air 12 2016

12
AiR Aktiv im Ruhestand
Dezember 2016 – 67. Jahrgang
Gemeinsam leben im Alter:
In bester Gesellschaft
Seite 5 <
Dr. Ralf Kleindiek,
Staatssekretär im
Bundesministerium
für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Seite 16 <
Mit Dagmar zum
Senioren-Flashmob
mit
dbb Seiten
Aktiv im Ruhestand
„Jedenfalls wächst neues Denken
innerhalb der Altersgruppen heran und kann ihr Verhalten zueinander verändern. Bei den Jungen
ist dies normal; sie wollen ihre eigenen Erfahrungen machen. Dabei merken sie früher oder später,
dass niemand ganz von vorne anfangen kann. Es ist auch in ihrem
Interes­se, nicht alles Erfahrungswissen verloren gehen zu lassen.
Die Kontinui­tät der Generationen
zu wahren und zu achten, ist gerade auch für die Jungen eine Hilfe.“
<< Schwerpunkt: Gemeinsam leben im Alter
Editorial
<<
Regierungsbericht
„Gut leben in Deutschland“:
Von der Analyse zur Tat
4
Nachgefragt
5
<<
Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär
im Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
5
Standpunkt
<<
Jahresrückblick 2016
6
Aktuell
8
<<
Altersgerechte Quartiersentwicklung
8
<<
Pflegestärkungsgesetze:
Beitragsaufkommen zu gering?
9
Aus den Ländern
<<
BRH Saar: Traditionelle Werte stärken
<<
BRH NRW:
Guter Start für Martin Enderle
9
10
<<
BRH Sachsen: Aktives Ehrenamt
11
Kompakt
12
<<
„Flexi-Rente“:
Beamtenversorgung nicht betroffen
12
Blickpunkt
<<
Richard von Weizsäcker,
Bundespräsident von 1984 bis 1994
Ehrenamtliche Arbeit im
Mehrgenera­tionenhaus
14
Vorgestellt
<<
16
Wege aus der Einsamkeit e.V.
Brennpunkt
<<
Salben, Pillen und Tinkturen:
Läuft wie geschmiert ...
Impressum:
Medien
AiR – Aktiv im Ruhestand. Magazin des dbb für Ruhestandsbeamte, Rentner und
Hinterbliebene. Herausgeber: Bundesleitung des dbb beamtenbund und tarifunion,
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Internet: www.dbb.de. E-Mail: [email protected]. Leitender Redakteur: Jan Brenner (br).
Redak­tion: Carl-Walter Bauer (cwb), Andreas Becker (ab), Christine Bonath (cri) und
Dr. Walter Schmitz (sm). ­Redaktionsschluss: 10. jeden Monats. Beiträge, die mit dem
Namen des Verfassers gekennzeichnet sind, geben nicht unbedingt die Meinung der
Redaktion wieder. „AiR – Aktiv im ­Ruhestand“ ­erscheint zehnmal im Jahr. Titelbild:
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magazin) und Aktiv im Ruhestand Nr. 46, gültig ab 1.10.2016. Druckauflage: dbb magazin
598 746 Exemplare (IVW 3/2016). Druckauf­l age AiR – Aktiv im Ruhestand 16 000 Exemplare (IVW 3/2016). Anzeigenschluss: 6 Wochen vor Erscheinen. Herstellung: L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien, Marktweg 42–50, 47608 Geldern. Gedruckt auf Papier aus elementar-chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird der Einfachheit halber nur
die männliche Form verwendet. Sämtliche Personen- und Berufsbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für alle Geschlechter.
ISSN 1438-4841
<<
20
16
KogniHome:
Wenn die Wohnung mitdenkt
18
20
Satire
22
Literatur
23
Gewinnspiel
24
dbb
<
Zollkriminalamt:
Zentrale für die Kriminalpolizei des Zolls 27
<
Jean-Claude Juncker,
Präsident der EU-Kommission:
Eine gute Verwaltung ist ein wesentlicher
Standort- und Wettbewerbsvorteil 32
<
Bund-Länder-Finanzausgleich: Alles unklar 34
<
Onlineeinkauf international:
Grenzenlose Warenwelten 40
nachgefragt
Rita Pawelski, Bundeswahlbeauf­tragte
für die Sozialwahlen
42
_0ZY57_IVW LOGO-frei.pdf; s1; (53.55 x 51.43 mm); 20.May 2016 13:58:47; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
<
> AiR | Dezember
2016| > brh 3
Inhalt
Wertvolle Erfahrungen
Aktiv im Ruhestand
Regierungsbericht
„Gut leben in Deutschland“:
Der dbb hat die Vorlage des Abschlussberichts der
Bundesregierung zum Bürgerdialog begrüßt und
fordert nun konkrete Taten, die den Worten folgen müssten. Unter der Überschrift „Gut leben in
Deutschland – was uns wichtig ist“, hatten Zehntausende Deutsche aller Altersgruppen seit April
2015 in diversen Foren, Veranstaltungen, per Post,
E-Mail und online über die Probleme, Herausforderungen und Zukunft des Lebens in der Bundesrepublik diskutiert.
Editorial
4
Mit dem 333 Seiten starken Abschlussbericht liegt
jetzt ein substanzielles
Stimmungsbild der Bevölkerung vor, aus dem sich
konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik
ableiten. „Worten müssen
Taten folgen“, sagte der
dbb Bundesvorsitzende
Klaus Dauderstädt anlässlich der Verabschiedung
des Berichts durch das
Bundeskabinett am 26.
Oktober 2016 in Berlin.
Als zentrale Schlüsselthemen für die Deutschen
benennt der Bericht Sicherheit und Frieden vor
allem im eigenen Land. Es
ist ein großartiges Ergebnis, dass sich die deutliche
Mehrheit der Bevölkerung
sicher fühlt, dass über 80
Prozent überhaupt nicht
oder nur leicht beunruhigt
sind, wenn es um die Gefahr geht, Opfer von Raub,
Einbruch, Körperverletzung
oder sexueller Belästigung
zu werden. Diese Erkenntnisse sind nichts anderes
als der Beleg, dass ein
funktionierender öffentlicher Dienst, insbesondere
im Bereich der Sicherheit,
aber auch im Erziehungs-,
Bildungs- und Sozialsys> AiR | Dezember 2016
tem sowie in der Justiz
und Verwaltung, ein Garant für dieses „Gut leben
in Deutschland“ ist. Für die
Politik lässt sich daraus der
Auftrag ableiten, auch weiterhin für die Funktionsund Leistungsfähigkeit
dieses wichtigen Stand­
ortfaktors zu sorgen.
<<
Gut geht noch besser
Auch zahlreiche Seniorinnen und Senioren hatten
sich an den Dialogforen
beteiligt, die dem Regierungsbericht vorausgegangen waren. Dennoch handelt es sich nicht um eine
seniorenspezifische Analyse. Die Erfahrungen der älteren Generation flossen
allgemein in den Bericht
ein. Es gilt der Tenor: Alles
ist ziemlich gut, aber alles
kann weiter verbessert
werden.
Während die allgemeine
Lebenserwartung weiter
steige, könne derzeit zum
Beispiel nicht von einem
erhöhten Altersarmutsrisiko gesprochen werden: So
sei das Armutsrisiko für Ältere derzeit gering und habe zuletzt unter dem Bundesdurchschnitt gelegen:
© Ingo Bartussek / Fotolia
Von der Analyse zur Tat
unter den 65- bis 74-Jährigen bei zwölf Prozent und
unter den ab 75-Jährigen
bei 13 Prozent. Lediglich
rund drei Prozent der
65-Jährigen und Älteren
bezögen Grundsicherung
im Alter. Das bedeute aber
nicht, dass sich das Bild
künftig nicht ändern könne: Heute Langzeitarbeitslose, Erwerbsgeminderte,
Selbstständige und Alleinerziehende hätten per­s­pek­tivisch später ein erhöhtes Armutsrisiko.
Was die Lebensqualität von
Senioren betrifft, weist der
Bericht Unterschiede zwischen Stadt und Land aus:
Während die Infrastruktur
in mittleren und großen
Städten als gut bewertet
wird, fallen ländliche Räume ab, was zum Beispiel
den Ausbau des öffent­
lichen Personennahverkehrs oder – je nach Re­gion – die Versorgung
mit Ärzten betrifft.
<<
Der Altenbericht soll
es genauer zeigen
Hier soll der 7. Altenbericht
der Bundesregierung einhaken, der voraussichtlich
noch 2016 veröffentlicht
wird. Eine Expertenkommission war im November
2012 beauftragt worden,
einen Bericht zum Thema
„Sorge und Mitverantwortung in der Kommune –
Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemein-
schaften“ zu erarbeiten:
Durch den demografischen
und sozialen Wandel findet
kommunale Politik für äl­
tere Menschen unter sich
verändernden Bedingungen statt. Insbesondere die
Alterung der Gesellschaft,
Binnenmigration sowie die
Veränderung von Familienstrukturen stellen die Kommunen im Hinblick auf die
Gestaltung der Lebensverhältnisse älterer Menschen
vor neue Herausforderungen. Vor dem Hintergrund
dieser Veränderungen wird
im 7. Altenbericht die Frage
gestellt, welchen Beitrag
die kommunale Politik und
örtliche Gemeinschaften
leisten können, um die soziale, politische und kul­
turelle Teilhabe und eine
möglichst lange selbstständige Lebensführung älter
werdender Menschen sowie ein aktives Altern in
Selbst- und Mitverantwortung sicherzustellen. Auch
hier dürfte bereits vor der
Veröffentlichung gelten:
Wie auch immer die Ergebnisse der Erhebung aussehen, müssen sie konkrete
politische Taten nach sich
ziehen. Es am Ende bei der
Kenntnisnahme des Berichts zu belassen und sich
in seinen positiven Aspekten zu sonnen wäre ebenso, als würde ein Arzt diagnostizieren: „Ihre Lunge
sieht super aus, und die
paar Herzbeschwerden,
ach, die gehen auch wie­der weg.“ br
?
Aktiv im Ruhestand
Eine Frage an
Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Mehrgenerationenhäuser knüpfen soziale Netze
Durch den generationenübergreifenden Ansatz
gibt es in den Mehrgenerationenhäusern vielfältige
Angebote für ältere Menschen und Angebote, die
von älteren Menschen bereitgestellt werden. Dabei
sind das Voneinander-Lernen und der gegenseitige
Austausch auf Grundlage
von Erfahrungen im Alltag
oder aus dem Beruf wichtige Motive. Dies zeigt sich
in der stetigen Zunahme
der Zahl freiwillig Engagierter im Alter von über
65 Jahren. Mittlerweile
stellen sie rund 30 Prozent
<
< Dr. Ralf Kleindiek
der fast 18 000 Engagierten in den Mehrgenera­
tionenhäusern. Auch ein
Drittel der Angebote etwa
richtet sich an ältere Menschen.
Die Spannweite der Angebote und Aktivitäten ist
denkbar groß: Qualifizierungskurse und Weiter­
bildungsmöglichkeiten
wie zum Beispiel Seniorenakademien, Gedächtnis-
trainings, Internetschu­
lungen vermitteln älteren
Menschen neue Kenntnisse, halten fit im Kopf und
auf dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung.
Auch Kultur- und Kreativangebote wie Theatergruppen, Töpferkurse, Literaturkreise kommen im
Sinne eines lebenslangen
Lernens den älteren Menschen zugute. Freizeitangebote wie Spiel- oder Tanz-
nachmittage und Sportaktivitäten sind gut für die
Gesundheit – und gut gegen die Einsamkeit. Informations- und Beratungsangebote, etwa zum altersgerechten Wohnen, unterstützen die Seniorinnen
und Senioren dabei, eigenständig zu wohnen. Auch
für Demenzkranke bietet
der Offene Treff im Mehrgenerationenhaus Möglichkeiten, außerhalb der
Familie auf Menschen unterschiedlichen Alters
zu treffen. Mithilfe von
freiwillig Engagierten
wird gemeinsam gesungen, gespielt, sich bewegt,
gekocht, gemalt, erzählt.
Gesunde und erkrankte
Menschen, Jung und Alt,
Menschen verschiedener
Herkunft und Kultur kommen zusammen.
Mit dem Bundesprogramm
Mehrgenerationenhaus
kann die erfolgreiche Arbeit der Mehrgenerationenhäuser ab 2017 weitergeführt werden. Die Anzahl der geförderten Häuser erhöht sich auf rund
550. Es gibt sie nicht in jeder Straße. Aber es gibt
sie überall in Deutschland.
Wenn die Familie weit weg
wohnt, die Freundeskreise
kleiner werden, dann ziehen Mehrgenerationenhäuser an: Sie sind offen,
niedrigschwellig einladend,
engagiert und aktiv. Sie
bringen dichte soziale Netze ins 21. Jahrhundert. Das
ist der Beitrag der Mehrgenerationenhäuser gegen
Einsamkeit im Alter.
> AiR | Dezember 2016
5
Nachgefragt
AiR: Viele ältere Menschen sind einsam. Diese
Einsamkeit ist auch ein gesellschaftliches Pro­
blem. Nicht nur alleinlebende Seniorinnen und
Senioren, sondern auch Paare fühlen sich sozial
ausgegrenzt, wenn ihr Lebensumfeld keine weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen mehr
bietet. Welchen Beitrag leisten Mehrgenerationenhäuser für ein gutes soziales Füreinander?
© Bundesregierung / Denzel
Die einzelnen Angebote
sind so vielfältig wie die
Mehrgenerationenhäuser
(MGH) selbst. Einen Offenen Treff allerdings gibt es
in jedem Mehrgenerationenhaus. Der Offene Treff
hat sich als niedrigschwellige Anlaufstelle für diejenigen bewährt, die zunächst nur auf der Suche
nach Geselligkeit ins MGH
kommen. Sie kommen einmal; sie merken, dass sie
willkommen sind und mit
anderen Menschen ins Gespräch kommen; sie kommen wieder. Dann lernen
sie andere Angebote des
jeweiligen Hauses kennen
und können je nach persönlicher Lebensphase,
Fähigkeit und Interesse
selbst aktiv werden. Ein
Kaffee mit anderen Menschen ist schon einmal
gut gegen Einsamkeit;
noch besser ist das Gefühl,
mitzugestalten und gebraucht zu werden.
