden. Für die Betreuung Erwachsener investieren Frauen im Schnitt 10,7 Stunden, Männer 7,6 Stunden pro Woche. Faktisch zeigt das Bild also den Schweizer Durchschnittsmann in einem wachsenden Spannungsfeld: Nach wie vor hält er seine traditionelle Leistungs- und Karriereorientierung aufrecht, ergänzt diese aber durch eine zunehmende Familienund Care-Orientierung. Damit steigt die zeitliche Belastung insgesamt: Väter und Mütter kleiner Kinder kommen heute auf Wochenarbeitszeiten (bezahlte und unbezahlte Arbeit kumuliert) von nahezu 75 Stunden. 5 6 Fachwissen Eltern heute ben. So ist aus Sicht der Männerarbeit die Vereinbarkeitsfrage denn auch nicht auf das Spannungsfeld von Familie und Beruf zu reduzieren, sondern sollte stets als Dreieck gedacht werden (Walser & Wild 2002). Die Abbildung rechts zeigt, wie viele interdependente Faktoren allein im mikrosozialen Bereich die Frage mitent scheiden, wie stark sich Männer als Väter engagieren (eigene Darstellung nach Bartelsen & Niederöst, 2015). Die Ebene geeigneter betrieblicher Arbeitsbedingungen (Arbeitsorganisation, Verfügbarkeitskultur etc.) und politischer Rahmenbedingungen (z.B. Vaterschaftsurlaub) ist in dieser Darstellung noch gar nicht angesprochen. 75 Stunden Wochenarbeitszeit zollen ihren Tribut… So sehen wir die heutige Vätergeneration in einem zunehmenden Spannungsfeld: Sie erfüllen die Ansprüche an einen «richtigen Mann» traditioneller Prägung wie auch die Ansprüche an einen «engagierten Vater» (und emotional kompetenten Partner, einfühlsamen Liebhaber etc.) moder- ner Prägung, der mehr ist als ein Spielvater, der abends und am Wochenende noch etwas «Quality Time» mit seinen Kindern verbringt. Dieser Spagat geht nur auf, wenn Männer Zeitreserven nutzen, die sie bislang für die Pflege ihrer Eigenwelt – Freunde, Hobbies, Zeit für sich – genutzt ha- Deutlich macht die Darstellung: – Väterliches Engagement ist das Produkt eines komplexen und interdependenten Faktorengefüges. Männer sogleich als Chauvinisten oder «Care-Muffel» abzustempeln, wenn sie in traditionellen Ernährerrolle verharren, greift zu kurz. – Die Förderung väterlichen Engagements funktioniert nicht, ohne die Beziehung zur Mutter und ihre Mütterlichkeitsvorstellungen zu betrachten. Frauen haben die Aufgabe, sich ihrer stillen Definitionsmacht in fa- Arbeitswelt Arbeit, Beruf Familienwelt Partnerschaft, Vatersein Vereinbarkeitsproblematik aus Männer-/Vätersicht. Eigenwelt Zeit für sich selbst und für Andere(s) Fachwissen Eltern heute Väterliches Engagement als komplexes Faktorengefüge. miliär-erzieherischen Fragen bewusst zu werden und ihren Männern aktiv Raum zu geben, um ihre Kompetenzen und ihren eigenen Stil als Vater zu entwickeln. – Die gleichstellungspolitische Verengung des Blicks auf die Erwerbsarbeit ist gleichstellungshinderlich, die Stagnation in der Entwicklung zu einem grossen Teil selbstverschuldet. Die Abbildung zu den vier Hebelkräften stellt die Problematik schematisch dar und macht deutlich, wie plump und chancenlos ein isolierter gleichstellungspolitischer Fairnessappell an die Adresse der Männer und Väter bleiben muss. Von der Gesamtheit der zu erledigenden Arbeit erfährt etwa die Hälfte eine gesellschaftliche Bewertung, wonach ihre Erledigung mit einem Verdienst abzugelten sei. Diese obere Hälfte der Darstellung ist die bezahlte Arbeit, die Erwerbsarbeit, die traditio- nell männliche Sphäre der Produktion. Die untere Hälfte beleuchtet die unbezahlte Arbeit, die Care-Arbeit, die traditionell weibliche Sphäre der Reproduktion. Der Soll-Zustand (gepunktete Linie) muss 50:50 heissen, wenn wir davon ausgehen können, dass die Natur Talente und Potenziale zwischen Männern und Frauen natürlich – also zufällig und somit fair – ver- Men Salary: work & responsibility Family: work & responsibility Women Theunert (2012) Die vier Hebelkräfte zur Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern. teilt hat. Denn unter dieser Prämisse ist jede Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern ethisch eine Ungerechtigkeit, politisch eine Diskriminierung und wirtschaftlich eine «suboptimale Ressourcenallokation», also eine Verschleuderung von Talent und Bildungsinvestitionen. Um in Richtung fairer Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern zu wirken, gibt es vier Hebelkräfte zu nutzen. Beleuchtet wird aber nur die obere Hälfte der Darstellung: die Erwerbsarbeit. Weil in der Schweiz Familie nach wie vor als «Privatsache» abgetan wird, bleibt die untere Hälfte – die Arbeitsteilung im häuslichen Bereich – im Nebel. Dort aber wären genau die Kräfte der Veränderung zu finden. Dies sollte künftig verstärkt die Blickrichtung von Politik und Forschung sein. Fazit und Ausblick Die steigende Aufmerksamkeit für Väter und ihre Familienbeiträge ist zu 7 8 Fachwissen Eltern heute begrüssen. Die Diskussion darf aber nicht bei einer rein instrumentellen Betrachtung stehen bleiben, die Väter auf ihre Funktion im Dienst der kindlichen Entwicklung und der mütterlichen Karriere reduzieren. Das ist nicht nur ein ethisches, sondern auch ein pragmatisches Gebot, weil Männer/ Väter ansonsten einfach mit passivem Widerstand reagieren. Eine solche Betrachtung reproduziert nicht Klischees (im Sinn von: «Nur Väter können ihre Kinder x und y vermitteln»), sondern differenziert die inter- und intrapersonelle Vielfalt von Väterlichkeiten. Was ist ein guter Vater? So einfach die Frage klingt, so schwierig ist sie zu beantworten, wenn man die Qualität von Vaterschaft weder als Kopie einer aufopferungsvollen Mütterlichkeit oder als Klischee des strengen, aber gerechten Patrons denken will. Wie kann ein Vater seinem Kind ein verlässliches Gegenüber sein, ohne dass Verlässlichkeit mit totaler Verfügbarkeit gleichgesetzt wird? Wie kann ein Vater Wertschätzung für seine eigenen Care-Beiträge erfahren, wenn er sie selber nicht als «Leistung» sehen kann? Wie kann sich ein Vater einen passenden Platz in der Familie schaffen, ohne bloss den zu nehmen, der übrig bleibt? Diesen Fragen werden wir uns gesellschaftlich, politisch und fachlich stellen müssen, wenn Egalität mehr als eine sozial erwünschte Fantasie werden soll. Markus Theunert Literatur Bartelsen, Annabelle, & Nideröst, Sibylle (2015). Forschungsstand zur Beteiligung von Männern und Vätern an Betreuungsaufgaben von Kindern – eine Übersicht. Unveröffentlichtes Grundlagendokument (Auftragsarbeit im Rahmen des nationalen Programms MenCare Schweiz). Institut für Integration und Partizipation der Fachhochschule Nordwestschweiz. Baumgarten, Diana, & Borter, Andreas (2016). Vaterland Schweiz. MenCare Schweiz-Report Vol. 1. Schweizerisches Institut für Männer- und Geschlechterfragen. Download: http://www.mencare.swiss/de/mencare-schweiz-report-vol-1-vaterlandschweiz. Meier-Schatz, Lucrezia (2011). Was Männer wollen. Studie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Pro Familia Schweiz: Im Auftrag des Kantons St. Gallen Scambor, Elli et al. (2012). The Role of Men in Gender Equality – European Insights and Strategies. Luxemburg: Publications Office of the European Union. Download: http://ec.europa. eu/justice/gender-equality/files/gender_pay_gap/130424_final_report_ role_of_men_en.pdf Walser, Christoph, & Wild, Peter (2002). Men’s Spirit. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag. Fachtagung Psyche und Unfallrehabilitation Donnerstag, 12. Januar 2017 – Referate – Trafo Baden Freitag, 13. Januar 2017 – Workshops – Villa Boveri Baden Referenten Prof. Dr. med. Ulrich Schnyder, UniversitätsSpital Zürich Prof. Dr. med. Norbert Scherbaum, Klinikum der Universität Duisburg-Essen (D) Univ.-Prof. Dr. Anna Buchheim, Universität Innsbruck (A) Prof. JoAnne Dahl, Universität Uppsala (S) Dr. Damir del Monte, Karlsruhe (D) Dr. rer. medic. Hans Menning, Forel Klinik und Psychotherapiepraxis, Zürich PD Dr. med. Dragos Inta, UPK, Basel lic. phil. Romana Feldmann, Küsnacht Kosten CHF 150.– pro Tag Tagungsleitung Prof. Dr. med. Sönke Johannes und Dr. med. Ingmar Schenk, Rehaklinik Bellikon Credits SGPP, SVNP, SAPPM, SNG, SGSS, SIM, SGPMR, SGO, SGC, SGSM Weitere Informationen und Anmeldung unter kurse.rehabellikon.ch Fachwissen Family Mental Health Ist Depressivität generationenübergreifend? (Näheres zur Studie siehe Fend, Berger, & Grob, 2009). 1983 wurden die Depressivitätswerte der damals 16-jährigen Jugendlichen per Beck-Depressions-Inventar erfasst und ausgewertet. 30 Jahre später, 2012 – die erwachsen gewordenen ehemaligen Jugendlichen befanden sich nun im mittleren Erwachsenenalter (Durchschnittsalter: 45 Jahre) –, fand eine Nacherhebung statt, wobei eine gekürzte Version desselben Messinstrumentes wieder verwendet wurde. Gleichzeitig fand eine Befragung der Jugendlichen der Stichprobe statt. Während man das eigene Selbstwertgefühl eher unabhängig von den Eltern aufzubauen vermag, scheint die elterliche, im Jugendalter erlebte Depressivität ein Risikofaktor für die eigene Depressivitätsneigung zu sein. – Erste Resultate einer Langzeitstudie. Depressionen und depressive Verstimmungen sind äusserst weit verbreitet und stehen in den Häufigkeitsstatistiken psychischer Erkrankungen oftmals an oberster Stelle. Eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2013 zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1, Busch, Maske, Ryl, Schlack, & Hapke, 2013) belegt, dass die Lebenszeitprävalenz einer diagnostizierten Depression 11,6 Prozent beträgt, wobei festgehalten werden muss, dass das Spektrum depressiver Symptome weit über die relativ eng definierten, diagnostizierten Depressionen hinausgeht und die Häufigkeit depressiver Verstimmung aus diesem Grund noch wesentlich höher liegen dürfte. Die Public-Health-Relevanz dieser Krankheitsbilder ist entsprechend hoch. Viele Studien berichten, dass Depressionen innerfamiliär gehäuft auftreten, unklar ist aber, ob das vorherrschende familiäre Klima oder ein langfristiger, möglicherweise auch genetisch verankerter Effekt für diese Häufung innerhalb von Familiensystemen verantwortlich ist. Im vorliegenden Artikel werden die Resultate einer 30-jährigen Langzeitstudie zur intergenerationalen Transmission depressiver Symptomatik berichtet, ohne Anspruch an die Diagnostizierbarkeit der gemessenen Depressivität zu erheben. Vielmehr geht es darum, festzustellen, ob selbst berichtete depressive Verstimmungswerte im Jugendalter (Generation 1, G1) mit ins Erwachsenenalter getragen werden und allenfalls auf die nächste Generation von Jugendlichen (Generation 2, G2) übertragen werden. Datengrundlage Datengrundlage bildet eine einmalige Längsschnittstudie (LifE-Lebensverläufe von der späten Kindheit ins frühe und mittlere Erwachsenenalter; siehe Fend, Lauterbach, Berger, Grob, Georg, Maag Merki, 2012) mit Andrea E. Grünenfelder-Steiger, Dr., geboren 1984, hat Psychologie und Biologie studiert und erforscht Entwicklungsverläufe von der späten Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter. Nach ihrem Doktorat, in dem sie sich mit der adoleszenten Entwicklung und deren Langzeitfolgen für das Erwachsenenalter beschäftigte, arbeitete sie an der Universität Zürich unter anderem als Co-Projektleiterin an einer innovativen Studie zu Bewegung und Depressivität im Alltag älterer Personen. Sie verknüpft psychische und physische Prozesse von Gesundheit und wendet die Erkenntnisse ihrer Forschung auf das Alltagsleben an. Seit September 2016 arbeitet sie am Institut Neumünster, Zollikerberg, einem Kompetenzzentrum für Gerontologie, das zum Ziel hat, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen. einer Stichprobe von gut 1400 Personen. Die Probanden nahmen mehrmals im Verlauf von 30 Jahren an umfangreichen Befragungen teil. In der letzten Untersuchungswelle im Jahr 2012 wurden ungefähr 580 Jugend liche der G2 ebenfalls in die Erhebung einbezogen. Die LifE-Studie begann 1979 und besteht aus einer zu Beginn der Untersuchung nahezu repräsentativen Stichprobe des damaligen Westdeutschland Welche Rolle spielt das Jugendalter für die weitere Entwicklung im Erwachsenenalter? Der vorliegenden Arbeit liegt ein Ansatz zugrunde, der die lebenslange Entwicklung von der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter betont und von interindividuellen Unterschieden in der intraindividuellen Entwicklung ausgeht (z.B. Baltes, Lindenberger, & Staudinger, 2006). So ist beispielsweise eine Zunahme, Abnahme oder auch Stagnation gewisser Persönlichkeitsmerkmale möglich, und dies nicht nur während der ersten 30 Jahre des Lebens, sondern bis ins hoch betagte Alter. Von besonderem Interesse für die vorliegende Forschungsarbeit war, wie nachhaltig jugendliche psychische Zustände auf die spätere, lebenslange Entwicklung sind. Sind Depressivität und Selbstwert im Alter von 16 Jahren aussagekräftige psychische Zustände, die langfristige Konsequenzen mit sich bringen? Oder kann man davon ausgehen, dass das Jugendalter eine Phase von psychischen Turbulenzen ist, die in keinerlei Zusammenhang mit dem psychischen Befinden im Erwachsenenalter steht? Es versteht sich, dass je nach Resultat die Beurteilung der Relevanz der jugendlichen Erfahrungswelt unterschiedlich ausfallen dürfte. Die erste Forschungsfrage lautete demnach, inwiefern das psychische Gleichgewicht, welches im Alter von 16 Jahren berichtet wird, noch 30 Jahre später Bedeutung für das Individuum besitzt. 