Thorsten Roelcke. 2014. Latein, Griechisch, Hebräisch. Studien und

ZRS 2016; 8(1–2): 8–13
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Thorsten Roelcke. 2014. Latein, Griechisch, Hebräisch. Studien und Dokumentatio­
nen zur deutschen Sprachreflexion in Barock und Aufklärung (Studia Linguistica
Germanica 119). Berlin, Boston: De Gruyter. 475 S.
Besprochen von Markus Hundt: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Germanistisches Seminar,
Leibnizstraße 8, D-24118 Kiel, E-Mail: [email protected]
DOI 10.1515/zrs-2016-0002
Ausgangspunkt des Buches ist ein von der Volkswagenstiftung gefördertes Projekt
unter der Leitung von Andreas Gardt, Oskar Reichmann und Thorsten Roelcke.1
In diesem Forschungsprojekt ging es darum, sprachtheoretische Vorstellungen
in Barock und Aufklärung zu untersuchen. Dazu wurden „rund 650 einschlägige
Texte aus dem 17. und 18. Jh. (in Auswahl aus dem Ende des 16. und dem Beginn
des 19. Jh.s) exzerpiert und über 115.000 Belege zu annähernd 29.000 Stichwörtern gezogen“ (S. 5). Der Autor nutzt nun aus diesem Belegkorpus „bislang nicht
verwandtes Material“ (S. VII), um die zeitgenössischen Auffassungen zu den
drei Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch anhand der Quellen näher zu
beleuchten. In die konkrete Auswertung kommen dann für die einzelnen Sprachen die entsprechenden Belege: Latein: 727 Belege aus 193 Quellen (S. 9), Griechisch: 295 Belege aus 89 Quellen (S. 210), Hebräisch: 146 Belege aus 60 Quellen.
Die Belege werden anhand von verschiedenen Kriterien exzerpiert und in der
Studie dargestellt. So ergibt sich für alle drei Sprachen eine klar nachvollziehbare Gliederung der Darstellung: Zunächst werden Beleglage und Wortgebrauch
vorgestellt, danach die entsprechenden Quellenbelege zu den zeitgenössischen
genealogischen und typologischen Vorstellungen. Es folgen Belege, die sich mit
sprachlichen Charakteristika (Lautung, Formenbildung, Lexik, Entlehnungen etc.)
befassen, einige sprachdidaktische Überlegungen sowie Belege, die sich mit den
positiven und negativen Bewertungen der einzelnen Sprachen beschäftigen. Auch
die zeitgenössischen Vorstellungen zu den denkbaren und tatsächlichen Varietäten
der drei Sprachen werden behandelt. Den Abschluss der jeweiligen Kapitel bildet
die Auflistung der Belegzitate und der jeweiligen Belegstellen in den Quellen.
Wie die Anzahl der Belege schon vermuten lässt, ergeben sich aus den
Quellen unterschiedlich umfängliche Darstellungen zu den einzelnen Sprachen.
So wird das Lateinische wesentlich umfangreicher in den Quellen thematisiert,
was wiederum zur Folge hat, dass es auch in der Studie des Autors mehr Raum
1 Vgl. zu diesem Projekt Gardt u. a. (1991).
© 2015, Markus Hundt, published by de Gruyter
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Latein, Griechisch, Hebräisch 9
einnehmen muss. Beim Lateinischen werden daher auch eingehend die zeitgenössischen Aussagen zum Latein als Lingua franca, als Schul- und Fremdsprache
und – ausführlicher als bei den anderen Sprachen – die Entlehnungs- und Purismusproblematik besprochen (Kap. 2.3, 2.4 und 2.5).