Aktiv im Ruhestand
Jahresrückblick 2016:
Seniorenpolitik aktiv gestaltet
Politische Beben haben im Jahr 2016 für mehr Instabilität in Europa und
der Welt gesorgt. Nicht nur der Austritt Großbritanniens aus der EU und
der Wahlsieg von Donald Trump in den USA zeigen, dass nichts für selbst­
verständlich genommen werden darf und die Menschen stets für ein Leben
in Frieden und Sicherheit eintreten müssen.
Standpunkt
6
Natürlich traten auch Meinungsunterschiede zutage,
und die Verteidigung der
Rente mit 67 durch Franz
Müntefering traf auf kritische Reaktionen aus dem
Publikum. Dennoch zogen
Referenten und Teilnehmer ein positives Fazit:
Der Blick in die Zukunft
Viele Themen wie Alterssicherung und Pflege begleiten seitdem Politik und Betroffene. Verbesserungen
wurden erreicht, Komplettlösungen gibt es, etwa in
Anbetracht der Auswirkungen der Pflegestärkungsgesetze I bis III, jedoch
nicht. Ein hierzu im Oktober 2016 gemeinsam mit
der dbb akademie durchgeführtes Seminar fand so
großen Anklang, dass für
den Herbst 2017 eine Neuauflage geplant ist. Darüber hinaus wird ein Ratgeber zur Pflege
erscheinen.
Politik braucht Öffent­
lichkeit. Nicht nur in dieser Hinsicht war die Seniorenpolitische Fachtagung
2016 unter dem Motto
„Hat der Generationenvertrag eine Zukunft? –
Alterseinkünfte heute
und morgen“ ein großer
Erfolg. Die Akteurinnen
und Akteure auf dem Podium analysierten Pro­
blemstellungen und stellten Lösungsansätze vor.
> AiR | Dezember 2016
aber seine Partnerin oder
sein Partner nicht befugt
ist, über medizinische Behandlungen zu entscheiden, da keine Vorsorgevollmacht existiert. Die dbb
bundesseniorenvertretung
hatte den auf eine Initia­
tive des damaligen badenwürttembergischen Justiz© Jan Brenner
Voraussetzung für ein
friedvolles Miteinander
ist eine gesellschafts- und
sozialpolitische Situation,
die den Menschen einen
positiven Blick in die Zukunft möglich macht. Die
dbb bundesseniorenvertretung hat in den ersten drei
Jahren ihres Bestehens ihren Teil dazu beigetragen.
<
< Wolfgang Speck
der Altersversorgung fällt
positiver aus als gedacht,
der Generationenvertrag
hat durchaus eine Zukunft.
Manche Probleme können
vergleichsweise schnell geregelt werden. Etwa wenn
ein Ehegatte oder Partner
in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht
mehr handlungsfähig ist,
ministers Rainer Stickel­
berger zurückgehenden
Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni
2015, die Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten
und Lebenspartnern auf
dem Gebiet der Gesundheitssorge zu stärken, unterstützt. Inzwischen liegt
ein Gesetzentwurf des
Deutschen Bundesrats vor,
nach dem die gesetzliche
Annahme einer Bevollmächtigung zwischen Ehegatten und Lebenspartner
für die Gesundheitssorge
und in Fürsorgeangelegenheiten geschaffen werden
soll. Der dbb begrüßt dies
und hofft, dass sich der
Deutsche Bundestag dieser Position anschließen
wird, damit das Gesetz
bald in Kraft treten kann.
Ein weiteres Erfolgsprojekt
der dbb bundesseniorenvertretung ist ihre zweite
Veröffentlichung: „Für den
Notfall – Ein Dokumentenordner für Jung und Alt“.
Innerhalb weniger Monate
war die erste Auflage von
5 000 Exemplaren vergriffen, die Bestellungen für
die Neuauflage reißen
ebenfalls nicht ab. Die eigentliche Arbeit beginnt
allerdings erst nach dem
Erwerb des Ordners: Er
muss ausgefüllt werden,
damit er seinen Zweck
erfüllen kann.
Auch 2017 wird es politische Überraschungen geben. Die Freude an Positivem und das Engagement
für Gerechtigkeit oder Diskriminierung sollten Richtschnur des Handelns bleiben. In diesem Sinne blickt
die Geschäftsführung der
dbb bundesseniorenvertretung optimistisch in
die Zukunft und wünscht
Ihnen ein frohes Weihnachtsfest sowie ein gesundes, erfolgreiches
und friedliches Jahr 2017.
Wolfgang Speck,
Vorsitzender der dbb
bundesseniorenvertretung
Aktiv im Ruhestand
Altersgerechte Quartiersentwicklung:
Das Sicherheitsempfinden auf dem Land sinkt
Aktuell
8
„Ein grundsätzliches Pro­
blem für Senioren und ihr
Sicherheitsempfinden ist
die mittlerweile geringe
Polizeidichte in vielen
ländlichen Regionen. Wohnungseinbrüche und Trickbetrug sind zum Beispiel
Delikte, denen auf dem
Land immer häufiger Ältere zum Opfer fallen, sei es
durch das äußerlich groß
und reich wirkende Haus
oder die vermeintliche
Gutgläubigkeit älterer
Menschen“, sagte Speck
und kritisierte, dass die Po-
lizeidichte auf dem Land
über lange Zeit hinweg politisch gewollt heruntergefahren worden sei. „Das
machen sich vor allem
Banden zunutze. Sie wissen, dass die Polizei auf
dem Land längere Wege
hat als im Ballungsraum
und dass es bessere Fluchtwege gibt. Dazu kommt
der Nachwuchsmangel bei
der Polizei.“ Zusammen
mit der insgesamt schwachen Infrastruktur mancher Regionen führe das
mittlerweile zur Land-
© Jan Brenner
Altersgerechtes Wohnen ist eine Herausforderung, der sich die Kommunen immer aktiver stellen müssen, um dem demografischen Wandel
Rechnung zu tragen. Neben baulichen und infrastrukturellen Aspekten muss dabei auch das Sicherheitsempfinden der älteren Generation stärker in den Blick rücken. Das betonte der Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertertung Wolfgang Speck auf dem 11. Demografie-Kongress
Best Age des Behörden Spiegel am 8. November
2016 in Berlin.
<
< Wolfgang Speck (links) auf dem Fachforum „Quartiersentwicklung
und kommunale Strategien“ beim 11. Demografie-Kongress des
Behörden Spiegel.
flucht nicht nur der jüngeren, sondern auch der älteren Bewohner.
Die Gründung von Bürgerwehren oder ähnlichen
Selbsthilfekonstrukten ist
für Speck aber keine Lösung: „Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich
beim Staat. Das ist gut und
richtig so. Er muss aber
auch in der Lage sein, es
überall dort ausüben zu
können, wo Menschen darauf vertrauen.“ Speck forderte die Politik auf, die
Belange der inneren Sicherheit genauso selbstverständlich in den Konzepten für altersgerechte
Wohnumfelder zu berücksichtigen, wie es bei baulichen, sozialen und sonstigen infrastrukturellen
Maßnahmen der Fall sei. << Überweisungsgebühren:
Postbank verärgert ältere Kunden
Der Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertretung, Wolfgang Speck,
hat den Umgang der Postbank mit
älteren Kunden bei Überweisungsgebühren kritisiert.
Im Jahr 2015 sei Postbank-Kunden
über 60 Jahren die Befreiung von
dem damals eingeführten „Entgelt
für beleghafte Aufträge“, einer Gebühr von 99 Cent pro handschriftlich ausgefülltem und in Papierform
eingereichten Bankauftrag, in Aussicht gestellt worden. Nach der
Einführung einer neuen Kontoführungsgebühr werde diese Befreiung nun abgelehnt. „Die Begrün-
> AiR | Dezember 2016
dung, die Kosten seien mit der
Kontoführungsgebühr nicht abgedeckt, ist vollkommen unlogisch“,
sagte Speck am 16. November 2016
in Berlin. „Die Postbank handelt offensichtlich nach dem Motto ‚Was
kümmert mich mein Geschwätz
von gestern.‘“ Besonders die Generation 70plus sei wenig Internet­
affin und stehe gerade deshalb oft
über Jahrzehnte hinweg treu zu einer Marke mit persönlichem Kundenservice. „Das hätte die Postbank bei ihrer Entscheidung berücksichtigen müssen“, so Speck,
der ebenfalls kritisiert, dass auch
andere Banken wie die Commerz-
bank oder die Sparkassen eine entsprechende Gebühr bereits eingeführt haben oder einführen wollen.
Zu erwarten gewesen wäre genau
das Gegenteil, stellte der Chef der
dbb Senioren weiter fest: Die zum
1. November 2016 eingeführte
Kontoführungsgebühr hätte erst
recht eine Befreiung von dem Entgelt für beleghafte Aufträge nahegelegt, das Senioren als altersdiskriminierende „Strafgebühr“ empfinden. Speck forderte die Postbank auf, ihre Entscheidung
zugunsten älterer Bankkunden
zu korrigieren.
Aktiv im Ruhestand
Pflegestärkungsgesetze:
< Seminar zur Alterssicherung
„Pflegestärkungsgesetze
– Umgang und Erwartungen an die Neuregelungen“
war das Thema des Seminars. Oliver Krzywanek,
Referent im Geschäftsbereich 4 der dbb Bundesgeschäftsstelle, gab einen
ersten allgemeinen Überblick. Weiter wurden Erfahrungen mit dem neuen
Begutachtungsinstrument,
die Änderungen zum 1. Januar 2017 aufgrund der
Pflegestärkungsgesetze I
bis III und die Auswirkungen auf die Pflegeberatung
thematisiert.
Statt der bisher geltenden
drei Pflegestufen wird es
in Zukunft fünf Pflegegrade geben. Körperliche,
geistige und psychische
Einschränkungen werden
gleichermaßen erfasst und
in die Einstufung einbezogen. Bei der Begutachtung
wird der Grad der Selbstständigkeit in sechs ver-
© dbb Senioren
Mit einem Seminar vom 16. bis 18. Oktober 2016 in Königswinter-Thomasberg brachten dbb bundesseniorenvertretung und dbb akademie Licht ins
Dunkel der Neuerungen rund um das Pflegestärkungsgesetz.
<
< Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars
schiedenen Bereichen gemessen und – mit unterschiedlicher Gewichtung
– zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt.
Nach der Feststellung eines Pflegegrades erhalten
Pflegebedürftige künftig
mehr finanzielle Unterstützung. Die Neuregelung wird
insbesondere demenzkranken Menschen zugutekommen, die bislang weitgehend durch das Beurtei-
lungsraster gefallen sind.
Aktuell sind rund 1,4 Millionen Menschen an Demenz
erkrankt, jährlich kommen
in etwa 300 000 Neuerkrankungen hinzu. Finanziert werden sollen die
Neuerungen durch die Anhebung der Beitragssätze
zur Sozialen Pflegeversicherung, die ab dem 1. Januar 2017 um 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent
beziehungsweise auf 2,8
Prozent bei Kinderlosen
steigen. Die jährlichen Zuwächse von rund 2,5 Milliarden Euro sollen die Mehrkosten bis 2022 decken.
Unter den Seminarteilnehmern herrschte Einigkeit
darüber, dass diese Erhöhung angesichts der demografischen Entwicklung
kaum ausreichen wird. BRH Saar:
Traditionelle Werte stärken
Auf dem Landesvertretertag des Seniorenverbandes BRH Saar im November
2016 gab es einen Führungswechsel: Elmar Schneider wurde für die kommenden vier Jahre zum Landesvorsitzenden des BRH Saar gewählt.
„Mir ist bewusst, dass ich
in große Fußstapfen trete,
doch ich will das Beste für
unsere Mitglieder bewirken“, sagte Schneider im
Hinblick auf seine kom-
menden Aufgaben. Auf
dem Landesvertretertag
waren Delegierte aus den
vier saarländischen Kreisverbänden vertreten. Zu
den Gästen gehörten auch
der Landesvorsitzende des
dbb saar, Ewald Linn, sowie
der Landesvorsitzende der
Seniorenvertretung des
dbb saar, Dieter Pohl.
„Wenn jemand in Pension
oder Rente geht, braucht
er weiterhin eine Gewerkschaft, die sich um ihn
kümmert“, forderte Linn
die Seniorinnen und Senioren auf, Flagge zu zeigen.
Horst Rixecker, der den
Landesverband zwölf Jahre
lang geleitet hatte, unterstrich in seinem Rechen> AiR | Dezember 2016
9
Aktuell/Aus den Ländern
Beitragsaufkommen zu gering?
Vom 21. bis 23. Februar
2017 führen dbb bundesseniorenvertretung
und dbb akademie ein
Seminar zur Alterssicherung im dbb forum
siebengebirge durch.
Im Mittelpunkt des Seminars werden die Reformen und Entwicklungen des Renten- und
Versorgungsrechts in
der laufenden Legislaturperiode stehen sowie die aktuellen Tarifverhandlungen zur
Neuregelung der Startgutschriften bei der Zusatzversorgung für den
öffentlichen Dienst. Die
Anmeldung kann per
E-Mail an Senioren@
dbb.de erfolgen. Weitere Auskünfte erhalten
Sie auch telefonisch
unter der Rufnummer
030.4081-5390.