9 10 Fachwissen Family Mental Health Welche Relevanz hat das Erleben im Jugendalter für die nächste Generation? Nicht nur interessierte an dieser Stelle aber, inwiefern frühere Erfahrungen und das eigene Erleben auf spätere Erfahrungen wirken, sondern ebenso, inwiefern die jugendliche Erfahrungswelt auf die nächste Generation übertragen wird. Die zweite Forschungsfrage war demnach, ob der psychische Zustand im Alter von 16 Jahren mit dem Zustand des eigenen Kindes im ungefähr gleichen Alter langfristig zusammenhängt. In der vorliegenden Arbeit wurde auf zwei psychisch relevante und in der Fachliteratur gut abgestützte Konstrukte fokussiert. Einerseits wurde der Blick auf den sogenannten Selbstwert (d.h. die Bewertung über sich selbst, auch: Selbstachtung) und andererseits auf die Depressivität (berichtete Symptome: Traurigkeit, Suizidgedanken, fehlendes Interesse für andere Menschen, Antriebslosigkeit, Lust- und Freudlosigkeit) gelegt. Methode Mittels latenter Modellierung von Kreuzbeziehungen (latent-cross-lagged regression-analysis, für eine ausführliche Beschreibung der latenten im Unterschied zur manifesten Modellierung der Faktoren siehe Steiger, Fend, & Allemand, 2015) können vier wichtige Grössen bestimmt werden: Erstens kann ermittelt werden, inwiefern die Depressivität im Alter von 16 mit der Depressivität im Alter von 45 zusammenhängt, zweitens ob der Selbstwert im Alter von 16 die Depressivität im Alter von 45 vorhersagt, während gleichzeitig der Einfluss der früheren Depressivität statistisch kontrolliert beziehungsweise herausgerechnet wird. Gleichzeitig kann man mittels dieses Modells den Einfluss von Depressivität im Alter von 16 auf das Selbstwertgefühl im Alter von 45 berechnen (wiederum mit statistischer Kontrolle des früheren Selbstwertgefühls). Schliesslich wurden in einem zweiten Schritt die Daten der Jugendlichen der G2 in das Modell eingeführt, sodass nicht nur der intraindividuelle (d.h. der langfristige Effekt innerhalb von Personen), sondern auch der interge- nerationale Zusammenhang (d.h. der Transmissionseffekt von Eltern auf ihre Kinder über 30 Jahre hinweg) der besprochenen Konstrukte berechnet werden konnte. Neben den Direktbeziehungen (Depression G1/Selbstwert G1 à Depression G2/Selbstwert G2) wurden zusätzlich die im Jahr 2012 ermittelte elterliche Depressivität sowie das elterliche Selbstwertgefühl und die Konflikte zwischen Eltern und Kind ebenfalls 2012 als Mediatoren in das Modell einbezogen, um potenziell erklärende Mechanismen aufdecken zu können. Resultate und Diskussion Die Analyse der Daten ergab deutliche Zusammenhänge mit Bezug auf die intraindividuelle Entwicklung. So konnte festgestellt werden, dass die Höhe des Selbstwertes im Alter von 16 Jahren einen deutlichen Zusammenhang mit der Höhe des Selbstwertes im Alter von 45 Jahren besass. Ebenso konnte ein deutlicher (mittelgrosser) Effekt von Selbstwert im Alter von 16 auf Depressivität im Alter von 45 Jahren festgestellt werden. Der spannendste Effekt ergab sich aber mit Blick auf die intergenerationale Transmission von Depressivität: Jugendliche der ersten Generation, die Blau = Intergenerationaler – Effekt: vom Jugendalter der ersten Generation im Jahr 1983 auf die nächste Generation von Jugendlichen, im Jahr 2012 Selbstwert G1, Jugendalter Depressivität G1 Jugendalter β = .36*** im Alter von 16 über höhere depressive Werte berichteten, hatten auch eher Kinder mit vergleichsweise hohen Depressivitätswerten. Dieser Effekt war für das Selbstwertgefühl hingegen nicht beobachtbar (siehe Abbildung). Die Resultate zeigen auf, dass sich das Selbstwertgefühl der eigenen Kinder mit grosser Wahrscheinlichkeit unabhängig vom eigenen Selbstwertgefühl im Jugendalter entwickelt. Die Tendenz für depressive Verstimmungen hingegen scheint sich innerfamiliär zu übertragen; der Effekt blieb auch mit statistischer Kontrolle von elterlicher Depressivität und innerfamiliärem Konflikt bestehen. Während man das eigene Selbstwertgefühl offenbar eher unabhängig von den Eltern aufzubauen vermag, ist die elterliche, im Jugendalter erlebte Depressivität ein Risikofaktor für die eigene Depressivitätsneigung. Die im Modell getesteten Mediatoren (Depression G1, Selbstwert G1 sowie die Eltern-Kind-Beziehung im Jahr 2012) stellten keinen erklärenden Mechanismus für den intergenerationalen Übertragungseffekt dar (für einen detaillierteren Resultatebericht siehe Steiger, Fend & Allemand, 2015). So kann tatsächlich von einem direkten Übertragungseffekt von Depressivität Selbstwert G2, Jugendalter Selbstwert G1, mit 45 Jahren Grün = Langzeiteffekt: vom Jugendalter 1983 auf das Erwachsenenalter, 2012 Depressivität G1, mit 45 Jahren Depressivität G2 Jugendalter Model fit: χ2 (96) = 171.77, p < .001, CFI = .977, RMSEA = .037 (90% CI = .028-.046) Abbildung: Standardisierte Regressionsgewichte. Gepunktete Linie: nicht signifikanter Effekt, durchgezogene Linie: signifikanter Effekt ***p < .001, ** p < .01, *p < .05 Fachwissen Family Mental Health gesprochen werden, der sich über 30 Jahre lang manifestiert hat. Inwiefern andere gleichzeitig laufende Prozesse oder Einflüsse, die im Modell nicht berücksichtigt wurden, eine Wirkung entfalten könnten, ist nicht abschliessend geklärt. Weitere Einflussfaktoren wie Freundschafts- oder Geschwisterbeziehungen, Schulerfahrungen oder Persönlichkeitseigenschaften sollten Gegenstand zukünftiger Forschung in diesem Gebiet sein. Sicher lässt sich anhand der grossen Stichprobe und der fundierten Datenanalyse jedoch sagen, dass die langfristige Wirkung der depressiven Problematik sowohl innerhalb der Person wie auch innerhalb von Familienmitgliedern (Eltern-Kind) nachweisen lässt. Die grossen Herausforderungen für zukünftige Forscher werden sein, einerseits die massgebenden innerpsychischen bzw. -familiären Faktoren für diesen Transmissionseffekt über die Generationen festzustellen sowie andererseits die genetischen Faktoren von den Umwelteinflüssen zu differenzieren. Andrea E. Grünenfelder-Steiger Literatur Baltes, P.B., Lindenberger, U., & Staudinger, U.M. (2006). Life span theory in developmental psychology. In Damon, W., & R.M. Lerner (Eds.), Handbook of child psychology: Vol. 1, Theoretical models of human development (pp. 569–664). New York: Wiley. Busch, M., Maske, U., Ryl, L., et al. (2013). Prävalenz von depressiver Symptomatik und diagnostizierter D epression bei Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), 56, 733. Fend, H. (1994). Die Entdeckung des Selbst und die Verarbeitung der Pubertät (The discovery of the self and processing through puberty.) Bern: Hans Huber. Fend, H., Berger, A., & Grob, U. (2009). Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück: Ergebnisse der LifE-Studie (Life pathways, life coping, life happiness: Results from the LifEstudy.) Wiesbaden, Germany: Verlag für Sozialwissenschaften. Fend, H., Lauterbach, W., Grob, U., Berger, A., Georg, W., & Maag Merki, K. (2012). LifE – Lebensverläufe ins fortgeschrittene Erwachsenenalter (LifE – Pathways from Adolescence to Middle Adulthood.) Universität Konstanz, Potsdam und Zürich. Steiger, A.E., Fend, H., & Allemand, M. (2015). Testing the vulnerability and scar models of self-esteem and depressive symptoms from adolescence to middle adulthood and across generations. Developmental Psychology, 51, 236 –247. Soziale Arbeit Weiterbildung Heute lernen, was morgen wichtig ist. Egal, in welchem Handlungsfeld Sie tätig sind: Eine Weiterbildung in Sozialer Arbeit an der ZHAW bringt Sie gezielt vorwärts. Mit CAS, DAS, MAS und Kursen zu allen relevanten Schwerpunktthemen: • Kindheit, Jugend und Familie • Delinquenz und Kriminalprävention • Soziale Gerontologie • Community Development und Migration • Sozialmanagement • Supervision, Coaching und Mediation • Sozialrecht Postgraduale Weiterbildung Integrative Psychotherapie Der nächste Lehrgang in der Schweiz startet am 3. November 2017. Termine zu den Informationsveranstaltungen finden Sie auf unserer Webseite unter www.integrative-therapie-seag.ch Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme bei Fragen und Interesse via [email protected] Infoabend 11. Jan. 2017: jetzt m an elden CAS und DAS mit MAS-Perspektive Jeder CAS und DAS lässt sich zu einem MAS ausbauen. Steigen Sie jetzt ein! www.zhaw.ch/sozialearbeit Stiftung Europäische Akademie für Psychosoziale Gesundheit und Integrative Therapie SEAG , Schweiz, in Kooperation mit der EAG-FPI SEAG_Inserat90x82mm_161113.indd 1 13.11.16 17:43 Zürcher Fachhochschule Inserat_punktum_12_Allg.indd 1 10.10.2016 14:45:53 11 12 Fachwissen Familienpolitik «Die Lebensgemeinschaft verkürzt sich auf Randzeiten» Professor Heinz Stefan Herzka ist eine Koryphäe der Pädiatrie – nicht nur in der Schweiz. Im Interview skizziert er die Entwicklung der Familie in den letzten 50 Jahren. Die Herausforderungen der Kindererziehung sind in dieser Zeit nicht kleiner geworden. Der vielseitig und äusserst aktive Mittler zwischen Psychologie und Medizin sieht die Gesellschaft in der Gesamtverantwortung für Kinder und fordert prononciert eine Kinderverträglichkeitsprüfung. punktum.: Herr Herzka, wie wichtig ist das, was man gemeinhin «Familienzeit» nennt? Heinz Stefan Herzka: Die Familie war ursprünglich eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Heute ist sie, wie ich es nenne, eine Freizeitfamilie. Das heisst, man ist heute keine Arbeitsgemeinschaft mehr, die verbindet. Und die Lebensgemeinschaft verkürzt sich auf Randzeiten, wobei Eltern und Kinder, wenn sie von der Arbeit und aus der Schule kommen, meistens beide müde sind und wenig miteinander erlebt haben. Die Familie ist nur noch selten oder teilweise eine Erlebnisgemeinschaft. Austausch, Unterstützung und das gemeinsame Tun sind heute, verglichen mit früheren Perioden, sehr reduziert. Eine Verschlechterung der Verhältnisse? Ob besser oder schlechter, bleibe