Hauptziel der Studie ist ein dokumentarisches, d. h. es sollen aus den Quellen
heraus die jeweiligen zeitgenössischen Vorstellungen zu den drei Sprachen sichtbar gemacht werden. Zwar ist natürlich jede Quellenauswahl bereits ein interpretatorischer Akt, jedoch kann festgehalten werden, dass sich der Autor bei der
Vorführung der Quellen weitergehender Interpretationen enthält und dies aus
konzeptionellen Gründen:
„Die Belege werden in der vorliegenden Studie überwiegend textimmanent unter weitgehendem Verzicht auf eine sozial-, kultur- oder sprachgeschichtliche Interpretation des Materials
aufgearbeitet. So werden Interpretationen unter verschiedenartigen Gesichtspunkten vorbereitet und ermöglicht, ohne diese durch einzelne Aspekte vorwegzunehmen oder zu verstellen. Vor diesem Hintergrund kommt der Dokumentation des Belegmaterials eine zentrale
Bedeutung zu, sodass der Position der Belegzitate hinreichend Raum gegeben wird.“ (S. 7)
Somit handelt es sich bei der Studie in erster Linie um eine differenziert aufbereitete, gesichtete und kommentierte Sammlung von aussagekräftigen Quellen und
Zitaten. In dieser Hinsicht leistet das Buch für die Erforschung der zeitgenössischen Sprachvorstellungen zu den drei Hauptsprachen Latein, Griechisch und
Hebräisch Vergleichbares wie die Arbeit von Jones (1995) zum zeitgenössischen
Fremdwortpurismus, die umfänglich „Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus (1478–1750)“ zusammenstellt und kommentiert.
Der Hinweis des Autors, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit letztlich
um ein Wörterbuch handele (S. 7), ist m. E. etwas verwirrend, es sei denn, dass
man das Konzept eines Wörterbuchs sehr weit fasst. Zwar werden die zahlreichen
Belege nach einzelnen Kriterien (s. o.) im Buch differenziert abgehandelt, eine
Wörterbuchstruktur (außer den übergreifenden Konzepten Latein, Griechisch,
Hebräisch) mit entsprechenden Lemmata war für den Rezensenten jedoch nicht
erkennbar.
Die Gliederung der Studie folgt den in der Einleitung (Kap. 1) vorgestellten
Kriterien. Dem Lateinischen (Kap. 2) werden insgesamt 200 Seiten, dem Griechischen (Kap. 3) 64 Seiten und dem Hebräischen 36 Seiten (Kap. 4) gewidmet. Den
Abschluss bildet eine Zusammenschau der Ergebnisse (Kap. 5), in der die in den
einzelnen Kapiteln vorgetragenen Punkte vergleichend für alle drei Sprachen
gegenübergestellt werden. So erhält der Leser für die Kriterien ‚Beleglage und
Wortgebrauch‘, ‚Genealogie und Typologie‘, ‚Entlehnung und Purismus‘, ‚Sprachdidaktik‘, (sprachliche) ‚Charakteristika‘, ‚Vergleich und Wertung‘ und ‚Varietäten‘ einen kurzgefassten Überblick. Kap. 6 bietet eine Bibliographie der genutzten
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Quellen, Kap. 7 nennt die einschlägige Sekundärliteratur. Den Abschluss bildet
ein sehr hilfreiches Sach-, Sprachen- und Namensregister (Kap. 8). Dies ist auch
insofern besonders hervorzuheben, als diese Register die Belegsammlungen, die
sich – chronologisch geordnet – jeweils der systematischen Darstellung der Sprachen anschließen (für das Lateinische S. 139–207, für das Griechische S. 254–273,
für das Hebräische S. 298–311), besser erschließen helfen.
Dass für die vergleichende Studie gerade diese drei Sprachen ausgewählt
wurden, liegt mit Blick auf die Sprachvorstellungen der Frühen Neuzeit auf der
Hand. Latein, Griechisch und Hebräisch waren im Verständnis der Zeitgenossen
„Hauptsprachen“. Diese Kennzeichnung bezieht sich zum einen darauf, dass
dies die drei heiligen Sprachen der Bibel waren, zum anderen aber auch darauf,
und hierauf weist der Autor dezidiert hin, dass „Hauptsprachen“ weitere wichtige
Merkmale aufweisen:
„Als Merkmale einer Hauptsprache erscheinen entweder deren kulturelle Bedeutsamkeit für
die wissenschaftliche, religiöse oder schöne Literatur oder deren genealogisches Alter als
Ausgangspunkt für die Entwicklung einer ganzen Sprachfamilie.“ (S. 15, Fettdruck getilgt).
Insofern arbeiteten sich die Sprachgelehrten der Zeit auch immer daran ab, die
jeweils eigene Volkssprache in den Rang einer Hauptsprache zu erheben bzw.
nachzuweisen, dass die eigene Sprache, z. B. das Deutsche, schon immer eigentlich eine Hauptsprache sei.
Bei der Diskussion, welche Sprachen in den untersuchten Texten als Hauptsprachen betrachtet wurden, gliedert der Autor die Texte in sieben Gruppen.