Aktiv im Ruhestand
Die Delegierten des Vertretertages verabschiedeten drei Anträge. Der Landesvorstand wurde beauftragt, sich dafür einzusetzen, dass die sogenannte
erste Föderalismusreform,
die seit 1. September 2006
in Kraft ist, wieder rückgängig gemacht wird. Außerdem beauftragten die
Delegierten den Landesvorstand, sich dafür ein­
zusetzen, dass die sogenannte Mütterrente auch
systemgerecht auf die Versorgungsempfängerinnen
übertragen wird. Ein weiterer einstimmig verabschiedeter Antrag sieht ei-
<
< Elmar Schneider, Landesvorsitzender und Vorsitzender des Kreisverbandes Merzig-Wadern; Herbert Pattard, stellvertretender
Landesvorsitzender; Schatzmeisterin Barbara Bachmann; Doris
Raffel, Kreisvorsitzende Saarlouis; dahinter Horst Rixecker, Beisitzer, Schriftführer und Kreisvorsitzender von Saarbrücken; Peter
Franz; Waldfried Schommer, Beisitzer sowie Werner Wilhelm,
Kreisvorsitzender von St. Wendel (von links)
ne Änderung der saarlän­
dischen Beihilfeverordnung vor, wonach § 15
Absatz 5 ersatzlos ge­
BRH NRW:
Guter Start für Martin Enderle
Der neue Landesvorstand des Seniorenverbandes BRH NRW hat im August
2016 seine Arbeit aufgenommen. Nach 100 Tagen zeigt sich: Der BRH ist ein
diskussionsfreudiger Verband mit engagierten Mitgliedern, die ihre Interessen aktiv vertreten.
Das zeigen aktuelle Beispiele wie der zunehmend
über die Medien geschürte
Generationenkonflikt um
Renten und Pensionen, die
Zukunft der Pflege und
zahlreiche Fragen rund
um das neue Pflegestärkungsgesetz sowie das soziale Miteinander vor Ort:
Die Interessenverbände
sind gefragt, die Bereitschaft älterer Menschen
zu stärken, sich zu orga­
© BRH NRW
Aus den Ländern
10
Menschen wieder Vorbilder und Idole.“
© BRH Saar
schaftsbericht die Bedeutung der vier Kreisverbände im Seniorenverband
BRH Saar, die in den vergangenen vier Jahren gute
Arbeit geleistet hätten:
„Die Arbeit des Seniorenverbandes ist für den dbb
saar auch künftig unverzichtbar! Wir brauchen aktive Hoffnungsträger und
neue Visionen, an denen
sich die Bürgerinnen und
Bürger orientieren können“, so Rixecker. „Werte
und Tugenden wie Treue,
Beständigkeit, Respekt,
Freundlichkeit, Achtung,
Vertrauen, Anstand und
Ehrlichkeit müssen wieder
mehr in den Mittelpunkt
des Schaffens gerückt werden. Dafür brauchen die
<
< Mehr als 100 Tage steht nun der neue BRH-Landesvorsitzende
Martin Enderle am Ruder des Seniorenverbandes NRW. Zeit für
ihn, im ersten Gespräch mit DBB NRW-Landeschef Roland Staude
eine positive Bilanz zu ziehen (von links).
> AiR | Dezember 2016
nisieren und das Wort zu
ergreifen.
Martin Enderle hat sich
als neuer BRH-Landesvorsitzender vorgenommen,
die Verbandsarbeit vor
Ort besser kennenzulernen, zu hören, „wo der
Schuh drückt“ und den
Austausch zu fördern. Die
fast 30 Kreis- und Ortsverbände des BRH sind seine
Basis und sein Rückgrat in
Nordrhein-Westfalen. Sie
sind quasi der Markenkern
des Verbandes und bieten
Bildungsveranstaltungen
und Ausflüge an, sie sind
Ansprechpartner und beraten über die Auswirkungen
strichen werden soll
(Zuschuss der Renten­kasse bis zur Höhe von
40,90 Euro monatlich).
neuer Gesetze für Seniorinnen und Senioren. Die
Kreis- und Ortsverbände
sind für den BRH unverzichtbar. Deshalb will Enderle sie dort, wo es mit­
hilfe des Landesverbandes
möglich ist, unterstützen.
Darüber hinaus denkt er
darüber nach, ihnen eine
gemeinsame Plattform zu
geben, um für mehr Austausch untereinander zu
sorgen. In Vor-Ort-Gesprächen möchte Enderle diese
Idee voranbringen und
wichtige Fragen mit rea­
listischem Optimismus
beantworten: Werden die
Belange älterer Menschen,
wie sie der BRH in NRW
vertritt, ausreichend gehört? Wie werden unsere
regelmäßigen Veröffentlichungen wahrgenommen?
Es gilt, den Verband in eine
gute Zukunft zu führen.
Der BRH NRW wünscht allen Leserinnen und Lesern
ein frohes Weihnachtsfest
und ein gutes und gesundes Jahr 2017.
Aktiv im Ruhestand
BRH Sachsen:
Aktives Ehrenamt
Viele Mitglieder sind seit 20 oder 25 Jahren im
BRH aktiv. Das lässt sich unter anderem an den
zahlreichen Anträgen auf Auszeichnung zu Mitgliedsjubiläen ablesen.
Die Gründer der Ortsund Kreisverbände, Vorstandsmitglieder und Mitglieder haben gemeinsam
dazu beigetragen, dass
der Verband für viele zur
Vereinsheimat geworden
ist. Das Engagement in
der und für die Gemeinschaft drückt sich in vielen Aktivitäten wie kulturellen Veranstaltungen
und Ausflügen und Themenveranstaltungen aus.
Mitglieder, die nicht mehr
mobil sind, werden auch
zu Hause besucht und unterstützt. Dafür dankt der
BRH Sachsen allen Aktiven ganz herzlich.
Die Landesgeschäftsstelle
mit dem Geschäftsführenden Vorstand greift zur
Unterstützung der Ortsund Kreisverbände alle politischen Themen auf. Gespräche mit Kommunalund Landespolitikern zu
Seniorenthemen gehören
ebenso zum politischen Tagesgeschäft wie Besuche
bei den Fraktionen im
Sächsischen Landtag, bei
Ministerien und Stadträten. Das Ziel ist, die Anliegen der Seniorinnen und
Senioren in der Politik hörbar zu machen. Den Abgeordneten ist längst klar:
die Wählerschaft besteht
zu einem großen Prozentsatz aus Senioren. Daher
haben es die Mitglieder in
der Hand, ihren Willen bei
allen Wahlen kundzutun.
Sie müssen ihre Kraft aber
auch aktiv nutzen und den
„Mut zur Ansage“ haben.
Alle Jahre wieder gibt es
nicht nur Auszeichnungen
für gesellschaftliches Engagement, sondern auch
Gelegenheit, gemeinsam
eine besinnliche Vorweihnachtszeit zu verbringen.
Dazu wünschen wir Ihnen
Freude, innere Einkehr und
auch Mut und Kraft, im
neuen Jahr wieder für­
einander da zu sein.
Rita Kiriasis-Kluxen,
Landesvorsitzende
BRH Sachsen
<< Korrektur: Haus vererben
In AiR Nummer 10/2016 hieß es im Artikel „EU-Wohn­
immobilienkreditrichtlinie – Umsetzung jenseits von
Gut und Böse“ auf Seite 4, dass Häuser seit März 2016
nicht mehr samt Restschuld an Kinder vererbt werden
dürfen. Das ist so pauschal nicht richtig, denn eine Regelung, nach der Häuser mit Restschuld nicht vererbt
werden können, findet sich im Gesetz zur Umsetzung
der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie nicht.
> AiR | Dezember 2016
Aktiv im Ruhestand
„Flexi-Rente“:
Beamtenversorgung
nicht betroffen
Die verfassungs- und einfachrechtlich eigenständige Beamtenversorgung ist aufgrund ihrer Finanzierungs- und Berechnungsgrundlagen von den Problemstellungen „Flexi-Rente“, „Lebensleistungsrente“
und „Ost-West-Angleichung“ nicht betroffen. Hinzuverdienstregelungen ergeben sich aus den jeweiligen Beamtengesetzen des Bundes und der Länder.
Kompakt
12
<<
© Robert Kneschke / Fotolia
Zu den beabsichtigten Veränderungen des Rentenrechts wurde im AiR November 2016 unter dem
Stichwort „Flexi-Rente und
Hinzuverdienst: Schwierige Rechenexempel“ berichtet. Nachfolgend werden die in der Beamtenversorgung bestehenden Regelungen und Lösungen
beim Übergang vom aktiven Dienst in die Beamtenversorgung und die der Berücksichtigung von Einkünften dargestellt.
<<
Dienst und
Nebentätigkeit
Das Bundesbeamtengesetz
(§ 97 ff. BBG) und das Beamtenstatusgesetz (§ 40
BeamtStG) regelt in Ver­
bindung mit den jeweiligen
Landesbeamtengesetzen,
welche Tätigkeiten neben
dem Dienst ausgeübt werden dürfen und welche Anzeigepflichten bestehen.
Grundsätzlich gilt, dass jede Wahrnehmung einer Tätigkeit neben dem Dienst
die Arbeitskraft nach Art
und Umfang nicht so stark
in Anspruch nehmen darf,
dass die ordnungsgemäße
Erfüllung der dienstlichen
Pflichten behindert wird.
Tätigkeiten, die zum Beispiel dem Ansehen des
öffentlichen Dienstes abträglich sind oder zu einer
wesentlichen Einschrän> AiR | Dezember 2016
weise § 27 BeamtStG und
Landesrecht). Der Beamte
verbleibt im aktiven Dienst
und es gelten die Regelungen zum Nebentätigkeitsrecht. Allerdings erhält er
einen besonderen besoldungsrechtlichen Zuschlag
nach § 72 BBesG beziehungsweise Landesbe­
soldungsgesetzen.
kung der künftigen dienstlichen Verwendbarkeit des
Beamten führen können,
dürfen nicht ausgeübt werden. Zum Umfang von Einkünften aus einer Nebentätigkeit gilt, dass grundsätzlich 40 Prozent des
jährlichen Endgrundgehaltes des Amtes nicht überschritten werden darf (vergleiche § 99 BBG oder vergleichbares Landesrecht).
Unabhängig vom Umfang
der Vergütung ist festgelegt, dass die Nebentätigkeit zu versagen ist, wenn
der Umfang der Nebentätigkeit in der Woche ein
Fünftel der regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit
überschreitet.
<<
Dienst und begrenzte
Dienstfähigkeit
Das Institut der begrenzten Dienstfähigkeit dient
der Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand
und der Stärkung des
Grundsatzes Rehabilitation vor Vorsorge. Kann der
Beamte unter Beibehaltung des übertragenen
Amtes seine Dienstpflichten nicht mehr uneingeschränkt, aber noch mindestens mit der Hälfte der
regelmäßigen Arbeitszeit
erfüllen, ist von der Versetzung in den Ruhestand
wegen Dienstunfähigkeit
abzusehen (vergleiche
§ 45 BBG beziehungs­
Verschobener
Ruhestand
Auf Antrag des Beamten
kann der Eintritt in den Ruhestand bis zu drei Jahre
hinausgeschoben werden,
wenn dies im dienstlichen
Interesse liegt und der Beamte mindestens noch mit
der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit Dienst leistet (vergleiche § 53 BBG; dieses Institut ist noch nicht flächendeckend in den Regelungen
der Länder umgesetzt). Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Beamtinnen und Beamte, die
ihren Höchstruhegehaltsatz
noch nicht erreicht haben,
den Höchstruhegehaltsatz
durch ein aktives Weiterdienen erreichen. Nach Erreichen des Höchstruhegehaltsatzes erfolgt ein Anreiz durch Gewährung eines Besoldungszuschlags.
Ein zehnprozentiger nicht
ruhegehaltfähiger Zuschlag des Grundgehaltes
Aktiv im Ruhestand
Anzeigepflichten
Bereits im Bundesbeam­
tengesetz (§ 105 BBG) be­
ziehungsweise dem Beam­
tenstatusgesetz und Lan­
desrecht (§ 41 BeamtStG)
ist weiter festgelegt, dass
eine Erwerbstätigkeit oder
sonstige Geschäftstätig­
keit nach Beendigung des
Beamtenverhältnisses an­
zuzeigen ist und untersagt
werden kann, wenn sie die
dienstlichen Interessen zu
beeinträchtigen droht.
Dies ist immer dann der
Fall, wenn der Ruhestands­
beamte eine entgeltliche
Erwerbstätigkeit oder
<<
Hinzuverdienst
zur Versorgung
Beziehen Versorgungsemp­
fänger neben Versorgungs­
bezügen Erwerbs- und Er­
werbsersatzeinkommen
(§ 53 BeamtVG oder ver­
gleichbares Landesrecht)
– also Einkünfte aus nicht
selbstständiger Arbeit ein­
schließlich Abfindungen,
aus selbstständiger Arbeit
sowie aus Gewerbebetrieb
und aus Landwirtschaft
und Forstwirtschaft – ist
dies der Versorgungsbezü­
ge anweisenden Stelle un­
verzüglich anzuzeigen (ver­
gleiche § 62 BeamtVG oder
vergleichbares Landesrecht).
Eine Anrechnung auf die
Versorgung findet unab­
hängig vom Umfang der
Einkünfte nicht statt.
Liebe Leserinnen und Leser,
<<
Anrechnung
auf die Versorgung
Die Anrechnungsfreiheit
im Ruhestand nach Errei­
chen der jeweiligen Alters­
grenze gilt nicht für Ein­
künfte aus einer Verwen­
dung im öffentlichen
Dienst.
Immer auf die Versorgung
angerechnet werden Ein­
künfte aus jeder Beschäf­
tigung im Dienst von Kör­
perschaften, Anstalten
und Stiftungen des deut­
schen öffentlichen Rechts
oder ihrer Verbände. Der
Verwendung im öffentli­
chen Dienst gleichgesetzt
ist die Verwendung im
öffentlichen Dienst einer
zwischenstaatlichen oder
überstaatlichen Einrich­
tung, an der eine der oben
genannten Körperschaften
oder Verbände durch die
Zahlung von Beiträgen
oder Zuschüssen oder in
anderer Weise beteiligt
sind. In diesem Fall findet
ebenfalls eine Anrech­
nungsprüfung statt. Die
Versorgung wird gekürzt,
wenn Einkünfte zusam­
men mit Versorgungsbe­
zügen bestimmte Höchst­
grenzen überschreiten.
Diese Berechnungen wer­
den als „Ruhensregelung“
oder auch Ruhensberech­
nung“ bezeichnet.