dahingestellt. Es ist ein Fakt, und auf alle Fälle hat sich die Familie verändert. Man hat heute viel kürzer Zeit, gemeinsam etwas zu erleben, weil die Grundvoraussetzung des gemeinsamen Arbeitens und Tuns nicht mehr erfüllt ist. Wochenenden und Abende werden so belastet. Das bringt in der westlichen Industriegesellschaft der kulturelle Wandel zur Freizeitfamilie mit sich. Die Familie bleibt aber sehr wichtig für den Austausch. Menschen leben nur gut mit einem Gegenüber, das sie schätzen, respektieren und gut kennen. Dieses Gegenüber kann – und soll – verschieden sein, aber es vermittelt uns viele Anregungen. Wir sind auch Modelle füreinander, aber speziell für Kinder. Dieses Vorbildsein ist in der Freizeitfamilie gegenüber früheren Perioden nur noch eingeschränkt möglich. Sie haben sich ein Leben lang mit Kindern und Erwachsenen auseinandergesetzt. Was braucht ein Kind? Vorbild und Austausch sowie Respekt als Person von ganz klein auf. Auch Kleinkinder sollten schon gehört und wahrgenommen werden. Sie sind gleichzeitig ein Ich und Teil der Familie. Das ist in andern Kulturen anders. Dort gilt ein Kind als Person stärker als Repräsentant der Familie. Individualität und Autonomie haben dort einen geringeren Stellenwert als in unserer westlichen Gesellschaft seit der Aufklärung. Ein oft gehörtes Schlagwort ist der «Zerfall der Familie». Wie hat sich die Familie in den letzten fünfzig Jahren gewandelt? Nebst dem Phänomen der Freizeitfamilie ist es so, dass die Ehepartner, welche die Familie begründen, heute aus sehr unterschiedlichen Familien stammen. Es gibt Differenzen in den Grundvorstellungen – also in den Werten, den Zielen und den Erziehungsmethoden, je nachdem, wie man aufgewachsen ist. Früher, als man zumeist in einer Dorf- oder einer Quartiergemeinschaft zusammenlebte, gab es gemeinsame Normen und Werte. Heute muss man als Ehepaar einen grösseren gemeinsamen Entwicklungsprozess machen als damals. Man muss die Persönlichkeit des anderen kennen lernen und sehen, wo man unterschiedlicher, wo man gleicher Meinung ist und wo man Kompromisse machen muss. Das zeigt sich oft gerade in der Kindererziehung. Denken Sie da vor allem an kulturell gemischte Ehen? Diese Unterschiede zeigen sich oft bei Migrationsfamilien. Man schiebt sie Kulturunterschieden zu. Häufig sind es aber Gegensätze von Stadt zu Land und der Ungleichzeitigkeit der Kulturen. Oder es sind unterschiedliche Verankerungen in religiö- Heinz Stefan Herzka, Prof. Dr. med., ist 1935 in Wien geboren. Er kam im Krieg als Kleinkind in die Schweiz, wo er Schulen und Studium absolvierte. Nach der Habilitation wurde er Privatdozent für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uni Zürich, später Leiter des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich. Seit seiner Emeritierung 2001 arbeitet er drei Tage in der Woche als Supervisor in Kleingruppen mit PsychologInnen, KindertherapeutInnen und SonderklassenlehrerInnen. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und zwei Enkel. Er verfasste zahlreiche Fachpublikationen und ist unter anderem Träger des Egnér-Preises. Einen Blick auf sein reiches Leben wirft die Autobiografie «Unterwegs im Zwischen. Vom Emigrantenkind zum Kinderpsychiater». Seit 1980 arbeitet Herzka daneben mit seiner Frau Verena Nil am Projekt «Schalmeien der Welt». Die dabei entstandene reichhaltige Sammlung von Rohrblattinstrumenten ist seit 2013 im Museum MuSIC in Céret in den französisch-katalonischen Pyrenäen zu sehen. Im nächsten Jahr veröffentlicht der Zürcher Offizin-Verlag das Buch «Schalmeien, Bilder aus drei Jahrtausenden». www.herzkaprof.ch Fachwissen Familienpolitik sen Werten. Das hat wenig mit dem zu tun, was man Kultur nennt, es sind vielmehr lokale Differenzen. Ich bin in einem Bergdorf aufgewachsen. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie unglücklich Eltern jeweils waren, wenn ihr Skilehrersohn eine Geliebte und später vielleicht sogar eine Frau aus dem «bösen» Unterland hatte. Das ist in der Schweiz erst eine Generation her. Auch gemischte Ehen zwischen Katholiken und Reformierten machten damals Probleme. Man sollte jetzt nicht alle Schwierigkeiten auf die moderne Globalisierung zurückführen. Sie sagten in einem Referat 2014, dass die Gesellschaft die Verantwortung für die Erziehung der Kinder ganz den Eltern zuschiebe. Warum warnen Sie vor dieser «Illusion» der allein zuständigen Eltern? Das rührt vielleicht auch von meiner Biografie her. Wenn ich beim Eindunkeln im Bergdorf noch unterwegs war, wurde ich darauf angesprochen, was ich jetzt noch auf der Strasse mache. Dann habe ich den Milchkessel hochgehalten und gesagt, dass ich in die Molki gehe. So war die Sache in Ordnung. Das heisst, die soziale Gemeinschaft hat in diesem Fall eine Mitverantwortung für jedes Individuum übernommen. Das gilt auch für die Pflege der Alten. Mit dem Auseinanderbrechen dieser Gemeinschaften ist das etwas verloren gegangen. Jetzt wird alles der Verantwortung der Eltern angelastet. Als wäre man als Kind «nur» Mitglied der Familie. Die soziale Umwelt ausserhalb der Familie ist jedoch für die Entwicklung eines Kindes enorm wichtig. Kinder aus Syrien beispielsweise sind schwerst traumatisiert, ohne dass ihre Familien etwas dafür können. Das sind soziale Phänomene. Ich denke, dass wir mehr darauf achten müssen, wie sich die Gesellschaft im Hinblick auf die Kinder entwickelt und organisiert. Deshalb habe ich eine Kinderverträglichkeitsprüfung vorgeschlagen. Wie sich zum Beispiel das verdichtete Wohnen auf die Kinder auswirkt und was das für ihre Spielräume bedeutet. Man müsste das Kind und die Entwicklung des Kindes als Prüffaktor für die Entfaltung der Gesellschaft in der Zukunft ernst nehmen. Was ist eine Kernfamilie für Sie? Vater, Mutter und ein bis zwei Kinder. Im Unterschied zur Grossfamilie. Verändert hat sich insbesondere die Anzahl an Geschwistern. Früher übernahmen die älteren Kinder Mitverantwortung für die jüngeren. Hinzu kamen Grosseltern, Tanten, Onkel und so weiter. Wie wichtig sind Grosseltern? Die Grosselterngeneration hat eine sehr grosse Bedeutung für die Entwicklung der Kinder. Das wird zu wenig beachtet. Die Grosseltern haben natürlich ihre eigenen Sorgen und Aufgaben. Sie reisen um die Welt. Grosseltern sind aber als Alternative zu den Eltern äusserst wichtig. Sie vermitteln sehr oft die Werte und die Geschichte der Familie. Sie sind Geschichtenerzähler und vertreten das Narrative. Das ist ganz wichtig für die Entwicklung des Kindes. Das Referendum gegen das neue Adoptionsrecht ist gescheitert. Konservative Stimmen warnen davor, dass der Schutz des Kindes von den neuen Regeln gefährdet sei. Können Sie dem zustimmen? Nein. Das Problem ist eher, dass Adoption ganz allgemein von einer freiwilligen Beratung begleitet werden sollte. Die Adoption ist bei den Adoptionseltern oft mit besonderen Erwartungen verbunden – mindestens mit der, dass man dem Kind jetzt etwas Gutes tut. Häufig haben sie eine Art Anspannung, vor allem dann, wenn man sieht, dass das Kind Schwierigkeiten psychischer oder sozialer Art hat. Kinder, die zur Adoption freigegeben werden, haben aber oft eine schwierige früheste Lebensgeschichte. Sie haben in den ersten Monaten nicht erlebt, was ein Säugling sonst erlebt. Manche haben zudem Mütter in schwierigen Lebensumständen. Sie bringen oft Funktionsstörungen mit. Damit kollidieren die schwierige Lage der Kinder und ihre Funktionsstörung mit den hohen Erwartungen der Eltern. Dann kommt es sehr oft zu Enttäuschungen, Konflikten und Verkrampfungen in der Familienatmosphäre. Deshalb ist eine gute externe Begleitung zentral. Wie wichtig ist es für ein Kind, einen «Vater» und eine «Mutter» zu haben? Für die Adoption ist es unwichtig, ob es zwei Frauen, Männer oder ein heterosexuelles Paar sind. Klar ist aber, dass jedes Kind Kontakte zu beiden Geschlechtern braucht. Das kann für homosexuelle Paare über Grosseltern oder Schwestern erfolgen. Im Grunde haben wir alle bisexuelle, bi-erotische Anlage. Wir sind hingezogen zu beiden Geschlechtern. Diese doppelte Möglichkeit muss jedes Kind wahrnehmen können. Was ist eine Vater-, was eine Mutter rolle? Die Elternrolle wird weitgehend sozial definiert. Wir haben in unseren Vorstellungen von Vater- und Mutterrolle die Erbschaft des Alten und des Neuen Testaments der Bibel. Diese Rollenverteilung hat sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend verändert. Die früher vorwiegend dem Vater zugeschriebene Stellung des Verantwortlichen für die Ernährung und für die Setzung von Normen und Regeln – in der Bibel ist der Vater Stellvertreter des Vaters im Himmel – ist weitgehend von den Frauen übernommen worden. Umgekehrt haben die Männer Funktionen der Frauen übernommen, sie vermitteln Geborgenheit und sorgen sich um die Ernährungssicherheit. Dieser Wandel ist sehr, sehr rasch über die Bühne gegangen. Migrationsfamilien konfrontieren uns auch mit Zuständen, die wir vor einer Generation hatten. Vielleicht hat unsere Empörung und Ablehnung damit zu tun, dass eine alte Geschichte von uns reaktiviert wird. Das tradierte Rollenverständnis, das abendländisch-biblisch dominiert ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. 13 14 Fachwissen Familienpolitik Muss es in einer Partnerschaft Differenzen im Rollenverständnis geben? Ja. Es ist wichtig, dass verschiedene Positionen eingenommen werden. Etwa wenn der eine Partner über das Kind empört ist, es der andere in Schutz nimmt und damit die Vorhaltungen abmildert. Neben der Gleichwertigkeit, den gleichen Normen, spielen auch Differenzen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein grosses Problem ist, dass Kinder sehr unter einer psychischen Krankheit eines Elternteils leiden können. Kümmern wir uns in der Schweiz genügend um diese Kinder? Es hat sich in der Schweiz in diesem Bereich deutlich gebessert. Kinder sind traditionell ein Helfer in schwierigen Situationen. Dass sie stützen, ist sinnvoll, weil sich dadurch ihr Selbstwertgefühl erhöht – aber nur dann, wenn das Kind nicht überfordert ist. Eine Depression, eine tödliche Erkrankung oder starkes Suchtverhalten ist für ein Kind verkraftbar, wenn es unterstützt und nicht vernachlässigt wird. Da sind Anstrengungen gemacht worden: Man arbeitet heute zunehmend familienorientiert. Die Fachleute, auch die Kesb, sind auf dem richtigen Weg. Es wird versucht, die soziale Verantwortung der Gesellschaft auch in Bezug auf das Kindeswohl wahrzunehmen. Die Priorität ist insofern richtig, als sich die Gesellschaft um das Wohl des Kindes kümmern muss und dies nicht nur Sache der Eltern ist. Neurowissenschaft ist sehr en vogue. Wie schätzen Sie die neuen Erkenntnisse dieser Wissenschaft ein? Wie hilfreich sind sie für Ihr Fach Pädiatrie? Die Erkenntnisse der Spiegelneuronen, der Nervenzellen, die Verhal- tensweisen von ganz früh an speichern, sind wichtig. Die 68er Generation versuchte alles milieu- und sozialbedingt zu erklären. Jetzt wird biologisch argumentiert. Tatsächlich ist es immer beides: Gene und Umwelt. Man muss nicht fragen: Ist es Milieu oder Anlage? Ausschlaggebend ist das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren oder die Frage, wo da etwas schieflaufe. Wird die Neurologie Psychiatrie und Psychologie nachhaltig verändern? Nein. Sie führt zwar wichtige Aspekte für den biologischen Anteil ein, aber wir müssen auch sehr darauf achten, dass wir soziale und familiäre Faktoren nicht vernachlässigen. Interview: Beat Honegger Life-Work-Balance Führungskräfteentwicklung & Coaching am IAP zhaw.ch/iap Fachwissen Familien-AG Psychologische Kontrakte mit Tücken In der Schweiz