Dies ist interessant, weil so deutlich wird, dass sich hier durchaus verschiedene
Ansätze aufzeigen lassen. So werden einmal slawische Sprachen oder auch romanische Sprachen zu den Hauptsprachen gerechnet. Umgekehrt finden sich Texte,
in denen Latein, Griechisch oder auch Hebräisch nicht unter den Hauptsprachen
geführt werden (s. die Tabelle auf S. 314). Hier wäre für den Leser interessant
gewesen, welche konkreten Texte und Autoren sich hinter den Gruppen verbergen. Gerade bei den Gruppen, in denen Hebräisch und Hebräisch/Griechisch
nicht zu den Hauptsprachen gerechnet werden, stellt sich die Frage, mit welchen
Argumenten diese beiden Sprachen ausgegrenzt werden, die ja als biblische
Sprachen in allen anderen Textgruppen fraglos zu den Hauptsprachen hinzugezählt werden. Gleiches gilt für den in Kap. 5.4.2 vorgestellten Sprachenkanon
in der Fremdsprachendidaktik. Auch hier werden sieben Gruppen unterschieden (S. 331) und auch hier wäre es interessant zu erfahren, aus welchen Autoren
und Texten sich sich die einzelnen Gruppen zusammensetzen, d. h. z. B. welche
Autoren bereits (neben dem Lateinischen, Französischen und Spanischen) das
Englische als zu erwerbende Fremdsprache propagieren. Auf diese Weise könnte
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Latein, Griechisch, Hebräisch 11
eventuell auch ein Wandel in den Empfehlungen zur Fremdsprachendidaktik
nachvollziehbar gemacht werden.
Mit der thematischen Gliederung gewinnt der Leser einen raschen Überblick
darüber, was in den beiden Jahrhunderten an den besprochenen Sprachen für die
Zeitgenossen wichtig war. Es werden die Traditionslinien deutlich, die aus dem
Barock des 17. Jahrhunderts in die Zeit der Aufklärung im 18. Jahr­hundert reichen.
Dabei ist die etwas vereinfachende Kennzeichnung der beiden Jahrhunderte als
„evaluierend“ (17. Jahrhundert, Barock) und „objektivierend“ (18. Jahrhundert,
Aufklärung, vgl. z. B. S. 60) hilfreich. Allerdings muss auch angemerkt werden,
dass der Blick auf beide Jahrhunderte zugleich an manchen Stellen den doch sehr
deutlichen Bruch zwischen Barock und Aufklärung etwas stark glättet.
Die vom Autor vorgelegte systematische und kommentierte Quellen-­
Dokumentation stellt eine überaus umfassende Belegsammlung dar, die auch für
Lehrveranstaltungen sehr gut als Grundlage und Anschauungsmaterial genutzt
werden kann. Das Buch bietet eine Fülle von interessanten und teilweise aus
heutiger Sicht kuriosen Detailinformationen, die aus den Belegen rekonstruiert
werden konnten, so z. B. zur Entlehnung der lateinischen Schrift (S. 86ff.) oder
zur Parallelisierung von Deutsch und Hebräisch (S. 284ff.).
Dem eher dokumentarischen Charakter des Buches ist es geschuldet, dass
die intensivere Diskussion der sprachtheoretischen Vorstellungen der Zeit und
auch die Unterschiede zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert etwas in den Hintergrund treten. Hier wird der Leser nach wie vor auf einschlägige Monographien und Sammelbände wie z. B. von Polenz (1994), Gardt (1994), Gardt u. a.
(1995), Gardt (2000), Scharloth (2003) oder Stukenbrock (2005) zurückgreifen
müssen.
Dass das Deutsche eine genuine Wortbildungssprache ist, wurde von den
Sprachgelehrten des 17. Jahrhunderts an vielen Stellen argumentativ in Position gebracht, so dass dieses Merkmal (neben dem postulierten Sprachalter, der
Eigentlichkeit, der Grundrichtigkeit etc.) eine wichtige Funktion im Aufwertungsdiskurs einnahm. Wenn der Autor konstatiert, dass die Bedeutung mehrgliedriger
Komposita erst im 18. Jahr­hundert in den Blick der Sprachgelehrten gerückt sei,
kann ihm nicht ganz zugestimmt werden, da bereits bei Schottelius die Mehrfachkomposition durchaus Erwähnung findet. Der Autor führt hier ein Zitat von
Gottsched (1762) an. In der „Ausführlichen Arbeit“ von Schottelius (1663) finden
sich jedoch schon ähnliche Hinweise:
„Alhie nun ist davon zuwissen / daß diese Verdoppelungs = art für eins / aus zweyen Stammwörteren entstehe […]. Fürs andere / entstehen diese Verdoppelte auch aus dreyen Stammwörteren / als Landfriedbruch / Oberschutzherr / Landhauptmann / Reichspfennigmeister […].“
(Schottelius 1663, 77)
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„Wie auch in denen / welche ferners von vier Stammwörtern verdoppelt werden / Als:
Oberberghauptmann Ertzhauptbößwicht […]“ (Schottelius 1663, 78)
Gleiches gilt für Harsdörffer, der in seiner praktischen Spracharbeit (z. B. in den
„Frauenzimmer Gesprächspielen“) auf die sprachtheoretischen Vorstellungen
von Schottelius zurückgriff.