<<
Freibeträge beim Bund
Die Hinzuverdienstgrenze
wird in der Beamtenver­
sorgung des Bundes (ab­
weichende Regelungen
gibt es in den Ländern)
auch dann eingehalten,
wenn der für den Monat
maßgebende Grenzfreibe­
trag von 450 Euro in zwei
Monaten pro Kalenderjahr
überschritten wird.
Es gilt allerdings auch in
diesen zwei Monaten eine
Obergrenze: Der Hinzuver­
dienst darf den doppelten
Grenzbetrag nicht über­
steigen. Dabei kommt es
nicht darauf an, aus wel­
chen Gründen die Hinzu­
verdienstgrenze über­
schritten wird. Daher ist
es unerheblich, ob in dem
Monat Sonderzahlungen
wie Weihnachtsgeld oder
Urlaubsgeld vorliegen. Es
gilt in allen Fällen das Zu­
flussprinzip.
ab
wir wünschen allen ein
geruhsames Weihnachtsfest
und einen guten Rutsch ins
neue Jahr.
Ihre AiR-Redaktion
> AiR | Dezember 2016
13
Kompakt
<<
sonstigen Beschäftigung
außerhalb des öffentlichen
Dienstes ausübt, die mit
den dienstlichen Tätigkei­
ten in den vergangenen
fünf Jahren vor Beendi­
gung des Beamtenverhält­
nisses im Zusammenhang
stehen und die dienstli­
chen Interessen beein­
trächtigen können.
© MEV
wird gewährt, wenn die
gesetzliche Altersgrenze
erreicht ist – und wenn
zu diesem Zeitpunkt der
Höchstsatz des Ruhege­
haltes (71,75 Prozent nach
BeamtVG des Bundes)
noch nicht erreicht ist.
Bei den Regelungen ist be­
ziehungsweise bleibt der
Beamte im aktiven Dienst
– ergänzt und attraktiv
ausgestaltet durch die Ge­
währung von Besoldungs­
zuschlägen. Für alle diese
Fälle gilt damit das Neben­
tätigkeitsrecht.
Aktiv im Ruhestand
Ehrenamtliche Arbeit im Mehrgenerationenhaus:
Latte, Mathe und
Literatur …
<<
… sind drei mögliche Gründe für einen Besuch im „Phoenix“. Andere Gründe:
Das Mehrgenerationenhaus in Berlin-Zehlendorf bietet zum Beispiel Rechtsberatung für alle Lebenslagen, Osteoporose- und Wirbelsäulengymnastik
oder Yoga für kleines Geld. Es gibt dort ein Internetcafé, Gruppen, die gemeinsam kochen oder Theater spielen, Englischkurse oder die „Gitarren-AG für
10- bis 100-Jährige“, die auf Basis einer freiwilligen Spende zur Teilnahme
einladen. Dass in Zehlendorf wie in den anderen, bundesweit rund 450 Mehrgenerationenhäusern jeden Tag ein volles Programm geboten werden kann,
ist nicht zuletzt freiwilligen Helfern zu verdanken: Bundesweit enga­gieren
sich knapp 18 000 Ehrenamtliche – zwischen 60 und 80 davon im „Phoenix“.
Wie die drei Senioren, die AiR dort getroffen hat.
Zweimal in der Woche
übernimmt Gudrun
Bartholmai im „Phoenix“
das Kommando am Tresen.
Im Foyer des Mehrgenerationenhauses bedient sie
die Gäste des öffentlich
zugänglichen „Nachbarschaftscafés“. „Kaffee,
Wasser und Limonade
kosten wie der Kuchen,
den eine unserer ehrenamtlichen Helferinnen
mit großer Leidenschaft
backt, einen Euro, ein Tee
80 Cent. Wir haben auch
Latte Macchiato oder Cappuccino, der kostet zwei
Euro“, informiert sie lächelnd zwei ältere Damen
und eilt zurück zu ihrem
Platz hinter der Theke, den
> AiR | Dezember 2016
jetzt vier Grundschüler belagern. Während Gudrun
Bartholmai die Kinder mit
den gewünschten Lollis
versorgt, reicht sie eine
Liste samt Kugelschreiber
an eine junge Mutter, die
sich für die Baby- und
© Jan Brenner (4)
Blickpunkt
14
Kleinkindgruppe anmelden
möchte. „Ich bin hier die
Kontaktstelle. Jeder, der
hereinkommt und etwas
wissen möchte, fragt am
Tresen“, sagt die 73-Jährige, die schon seit 2008, als
das ehemalige Jugendzen­
trum am Teltower Damm
in Berlin-Zehlendorf eine
neue Bestimmung als
Mehrgenerationenhaus
erhielt, ehrenamtlich im
„Phoenix“ mitarbeitet.
„2007 bin ich in Rente
gegangen, im selben Jahr
verstarb unerwartet mein
Mann. Damals habe ich
im Internet das ‚Phoenix‘
entdeckt und mich daraufhin beim ‚Mittelhof‘, dem
gemeinnützigen Träger des
Hauses, vorgestellt. Und
seitdem helfe ich. Ich schätze die Atmosphäre und der
Kontakt zu den vielen unterschiedlichen Menschen
tut mir gut“, sagt die Mutter eines Sohnes und stolze Großmutter eines einjährigen Enkelsohnes. „Ich
muss allerdings zugeben,
dass ich keine Probleme
damit habe, Kontakte
zu knüpfen: Ich habe früher bei der BAM, der Bundesanstalt für Material­
prüfung und -forschung
gearbeitet und war dafür
zuständig, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Akademischen Austauschdienst zweimonatige Praktika für ausländische Studierende zu organisieren.
Da gab es Bewerber aus
rund 70 Ländern.“
<<
<
< Gudrun Bartholmai arbeitet zweimal in der Woche ehrenamtlich
am Tresen.
Kontakt zu unterschiedlichen Menschen
Die pädagogische Ader
schlug wieder durch
Auch Winfried Rißleben
wollte als Ruheständler
nicht nur im Privaten agieren. Bei ihm habe es aller-
Aktiv im Ruhestand
<
< Winfried Rißleben fand beim Nachhilfegeben zurück zu seiner
Freude am Unterrichten. Monika Hoffmann verteilt ihr Engagement auf Gartengestaltung und Literatur.
dings ein Weilchen gedauert, bis die Entscheidung
für ein ehrenamtliches Engagement in ihm gereift
sei. „Ich war Hauptschullehrer und als ich mit
58 Jahren in Pension ging,
war mein psychisches Kostüm ziemlich zerfleddert“,
erzählt der 74-jährige,
geschiedene Vater zweier
erwachsener Kinder freimütig. Als es ihm wieder
besser ging, durchforstete
er das Internet auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und stieß auf das
„Phoenix“. „Das wollte
ich näher kennenlernen.
Deshalb habe ich vor
etwa vier Jahren mit
Tresendienst angefangen.
Doch dann kam meine pä­
dagogische Ader wieder
zum Vorschein. Seit drei
Jahren gebe ich daher an
zwei Tagen in der Woche
ehrenamtlich Nachhilfe.“
Zurzeit betreut Winfried
Rißleben sieben Schüler –
von der dritten Klasse
Grundschule bis zur neunten Klasse Gymnasium. Für
jeden Einzelnen nimmt sich
der pensionierte Lehrer 30
bis 45 Minuten Zeit. Der
größte Nachholbedarf
herrscht bei Mathe und
Deutsch, sagt Rißleben.
Andere Fächer vermittelt
er nach Bedarf gleich mit:
„Die Kinder sind willig und
diszipliniert. Auch zu den
Eltern habe ich regelmä­
ßigen Kontakt. So macht
das Unterrichten wieder
Spaß.“
<<
Gärtnerische Klein­
odien geschaffen
Bei Monika Hoffmann
entwickelte sich die Bereitschaft zur ehrenamtlichen
Mitarbeit im wahrsten Sinne des Wortes durch die
Blume(n). „Ich bin vor fünf
Jahren in der Nachbarschaft
in eine Senioreneinrichtung
gezogen und kümmere
mich dort um das Kulturcafé. Irgendwann habe ich
hier vorbeigeschaut, sah
Seit die 73-Jährige vor vier
Jahren einen Schlaganfall
erlitt und sie sich Schritt
für Schritt durch die Rekonvaleszenz gekämpft
hat, hat sie neben der Garten- auch eine Literaturgruppe in ihr ehrenamtliches Engagement aufgenommen, um „etwas für
ihren Kopf“ zu tun. Den
Trubel des Generationenhauses empfindet Monika
Hoffmann als belebend.
„Ich wohne mit alten Leuten zusammen und kann
dort die Ruhe genießen.
Hier sehe ich Kinder, junge
und alte Leute sowie Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit denen ich
mich austauschen kann.“
Dreimal in der Woche
macht sich Monika Hoffmann auf den Weg ins
„Phoenix“. „Hier haben
<
< Die Sozialpädagogin Sabine Salvermoser ist im Leitungsteam des
„Phönix“ zuständig für die Angebote an Familien, Senioren und
Erwachsene und betreut die ehrenamtlichen Helfer des Mehrgenerationenhauses.
sich mit der Zeit stabile
Freundschaften entwickelt“, sagt sie, die ertragen musste, dass ihr Gefährte – „die Liebe meines
Lebens“, wie sie selbst es
formuliert – nach einem
Unfall 16 Jahre im Wachkoma lag und schließlich
starb. „Man kann auch in
diesem Alter noch Beziehungen knüpfen“, sagt
Monika Hoffmann. „Man
muss aber auch bereit
dazu sein.“
cri
<< Mehrgenerationenhaus
Eines für alle
Menschen aus allen
Altersstufen, vielleicht
sogar von unterschiedlicher Herkunft oder
kulturellem Hintergrund, zusammenzu­
bringen, ist die Grundidee der seit 2006 vom
Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ )
geförderten Mehrgenerationenhäuser. Mehr
als 50 000 Menschen
nutzen regelmäßig die
Angebote der bundesweit rund 450 Einrichtungen, die vom Bund
und den Ländern oder
Kommunen ihrer
Standorte mit einem
jährlichen Festzuschuss
gefördert werden. Die
hauptamtlichen Kräfte
werden von rund
18 000 ehrenamtlichen
Helfern unterstützt.
Zum 1. Januar 2017
startet ein neues Bundesprogramm, das die
Förderung bestehender
und die Errichtung weiterer Mehrgenerationenhäuser sicherstellen
soll. Weitere Informationen und die Standorte
der Mehrgenerationenhäuser im Internet:
https://www.mehrge
nerationenhaeuser.de/.
> AiR | Dezember 2016
15
Blickpunkt
den Garten und hatte eine
Idee.“ Die frühere Erzieherin und Psychotherapeutin
gründete als ehrenamtliche
Helferin die Gartengruppe
des „Phoenix“ und schuf
mit ihren Mitstreitern gärtnerische Kleinodien wie
zum Beispiel das „Beet der
Erinnerung“ zum Gedenken
an geliebte Verstorbene und
die Hochbeete des „Duft“und des „Naschgartens“.
Aktiv im Ruhestand
Wege aus der Einsamkeit e.V.:
Mit Dagmar zum
Senioren-Flashmob
Im Alter ändert sich das Leben: Der Beruf liegt hinter einem, die Kinder gehen aus dem Haus, das Finanzpolster ist nicht mehr so dick, vielleicht stirbt der Lebenspartner. Wenn kein enger Verwandtenund Freundeskreis vorhanden ist, bleibt Leere zurück. Der Hamburger Verein „Wege aus der Einsamkeit“ hat sich zum Ziel gesetzt, den Teufelskreis der Einsamkeit zu durchbrechen und Seniorinnen und
Senioren der Generation 65+ wieder Lebensfreude zu schenken. Flashmobs sind da nur ein Mittel aus
der „Medikamentenkiste gegen das Alleinsein“.
Vorgestellt
Hinter dieser und vielen
anderen Aktionen stehen
Dagmar Hirche und Dr. Jan
Kurz, Gründer und Vorstandsvorsitzende von
„Wege aus der Einsamkeit
e.V.“. Der gemeinnützige
Verein hat sich zum Ziel
gesetzt, der zunehmenden
Vereinsamung und sozialen Isolation entgegen­
zutreten. Ehrenamtliche
Mitarbeiter, Kooperationspartner und Fürsprecher
wie der TV-Moderator und
Sänger Maxi Arland unterstützen die Arbeit des Vereins, dessen Projekte sich
> AiR | Dezember 2016
© Wege aus der Einsamkeit e.V. (2)
16
Mehrere Hundert Seniorinnen und Senioren hatten
sich am 1. Oktober 2016
wie jedes Jahr seit der Vereinsgründung im Hamburger Hauptbahnhof zum Internationalen Seniorentag
„zusammengerottet“, um
zum Vereinssong „Spark of
Life“, zu dem es natürlich
auch ein Video auf Youtube gibt, zu tanzen und sich
anschließend zum „Speeddating“ zu treffen. Spielerisch wurden damit Errungenschaften der Jugend
in die Welt der Senioren
übertragen. Aber die Generation 65+ will trotzdem
mehr sein als nur „so putzig“ wie in dem Video –
und sie ist es auch.
benslagen. Auch Themen
wie ältere Migrantinnen
und Migranten oder al­
ternative Wohnformen
werden nicht ausgespart.
Dabei versteht sich die Internetpräsenz nicht als
statisches Element, sondern vielmehr als Einladung zum Mitmachen,
denn „Wege aus der Einsamkeit“ lebt von und
mit dem Engagement
der älteren Generation.
<<
<
< Dagmar Hirche hat „Wege aus der Einsamkeit“ gegründet.
durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanzieren.