sind fast neun von zehn Unternehmen Familienbetriebe, von denen wiederum ein Grossteil kleine und mittlere Unternehmen sind. Die volkswirtschaftliche Bedeutung kann also nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ein zentrales Thema der Familienunternehmen sind die Nachfolgefragen. Ein anderes die Binnenkommunikation mitsamt all den Vereinbarungen, bei denen jeder Beteiligte eine andere Idee davon hat, wie sie zu interpretieren seien, ohne dass dies wirklich geklärt ist. Mitglieder von Unternehmerfamilien sind mit einer ganz besonderen Komplexität konfrontiert. Familie und Unternehmen passen von der Art, wie sie als soziale Systeme mit Kommunikation umgehen, eigentlich überhaupt nicht zueinander: Es macht einen gros sen Unterschied, ob die Dinge aus der Logik der Familie angeschaut werden oder aus der des Unternehmens. Die Logik des Unternehmens klopft jede Kommunikation darauf hin ab, inwieweit sie mittelbar oder unmittelbar auf eine Entscheidung abzielt, während in der Logik der Familie Kommunikation vordringlich dazu dient, sich wechselseitig Verbundenheit und Zugehörigkeit zu bestätigen (v. Schlippe, Groth & Rüsen, 2017). Ein erfolgreiches Zusammenwirken beider Systeme ist theoretisch wie praktisch unwahrscheinlich. Konflikte müssten also eigentlich die Regel, der zu erwartende «Normalfall» sein. Das erstaunliche Phänomen ist, dass es doch einer recht grossen Zahl von Familien gelingt, die Spannungen der verschiedenen Logiken nicht nur einigermassen gut zu balancieren, sondern das Unternehmen als Bereicherung für den Familienzusammenhalt zu erleben. Wenn es jedoch zu Konflikten kommt, dann lassen sich diese oftmals darauf zurückführen, dass Unternehmensund Familienlogik nicht klar genug auseinandergehalten werden. Da sich die Mitglieder in Unternehmerfamilien oft in gegensätzlichen Logiken gleichzeitig bewegen müssen, können Missverständnisse entstehen, die schnell zu eskalieren vermögen. «Wir werden uns dann schon einig …» Um einen Aspekt dieser Dynamik soll es an dieser Stelle gehen, nämlich um die Bedeutung unausgesprochener Vereinbarungen. Diese werden zwischen zwei Parteien nur vage, implizit getroffen, ein meist nur angedeutetes oder unausgesprochenes Versprechen, das durch Handlungen, Signale und Symbole gegeben wird, aber vieldeutig bleibt. Aus der Paartherapie ist das Thema als «impliziter Beziehungsvertrag» bekannt: Der eine signalisiert, dass er/sie die unausgesprochenen und oft auch unbewussten Ideen und Wünsche, die der andere Partner, die andere Partnerin zu Beginn einer Beziehung an ihn/sie hat, erfüllen werde. Manchmal wird dann nach kürzerer oder längerer Zeit deutlich, dass diese «Verträge» nicht erfüllt werden, und es kommt zu Paarkrisen (Sager, 1976). In der Organisationsforschung wurde in diesem Zusammenhang der Begriff «psychologischer Kontrakt» geprägt (Coyle-Shapiro & Parzefall, 2008): Vereinbarungen, bei denen jeder eine andere Idee darüber hat, wie sie zu interpretieren seien, ohne dass dies geklärt wird. Es ist dabei durchaus möglich, dass derartige Kontrakte von einer Seite strategisch, mit manipulativer Absicht vorgenommen werden («Wir werden uns dann schon einig»; «Fangen Sie erst mal an, wir finden da schon eine befriedigende Lösung»). Dann mag ein Mitarbeiter nach seinem ersten Jahr auf die Frage etwa nach der von ihm erwarteten Gehaltserhöhung die Antwort bekommen: «Nein, das haben Sie ganz falsch verstanden!» Erschreckend ist, dass rund 55 Prozent der befragten Mitarbeiter von Organisationen von Empörungsgefühlen über verletzte psychologische Kontrakte berichten, die sie bis zur inneren Kündigung treiben. «Irgendwann wirst du diese Kette tragen …» In der Familienunternehmensforschung wurde der Begriff aufgegriffen, um die emotionale Verwirrung («Emotional Messiness») und die Turbulenzen zu verstehen, die sich immer wieder in Unternehmerfamilien erge- Arist von Schlippe, Prof. Dr. phil., ist Psychologe, Psychotherapeut und Hochschullehrer. Von 1976 bis 1981 Tätigkeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ab 1981 in der Klinischen Psychologie der Universität Osnabrück tätig, seit 2005 hält er den Lehrstuhl Führung und Dynamik von Familienunternehmen der Universität Witten-Herdecke in Nordrhein-Westfalen. Seit 1986 ist von Schlippe Lehrtherapeut und lehrender Supervisor am Institut für Familientherapie Weinheim. Der Verband der lettischen Familientherapeuten in Riga ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Er fungiert als Mitherausgeber der Fachzeitschrift «Familiendynamik» und ist Co-Autor des «Lehrbuchs für systemische Therapie und Beratung». Seine wissenschaftliche Tätigkeit lässt einen starken klinischen Akzent erkennen, der durch Fragestellungen in Bezug auf Familienunternehmen und Organisationen ergänzt wird. Er hat sich mit unterschiedlichen familientherapeutischen Fragen befasst und sieht den Übergang von Beratung zu therapeutischer Arbeit mit Familien als fliessend an. ben (Brundin & Sharma, 2012). Auch hier mag es manipulative Versprechen nach dem Motto «Divide et impera!» geben – ein Unternehmensnachfolger etwa berichtete, dass sein Vater an zwei Tagen desselben Wochenendes ihm und seinem Bruder unabhängig voneinander angeboten hatte, ihm als persönlich haftender Gesellschafter 15 16 Fachwissen Familien-AG nachzufolgen. Ein heftiger Streit der Brüder war die Folge, beide bemühten sich in heftiger Konkurrenz zueinander, dem Vater zu gefallen. Doch in weitaus mehr Situationen dürften die Probleme, die aus solchen Kontrakten erwachsen, damit zu tun haben, dass beide Seiten Erwartungen an ein vages Versprechen knüpfen, die nie hinterfragt werden, weil sie als völlig selbstverständlich erlebt werden. Derartige Vorgänge sind in Familien nicht selten – ein Schmuckstück von hoher symbolischer Bedeutung wird etwa mehreren Kindern in der Situation besonderer emotionaler Nähe versprochen: «Irgendwann wirst du diese Kette tragen.» Der Elternteil drückt damit vielleicht nur die gerade empfundene besondere Zuneigung zu dem jeweiligen Kind aus und vergisst das Gesagte nach wenigen Wochen; für das Kind hat das Versprechen einen anderen Grad an Verbindlichkeit. Das Versprechen wird als so selbstverständlich erlebt, dass man nie darauf zurückkommt (etwa durch die klärende Frage «Habe ich das richtig verstanden, dass …?»), so dass dann etwa erst im Erbfall die Erwartungsenttäuschung eintritt. In einem Fall stellten die fünf Geschwister einer Familie nach dem Tod der Mutter fest, dass ein derartiges Schmuckstück jedem von ihnen in jeweils besonders eindrücklichen Momenten, verteilt über 35 Jahre, versprochen worden war. Nachdem sie sich darüber ausgetauscht hatten, konnten sie die bereits aufkeimenden Konflikte in einem Lächeln auflösen: So war sie eben, die Mutter! Ein solch versöhnlicher Blick mag noch gelingen, wenn man, wie in diesem Fall, innerhalb der Familienalso Beziehungslogik bleibt. «Arbeite erst einmal mit, später wirst du dann Nachfolger…» Anders ist es, wenn sich in Unternehmerfamilien Erwartungen ergeben, die zwar familiärer Logik entstammen, sich aber auf Unternehmensbelange richten bzw. in Unternehmenslogik behandelt werden, wenn also Familien- und Unternehmenslogik kollidieren. So mag ein Sohn, eine Tochter auf der Basis derartiger Erwartungen beginnen, sich in Richtung ei- nes als selbstverständlich erlebten Versprechens zu verhalten. Er/sie beginnt beispielsweise gegen seine Neigung ein Wirtschaftsstudium mit der Idee, irgendwann einmal ins Unternehmen einzusteigen. Oft ist der Hintergrund für ein solches Versprechen eine tief empfundene Loyalität, von der angenommen wird, dass der andere sie genauso erlebt und dass vor allem der eigene Einsatz vom anderen als Ausdruck eben dieser Loyalität wahrgenommen wird. Wenn er/sie dann nach erfolgreichem Abschluss des Studiums mit der Aussage konfrontiert ist, dass der Vater (seltener die Mutter) gar nicht daran denke, ihm einen Platz in der Firma einzuräumen, weil er – ganz aus der Unternehmenslogik heraus – den Sprössling für nicht geeignet hält, kann die Erwartungsenttäuschung dramatisch, wie ein Verrat erlebt werden. Beispiel: An einer Konferenz nahmen der über 80-jährige Vater, nach wie vor im Unternehmen aktiv, und der 56-jährige Sohn, seit langer Zeit zweiter Geschäftsführer, teil. In einer Diskussion tritt der Vater ans Rednerpult und sagt mit fester Stimme, dass in seinem Unternehmen an eine familieninterne Nachfolge «überhaupt nicht zu denken» sei. Der Sohn nimmt das Mikro, doch ihm versagt die Stimme, und er bricht vor dem Auditorium in Tränen aus: Er war einen unausgesprochenen psychologischen Kontrakt eingegangen («Arbeite erst einmal mit, später wirst du dann Nachfolger»), der vom Vater, welcher sich ganz in der Unternehmenslogik bewegte, offenbar die ganze Zeit hindurch nicht so gesehen wurde. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer «Successor’s Trap», einer Nachfolgefalle, in die das Kind einer Unternehmensfamilie unversehens geraten kann: Aus selbstverständlicher Erwartung und aus Loyalität heraus werden Studium und Karriereplanung auf das Familienunternehmen hin ausgerichtet, ohne dies explizit zu thematisieren; alternative Angebote werden ausgeschlagen, bis man im mittleren Lebensalter und manchmal gar erst bei Testamentseröffnung erlebt, dass die eigenen Erwartungen mit den Vorstellungen der Gegenseite nicht zusam- menpassen (Kaye, 1996; v. Schlippe & Hülsbeck, 2016). Die dann entstehende Emotional Messiness, das Gemisch aus Gefühlen von Irritation, Verrat, Kränkung und dem Verlust der Lebensperspektive, kann sehr tief greifend sein. Nicht umsonst gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass in Unternehmerfamilien psychische Störungen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auftreten (Borst, 2008). Und auch wenn hier noch die empirische Evidenz fehlt, lohnt es sich, für die unausgesprochenen Kontrakte in diesen Familien besonders sensibel zu sein. Arist von Schlippe Literatur Borst, U. (2008). Psychische Störungen und Familienunternehmen. Die Angst des Juniors vor der Nachfolge. In A. v. Schlippe, A. Nischak, & M. El Hachimi (Eds.), Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter, Generationen (pp. 210–212). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Brundin, E., & Sharma, P. (2012). Love, hate, and desire: The role of emotional messiness in the business family. In A. Carsrud & M. Brännback (Eds.), Understanding family business. Undiscovered Approaches, Unique Perspectives, and Neglected Topics (1st ed., pp. 55–71). New York: Springer. Coyle-Shapiro, J., & Parzefall, M. (2008). Psychological contracts. In C.L. Cooper & J. Barling (Eds.), The SAGE handbook of organizational behavior (pp. 17–34). London: SAGE Publications. Kaye, K. (1996). When the family business is a sickness. Family Business Review, 9(4), 347–368. http://doi.org/10.1111/ j.1741-6248.1996.00347.x Sager, C.J. (1976). Marriage contracts and couple therapy. New York: Brunner & Mazel. Schlippe, A. v., Groth, T., & Rüsen, T. (2017). Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie – Familienstrategie über Generationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. v., & Hülsbeck, M. (2016). Psychologische Kontrakte in Familienunternehmen. Familienunternehmen Und Strategie, (4), 122–127. Inserate Akademie für Verhaltenstherapie und Methodenintegration Neue Weiterbildungsgänge in kognitiver Therapie und Methodenintegration Ab Oktober 2017/18 (Bern, Basel), ab März 2018 (Zürich, Wil). Der Weiterbildungsgang März 2017 (Zürich, Wil) ist ausgebucht. Schwerpunkte der vierjährigen Weiterbildung für PsychologInnen bilden kognitive Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin. Weitere empirisch begründbare Therapieansätze anderer Therapieschulen werden ebenfalls berücksichtigt. Das Curriculum der ab 2014 beginnenden Weiterbildungsgänge orientiert sich an den Q-Standards des BAG. Der erfolgreiche Abschluss der Weiterbildung berechtigt zum Führen der Bezeichnung «eidgenössisch anerkannte(r) PsychotherapeutIn». Der FSP Fachtitel (FachpsychologIn für Psychotherapie FSP) kann beantragt werden. Für externe InteressentInnen besteht auch die Möglichkeit, nur einzelne Kurse zu buchen. Preis pro Kurs CHF 390.– bzw. 430.– 25./26.02.17 25./26.02.17 04./05.03.17 Petry Jörg, Dr.phil. Stoffliche und stoffgebundene Süchte Demmel Ralf, Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Motivierende Gesprächsführung Widmer Karin, Dr. phil. Bewältigungsorientierte Paartherapie 04./05.03.17 11./12.03.17 Kupferschmid Stephan, Dr. med. Kinder psychisch kranker Eltern Galli Ursula, Dr. phil. Chronische Schmerzen Anmeldung und weitere Infos AIM, Cornelia Egli-Peierl, Psychiatrische Klinik, Zürcherstr. 30, 9500 Wil Direktwahl Tel. 071 913 12 54 (telefonisch erreichbar: Mo-/Mi-Morgen und Freitag), [email protected] oder www.aim-verhaltenstherapie.ch Freitag, 17. bis Sonntag, 19. März 2017 Verhaltenstherapiewoche 2017 Zum zehnten Mal findet die Fortbildungsveranstaltung in Zusammenarbeit mit der IFT-Gesundheitsförderung, München, und der Schweizerischen Gesellschaft für Verhaltens- und Kognitive Therapie statt. Ziel der Veranstaltung ist es, Praktikerinnen und Praktiker mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und erprobtem Praxiswissen vertraut zu machen. Freitag, 17. März, 16:30 – 19:45 Uhr – Eröffnungsveranstaltung Schematherapie Dr. Lea Hulka, Psychologin und Forscherin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) Traumaforschung Prof. Dr. Birgit Kleim, Leiterin des Psychologischen Dienstes der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) Samstag, 18. und Sonntag, 19. März Behandelt werden vorwiegend psychodiagnostische oder psychotherapeutische Verfahren. Schwerpunkte der Workshops sind die Vermittlung von klinisch-relevantem psychologischen und medizinischen Wissen und das Üben klinisch-psychologischer Verfahren. Weitere Informationen finden Sie unter www.privatklinik-meiringen.ch. Bei Anmeldung bis zum 22. Januar 2017 gilt eine reduzierte Teilnahmegebühr. Privatklinik Meiringen AG Willigen CH-3860 Meiringen Telefon +41 33 972 81 11 www.privatklinik-meiringen.ch Ein Unternehmen der Michel Gruppe Ärztliche Leitung: PD Dr. med. Jochen Mutschler 17 18 ZHAW inside Serie aus Studium & Forschung, 3. Teil Doing Family In dieser punktum.-Ausgabe wird die Projektarbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) unter der Leitung von Verena Berchtold-Ledergeber, Dozentin am Psychologischen Institut, fortgesetzt. In einer mehrteiligen Serie publiziert sie mit StudentInnen aus dem Masterstudiengang themenbezogene Beiträge anhand von aktuellen Theorien und Forschungsergebnissen. – Das Thema heute: Familienstrukturen und ihr Wandel auf gesellschaftlicher Ebene. Was ist eine Familie? Dazu Schriftsteller Sten Nadolny1: «Jeder weiss es – ausser man fragt ihn.» Pro Familia Schweiz definiert Familie als «zeitlich überdauernden Ort des Aufgenommen-Werdens, der Zugehörigkeit, der Orientierung für jeden Menschen ungeachtet seines Alters, seines Geschlechts und seiner psychischen und physischen Benachteiligung».2 Wir alle sind also Teil einer Familie. Ist uns deshalb klar, was eine Familie ist und wie sie funktioniert? Verena Berchtold-Ledergerber, Dozentin am Psychologischen Institut der ZHAW. Zugänge zum Thema «Familie» Werden Familien und ihre Lebensformen in der Forschung untersucht, geschieht dies über die Paar- und Elternschaftsbeziehung sowie über das alltägliche Zusammenleben und die Beschreibung übergreifender sozialer Lebenszusammenhänge 3. Die Familienpsychologie ist als Fachdisziplin im deutschsprachigen Raum praktisch unsichtbar 4. Ihre zentralen Themen sind daher eingebunden in die Entwicklungspsychologie, die Diagnostik, die Klinische Psychologie usw. Aus psychologischer Sicht stehen das subjektive Erleben und Verhalten der Familienmitglieder im Zentrum. Die Menschen definieren sich selbst als einer Familie zugehörig und erleben darin emotionale Nähe. Diese Definition ist unabhängig von Blutsverwandtschaft, Trauschein oder dem Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt und schliesst unverheiratete Paare, Stieffamilien, bisexuelle Paare und weitere Lebensformen mit ein5. Biologisch definiert sich die Familie über die Blutsverwandtschaft als Eltern mit Kindern, Grosseltern, Onkeln und Tanten, Cousinen und Cousins. Der Grad der Verwandtschaft ist massgebend für die Zugehörigkeit zur Familie. In der funktionalen Definition von Familie wird diese als Wirtschaftseinheit von Erwachsenen und Kindern gesehen. Das wichtigste Kriterium ist das dauerhafte Zusammenleben im selben Haushalt und damit der gemeinschaftliche Lebensvollzug, unabhängig von Heirat oder Blutsverwandtschaft6. Rechtlich ist die Familie eine auf Lebenszeit geschlossene eheliche Lebensgemeinschaft mit Nachkommen erster Linie. Die Soziologie wiederum stellt eine Struktur zur Verfügung, welche die Familienforschung in drei grundlegende Perspektiven aufteilt7: • Gesellschaftliche Ebene: Familienstrukturen und ihr Wandel; • Familiale Beziehungsebene: Interaktionsgeschehen in der Familie (z.B. Alltagsgestaltung); 1 2003. 2 2016. 3 Kreyenfeld & Konietzka, 2015. 4 Schneewind, 2010. 5 Jungbauer, 2014. 6 ebd. 7 Huinink, 2006. Gabriela Schuler-Kaiser, BSc ZFH in Angewandter Psychologie, aktuell Betreuerin und Weiterbildnerin in einer teilstationären Institution für demenzerkrankte Menschen und Studentin im MSc ZFH in Angewandter Psychologie. • Individuelle Ebene: Familienverläufe als individuelle Lebensverläufe; Auswirkungen von Familienbeziehungen auf den Lebensverlauf von Eltern und Kindern; Wahl der Lebensform sowie Familiengründungs- und Auflösungsprozesse. Im Folgenden werden wir die Familienstrukturen und deren Wandel auf gesellschaftlicher Ebene behandeln, wobei der Blick in die Vergangenheit den Anfang macht. Familie als Arbeits- und Solidargemeinschaft 8 Bis ins 18. Jahrhundert war die Familie als Arbeits- und Solidargemeinschaft die vorherrschende Lebensform und erfüllte zahlreiche gesellschaftliche Funktionen (Reproduktion, Krankenund Altersversorgung, wirtschaftliche Vorsorge für Notlagen, emotionale und fürsorgliche Unterstützung, Weitergabe von religiösen Riten). Die Familie war eine Produktionseinheit – entweder führte sie einen Landwirtschaftsbetrieb oder ein Gewerbe. Sie umfasste in der Regel die Kernfa8 Rosenbaum, 2014. ZHAW inside Serie aus Studium & Forschung, 3. Teil Verena Wüthrich-Peter, BSc ZFH in Angewandter Psychologie, Primarlehrerin, eidg. dipl. Berufs- und Laufbahnberaterin und aktuell Studentin im MSc ZFH in Angewandter Psychologie. milie, ergänzt mit einigem Gesinde. Die Arbeiten waren nach Geschlechtern getrennt. Die Frauen sorgten für die Arbeiten im Haus, die Männer für die Arbeiten draussen. Dem Ehemann stand die Entscheidungsbefugnis über seine Frau und den ganzen Hausstand zu. Frauenarbeit hatte eine untergeordnete soziale Wertigkeit. Die Heirat war ein Privileg der Besitzenden. Damit die Obrigkeit eine Heirat bewilligte, musste ein Nachweis von materiellem Besitz erbracht werden. Kinder standen nicht im Mittelpunkt der Familie. Säuglinge, die während der Erntezeit geboren wurden, überlebten weniger als im Winter geborene. Zudem waren Kinder eine ökonomische Belastung, bis sie zum Familienunterhalt beitragen konnten. Säuglinge und Kinder wurden nicht allein von ihren Müttern versorgt; dieser Anspruch wurde gesellschaftlich auch nicht an die Mütter gestellt. Die ganze familiale Umwelt beteiligte sich an der Erziehung. Das Kinderleben spielte sich inmitten von Arbeit ab. Alle Kinder wurden früh darin eingebunden und mussten aus wirtschaftlichen Gründen spätestens mit zehn Jahren aus dem Haus. Wilde Ehen waren in der Unterschicht sehr verbreitet. Oft waren sie Zweitbeziehungen, da legitimierte Beziehungen wegen des Verbots von Scheidung und Wiederverheiratung untersagt waren. Wegen der Existenzsicherung und der Ernährung ihrer Kinder waren aber verwitwete oder von ihren Männern verlassene Frauen oft dringend auf eine neue Beziehung angewiesen. Die Vielfalt der Familientypen war mindestens so gross wie heute. Die sehr viel geringere Lebenserwartung trug dazu bei, dass mit Kindern aus früheren Beziehungen komplexe Familienstrukturen entstanden: Stief-, Adoptions-, Pflege-, Einelternfamilien, zusätzlich Familien aus Grosseltern und Enkeln und ebenfalls Geschwisterfamilien ohne Eltern. Eine strikte Trennung zwischen Familienmitgliedern und familienfremden Personen bestand nicht. Das Dienstpersonal lebte selbstverständlich in denselben Räumen mit. Die Wohnungen standen jederzeit für alle offen und waren öffentliche Begegnungsorte. Industrialisierung und Entstehung des bürgerlichen Familienmodells 9 Durch die Industrialisierung entstand eine räumliche Trennung der Arbeitsund Wohnstätten. So war die Familie nun für die emotionale Bedürfnisbefriedigung zuständig. Die Ehefrau und Mutter wurde zur «Gefühlsspezialistin» zu Hause, und der Ehemann sorgte ausser Haus für den Familienunterhalt. Die Familie entwickelte sich zu einer geschlossenen Gemeinschaft mit Exklusivcharakter. Kinder wurden nicht mehr als kleine Erwachsene betrachtet, sondern bekamen mit der Kindheit eine eigene Lebensphase, in der sie nun auch emotionale Zuwendung erhielten. Statt dem Arbeitsvermögen und der Mitgift etablierte sich die romantische Liebe als zentraler ehestiftender Heiratsgrund. Dieses bürgerliche Ideal setzte sich erst gegen Mitte der 1950er Jahre definitiv durch und war für eine kurze Zeit das universale, von der Mehrheit der Bevölkerung gelebte Familienmodell. 9 Nave-Herz, 2014. Familienstrukturen im Wandel Familien haben sich in den letzten Jahrzehnten in Europa dahingehend verändert, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften, Trennungen und Scheidungen zunehmen und Geburten zurückgehen. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Ost und West, die durch die sogenannte Hajnal-Linie, die von Triest nach Sankt Petersburg verläuft, markiert ist10: Im westlichen Teil Europas sind Kernfamilienhaushalte verbreitet sowie spätes Heiraten und eine relativ grosse Anzahl Personen, die gar nie heiraten. Im östlichen Teil dagegen sind Mehrgenerationenhaushalte charakteristisch sowie frühe Heirat und wenige Personen, welche gar nicht heiraten. Diese Heiratsmuster werden als lang anhaltendes kulturelles Phänomen angesehen, da sich ihr Ursprung bereits im Mittelalter herausgebildet hat11. Die heutige Familienforschung führt Struktur und Wandel der Lebensformen auf kohortenspezifische Muster zurück und sieht die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit den individuellen Lebensverlaufsperspektiven12. Was derzeit als De-Institutionalisierung und Wertewandel der bürgerlichen Familie bezeichnet wird, beschreibt die Familiensoziologie mit folgenden Phänomenen: Im westlichen Europa war die Familie über lange Zeit eine Institution, deren Schutz bedeutungsvoller war als die individuellen Rechte der Familienmitglieder. Diese Institution verändert sich nun hin zu einer sozialen Lebensform über eine bestimmte Zeit, und die Ehe als Legitimation für das Zusammenleben hat ausgedient. Die Frauenbiografien haben sich im Vergleich zu früher sehr stark verändert und ermöglichen neue Lebensperspektiven, in denen sich der Anspruch auf Ausbildung und Berufstätigkeit etabliert hat. Die veränderten Frauenrollen beeinflussen die familialen Binnenbeziehungen, diese haben sich von Macht- zu Partnerbeziehungen verändert, in denen Entscheide ausgehandelt werden13. 