Die für den heutigen Leser kuriose Nebeneinanderstellung von Deutsch und
Hebräisch, bei der das Deutsche meist als direkt verwandt mit dem Hebräischen
dargestellt wurde, wird durch die vom Autor angeführten Belege deutlich. Allerdings wäre gerade bei einer solchen Parallelisierung zur Veranschaulichung auch
das eine oder andere Beispiel hilfreich gewesen. Harsdörffer hat im „Specimen
Philologiae Germanicae“ den Versuch unternommen, anhand von Wortpaaren,
die sich über lautliche Ähnlichkeiten zueinander stellen lassen, die Verwandtschaft zwischen dem Deutschen und Hebräischen aufzuzeigen (z. B. Harsdörffer
1646, 129–131).
Fazit: Das Buch von Thorsten Roelcke ist eine interessante, thematisch
strukturierte und kommentierte Sammlung von Belegen aus wichtigen sprachreflexiven Texten (vorrangig) des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Leser erhält über
die Lektüre der einzelnen Kapitel zum Lateinischen, Griechischen und Hebräischen einen interessanten Einblick in die Sprachvorstellungen des Barock
und der Aufklärung. Zugleich wird für den Leser deutlich, welche Funktion die
Beschäftigung mit den biblischen, heiligen Hauptsprachen hatte. Es ging – v. a.
im 17. Jahrhundert – weniger darum, die sprachlichen Spezifika, die tatsächlichen historischen Verhältnisse o. Ä. zu rekonstruieren, sondern eher darum,
Argumente für die Aufwertung, den Ausbau und die Bedeutung der deutschen
Sprache zu gewinnen. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen, die dann ausgehend von der quellengesättigten Darstellung weitere Forschungsfragen zu den
im Buch angesprochenen Themen entwickeln können.
Literatur
Gardt, Andreas, Ingrid Lemberg, Oskar Reichmann & Thorsten Roelcke. 1991. Sprachkonzeptionen in Barock und Aufklärung: Ein Vorschlag für ihre Beschreibung. In: Zeitschrift für
Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 44, 17–33.
Gardt, Andreas (Hg.). 2000. Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in
Geschichte und Gegenwart. Berlin, New York: De Gruyter.
Gardt, Andreas, Klaus J. Mattheier & Oskar Reichmann (Hg.). 1995. Sprachgeschichte des
Neuhochdeutschen. Gegenstände – Methoden – Theorien (Germanistische Linguistik 156).
Tübingen: Max Niemeyer.
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Gottsched, Johann Christoph. 1762. Deutsche Sprachkunst. In: Ders.: Ausgewählte Werke. Hg.
v. P. M. Mitchell. Bd. 8, Teil 1. Bearb. v. Herbert Penzl. Berlin, New York 1978.
Harsdörffer, Georg Philipp. 1646. Specimen Philologiae Germanicae. Nürnberg: Endtner.
Jones, William Jervis (Hg.). 1995. Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur
Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478–1750) (Studia Linguistica
Germanica 38). Berlin, New York: De Gruyter.
Polenz, Peter von. 1994. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart.
Bd. II: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin, New York: De Gruyter.
Scharloth, Joachim. 2005. Sprachnormen und Mentalitäten. Sprachbewusstseinsgeschichte in
Deutschland im Zeitraum von 1766–1785 (Germanistische Linguistik 255).
Tübingen: Max Niemeyer.
Schottelius, Justus Georg. 1663. Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt-Sprache.
Braunschweig: Zilliger.
Stukenbrock, Anja. 2005. Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver
Identitätsstiftung in Deutschland (1617–1945) (Studia Linguistica Germanica 74). Berlin,
New York: De Gruyter.
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