Bereits die Internetseite
des Vereins bietet reichlich
Informationen und Ange-
bote für Ältere, von Hilfen
und Kursen zur Nutzung
des Internet über die Dokumentation unzähliger
Projekte bis hin zu praktischen Leitfäden für alle Le-
Das rosarote Alter
„Wir kommen beruflich
aus dem Bereich der Unternehmensberatung. Finanziell ging es uns immer
gut, und wir wollten uns
gerne gemeinnützig engagieren“, umschreibt Dagmar Hirche den Antrieb zur
Vereinsgründung. Am Anfang stand eine kühle Bedarfsanalyse zum Thema
Alter, deren Ergebnisse Hirche und ihren Mitstreiter
Kurz förmlich zum Handeln zwangen: „Die medialen Gewitterwolken rund
ums Alter waren prall gefüllt. Dem mussten wir etwas entgegensetzen und
Werbung fürs Alter machen, zumal viele andere
Länder bei dem Thema viel
weiter sind und vor allem
positiver damit umge-
Aktiv im Ruhestand
hen.“ Dass sie sich dazu
ganz bewusst auf eine rosarote Wolke gesetzt hat,
begreift Dagmar Hirche
nicht als Widerspruch:
„Im Gegenteil. Wir wollen
zeigen, was alte Leute so
alles können, um anderen
damit Mut zu machen.“
Es gebe zum Beispiel viele
großartige Projekte, die
man ohne großen Aufwand nachahmen könne.
<<
Der Schlüssel ist digital
Überhaupt steht die Digi­
talisierung der älteren
Generation für Dagmar
Hirche ganz oben auf der
Agenda im Kampf gegen
die Einsamkeit. „Eine neue
Seniorenwohnan­lage ohne
WLAN dürfte es heute gar
nicht mehr geben. Trotzdem gibt es sie aber immer
wieder.“ Dabei sei das Internet für Seniorinnen und
Senioren genauso wichtig
wie für Schulen, öffentliche Räume und Flüchtlingsunterkünfte, „ganz
einfach, weil es Kommunikation, die Erleichterung
alltäg­licher Tätigkeiten
und damit Lebensqualität
bedeutet“.
<
< Smartphones und Tablets gemeinsam in den Griff zu bekommen, macht nicht nur Spaß, sondern bereichert auch das Leben nach dem Kurs.
Um die Hemmschwellen
herabzusetzen, bräuchten
Senioren weniger den klassischen Computerkurs, sondern eine altersgerechte
Einweisung in Smartphone
und Tablet: „Ein SmartHome, das es Senioren ermöglicht, im Alter viel länger zu Hause zu leben als
früher, lässt sich eben nur
mit dem Smartphone bedienen.“ Deswegen lädt
der Verein Menschen über
65 zu „Gesprächsrunden“
ein: Eine Stunde Theorie
und zwei Stunden Praxis
nehmen Senioren die
Angst vor den Geräten,
die ihr Leben in vielerlei
Hinsicht verbessern können. „Wir holen die Senioren dort ab, wo sie sind,
nämlich bei Null. Deswegen heißen unsere Angebote auch nicht „Anfängerkurs“ oder „Workshop“,
sondern „1x1“. Die Kurse
werden bislang in Kooperation mit vier weiteren
Vereinen in Hamburg kostenlos angeboten, und ihr
Erfolg spricht Bände: „Wir
werden förmlich über-
rannt“, freut sich Dagmar
Hirche, die einem 91-jäh­
rigen gern erklärt, wie
man mit dem Smartphone
mehr machen kann, als nur
das Hörgerät zu steuern.
<<
Aufstehen muss
man selbst
Überhaupt komme das
Thema Digitalisierung der
Generation 65+ viel zu
kurz. Schließlich sei die
Technik der Schlüssel zu
vielen anderen senioren­
gerechten Diensten wie
E-Health oder zu den so­
ziale Medien. „Netzwerke
wie Facebook sind gerade
bei Senioren stark im Kommen. Auf unserer Facebook-Präsenz haben wir
gerade den 6 666. Fan begrüßt“, freut sich Hirche.
Welchen Rat gibt Dagmar
Hirche Älteren, die sich
einsam fühlen? „Da bin ich
knallhart und sage allen,
die nicht pflegebedürftig
sind: Es setzt sich niemand
zu Ihnen aufs Sofa und
nimmt Sie bei der Hand.
Aufstehen müssen Sie
schon selbst und die zahlreichen Angebote annehmen, die es gibt.“ Dabei
sollten sich Ältere auch
eingestehen, dass sie möglicherweise wieder mehr
Toleranz lernen müssen,
um mit den Macken der
anderen Alten und auch
denen der Jungen zurecht­
zukommen. „Toleranz gehört zur Geselligkeit im Alter dazu, auch das kommt
mir in der öffentlichen Diskussion bisweilen zu kurz.
Man muss einfach sehen,
dass einsame Menschen
manchmal Mitschuld an
ihrer Misere tragen. Und
genauso müssen wir akzeptieren, wenn sich jemand in seiner eigenen
Welt wohlfühlt. Wir können niemanden in die Geselligkeit zerren, der das
nicht will.“
Für alle anderen hat „Wege
aus der Einsamkeit“ allerdings ein riesiges Tor geöffnet. Ein kleiner erster Schritt
genügt: www.wegeaus
dereinsamkeit.de. br
> AiR | Dezember 2016
17
Vorgestellt
Dazu hat der Verein auch
Wettbewerbe wie „Zu Hause hat Zukunft“ ins Leben
gerufen, der sich Projekten
rund ums au­tarke Wohnen
zu Hause annimmt. Aus
dem Wettbewerb „Wir
versilbern das Netz“ zum
Thema digitale Medien ist
letztlich der „Goldene Internetpreis“ geworden,
eine Kooperation des
Vereins mit der BAGSO,
Google, der Telekom AG,
Deutschland sicher im
Netz (DsIN) und dem Bundesministerium für Justiz
und Verbraucherschutz.
Am 10. November 2016
wurde der Preis wieder
in Berlin verliehen.
Aktiv im Ruhestand
Salben, Pillen und Tinkturen:
© K.-U. Häßler / Fotolia
Läuft wie geschmiert …
Brennpunkt
18
… vor allem das Geschäft, denn die meisten Medikamente gegen (chronische) Schmerzen zahlen die Krankenkassen nicht. So preisen denn auch
Pharmafirmen ihre Salben, Pillen und Tinkturen in Fernsehspots und ganzseitigen Anzeigen als wahre Wundermittel an, und der Markt boomt. Was
ist dran an Voltaren und Co.? Und vor allem, was ist drin? AiR zeigt, dass große Namen nicht alles sind, und wie sich viel Geld – und Chemie – sparen
lässt im täglichen Kampf gegen Rücken- und Gelenkschmerzen.
Die Knie machen Detlef
Berger zu schaffen. Die
Schmerzen werden von
Jahr zu Jahr schlimmer,
und die regelmäßig aufgetragene Heilsalbe lindert
seine Beschwerden längst
nicht mehr so gut wie noch
vor Monaten. Damit ist der
72-jährige Senior nicht allein. In Deutschland leiden
etwa zehn Millionen meist
ältere Menschen an Gelenk- und Muskelschmerzen. Sie bekämpfen ihre
Leiden mit Salben, Tabletten und Tinkturen aus dem
Supermarkt, dem Reformhaus und vor allem aus der
Apotheke. Insgesamt liegt
der Umsatz allein für Dic­
lofenac-haltige Mittel jährlich bei etwa 130 Millionen
Euro.
Die Marktführer lassen
in aufwendigen Fernseh> AiR | Dezember 2016
spots alte Damen das Tanzbein schwingen (Voltaren),
Großväter ihre Enkelkinder
stemmen (Proff) oder gipfelstürmende Zwillingsschwestern (Diclo) neuen
Schwung gewinnen. Was
in der Werbung allerdings
nicht zur Sprache kommt,
sind die chemischen Wirkstoffe, die die angeblichen
Wunder vollbringen. Das
sind in der Regel nur zwei:
Die einen Hersteller setzen
auf Diclofenac/Diethylaminsalz, die anderen auf
Ibuprofen. Der dritte, wesentlich ältere und inzwischen nur noch relativ wenig verwendete Wirkstoff
ist Paracetamol. Welcher
Wirkstoff für den Einzelnen der bessere ist, lässt
sich nicht ohne Weiteres
bestimmen. Es kommt auf
die subjektiven Gegebenheiten bei jedem einzelnen
Patienten an, ob Ibuprofen
oder Diclofenac besser
wirkt oder besser vertragen wird. Ärzte und Apotheker beraten dazu gern,
und probieren geht bei
„Diclo“ oder „Ibu“ über
studieren.
Diclofenac und Ibuprofen
werden bei leichten bis
mittelschweren chronischen Gelenkerkrankungen wie Rheuma oder bei
Zerrungen, Verstauchungen und Prellungen infolge
von Sport- oder Unfallverletzungen eingesetzt. Sie
haben eine sehr gute entzündungshemmende Wirkung und enthalten kein
Kortison. Die Wirkung beginnt etwa 30 bis 60 Mi­
nuten nach der Einnahme
und hält circa drei bis vier
Stunden an. Bei Retard-Tabletten, die den Wirkstoff
langsamer abgeben, wirken die Mittel etwa zwölf
Stunden. Für den Dauereinsatz sind sie nicht vorgesehen, denn beide Me­
dikamente greifen die
Magenschleimhaut an.
Längere Therapien sollten
deshalb in der Regel nur
in Verbindung mit einem
Magenschutzmittel durchgeführt werden. Wichtig
zu beachten: Je niedriger
dosiert und je kürzer die
Anwendung, desto risikoärmer wirken beide Inhaltsstoffe. Die Salben versprechen Wirkung direkt an
der Schmerzstelle, doch
das ist umstritten. Wirkstoffe, welche das auch
immer sind, werden nicht
allein vom Knie oder vom
Ellenbogen verarbeitet,
sondern bedürfen des körpereigenen Stoffwechsels.
<<
Zurück zur Natur
Wer generell chemische
Keulen vermeiden möchte,
kann inzwischen auf eine
breite Palette natürlicher
Alternativen zurückgreifen, die den klassischen
Medikamenten in der Wirkung in nichts nachstehen.
Beinwellwurzel-Fluidextrakte wirken beispiels­weise
einer klinischen Studie
zufolge so gut wie Diclo­
fenac oder Ibuprofen. Bereits Hildegard von Bingen
und Paracelsus nutzten
die Heilpflanze bei Knochenbrüchen, Wunden
und Geschwüren. Das
heute bekannteste Mittel
mit diesem Wirkstoff ist
„Kytta-Salbe“, doch es gibt
viele weitere Tinkturen,
die der Apotheker auch auf
Wunsch „frisch“ ansetzt.
Auch natürliche Schmerztabletten oder Tropfenlösungen sind eine Alterna­
tive zur chemielastigen
Therapie. Zum Beispiel
werden Produkte mit
Aktiv im Ruhestand
dem Wirkstoff Toxicodendron quercifolium gut vom
Körper aufgenommen, ohne ihn über Gebühr zu belasten und sind auch für
eine längerfristige Anwendung geeignet. Das bekannteste Produkt, das diesen
Wirkstoff sowohl für Tabletten als auch für Tropfen
verwendet, ist Rubax.
Und ein Weiteres: Die
Naturprodukte sind wesentlich preiswerter als
die weitaus bekannteren
chemischen Pillen und Salben, deren Hersteller die
Kosten für die teure Werbung an ihre Kunden weitergeben. Doch auch Voltaren, Proff und Co. lassen
sich bei Onlineapotheken
preiswerter erwerben als
in der Apotheke nebenan.
Ein Preisvergleich im Internet belegt beispielsweise,
dass Pillen und Salben der
Marktführer großen Preisschwankungen unterliegen. Eine Tube Schmerzgel
mit 100 Gramm Inhalt
wird für 13,29 Euro, aber
auch für 19,98 Euro angeboten. Ein Vergleich lohnt
sich also, wobei allerdings
zusätzlich die zu zahlenden Versand- und Bearbeitungskosten berücksichtigt werden müssen.
Alle Mittel gegen Schmerzen bekämpfen die Symptome, aber nicht die Ur­
sachen. Oft hilft bereits
eine bewusste Ernährungsumstellung, unterstützt
durch die Anwendung alter Hausmittel, um wirkungsvoll gegen den täglichen Schmerz vorzugehen.
Kohl- oder Quarkwickel
sind beispielsweise uralte
Heilmethoden bei Arthrose und Rheuma. Und der
Verzicht auf arachidonhaltige Lebensmittel kann entzündliche Prozesse im Körper verringern. Die Säure
löst Entzündungen und Gelenkschmerzen aus und ist
besonders konzentriert in
Eigelb, Schweineschmalz
und Kalbsleber enthalten.
Stattdessen sollte mehr
Fisch gegessen und Salat
mit Öl angesetzt werden,
das viel Omega-3-Fettsäuren enthält. Entzündungshemmend wirken übrigens
auch Zwiebeln oder Knoblauch. Nicht vergessen werden sollte die Einnahme
von reichlich Vitamin E,
das unter anderem in Nüssen und Mandeln enthalten ist. Wie heißt es sinngemäß auf den Packungsbeilagen der Pillen und
Tinkturen: zur Langzeit­
therapie ungeeignet. sm
<< Extratipp
Magenresistente Wirkung?
Schmerzmittel greifen den Magen an. Werden Medikamente mit sogenannter magenresistenter Wirkung,
diese Eigenschaft gilt für viele Schmerzmittel, ein bis
zwei Stunden vor dem Essen eingenommen, dann gehen sie „unaufgelöst“ durch den Magen in den Darm
und entfalten erst dort ihre Wirkung. Nach dem Essen
eingenommen bleiben sie indes zu lange im Magen,
lösen sich bereits dort auf und greifen die Magenschleimhaut an. Die Einnahmezeit laut Beipackzettel
ist also für das Wohlbefinden und zur Minimierung
von Nebenwirkungen besonders wichtig und strikt
einzuhalten.
> AiR | Dezember 2016
Aktiv im Ruhestand
KogniHome:
© CITEC / Universität Bielefeld (2)
Wenn die Wohnung mitdenkt
Medien
20
Eine vernetzte Wohnung, die die Gesundheit, Lebensqualität und Sicherheit von Familien, Singles
und Senioren fördert: Daran arbeiten 14 Projektpartner aus Ostwestfalen-Lippe seit 2014 im regionalen Innovationscluster „KogniHome“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
fördert das Projekt mit acht Millionen Euro bis
2017. Geleitet wird KogniHome vom Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC)
der Universität Bielefeld.
<
< Der „KogniMirror“ assistiert
hilfebedürftigen Menschen mit
Informationen und Hinweisen ...