10 Hajnal, 1965. 11 Steinbach, Kuhnt & Knüll, 2015. 12 Kreyenfeld & Konietzka, 2015. 13 Schneider, 2015. 19 20 ZHAW inside Serie aus Studium & Forschung, 3. Teil Der biografische Aufschub der Familiengründung fällt zusammen mit dem ethisch normativen Postulat des 20. Jahrhunderts: Ein Kind zu haben, ist ein bewusst gefällter Entscheid und nicht mehr «Schicksal». Die Erziehungsverantwortung liegt voll und ganz bei den leiblichen Eltern14. Es gibt weniger Kinder, die eine knappe Ressource darstellen und mit hoher Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern bedacht werden. Die verantwortete Elternschaft bedeutet eine Respektierung der kindlichen Bedürfnisse und Wünsche und einen ständigen Einsatz der Eltern. Bis heute nicht verändert hat sich die soziale Rollenerwartung an die Frau, sich hauptverantwortlich um die Pflege und Erziehung der Kinder zu kümmern. Die Emanzipation der Kinder wirft die emanzipierten Frauen in ihre traditionellen Rollen zurück.15 Verschiedene Familienformen In der Schweiz gab es 2012 79,6 Prozent Kernfamilien, 5,5 Prozent Stieffamilien, 14,8 Prozent Einelternhaushalte und 0,6 Prozent gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern16. Als Folge von Trennung und Scheidung entstehen häufig neu zusammengesetzte Familien respektive Stieffamilien. In deren Haushalt lebt neben einem Elternteil mit eigenen Kindern noch ein Partner, eine Partnerin, die keine biologische Elternschaft zu diesen Kindern hat. Die wissenschaftliche Forschung verwendet nach wie vor den Begriff «Stieffamilie» und nicht die Begriffe «Patchworkfamilie» oder «Fortsetzungsfamilie», weil die Benennung der beteiligten Personen und ihrer Beziehungen nur über Begriffe wie Stiefeltern, Stiefkind oder Stiefgeschwister möglich ist 17. Stieffamilien haben sehr komplexe Strukturen, weshalb detailliert unterschieden wird zwischen18: – primären und sekundären Stieffamilien (Haushaltebene); 14 Nave-Herz, 2014. 15 Peuckert, 2012. 16 Bundesamt für Statistik, 2012. 17 Steinbach, 2015. 18 Kuhnt & Steinbach 2014. – Alltags- und Wochenendfamilie (Kindesebene); – Stiefmutter- und Stiefvaterfamilie (nach Geschlecht des Stiefelternteils); – einfache und zusammengesetzte Stieffamilie (ein oder beide Partner bringen Kinder mit); – komplexe Stieffamilien (in die Stieffamilie werden gemeinsame Kinder geboren). Der Anteil an Stieffamilien ist in Europa kleiner als der Anteil an Einelternfamilien19. In Einelternfamilien lebt ein Elternteil mit leiblichen Kindern, jedoch ohne Partnerin oder Partner. Der überwiegende Teil der Alleinerziehenden sind Frauen. In einer Studie aus Deutschland zeigt sich, dass Frauen sich eher um jüngere, Männer sich eher um ältere Kinder kümmern. Wie bei den Stieffamilien sind Einelternfamilien heute eher eine Folge von Trennung und Scheidung, wo die Ursache früher meist Verwitwung war 20. In Pflege- und Adoptivfamilien leben Paare mit nicht leiblichen Kindern in einem Haushalt zusammen. Der rechtliche Unterschied besteht darin, dass in Adoptionsfamilien das Kind die Rechte eines leiblichen Kindes hat, während in der Pflegefamilie das Sorge- und Verfügungsrecht beim Jugendamt oder den leiblichen Eltern liegt. In den vergangenen zwanzig Jahren zeigt sich ein Rückgang von Adoptionen. Dies wird damit erklärt, dass heute weniger Kinder dauerhaft aus ihren Familien genommen und zur Adoption freigegeben werden 21. In der Schweiz leben rund 15’000 Pflegekinder 22. Gleichgeschlechtliche Familien bestehen aus homosexuellen Paaren mit Kind(ern). Die Zahl der gleichgeschlechtlichen Familien ist rückläufig. Es wird vermutet, dass dies mit einem früheren Coming-out zusammenhängt, sodass dadurch weniger heterosexuelle Familien entstehen, die sich später in homosexuelle verändern 23. Studien zu sogenannten Regenbogenfamilien gibt es bereits seit den 1980er 19 Steinbach, Kuhnt & Knüll, 2015. 20 Kuhnt & Steinbach 2014. 21 Peuckert, 2012. 22 Pflegekinder-Aktion Schweiz, 2016. 23 Kuhnt & Steinbach, 2014. Jahren, wobei vorwiegend lesbische Eltern untersucht wurden. Schwule Väter, trans*-Elternschaft und bisexuell lebende Eltern sind kaum im Fokus der Forschung. In Deutschland wachsen 0,5 Prozent aller Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern auf, in Frankreich nach Schätzung 250’000 bis 300’000 Kinder 24; in der Schweiz nehmen verschiedene Institutionen an, dass zwischen 6000 und 30’000 Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen 25. In den letzten Jahren wurde vor allem auch das Wohl der Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern untersucht. In Vergleichsstudien zwischen Kindern gleichgeschlechtlicher Eltern und Kindern heterosexueller Eltern zeigen sich keine Unterschiede in der psychischen und sozialen Persönlichkeitsentwicklung, auch nicht in ihren Freundschaften und sexuellen Beziehungen. Durch alle Studien hindurch zeigt sich, dass die Beziehungsqualität und das Klima in der Familie entscheidend sind und nicht die sexuelle Präferenz der Eltern 26. Inseminationsfamilien bestehen aus Paaren mit Kindern, zu deren Zeugung auf eine Samen- oder Eispende oder beides zurückgegriffen wurde. Diese Familien sind genau genommen entweder Stief- (Samen- oder Eispende) oder Adoptionsfamilien (Samen- und Eispende). Oft sind auch gleichgeschlechtliche Familien Inseminationsfamilien 27. Doing Familiy In welcher Familienform wir Geborgenheit, Vertrauen und Liebe finden, ist wohl zweitrangig. Doing Family, ein sozialkonstruktivistischer Ansatz, versteht Familie als aktiven Gestaltungsprozess von Beziehungen im gesellschaftlichen Kontext. Ob eine Familie zustande kommt, ob sie funktioniert und auch fortbesteht, erfordert mentale und emotionale Leistungen im Sinne von bewussten Anstrengun24 Nay, 2016. 25 Dachverband Regenbogenfamilien, Lesbenorganisation Schweiz & Dachverband Pink Cross, 2016. 26 Nay, 2016. 27 Kuhnt & Steinbach, 2014. ZHAW inside Serie aus Studium & Forschung, 3. Teil gen 28. Familie sein und haben ist also eine aktive Leistung: Let’s do family! Verena Berchtold-Ledergerber, Gabriela Schuler-Kaiser und Verena Wüthrich-Peter Literatur Bundesamt für Statistik (2014). Demos. Informationen aus der Demografie (Newsletter Nr. 2, Oktober 2014). Zugriff am 17.07.2016. Verfügbar unter www.bsf.admin.ch Hajnal, J. (1965). European marriage patterns in perspective. In: Glass, D.V., & Eversley, D.E.C. (eds.): Population in History. Essays in Historical Demography. London: Edward Arnold: 101–143. Hill, P.B. & Kopp, J. (Hg., 2015). Handbuch Familiensoziologie. DOI 10.1007/978-3-658-02276-1 Huinink, J. (2006). Zur Positionsbestimmung der empirischen Familiensoziologie. Zeitschrift für Familienforschung, 18; 212–252. Jungbauer, J. (2014). Familienpsychologie kompakt. (2. aktual. und erw. Aufl.). Weinheim: Beltz. Jurczyk, K., Lange, A., & Thiessen, B. (Hg., 2014). Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist. Weinheim und Basel: Beltz. 28 Jurczyk, 2014. Kreyenfeld, M., & Konietzka, D. (2015). Sozialstruktur und Lebensform. In P.B. Hill & J. Kopp (Hg.), Handbuch Familiensoziologie (345– 373). DOI 10.1007/978-3-65802276-1. Kuhnt, A-K., & Steinbach, A. (2014). Diversität von Familien in Deutschland. In A. Steinbach, M. Hennig & O. Arranz Becker (Hg.), Familien im Fokus der Wissenschaft (40–69). DOI 10.1007/978-3-658-02895-4. Nadolny, S. (2003). Ullsteinroman. Berlin: Ullstein-Hardcover. Nave-Herz, R. (2014).(Hg.). Familiensoziologie. Ein Lehr- und Studienbuch. Oldenburg: De Gruyter. Nay, Yv E. (2016). Was sagt die Wissenschaft zu «Regenbogenfamilien»? Eine Zusammenschau der Forschung. 1–9. https://genderstudies.unibas. ch/nc/zentrum/Personen/profil/ eigene-Seiten/person/nay/Content/ publikations-Liste-1/ (Zugriff am 16.06.2016). Peuckert, R. (2012). Familienformen im sozialen Wandel (8. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. Pflegekinder-Aktion Schweiz (2016). Zugriff am 17.7.2016. Verfügbar unter www.pflegekinder.ch Pro Familia Schweiz (2016). Zugriff am 25.09.2016. Verfügbar unter http:// www.profamilia.ch/familienheute.html Rosenbaum, H. (2014). Familienfor- men im historischen Wandel. In A. Steinbach, M. Henning & O. Arranz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft. Wiesbaden: Springer. Schneider, N.F. (2015). Familie in Westeuropa. In P.B. Hill & J. Kopp (Hrsg.), Handbuch Familiensoziologie (21–51). DOI 10.1007/978-3658-02276-1. Schneewind, K.A. (2010). Familienpsychologie (3., überarb. und erw. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Steinbach, A. (2015). Stieffamilien. In P.B. Hill & J. Kopp (Hrsg.), Handbuch Familiensoziologie (563–610). DOI 10.1007/978-3-658-02276-1. Steinbach, A., Hennig, M., & Arranz Becker, O. (Hg., 2014). Familien im Fokus der Wissenschaft. DOI 10.1007/978-3-658-02895-4. Steinbach, A., Kuhnt A-K., & Knüll, M. (2015). Kern-, Eineltern- und Stieffamilien in Europa: eine Analyse ihrer Häufigkeiten und Einbindungen in haushaltsübergreifende Strukturen (Duisburger Beiträge zur soziologischen Forschung, No. 201502). Verfügbar unter http://dx.doi. org/10.6104/DBsF-2015-2 Welche Leistungen erbringt eine Familie? Familien erbringen Leistungen, auf die unsere Gesellschaft oder, in der Sprache der Soziologen ausgedrückt, die anderen sozialen Systeme angewiesen sind: Nachwuchssicherung (Geburt, Adoption und Sozialisation der Kinder) sowie die physische und psychische Regeneration und Stabilisierung ihrer Mitglieder. Ohne die Erfüllung dieser familialen Funktionen kann das Wirtschaftssystem seine Leistungen kaum oder nur unter erschwerten Bedingungen erbringen. Die Leistungserwartungen und die Qualitätsansprüche an die Familienleistungen sind in den letzten 50 Jahren stark gestiegen: Neben den Familiensystemen haben sich auch andere Systeme verändert. So haben Entwicklungen in Medizin, Bildung und Psychologie etc. einen grossen Wissenszuwachs ermöglicht, aus dem sich auch bessere Bedingungen für die Entfaltung und Sozialisation der Kinder ableiten lassen. Das Rechtssystem wiederspiegelt diesen Wandel, weil Erziehungsnormen und -verhalten diskutiert und juristisch ausgelegt und durchgesetzt werden. Die Bedeutung von gesundheitlichen Vorsorgeuntersuchungen und die Kenntnisse eines bewussten Ernährungsverhaltens sind stark angewachsen. Die kindorientierte Pädagogik setzt auf Verhandlungsarbeit in Form von Erklärungen und Diskussionen statt auf Geund Verbote. Die Versprachlichung der Erziehung verlangt viel Zeit und Energie. Das Wissens- und Bildungssystem vermittelt seit den 1970er Jahren, dass Begabtsein nicht Schicksal ist, sondern mit der elterlichen Sozialisation zusammenhängt. Eltern haben, wollen sie ihre Kinder fördern, schulische Unterstützung zu leisten. All dieses Wissen darum, was Eltern zu tun haben, verstärkt die gesellschaftlichen Erwartungen an die Familienleistungen und kann zu Gefühlen der Überforderung führen (Nave-Herz, 2014). 21 22 SBAP. aktuell Berufspolitische News Lianne Fravi gibt mit dieser Ausgabe die Leitung der punktum.-Redaktion ab. Bereits dieses Frühjahr hat sie sich entschieden, ihr Engagement als SBAP.