Firmen und Institutionen
zusammen. Einschließlich
der eigenen Mittel, die
von den Projektpartnern
kommen, liegt das Gesamtvolumen bei 11,3
Millionen Euro. Das Großprojekt ist Teil des Förderschwerpunktes „MenschTechnik-Interaktion im demografischen Wandel“ des
Bundesministeriums für
Bildung und Forschung
(BMBF). Die Partner befassen sich mit der Frage, wie
sich „mitdenkende“ und
„vertrauenswürdige“ tech­
nische Systeme verwirk­
lichen lassen, die Menschen im Alltag unter­
stützen können. Bei der
Entwicklung der techno­
logischen Basis stehen
für die Forscher und Techniker auch ethische, gesellschaftliche und rechtliche
Aspekte im Fokus.
<<
Der Unterschied zu herkömmlichen „SmartHome“-Konzepten liegt
im Schwerpunkt auf In­
tegration. KogniHome will
vor allem dazu beitragen,
dass Senioren mit und ohne Einschränkungen wie
Demenz oder Körperbe­
hinderungen so lange wie
möglich selbstständig leben können, sei es allein
oder in einem Wohnprojekt. In der Praxis kann das
zum Beispiel so aussehen:
Wenn Else Meier sich im
Januar bei minus zwölf
Grad Außentemperatur
mit Sommerbluse, Rock
> AiR | Dezember 2016
und Sandalen schick für
den Einkauf gemacht hat,
greift vor dem Verlassen
der Wohnung ein intelligenter Garderobenspiegel
ein. Auf der Spiegelfläche,
die zugleich als interaktiver Touchscreen dient und
mit einer Kamera versehen
ist, erscheint ein freund­
liches Gesicht, quasi der
gute, mitdenkende Geist
des Hauses, und weist
Frau Meier auf die un­
passende Kleidung hin.
Damit das technisch möglich wird, arbeiten viele regionale und überregionale
Digitale Delikatessen
Der mitdenkende Garde­
robenspiegel ist nur eines
der Highlights von KogniHome, dessen erste Module möglicherweise ab 2020
marktreif werden und die
sich auch einzeln erwerben
lassen sollen. Weiter gibt
es eine „digitale Küche“,
die den Bewohnern assistiert, etwa indem sie deren
Kochaktivitäten begleitet,
Varianten für Rezepte vorschlägt, Videoanleitungen
zum Nachkochen abspielt,
sich dabei an der Arbeitsgeschwindigkeit der Köchin oder des Kochs orien-
tiert und frühzeitig warnt,
bevor ein Gericht anbrennt. Die Küche lernt
mit und kann Zubereitungsvorlieben und -gewohnheiten der Nutzer
speichern, um so eine Art
„personalisiertes Kochgedächtnis“ aufzubauen.
Die Bewohner sollen mit
der vernetzten Wohnung
über alltagsübliche Sprache und Gestik kommunizieren können. Um die Gesundheit ihrer Bewohner
zu fördern, hat die Wohnung zum Beispiel die Fähigkeit, dezent auf mangelnde Bewegung oder
Fehlhaltungen hinzuweisen und Verbesserungs­
vorschläge zu geben. Ein
interaktiver Fitness-Sessel,
der „KogniChair“, dessen
Konzept an gängige Spielekonsolen erinnert, sorgt
für auf den jeweiligen Bewohner zugeschnittene
physiotherapeutische
Übungsprogramme. Ebenfalls soll die Wohnung eine Person warnen, wenn
sie feststellt, dass ihr eine
körperliche Überforderung droht. Eine intelligente Eingangstür begrüßt Besucher, erinnert
die Bewohner an Termine
oder warnt, wenn der
Wohnungsschlüssel vergessen zu werden droht.
Insgesamt soll die Wohnung von ihren Nutzern
lernen und sich an neue
Anforderungen und Lebensphasen anpassen
können. Auf einen Serviceroboter haben die
Forscher bewusst ver­
zichtet. Alle Finessen der
Wohnung werden quasi
unsichtbar in das Wohn-
Aktiv im Ruhestand
<<
Keine Bevormundung
Dabei muss niemand befürchten, von der Technik
dominiert oder bevormundet zu werden: „Ein Forschungsschwerpunkt im
Innovationscluster KogniHome ist die Bewertung
der ethischen, rechtlichen
nommenen Daten oder
die Akzeptanz von Assistenzsystemen beim Nutzer
würden innerhalb von
KogniHome durchgehend
evaluiert und hätten unmittelbar Einfluss auf die
Weiterentwicklung der
Technologien. „Eine Bevormundung durch die Technik wird es im KogniHome
nicht geben“, verspricht
Jungeblut.
funktionen, erst die Vernetzung der verschiedenen
Teilsysteme stellt aber die
eigentliche ‚Mitdenkende
Wohnung‘ dar.“
Die beteiligten Industrieunternehmen wollen auf
den Innovationen in KogniHome aufbauen und daraus künftige Produktge­
nerationen entwickeln.
„Es ist also damit zu rechnen, dass auch kurzfristig
‚KogniHome-Technologie‘
Einzug in unsere Haushalte
halten wird.“
<<
<
< ... während der „KogniChef“ Bewohner beim Kochen unterstützt
und als interaktive Küche sogar mitlernt.
und sozialen Aspekte“, sagt
KogniHome-Projektkoordinator Dr.-Ing. Thorsten Jungeblut. „Ziel der Entwicklung ist es, dass der Nutzer
jederzeit die Kontrolle über
die Technik behält und
weiß, was in seinen eigenen vier Wänden passiert.
Dazu gehört auch zu wissen, welche Sensoren wie
zum Beispiel Mikrofone
für die Realisierung von
Sprachsteuerung oder eine
Kamera zur Videotelefonie
gerade aktiv sind. Im Zweifelsfall wird es auch möglich sein, die Assistenzsysteme ohne Gefahr komplett auszuschalten.“
Aspekte wie die Sicherheit
und Transparenz der aufge-
<<
Ein Blick in die
Zukunft des Wohnens
„Wenn die einzelnen Komponenten marktreif sind,
wird es nicht ‚ein‘ KogniHome geben“, erläutert
der Wissenschaftler weiter. „Die Entwicklungen
zielen auf ein modulares
System ab, welches nach
Belieben auch später noch
erweitert werden kann. Es
soll möglich sein, Komponenten wie den Kochassistenten KogniChef, den
augmentierten Spiegel
KogniMirror oder das Sitzmöbel KogniChair unabhängig voneinander einzusetzen. Alle Komponenten
für sich bieten bereits zukunftsweisende Assistenz-
Wer soll das bezahlen?
Modernste Haustechnik
war noch nie billig. Gerade aber die Menschen, die
von einem System wie
KogniHome besonders
profitieren würden, verfügen in aller Regel aber nicht
über entsprechende finanzielle Mittel. „Bisher sind
mir zwar keine öffentlichen Fördermechanismen
bekannt, allerdings wird
es in Zukunft sicher Diskussionen darüber geben,
inwieweit Privatpersonen
Unterstützung bei der Anschaffung von Assistenztechnologien im Wohnumfeld erhalten können.
Ziel ist es, den Menschen
ein möglichst langes und
selbstbestimmtes Leben
in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, ins-
besondere, wenn im hohen Alter Einschränkungen hinzukommen. Hier
ist eine Förderung sicher
sinnvoll“, sagt Jungeblut
und nimmt den Menschen
gleichzeitig die Angst, vor
dem möglichen Bezug eines KogniHome zunächst
ein Technikstudium ab­
solvieren zu müssen:
„Smarte Technologie
steckt noch in den Kinderschuhen, wächst aber rasant. Die größte Herausforderung in der nahen
Zukunft sind nicht alleine
die technischen Innovationen.“ Assistenzsysteme
müssten deswegen einfach und von jedermann
installierbar und konfi­
gurierbar sein, ohne erst
einen Servicetechniker
rufen zu müssen.
„Auch hier versucht Kog­ni­
Home einen Beitrag zu
leisten, indem beispielsweise Verfahren entwickelt werden, die die Programmierung der Wohnung über Sprache ermöglichen.“ Technisch
betrachtet müssten elek­
tronische Systeme darüber hinaus über einheit­
liche Schnittstellen ver­
fügen, die es ähnlich wie
„Plug & Play“ beim Computer ermöglichen, neue
Geräte hinzuzufügen,
ohne die technischen
Grund­lagen zu ändern. br
<< Gemeinsam für integratives Wohnen
Im Projekt KogniHome arbeiten folgende Institutionen
und Firmen zusammen: der Exzellenscluster „CITEC“
der Universität Bielefeld, die Fachhochschule Bielefeld
und die Universität Paderborn sowie die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, die Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH und die Firmen achelos GmbH, DMW Schwarze GmbH & Co. Industrietore KG, Hanning & Kahl GmbH & Co KG, helectronics GmbH, Hella KGaA Hueck & Co., Hettich, HJP
Consulting GmbH, Miele & Cie. KG, Neue Westfälische
GmbH & Co. KG. Mehr Infos unter: www.kogni-home.de
> AiR | Dezember 2016
21
Medien
umfeld integriert und untereinander vernetzt.
Rückspiegel
Satire
22
RUNDSCHREIBEN AN DIE
MITGLIEDER DES VEREINS
PERFEKTE PENSIONÄRE e.V.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Vereinskameradinnen und -kameraden!
Namens und im Auftrag unseres Vereinsvorstandes,
in Sonderheit unseres allseits geschätzten Vorsitzenden, Oberregierungsrat i. R. Dr. Korbinian Zauderstein,
möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Aktivitäten des Vereins Perfekte Pensionäre e.V. vorübergehend ruhen und desgleichen auch Ihre Mitgliedschaft. Der Grund für diese außergewöhnlichen Maßnahmen liegt in zwei Fusionsunterfangen, die in den
kommenden Wochen und Monaten ihren Lauf nehmen werden und zu einem allseits befriedigenden
Abschluss kommen sollen.
Zum einen handelt es sich dabei um eine Anfrage eines mit uns befreundeten kleineren Vereins, der in
die „Perfekten Pensionäre“ aufgenommen werden
möchte, um mehr Aufmerksamkeit, Zuspruch und
Verständnis zu erfahren. Zum anderen wurde an uns
das Anliegen eines erst kürzlich neu gegründeten
Vereins herangetragen, mit selbigem zu fusionieren,
damit er aus unserem langjährigen Erfahrungsschatz
schöpfen kann. Da unser Vorstand beiden Anliegen
generell positiv gegenübersteht, wurde einstimmig
beschlossen, mit den jeweiligen Kandidaten Gespräche bis hin zu Verhandlungen zu führen und unsere
Vereinsbelange solange hintanzustellen, um die
Köpfe frei zu bekommen für zukunftsweisende
positive Entscheidungen.
Bei dem Interessenten, der unter unserem „Firmenschild“ (oder einem künftig anderen …) seinen satzungsgemäßen Aufgaben nachhaltiger und öffentlichkeitswirksamer nachkommen möchte, handelt
es sich um die „Vereinigung der Witwen und Waisen
von Beamten des Höheren Dienstes“ (VdWWHöDi).
Bei dem Verein, der mit uns gemeinsame Sache machen möchte, um zu lernen (wenn uns nicht gar zu
vereinnahmen, was wir aber zu verhindern wissen!),
handelt es sich um den „Dachverband ehemaliger Geschäftsbereichsleiter in berufsständischen Organisa­
tionen von Bundes- und Landesbeamten“ DeGBOBuLaB). Letzterer hat angeblich fünfmal so viel Mitglieder wie die „Perfekten Pensionäre“, was eine fünffache Beitragssumme bedeuten würde, was nicht
von der Hand zu weisen wäre. Aber auch die Witwen
und Waisen verfügen über ein Vereinsvermögen, von
dem unser Kassenwart nur träumen kann (Dr. Zauderstein ist schon jetzt weit weg von Träumereien
und zeichnet bereits an den Grundrissen eines neuen
Vereinsheims!).
> AiR | Dezember 2016
Da sich die Gespräche mit den ehemaligen Bereichsleitern sicherlich als zäh und nervenaufreibend erweisen werden, fehlt unserem Vorstand die Zeit und
auch die Geduld, sich dazu auch noch mit den Niederungen des Alltagsgeschäfts unseres eigenen Vereins
so zu beschäftigen, wie wir es von ihm und unserem
Vorsitzenden gewohnt sind. Dennoch werden Ihre
berechtigten Belange, Sorgen, Nöte und natürlich vor
allem Ihre Fragen zu den Fusionen von unserem geschätzten und kompetenten Kollegen Harry Haffka
wahrgenommen, der im Bundesverband einen kleinen Büroraum zugewiesen bekommt. Natürlich gegen eine entsprechende Miete. (Nach Auffassung
von Dr. Zauderstein wäre der „Bedenkenträger Haffka“ bei den Fusionsverhandlungen ohnehin nur hinderlich.) Abrundend darf ich ergänzen, dass die Kollegin Walburga Freudenbächer den Auftrag bekommen
hat, parallel zu den Gesprächen mit den anderen beiden Vereinen mit deren Magazin-Redakteuren ein
Konzept für ein neues Produkt zu entwerfen, das
den „Perfekten Pensionär“ als zentrale Informationsschrift ablösen soll. Bis es soweit ist, wird das Erscheinen unseres Magazins eingestellt.
In der Hoffnung, Sie ausreichend und umfassend informiert zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, verbunden mit den besten Wünschen für die
kommenden Weinachtstage und einen guten Start
ins neue Jahr, als Ihre
Sabine Rubenweit Auf ein Neues
cwb
i
Die Redaktion AiR bedauert die nun
doch etwas abrupte Fahnenflucht des
geschätzten Kollegen Zauderstein, hat
sich aber aller Trauer zum Trotz darum
bemüht, diese Seite fortan nicht „verweißen“ zu lassen: Ab der Ausgabe
1/2-2017 finden Sie hier „Theos Tagebuch“ mit Kuriositäten rund um die
Beamten- und Seniorenwelt.