-Vorstandsmitglied zu beenden. Sie erklärte sich zu diesem Zeitpunkt aber wertschätzenderweise dazu bereit, die Redaktionsleitung noch bis Ende Jahr weiterzuführen. Unter ihrer Leitung hat sich die Verbandszeitschrift innovativ weiterentwickelt, hat mit interessanten und spannenden Themen überzeugt und die Leserschaft mit dem einen oder anderen Farbtupfer überrascht. Im Namen des Vorstands und der Mitarbeitenden der Geschäftsstelle möchte ich Lianne Fravi für die beherzte und engagierte Zusammenarbeit ganz herzlich danken. Wir wünschen ihr und ihrer Familie für die Zukunft alles Gute. Christoph Adrian Schneider, Präsident SBAP. Notfallpsychologie Das Nationale Netzwerk für Psychologische Nothilfe (NNPN) plant für 2017 einen internationalen Kongress zum Thema «Psychologische Nothilfe bei Kindern und Jugendlichen». Es werden international bekannte Referenten anwesend sein. Merken Sie sich schon einmal den 14. September 2017 vor. Sobald weitere Details bekannt sind, werden wir Sie informieren. Auch 2017 werden wir unsere Gruppensupervision für aktuelle und ehemalige Kursteilnehmende anbieten. Falls niemand einen Fall zum Besprechen hat, werden wir aktuelle Themen aus den Bereichen Care und Notfallpsychologie diskutieren. Selbstverständlich werden Sie auch 2017 über die Geschäftsstelle auf die Veranstaltungen aufmerksam gemacht. Den Doodle für die Anmeldung finden Sie auch auf unserer Homepage unter Fachrichtungen > Notfallpsychologie. Laufbahn- und Rehabilitationspsychologie Die nationale Kampagne zur Stärkung der Berufsmaturität läuft nun schon länger und umfasst vier Teilprojekte (TP). Das TP 1 beinhaltet die Aktua- lisierung der Daten sowie die Befragung der Kantone und der Organisationen der Arbeitswelt (OdA). Das TP 2 widmet sich der Entwicklung von neuen Berufsmaturitäts-1-Modellen. Im TP 3 werden Empfehlungen zuhanden der Kantone erarbeitet. Nun läuft das TP 4. Im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat die Firma Econcept verschiedene Fokusgruppen zu einem ersten Workshop eingeladen. Das TP 4 hat die Bereiche Kommunikation/Information/PR zum Inhalt. An den Workshops nahmen Fachpersonen aus der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung teil, aber auch Personen von weiteren Interessengruppen, beispielsweise Lehrpersonen und Rektoren der Sekundarstufen I und II, Elternorganisationen, OdAs, Lernende sowie Angehörige von FH SCHWEIZ. Gerne werden wir weiter informieren, sobald Neuigkeiten über die nationale Kampagne bekannt sind. Wir freuen uns sehr, dass die neue Coaching-Ausbildung gestartet ist. Wie angekündigt besteht sie aus einem Grund- und einem Aufbaumodul. Im Grundmodul wird geklärt, wie sich klassisches Coaching von anderen Beratungsdisziplinen abgrenzt. Gleichzeitig werden die Teilnehmenden auf eine Tätigkeit im Bereich Coaching vorbereitet. Es werden Verträge und Zielvereinbarungen erarbeitet, und die Teilnehmenden füllen nach und nach ihren Methodenkoffer mit klassischen Coaching-Tools. Im Aufbaumodul AD(H)S und ASS (Autismus-Spektrum-Störung) gehen wir dann auf spezifische Methoden und Tools für diese spezifische Zielgruppe ein. Durch den Nachweis im Grundmodul, das individuelle Coaching-Konzept, welches alle Teilnehmenden erarbeiten, das Lesen der Pflichtlektüre sowie das Ausfüllen des Pflichtfragebogens können wir sicher sein, dass alle notwendigen Grundkenntnisse bei den Teilnehmenden vorhanden sind. Somit können wir uns im Aufbaumodul direkt auf die Vertiefung relevanter Themen fürs Coaching, die zukünftige Coaches auf ihre wichtige und wertvolle rbeit mit Menschen mit der DiagA nose AD(H)S und/oder ASS vorbereiten, fokussieren. Uns ist es wichtig, dass unsere Teilnehmenden trotz der Kürze der Ausbildung kompetent mit den anstehenden Coachingaufgaben umgehen können. Daher verlangen wir auch im Aufbaumodul einen Nachweis, bei dem die künftigen Coaches eigene Coachingprozesse dokumentieren müssen. Mit unserer modularen Coaching-Ausbildung schliessen wir eine Lücke für Fachpersonen, die breite Beratungserfahrung im Rahmen von Fachberatung und/oder Therapie mitbringen und sich Grundlagen im Bereich Coaching aneignen möchten. Durch die verschiedenen Aufbaumodule besteht die Möglichkeit, sich für eine spezifische Zielgruppe zu spezialisieren. Wir starten im Januar mit dem ersten Aufbaumodul AD(H)S und ASS. Weitere Aufbaumodule sind bereits geplant. Katja Iseli SBAP. aktuell News aus der Geschäftsstelle 47 Top-Vorteile Die neue FH-SCHWEIZ-Leistungsübersicht 2016/17 ist bereits im Einsatz. SBAP.-Mitglieder kommen in den Genuss von insgesamt 47 Produkten und Dienstleistungen. Das Angebot umfasst eine breite Palette an Top-Spartipps in sechs Themen feldern: «Versicherungen & Geld», «Gesundheit & Karriere», «Sprachen, Kultur & Freizeit», «Reisen & Mobilität», «Medien & News» sowie «Unternehmertum». Diese breite Palette an Leistungen ersetzt das bisherige «SBAP. Benefits Booklet». Die neue Übersicht und Informationen der Anbieter sind auf der Website unter sbap.ch/dienstleistungen/mitglieder zu finden. SBAP.-Preis für für herausragende angewandte Masterarbeiten Am 21. September 2016 wurden in der Limmathall, Zürich West, drei SBAP.-Masterpreise verliehen. Gewonnen haben die ZHAW-Absolventinnen Simone von Ah (Fachrichtung A&O), Sonja Gassmann Allgäuer (E&P) sowie Astrid Tanner-Meyer und Barbara Schmocker (Klinische Psychologie). Der SBAP. stiftet jährlich einen Preis für herausragende «angewandte» (im Sinne des FH-Profils) Masterarbeiten im konsekutiven Masterstudiengang am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW. Dabei werden die Masterarbeiten mit Mindestnote 5,0 in den Vertiefungsrichtungen Arbeits- und Organisationspsychologie (A&O), Klinische Psychologie und Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (E&P) berücksichtigt. Ausgezeichnet werden innovative angewandt-psychologische Masterarbeiten, die Neues explorieren bzw. neue, noch wenig bearbeitete Fragestellungen der Angewandten Psychologie bzw. Forschung thematisieren. Pro Vertiefungsrichtung wird ein Preis verliehen, die Preissumme beträgt 500 Franken und ein Jahr SBAP.-Mitgliedschaft. Eine Jury, bestehend aus Vertreterinnen der Vertiefungsrichtungen im SBAP.-Vorstand, dem SBAP.-Präsidenten sowie einer Fachperson des Departements Angewandte Psychologie, ermittelt die PreisträgerInnen. Die ausgezeichneten Arbeiten werden im punktum. vorgestellt. Weihnachten 2016 Die besinnliche Zeit des Jahres ist gekommen, und der SBAP. bedankt sich bei seinen Mitgliedern und Partnern für das spannende Jahr 2016. Diesmal verzichtet der SBAP. auf den Versand von Weihnachtskarten oder Geschenken. Stattdessen unterstützt unser Verband den Angelmann Verein Schweiz mit einer Spende von 500 Franken. Der Verein wurde 2013 gegründet. Er informiert, berät und unterstützt Eltern, Angehörige und Freunde von Menschen mit dem AngelmannSyndrom. Er betrachtet sich auch als Anlaufstelle für (neu) betroffene Familien und interessierte Fachleute in medizinischen, therapeutischen und pädagogischen Berufen. Dabei wird das Ziel verfolgt, den Austausch zwischen Forschung, Praxis und Betroffenen zu fördern. Weitere Informationen finden Sie auf www.angelmann.ch. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern ein schönes Weihnachtsfest und zum Jahreswechsel viel Glück, Gesundheit und Zuversicht. Vorstand und Geschäftsstelle des SBAP. sowie das punktum.-Team Die Geschäftsstelle bleibt über die Festtage vom 23.12.2016 bis zum 2.1.2017 geschlossen. 23 24 Gelesen Doppelte Spur Marlis Pörtner: Geschenkte Jahre Die Autorin Marlis Pörtner beschreibt einige ihrer persönlichen Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre und versucht diese mit den verschiedenen Themen des Buches zu verknüpfen, was nicht ganz gelingt. Der Aufbau des Buches ist etwas irritierend und eher unbefriedigend. Es werden verschiedene Themen aneinandergereiht, unterbrochen von autobiographischen Einschüben, die, als Einzeltexte gelesen, interessant und beachtenswert sind. Es fehlt jedoch der rote Faden, der alles verbindet. Vielleicht hat die Autorin dies selbst am besten formuliert, als sie zum Auftakt schrieb: «Was soll es denn werden? Fachbuch, Sachbuch, Ratgeber, persönliche Rückschau? Ich weiss es nicht. Wohl keines davon oder von jedem etwas.» Die biographischen Abschnitte des Buches beschreiben ungeschönt, wie das Leben einer über Achtzigjährigen aussehen kann. Daneben formuliert Frau Pörtner noch einmal die ihr wichtigen Anliegen in verschiedenen Bereichen des Umgangs mit Menschen wie zum Beispiel in Heimen oder Schulen, aber auch im öffentlichen Leben und im Kontakt zwischen bekannten und unbekannten Menschen. Sie kämpft mit ihren Mitteln für einen besseren Umgang mit uns anvertrauten Personen und zeigt mit berechtigtem Stolz und Freude, wie einzelne der von ihr gestreuten Samen aufgegangen sind und weiter Früchte tragen. Beeindruckend ist, wie konsequent die Autorin die personzentrierte Haltung lebt. Immer wieder verknüpft sie die unterschiedlichsten Lebenssituationen mit Elementen des personzentrierten Ansatzes und zeigt so, wie hilfreich diese Haltung ist oder wie erbärmlich in manchen Fällen mit (alten oder behinderten) Menschen umgegangen wird, wenn es an Wertschätzung oder Kongruenz fehlt. Sie benennt zum Bei- spiel das Prinzip der Gegenseitigkeit. «Alte Menschen können von jungen ebenso lernen wie junge von alten … Therapeuten von ihren Klienten, nicht nur umgekehrt.» Dies illustriert sie unter anderem ebenso mit Beispielen aus der Therapie wie auch der Architektur. Gleichzeitig berichtet sie offen, was ihr mit zunehmendem Alter persönlich wichtig wurde und wie sie in ihrem Alltag damit umgeht. Im Schlusskapitel geht es um die «Doppelspur». Auf der einen Spur geht das Leben seinen gewohnten Gang. Die andere Spur führt langsam auf das Ende zu. Die Herausforderung besteht für Marlis Pörtner darin, altersbedingte Beeinträchtigungen zu akzeptieren, aber nicht zu resignieren und sie als unbeeinflussbar hinzunehmen. Edith Burri, Psychologin SBAP., PUK, Zentrum für Forensische Psychiatrie Möchten Sie Ihre Therapie-Effekte mit Hypnose optimieren? Die Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz bietet mit den Grundkursen eine 4-tägige Einführung in Hypnose an. Diese Weiterbildung richtet sich sowohl an Psycholog(inn)en mit Hochschulabschluss als auch an Ärzt(e)innen. Beachten Sie unsere aktuellen Daten für 2017! Nächste Grundkurse I + II der Zusatzausbildung: Dr. med. Corinne Marti + 24.-25.03.2017 + Meilen lic. phil. Jacqueline 16.-17.06.2017 Blumenthal Jegher Dr. phil. Peter Hain 15.-16.09.2017 + Zürich 17.-18.11.2017 Anmeldung und alle weiteren Veranstaltungen unter: www.hypnose.ch Marlis Pörtner: Geschenkte Jahre. Glücksmomente und Herausforderungen ab 80. Klett-Cotta, Stuttgart 2016, 178 Seiten, Fr. 25.90, ISBN 978-3-60898062-2. Gelesen Stärken stärken Andreas Langosch: Ressourcenorientierte Beratung und Therapie Das vorliegende Buch hat sich zum Ziel gesetzt, von der Defizitorientierung weg zu einem anregenden Diskurs zu Möglichkeiten, Stärken und Ressourcen – dem ressourcenorientierten Arbeiten – einzuladen. Die Grundelemente ressourcenorientierten Arbeitens in diesem Buch sind: die lösungsfokussierte Kurztherapie bzw. der lösungsfokussierte Ansatz, Erkenntnisse aus der Resilienzforschung, die motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing) und das Modell der Phasen der Veränderung. Ebenfalls einbezogen werden Aspekte aus dem Case Management, welche insbesondere den Hilfeablauf systematisieren und den Blick für weitere Ressourcen öffnen sollen. Dem Werk beigefügt finden sich 25 Arbeitsbögen und zwei Auswertungsbögen (CD-ROM), die es ermöglichen, sich auf praktische Weise mit typischen Fragestellungen der genannten Fachgebiete und ihren Anwendungsmöglichkeiten vertraut zu machen. Das Buch ist gemäss Autor für ein breites Berufsfeld vor allem im psychosozialen Bereich einsetzbar. Mögliche Fragestellungen hierbei wären: Führen von Einzel- und Gruppengesprächen, Verlaufsbeobachtungen wie auch Evaluationen von Therapieprozessen, Förderplanung. Daneben kann es auch als Hilfsmittel für Studierende und interessierte Laien beispielsweise als Anleitung zur Selbsthilfe in der Ressourcenorientierung eingesetzt werden. Vom Aufbau her gibt das Buch jeweils eine prägnante theoretische Einführung in das entsprechende Grundelement. Dann werden die jeweiligen Aspekte mittels Fallbeispielen anschaulich und praxisbezogen verdeutlicht. Den Abschluss der jeweiligen Einführung bildet ein Hinweis auf die entsprechenden Arbeitsbögen, mit denen die betreffenden Aspekte erarbeitet werden können. Der Leser, die Leserin wird strukturiert und konkret in die Thematik eingeführt, wobei Lernerfahrungen aktiv eingeholt werden. In der Auseinandersetzung werden auch Grenzen aufgezeigt, es wird eine explizite Einladung zur Methodendistanz vorgenommen. Ein praxisbezogener Fokus und ein bescheidenes, realistisches Bild der Machbarkeit kommen zum Tragen. Ebenso findet eine ressourcenorientierte Ermunterung statt, einen eigenständigen, kreativen Beratungsstil auszuformen. Andreas Langosch schafft mit seinem Werk einen handlungsorientierten, stark anwendungsbezogenen Überblick, der mit Arbeitsbögen Anfängern hilfreich Hand bietet, Phänomene im Bereich des ressourcen orientierten Arbeitens zu elaborieren. Hierbei geht es primär darum, einen alternativen (ressourcenorientierten) Fokus zu legen. Eine weiterführende, nachhaltige Transferleistung jedoch kommt hierbei im Vergleich etwas zu kurz. Jacqueline Dacher, ZHAW Angewandte Psychologie Neue Mitglieder Breitschaft Clemens, Zürich Kohl-Boesiger Karin, Gerlafingen Heuberger Roland, Schaffhausen PsychologInnen SBAP. Beyeler Sibylle, Oberkirch Bolliger-Crittin Marianne Helen, Küsnacht Breitschaft Clemens, Zürich Heuberger Roland, Schaffhausen Heusser Johanna Meta, Arbon Kohl-Boesiger Karin, Gerlafingen Kramer Andrea Christina, Zürich Meister Karin, Balm b. Günsberg Metzger Nicole Yvonne, Schlieren von Ah Simone, Bülach Winzeler Sandra, Neuenhof Neue Studentenmitglieder Armoneit Corina, Hirschthal Erhard Elisabeth, Niederglatt Kalbermatter Dunja, Zürich Villar de Araujo Tania, Zürich Herzlich willkommen! Andreas Langosch: Ressourcen orientierte Beratung und Therapie. Ernst Reinhardt Verlag, München 2015, 142 Seiten, Fr. 32.40, ISBN 978-3-497-02513-8. PsychotherapeutInnen SBAP. Blarer Helen, Zürich Mettler Simon, Zürich Fachpsychologe SBAP. in Notfallpsychologie Merz Renata, Wetzikon Der SBAP. gratuliert! 25 26 Gelesen Rundum-Übersicht Christina Grubendorfer: Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur Wenn man dieses Buch in einem Satz beschreiben wollte, wäre das Fazit: Es ist kurz und knapp, aber auf den Punkt gebracht. Die Autorin schafft es schon im ersten Kapitel zu vermitteln, was genau sie unter Unternehmenskultur versteht. Im weiteren Verlauf des Buches beschreibt sie die Funktionen und Wirkungsprozesse, die Unternehmenskultur unvermeidlich mit sich bringt, und gibt Ratschläge, wie man Unternehmenskultur in der Praxis begegnen sollte. Dabei werden unterschiedlichste Theorien und Ansätze systemsicher Theorien zur Unternehmenskultur auf fundierte und eingängige Weise diskutiert. Wer mehr über die systemischen Theorien an sich erfahren möchte, ist mit diesem Buch jedoch falsch beraten. Der Fokus liegt klar auf der Unternehmenskultur, die zwar systemisch betrachtet wird, aber die systemischen Theorien werden nicht explizit behandelt. Um der Leserschaft trotzdem die Chance zu geben, den theoretischen Hintergrund, auf dem dieses Buch basiert, zu verstehen, verweist sie immer wieder auf Quellen, die es erlauben, offene Fragen zu beantworten. Mit dieser Vorgehensweise gelingt Christina Grubendorfer ein Buch, das sich auf das Wesentliche fokussiert und damit einen hohen Unter- Weiterbildung in systemischer Paartherapie 7 Module und Supervision, 14 Monate Beginn: 06. April 2017 Weiterbildung in Psychotherapie mit systemischem Schwerpunkt Anerkannte postgraduale Weiterbildung von BAG, FSP, SBAP, SGPP und Systemis.ch. Die Anforderungen der SGKJPP sind erfüllt. Nächster Einführungskurs: 10. – 11. März 2017 haltungswert bietet. Es ist somit nicht nur für Experten auf dem Fachgebiet spannend, sondern kann auch interessierten Laien, die zu Hause einen gemütlichen Abend verbringen möchten, eine fesselnde Lektüre sein. Interesse am Thema und aufmerksames Lesen ist, besonders für Laien, eine Voraussetzung für ein tolles Leseerlebnis. Denn bei Begriffen wie «nicht entschiedene entscheidbare Entscheidungsprämissen» kann man schon mal den Durchblick verlieren, welcher jedoch essenziell ist, um der Argumentationsweise der Autorin zu folgen und den Lesespass zu garantieren. Gleichzeitig wird die Theorie immer wieder um reale Beispiele ergänzt, und falls man doch mal im Begriffschaos versunken ist, bringen diese kurzen Einblicke in die Praxis Licht ins Dunkel und lassen alles wieder ganz einfach erscheinen. Unter dem Strich ist das Buch eine Rundum-Übersicht über das Thema der systemisch betrachteten Unternehmenskultur und bietet mehr, als Einband oder Titel erahnen lassen. Das Buch bringt einfach Spass und macht Lust auf mehr. Maria Kortmann, Psychologiestudentin, Uni Basel Fortbildungskurse 06. - 07. März 2017 Systemische Therapie sexueller Störungen Helke Bruchhaus Steinert 02. - 03. Mai 2017 Warum Gegenwind Dich weiterbringt Carmen Beilfuß 10. - 11. Juli 2017 Hypnotherapeutische Ansätze bei Depression und Burnout Ortwin Meiss 04. - 05. Oktober 2017 Psychose und Familie. Was das eine mit dem anderen zu tun hat David Briner 27. - 28. November 2017 Mehrpersonensetting Bernadette Ruhwinkel, Barbara Walder Christina Grubendorfer: Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2016, 124 Seiten, Fr. 21.90, ISBN 978-3-8497-0105-5. Gelesen Anleitung zur Selbstkompetenz Martina Zemp, Guy Bodenmann: Neue Medien und kindliche Entwicklung In kompakter, leserfreundlicher und fundierter Art erhalten Interessierte und Fachpersonen in diesem «Essentials»-Buch Wissen über Einfluss und Auswirkung exzessiven Konsums von Medien. Der wissenschaftliche Stand zeigt folgende Erkenntnisse: 1. Exzessiver Konsum von gewalthaltigen Medien entspricht einem robusten Prädikator aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen. Diese Art übermässigen Konsums kann zu den zehn risikorelevantesten Faktoren für delinquentes und gewalttätiges Verhalten gezählt werden. Es ist nicht als Grundvoraussetzung zu bezeichnen, dass je mehr zusätzliche Risiko- Systemische Strukturaufstellungen® in der Schweiz Direkt aus erster Hand mit den Methodenentwicklern Dipl. Psych. Insa Sparrer und Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd: Zertifizierter Basislehrgang 2017 Systemische Strukturaufstellungen im Organisationsbereich 30. März – 2. Apr., 11. – 14. Mai + 27. – 30. Aug. 2017, 12 Tage in Weggis/Luzern + 3 frei wählbare Tage Übung und Supervision mit Dr. Elisabeth Vogel Bis 8. Januar 2017 CHF 5‘650, danach CHF 5‘950 Träume und Visionen – Traumstrukturaufstellungen und Strukturaufstellungen in der Visionsarbeit 16. – 18. Mai 2017, 3 Tage in Weggis/Luzern Bis 15. Februar 2017 CHF 750, danach CHF 850 Mit Dr. Elisabeth Vogel, Systemische Beraterin (SySt®): Dipl. Systemischer Coach Lehrgang mit Schwerpunkt Systemische Strukturaufstellungen® und Lösungsfokussierung Beginn: 8. September 2017 Erf üll un g Weitere Seminare und Infos: www.wissenswert.ch WissensWert GmbH Dr. Elisabeth Vogel Spiegelacker 19, CH-8486 Rikon Mobil +41 79 620 30 30 [email protected] faktoren hinzukommen, desto stärker die Gefahr wäre. 2. Das Abhängigkeitsrisiko ist als hoch zu bezeichnen, insbesondere in Anbetracht der Bedienung von Lust-Stimulierung als Belohnungsprinzip und wenig Steuerungsmöglichkeit des Konsums. 3. In der Betrachtung von Längsschnittstudien betreffend die Zusammenhänge der Mediennutzung im Kindesalter und der letztendlichen Bildungslaufbahn sind die Häufung und der Inhalt relevant. Für die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung sind die prosozialen und kognitiv stimulierenden Inhalte didaktisch wertvoll. Hier hinterfragen die Autoren vor allem die Motivation, weshalb dem Kind und Jugendlichen Medienkonsum angeboten werde und wie beziehungsbildend und -unterstützend dies sei. 4. Weiter zeigt der neueste Wissensstand, dass bei ungünstigem, übermässigem Medienkonsum vor allem schulische Leistungseinbussen beobachtet werden. Wie stark die dabei beobachteten Aufmerksamkeitsprobleme Folge oder Ursache von ADHS sein könnten, ist vorläufig zu wenig in Längsschnittstudien untersucht. Zum Thema der kindlichen Entwicklung im Zusammenhang mit neuen Medien fasst das vorliegende Buch aus der «Essentials»-Reihe des Springer Verlags auf 44 Seiten diesen fundierten Überblick zusammen. Der Leserschaft wird am Ende jedes Kapitels der Inhalt in knappen Merksätzen zusammenfassend präsentiert. Anhand von Metanalysen und Längsschnittstudien, die von hoher Qualität sein sollen und bekanntlich die Untersuchungsaussagen wesentlich fundierter machen, zeigt sich die komplexe Suchtgefährdung und -problematik des exzessiven Medienkonsums auf die kindliche Entwicklung. Bevor sämtliche Erkenntnisse am Ende zusammengefasst dargelegt werden, stellen die Autorin und der Autor in einem Kapitel über Massnahmen seitens von Eltern und Erziehenden die Möglichkeiten vor, wie Fachpersonen unterstützend, präventiv und therapeutisch begleitend wirken können. Aus meiner Sicht ist Martina Zemp, Guy Bodenmann und dem Verlag mit diesem Überblick ein sehr guter, wichtiger Beitrag zur noch wenig etablierten, gewinnbringenden Anleitung der Kinder und Jugendlichen für selbstkompetenten Umgang mit Medien gelungen. Beatrice Stirnimann, eidg. anerkannte Psychotherapeutin, Fachpsychologin SBAP. in Kinder- und Jugendpsychologie, Psychotherapeutin SBAP., im September 2016 Martina Zemp, Guy Bodenmann: Neue Medien und kindliche Entwicklung. Ein Überblick für Therapeuten, Pädagogen und Pädiater. Springer Essentials, Wiesbaden 2015, 44 Seiten, Fr. 14.90, ISBN 978-3-658-11149-6. 27 28 SBAP.-Agenda 20.01.17 Kursstart der SBAP.-Weiterbildung «Vertiefungsmodul in Coaching von Menschen mit AD(H)S oder einer Autismus-Spektrum-Störung» 27. 01.17 Kursstart der SBAP.-Weiterbildung in Notfallpsychologie 23.03.17 66. Mitgliederversammlung SBAP. 18.05.17 SBAP.-Vortrag in Zusammenarbeit mit Mark & Michel: Vorsorge und Versicherungen – speziell für PsychologInnen und PsychotherapeutInnen Redaktion: Lianne Fravi (Redaktionsleitung) Heloisa Martino (Produktionsleitung) Janine Sutter (Anzeigenleitung) Beat Honegger Inserate/Beilagen: SBAP. Geschäftsstelle Autorinnen und Autoren: Verena Berchtold-Ledergerber Edith Burri Jacqueline Dacher Lianne Fravi Andrea E. Grünenfelder-Steiger Heinz Stefan Herzka Beat Honegger Katja Iseli Maria Kortmann Christoph Adrian Schneider Gabriela Schuler-Kaiser Beate Schwarz Beatrice Stirnimann Janine Sutter Markus Theunert Arist von Schlippe Verena Wüthrich-Peter Redaktionsschluss: Angaben zu den Ausgaben 2017 erhalten Sie auf der SBAP. Geschäftstelle Auflage: 1300 Exemplare Layout: Schneider Druck AG, Yvonne Ott Druck und Ausrüsten: Druckerei Peter & Co., Zürich Lektorat: Thomas Basler, Winterthur Konzept und Gestaltung: greutmann bolzern zürich Neue SBAP.-Adresse: SBAP. Geschäftsstelle Konradstrasse 6 8005 Zürich Telefon 043 268 04 05 [email protected] www.sbap.ch ISSN 1662-1778
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