© Pendragon
Aktiv im Ruhestand
Mississippi Jam
Mit dem Amerikaner James
Lee Burke, Jahrgang 1936,
ist seit Kurzem ein neuer
alter Stern am deutschsprachigen Krimihimmel erschienen, der bereits zwischen 1987 und 2006 leuchtete und den jetzt wieder
ein Verlag, diesmal Wilhelm
Heyne, mit dem Thriller
„Regengötter“ zum Funkeln
brachte. Er wurde auch sogleich mit dem Deutschen
Krimi Preis ausgezeichnet.
Der Nachfolgeband „Glut
und Asche“ ist nicht weniger beeindruckend. Dass
der in den USA als „neue
Stimme aus dem Süden“
gefeierte Autor nun endlich
auch wieder bei uns gele-
sen werden kann, ist nicht
hoch genug zu würdigen.
Neben seinem „Helden“,
Sheriff Hackberry Holland,
der in Texas für Recht und
Ordnung steht, ist Burke
mit dem lokalen Polizeibeamten Dave Robicheaux,
der rund um New Orleans
ermittelt, eine der interessantesten Figuren der Krimiszene gelungen. Burke
zeigt auf wunderbare Weise, wie literarisch das Krimigenre sein kann. Der
Pendragon Verlag hat die
inzwischen in den USA auf
20 Robicheaux-Bände angewachsene Serie den deutschen Lesern erneut zugänglich gemacht, wenn-
<
< James Lee Burke: Mississippi Jam. Ein Dave-Robicheaux-Krimi. Pendragon
Verlag 2016. 588 Seiten.
17,99 Euro.
ISBN: 978-3-86532-527-3
gleich in einer etwas vertrackten Reihenfolge. Der
erste Band war „Sturm über
New Orleans“, der hier vorliegende ist der einzige in
den 90er-Jahren nicht ins
Deutsche übersetzte siebte
Band. Das ist wahrscheinlich auch nicht verwunderlich, spart der Autor doch
nicht an expliziten und drastischen Szenen. Ein brutaler
und schonungsloser Krimi,
der die sozialen und menschlichen Abgründe in den Südstaaten aufzeigt. Darüber
hinaus bietet der Roman eine ungemein spannende
und historisch nachvollziehbare Handlung mit einem
vor der amerikanischen Küste versunkenen deutschen
U-Boot. Neben der Haupthandlung gibt es noch jede
Menge kleine und größere
Nebenstränge, die der Beachtung wert sind. Und natürlich die Personen mit
dem Protagonisten Robicheaux im Mittelpunkt,
die Burke mit viel Liebe
zum Detail anlegt. Alles
in allem keine Lektüre für
den schnellen Genuss, die
aber Lust macht auf wei­
tere Bücher dieses wahren
Großen der amerikanischen
(Kriminal-)Literatur. cwb
23
Literatur
Buchtipp:
> AiR | Dezember 2016
Aktiv im Ruhestand
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durch
Lissabon
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11
1
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nördlich
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3
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Blumenkette
7
erster
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Bottnischen
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(Seemannssprache)
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11
10
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9
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10
2
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AiR Aktiv im Ruhestand
Januar/Februar 2016 – 67. Jahrgang
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AiR Aktiv im Ruhestand
März 2016 – 67. Jahrgang
4
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AiR Aktiv im Ruhestand
April 2016 – 67. Jahrgang
5
_1068Y_AiR_Juni 2016_S001.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 30.May 2016 11:23:15; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
AiR Aktiv im Ruhestand
Mai 2016 – 67. Jahrgang
6
AiR Aktiv im Ruhestand
Juni 2016 – 67. Jahrgang
Senioren-Lobbys:
Auf gutem
Weg?
Seite 5 <
Seite 5 <
Seite 9 <
Seite 5 <
Alltagstauglichkeit
verbessern
Ausgabe 1/2
9
Seite 5 <
Seite 5 <
Maria Ermolaeva,
Leibniz­Institut für
Alternsforschung,
Jena
Uwe Schröder,
Präsident der
Generalzolldirektion,
Bonn
Seite 8 <
AiR Aktiv im Ruhestand
September 2016 – 67. Jahrgang
10
Seite 5 <
Vorsicht, Stufe!
Oktober 2016 – 67. Jahrgang
Seite 7 <
Seite 5 <
Seite 9 <
Endlich absehbar
Ausgabe 9
mit
dbb Seiten
11
Ausgabe 10
Ausgabe 6
_14ORY_AiR_12_2016_1.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 28.Nov 2016 08:35:33; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
Aktiv im
12
November 2016 – 67. Jahrgang
Zwischen Weissagung
und Wahrheit
Seite 5 <
3. Seniorenpolitische
Fachtagung
mit
dbb Seiten
AiR Aktiv im Ruhestand
Dezember 2016 – 67. Jahrgang
Alterseinkünfte:
Seite 5 <
Prof. Dr. Josef Hilbert
Dr. Axel Reimann
Geschäftsführender
Direktor Institut für
Arbeit und Technik
Präsident der
Deutschen Renten­
versicherung Bund
Seite 8 <
Renteneinheit:
mit
dbb Seiten
Aktuelle Gesetz­
gebungsverfahren:
In vielem nicht
konkret genug
Ausgabe 5
AiR Aktiv im Ruhestand
Dr. Jürgen Schneider,
Beauftragter des
Landes Berlin für
Menschen mit
Behinderung
Seite 10 <
mit
dbb Seiten
_13ZKM_AiR_November 2016_S001.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 28.Oct 2016 10:51:30; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
Schwarz-Weiß-Bilder
Behindertenpolitik:
Ingrid Fischbach,
Parlamentarische
Staatssekretärin
beim BMG
Frühjahrssitzung der
Hauptversammlung
Ausgabe 4
Werbung & Senioren:
Leben ins Leere?
dbb bundes­
seniorenvertretung:
mit
dbb Seiten
_134GY_AiR_Oktober 2016_S001.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 28.Sep 2016 12:15:38; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
Diagnose Demenz:
Ausgabe 7/8
Kritik an Renten­
unterschied zwischen
Ost und West
Ausgabe 3
Juli/August 2016 – 67. Jahrgang
Gespräch mit der
Ostbeauftragten:
Rentenangleichung
überfällig
dbb bundes­
seniorenvertretung:
mit
dbb Seiten
_12AM7_AiR_September 2016_S001.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 31.Aug 2016 08:43:51; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
AiR Aktiv im Ruhestand
Seite 5 <
Andreas
Germershausen,
Beauftragter des
Senats von Berlin
für Integration und
Migration
Seite 8 <
IBAN:
mit
dbb Seiten
_11GWK_AiR_Juli_August 2016_S001.pdf; s1; (210.00 x 297.00 mm); 22.Jul 2016 10:39:44; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
7/8
Nägel mit Köpfen
Ingrid Arndt-Brauer
MdB, Vorsitzende
des Bundestagsfinanzausschusses
BAGSO-Vorsitzender
Franz Müntefering
Qualität der
Ausbildung
bewahren
Urlaubs(t)räume
Schieflagen
Senioren und Flüchtlingshilfe:
Fest am Haken
Pflegeberufe:
SENIOREN REISEN:
Stress im Alter:
Indirekte Abgaben:
Seite 13 <
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dbb Seiten
3. Seniorenpolitische
Fachtagung:
Hat der Genera­
tionenvertrag
eine Zukunft?
Ausgabe 11
Gemeinsam leben im Alter:
In bester Gesellschaft
Seite 5 <
Dr. Ralf Kleindiek,
Staatssekretär im
Bundesministerium
für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Seite 16 <
mit
dbb Seiten
Mit Dagmar zum
Senioren-Flashmob
Ausgabe 12
mit
dbb Seiten
© Minerva Studio / Fotolia
dbb
Versorgungsbericht der Bundesregierung:
diskussionen über die Finanzierbarkeit der Beamtenver­
sorgung die Faktenlage außer
Acht lassen.
Der dbb hat die turnusgemäße Vorlage des aktuellen Versorgungsberichts
der Bundesregierung begrüßt. „Die seit 1996 regelmäßig erscheinenden
Berichte bieten anstelle von Vorurteilen Fakten in Sachen Pensionen“, sagte
dbb Vize und Beamtenvorstand Hans-Ulrich Benra am 8. November 2016
in Berlin.
„Die Versorgungsberichte sind
erforderlich und wichtig, um
alle Beteiligten und Betroffenen objektiv und sachbezogen
über die wichtigsten Grundlagen, Veränderungen und Herausforderungen des eigenständigen Alterssicherungssystems
der Beamten zu informieren“,
so Benra beim Beteiligungsgespräch zum Sechsten Versorgungsbericht der Bundesregierung.
Das Zahlenwerk zeigt, „dass
der seit Jahrzehnten betriebene erhebliche Personalabbau
des Bundes, der moderate Anstieg der beamtenrechtlichen
Versorgungsbezüge insbesondere in den Jahren ab 1999,
die laufende wirkungsgleiche
Übertragung von Reformmaßnahmen aus der gesetzlichen
Rentenversicherung und die
Bildung der Versorgungsrück­
lagen seit 1998 im Bereich des
Bundes in erheblichem Maße
dazu beigetragen haben, den
Anstieg der Versorgungausgaben zu dämpfen, sodass das
prognostische Ergebnis in weiten Bereichen sogar unterhalb
früherer Vorhersagen liegt“,
fasste Benra zusammen. „Hinzu kommt, dass durch die Einrichtung eines kapitalgedeckten Versorgungsfonds für ab
2007 berufene Beamte weitere Vorsorge betrieben wurde,
was sich weiter entlastend auf
die zukünftigen Haushalte
auswirken wird.“ Die Analyse
des dbb zeige im Einzelnen, so
Benra:
>>Der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben
des Bundes ist in den letzten
Jahren erheblich auf deutlich
unter 10 Prozent ­gesunken.
>>Das Niveau der Versorgungsausgaben des Bundes bleibt
stabil und ist zukünftig –
­insbesondere aufgrund des
Rückgangs im Bereich Bahn/
Post – insgesamt leicht rückläufig.
>>Sowohl der prozentuale Anteil der Versorgungskosten
an den Steuereinnahmen
(Versorgungs-Steuer-Quote)
als auch in Bezug auf das
Bruttoinlandsprodukt (Versorgungsquote) ist relativ
konstant und zeigt die Tragfähigkeit und Finanzierbarkeit des Systems der Beamtenversorgung auf.
>>Die Zahl der Ruhestandseintritte wegen Dienstunfähigkeit ist in den letzten Jahren
zurückgegangen, während
das durchschnittliche Ruhestandseintrittsalter spürbar
angestiegen ist.
>>Die durchschnittlichen Ruhe­
gehaltssätze sowohl der Bestandspensionäre als auch
der Versorgungsneuzugänge
sind durch die allgemeine
­Niveauabflachung einerseits
und durch die Zunahme von
Teilzeitbeschäftigungszeiten
andererseits signifikant
zurück­gegangen.
>>Die Versorgungsausgaben
des Bundes sind mit der
­Versorgungsrücklage und
dem Versorgungsfonds des
Bundes zu einem laufend
ansteigenden Anteil nachhaltig ausfinanziert und generationengerecht veranschlagt. Aus einer zunächst
zu erreichenden teilweisen
Kapitaldeckung soll und
wird auf diese Weise langsam eine überwiegende Kapitaldeckung zukünftiger
Versorgungsausgaben
­werden.
„All dies belegt, dass die regelmäßig in der Öffentlichkeit geführten Vergleichs- und Neid-
Ein behaupteter aktueller
Nachholbedarf gegenüber
der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf weitere Reformmaßnahmen ist
nicht angezeigt und wäre vielmehr eine überproportionale
Belastung von Beamten gegenüber anderen Beschäftigtengruppen“, unterstrich der
dbb Vize und forderte: „Diese
Tatsachen sollten auch vonseiten des Dienstherrn Bundesrepublik Deutschland öffentlich deutlicher betont
werden, um die regelmäßige
und häufig unvollständig und
einseitig geführte Debatte
über die Ausgabenentwicklung beamtenrechtlicher Versorgungssysteme – auch auf
politischer Ebene – zu versachlichen.“ < Demografie: Pflegezeiten bei der Bundesagentur für Arbeit
In einer alternden Gesellschaft wachsen die Herausforderungen
durch pflegebedürftige Angehörige. Nicht immer ist ein Pflegeheim eine gangbare Option. Vielfach findet Pflege daher in den
eigenen vier Wänden statt und wird von Partnern oder Kindern
übernommen. Wenn man das Leben in verschiedene Phasen teilen
müsste, ist dies eine weitere, bei der es auf alternsgerechtes Arbeiten ankommt. Eine Lösung könnte die Einrichtung von Langzeitkonten sein, aus denen die Zeiten bei Bedarf entnommen werden
können. Doch die wenigsten Mitarbeiter nutzen die Möglichkeiten
zum Ansparen der Arbeitszeit. Die Gründe sind vielfältig und reichen von der Ungewissheit, ob und wie das angesparte Guthaben
später genutzt werden könnte, über nicht anfallende Mehrarbeit
oder fehlenden zeitlichen Spielraum.
Aber selbst bei perfekten Rahmenbedingungen steht fest: Pflegebedürftigkeit ist nichts, was sich planen lässt. Die Bundesagentur
für Arbeit (BA) geht in ihrer Dienstvereinbarung seit Juni 2016 einen Weg, der die Regelungen der gesetzlichen Freistellungsmöglichkeiten nach dem Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz
­erweitert. Die BA geht in Vorleistung und lässt auf dem Arbeitszeitkonto Negativguthaben zu, die erst später wieder aufgefüllt
werden müssen. Die Beschäftigten können also Zeiten entnehmen, die noch gar nicht angespart sind, vergleichbar mit einem
zinsfreien Arbeitszeitdarlehen. Begrenzt wird die Zeitschuld auf
900 Stunden. Nach erfolgter Freistellung muss die Zeit nachgearbeitet werden. Damit es nicht zur Selbstüberforderung kommt,
können pro Jahr nur 200 Stunden zurückgezahlt werden. Das ist
immer noch sehr viel. Darum bietet die BA die Möglichkeit, nach
der Pflegefreistellung auf Teilzeit zu gehen und so die Stunden
über Einkommenseinbußen wieder aufzufüllen.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
25
berufspolitik
Fakten statt Vorurteile
dbb
Demografie-Kongress:
Von Integrationszielen noch weit entfernt
Zwar seien bereits große Erfolge in diesem Bereich zu verzeichnen, aber „wir haben das
anfängliche Chaos gerade mal
strukturiert“, stellte Silberbach
fest und machte zugleich deutlich, dass vor allem die Kommunen noch mehr Unterstüt-
© Jan Brenner
berufspolitik
26
< Als Teilnehmer der Podiumsdiskussion über „Integrationsstrategien in
Bund, Ländern und Kommunen“ machte sich der stellvertretende dbb
Bundesvorsitzende und Chef der komba gewerkschaft, Ulrich Silberbach
(Mitte), stark für weiteren Personalaufwuchs in den Kommunen: Dort
werde schließlich der Mammutanteil der Integrationsarbeit geleistet.
zung brauchen. „Die Städte
und Gemeinden sind die Letzten in der Kette, sie leisten den
Mammutanteil der Integrationsarbeit“, betonte der dbb
Vize. Hier mache sich nun der
rigide Personalabbau der vergangenen Jahrzehnte besonders sträflich bemerkbar.
„Wir brauchen, damit die
gesellschaftliche Integration
gelingt, noch weiteren Personalaufwuchs.“ Silberbach kritisierte zudem, dass der öffentliche Dienst lange Zeit öffentlich
„schlechtgeredet“ worden sei.
Dies erschwere nun die dringend notwendige Gewinnung
und Qualifizierung motivierter
Menschen. „Und die fehlen uns
an allen Ecken – in der Kinderbetreuung und den Schulen,
in der Sozialen Arbeit, um nur
diese Bereiche zu nennen“, so
Silberbach. Der Bund habe bereits eine Menge getan, um die
Herausforderung der Integration zu meistern. „Aber wir
sehen die Länder in der Pflicht.
Bei ihnen bleibt zu viel an den
klebrigen Fingern hängen,
was die Kommunen dringend
bräuchten“, kritisierte der
komba Bundesvorsitzende. Er
Nationaler IT-Gipfel:
Verwaltungen an Digitalisierung beteiligen
Die Beschäftigten in den
öffentlichen Verwaltungen
müssen angemessen an allen
Prozessen im Zusammenhang
mit der Digitalisierung beteiligt werden.
Das hat der stellvertretende
Bundesvorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik des
dbb, Hans-Ulrich Benra, am
17. November 2016 auf dem
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
Nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken deutlich gemacht.
„Nur, wenn die Mitarbeiter
mitgestalten können und
dafür auch entsprechend
qualifiziert werden, sind die
dringend notwendigen
Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung zu
erreichen“, so Benra. Zudem
müssten die Beschäftigungs-
bedingungen an die neuen
Erfordernisse angepasst und
ein moderner Gesundheitsschutz nicht nur angestrebt,
sondern gesichert werden.
„Modernisierung 4.0 mit
Beteiligung 1.0 – das kann
nicht gelingen“, verdeutlichte
Benra die Haltung des dbb.
Dem dbb, so Benra weiter,
gehe es um die Akzeptanz
warnte davor, die Diskussion
„allzu theoretisch zu führen“.
So sei die Unterbringung der
Geflüchteten noch immer
nicht ausreichend gut geregelt,
vielen der betroffenen Menschen fehle eine sinnvolle Beschäftigung. „Hier müssen wir
noch schneller als bisher vorankommen“, mahnte Silberbach. Er forderte auch mehr
Anerkennung für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die
bei den unterschiedlichen Integrationsaufgaben „einen tollen
Job“ machten.
Bereits am Vortag hatte der
Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertretung, Wolfgang
Speck, auf dem DemografieKongress altersgerechtes Wohnen als eine Herausforderung
bezeichnet, der sich die Kommunen immer aktiver stellen
müssen, um dem demografischen Wandel Rechnung zu
tragen.
Neben baulichen und infrastrukturellen Aspekten müsse
dabei auch das Sicherheitsempfinden der älteren Generation stärker in den Blick
rücken.
von E-Government bei Bürgern und Beschäftigten gleichermaßen. „Wer Systeme an
den Menschen vorbei plant,
ihre berechtigten Bedürfnisse
nicht ernst nimmt, wird
scheitern.“
Der 10. Nationale IT-Gipfel
stand unter dem Motto
„Lernen und Handeln in der
digitalen Welt“. Vertreter aus
Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft waren in Saarbrücken zusammengekommen, um Projekte
dazu anzustoßen.
berufspolitik
Die Integration der nach Deutschland geflüchteten Menschen ist eine langfristige Aufgabe, die
nur von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam gelöst werden kann. „Wir sind vom Erreichen
der Integrationsziele noch weit entfernt“, konstatierte der dbb Vize und Chef der komba gewerkschaft, Ulrich Silberbach, am 9. November 2016
auf dem 11. Demografie-Kongress Best Age des
Behörden Spiegel in Berlin.
dbb
Zollkriminalamt:
Das Zollkriminalamt und die
Zollfahndungsämter bilden gemeinsam den Zollfahndungsdienst. Das ZKA war bis zur
­Errichtung der Generalzolldirektion eine eigenständige Mittelbehörde. Seit dem 1. Januar
2016 wird es als funktionale
­Einheit im Verbund der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden
unter der Bezeichnung Direktion
VIII/Zollkriminalamt innerhalb
der Generalzolldirektion geführt. Seine Hauptaufgabe: die
Bekämpfung mittlerer, schwerer
und organisierter Zollkriminalität durchzuführen, zu koordinieren und zu unterstützen.
„Die Zollfahndung ist die Kriminalpolizei des Zolls“, fasst Wolfgang Schmitz, stellvertretender
Pressesprecher der Generalzolldirektion, Fachsprecher und
­Koordinator für den Zollfahndungsdienst, dessen breites
Aufgabenspektrum zusammen.
Dabei ist das Zollkriminalamt
(ZKA) mit Sitz in Köln die Zen­
trale der Zollfahndung, wo die
Fäden zusammenlaufen. Es koordiniert und lenkt auch die Ermittlungen der angeschlosse-
nen Zollfahndungsämter in
Berlin, Dresden, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart.
Insgesamt sind im ZKA und in
den acht Ämtern 3 327 Mitarbeiter tätig. „Die Kolleginnen
und Kollegen in den Zollfahndungsämtern leisten die Hauptermittlungsarbeit“, erläutert
Schmitz. Das ZKA selbst ermittelt nur in besonders bedeutenden Fällen, etwa wenn es in der
Exportkontrolle darum geht,
die Ausfuhr von Giftgasanlagen
oder atomwaffentauglichen
Teilen aus deutscher Produktion in bestimmte Länder zu verhindern. Seit 2011 führt der
Zollfahndungsdienst durchschnittlich 14 000 Ermittlungsverfahren pro Jahr in den Bereichen mittlere, schwere und
organisierte Kriminalität, 2014
waren es sogar 14 657.
<
Im Einsatz gegen
Organisierte Kriminalität
Ein Arbeitsschwerpunkt des
Zollfahndungsdienstes ist der
Einsatz gegen die Organisierte
Kriminalität (OK). „Dabei geht
es um Aufdeckung und Zerschlagung organisierter Täterstrukturen“, macht Wolfgang
Schmitz deutlich. Bis zu 100
Einzeltäter können solchen
Gruppen angehören, die von
einem Ziel geleitet sind: Gewinn- und Machtstreben. Sie
planen ihre Straftaten mit hoher krimineller Energie, es geht
um sämtliche strafrechtliche
Delikte, etwa organisierten
­Zigarettenschmuggel, Geld­
wäsche, Alkoholschmuggel,
Handel mit verbotenen Arzneimitteln. Rund 70 Ermittlungsverfahren jährlich betreffen
den Bereich OK. „Das heißt, der
<
Überwachungsmaßnahmen führen oft zum Erfolg.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
27
vorgestellt
Es ist erst ein paar Tage her, als der Zoll zu einem Medientermin einlud:
10 000 Flaschen „nicht genussfähigen Wodkas wegen 300-facher Überschreitung der zulässigen Menge an Methanol“ wurden in Bramsche nördlich von Osnabrück vernichtet. Die Ware stammte aus einer Sicherstellung
im Zusammenhang mit einem umfangreichen Ermittlungsverfahren des
Zolls. Daran beteiligt: das Zollfahndungsamt München. Es ist eines von acht
dem Zollkriminalamt (ZKA) angeschlossenen Zollfahndungsämtern.
© ZKA (4)
Zentrale für die
Kriminalpolizei des Zolls
© ZKA (4)
Zoll bearbeitet rund die Hälfte
der bei den Bundesbehörden
geführten Ermittlungsverfahren zur OK – und leistet so
einen wichtigen Beitrag zur
Inneren Sicherheit in Deutschland“, stellt Schmitz fest.
vorgestellt
28
Angesichts der Tatsache, dass
es zumeist um grenzüberschreitende Straftaten geht
und „die Drahtzieher immer
geschickter agieren“, wird internationale Zusammenarbeit
gerade in diesem Bereich großgeschrieben. „Die Täter sind
über Landesgrenzen hinweg
vernetzt, also müssen wir dem
auch bei unseren kriminaltaktischen Maßnahmen Rechnung
tragen.“ Und je besser die internationale Zusammenarbeit
aller zuständigen Behörden
funktioniert, desto höher sind
die Erfolgschancen. So werden
Tätergruppen beispielsweise
grenzüberschreitend observiert. Die Kooperation mit Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden endet dabei
nicht an den Grenzen der Europäischen Union, sondern reicht
weit über diesen „Tellerrand“
hinaus. Zudem sorgen 17 Zollverbindungsbeamte an europäischen Standorten sowie in
China, Kolumbien, den USA
und den Vereinigten Arabischen Emiraten dafür, dass die
Kooperation vor Ort auf sicheren Fundamenten steht –
etwa, wenn es um die Verfolgung von OK-Delikten in den
Bereichen Rauschgift oder verbotene Arzneimittel geht. Mithilfe des zentralen Datensystems „Balkan-Info“ können
beispielsweise sehr schnell
verdächtige Lkw zur internationalen Fahndung ausgeschrieben werden. Auch im Bereich
der Terrorismusbekämpfung
läuft ein Erkenntnisaustausch
schneller über Verbindungsbeamte.
Um doppelgleisige Ermittlungen zu vermeiden, haben Zoll
und Polizei ihre Zusammenarbeit institutionalisiert. So wurde bereits 1970 die erste „Gemeinsame Ermittlungsgruppe
Rauschgift“ (GER) in Hamburg
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
gegründet. Das Ziel: fachliche
Kompetenzen an einem Ort
bündeln, Ermittlungen optimieren, Informationsverluste
vermeiden, vorhandene Behördenstrukturen nutzen. Inzwischen arbeiten bundesweit 28
solcher GER. Auch bei Ermittlungen gegen Geldwäsche
geht man diesen Weg. So wurde die erste „Gemeinsame Finanzermittlungsgruppe“ (GFG)
in Wiesbaden, zu der Mitarbeiter des Zollkriminalamtes und
er als einen der Aufgabenschwerpunkte den Kampf gegen illegale und gefälschte Arzneimittel an. Den Fahndern sei
es gelungen, die sichergestellte
Menge an Tabletten mit 3,9
Millionen Stück gegenüber
2014 annähernd zu vervierfachen, lobte der Minister. Die
Zahl der Personen, gegen die
der Zoll wegen Vergehen mit
Medikamenten ermittelte,
stieg von 3 100 (2014) auf
4 100 (2015). Wie bei Rausch-
< Schnelligkeit ist gefragt: Beamte im Einsatz.
des Bundeskriminalamtes gehören, 1993 ins Leben gerufen,
inzwischen gibt es weitere 16
GFG zwischen Zollfahndung
und Länderpolizeien. Zudem
werden im Rahmen einer „Europäischen Sicherheitsanalyse“
potenziell risikobehaftete Warensendungen mit Kontrollempfehlungen versehen und
an die zuständigen Zollstellen
innerhalb der EU weitergeleitet. So fließen aktuelle Trends
und Hinweise ständig in diesen
internationalen Analyseprozess ein und führen nicht nur
zu Kontrollempfehlungen, sondern auch zu Ladeverboten für
bestimmte Güter.
Als Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble im April
2016 die Jahresbilanz der deutschen Zollverwaltung für das
Jahr 2015 präsentierte, führte
giften und Zigaretten gehe es
den Fahndern auch in diesem
Bereich, so macht Wolfgang
Schmitz deutlich, nicht nur darum, Täter zu ermitteln und
ihrer Bestrafung zuzuführen.
„Vielmehr liegt uns hier auch
der Schutz der Verbraucher besonders am Herzen.“ Leider
würden die enormen gesundheitlichen Risiken, die mit solchen Produkten verbunden
sind, allzu oft total unterschätzt.
<
Spezialeinheiten
schützen Beamte
„Gerade von OK-Tätern geht
oft eine akute Gewaltbedrohung aus“, berichtet Schmitz
weiter. Um dem wirksam zu
begegnen, setzt der Zollfahndungsdienst Spezialeinheiten
ein. Es gibt acht Observations-
einheiten Zoll (OEZ) sowie die
Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ), die Schmitz als
„GSG 9 des Zolls“ charakterisiert. Die ZUZ führt Zugriffsund Schutzmaßnahmen durch,
bei denen besonders geschultes und ausgestattetes Personal notwendig ist. „Immer
dann, wenn eine Gefahr für
Leib und Leben der eingesetzten Zollbeamten besteht, wird
die ZUZ gerufen“, sagt Schmitz.
50 Einsatzbeamte, in Köln stationiert, gewährleisten den
Schutz von 40 000 Zollbeamten – und zwar bundesweit.
2015 bewältigten sie erfolgreich 85 Einsatzlagen. Auftraggeber der zentralen Unterstützungsgruppe sind meist
Zollfahndungsämter oder
Hauptzollämter, die bei ihren
Ermittlungsverfahren Unterstützung brauchen. Meist geht
es um die Durchsetzung strafprozessualer Maßnahmen gegen bewaffnete, gewaltbereite
Täter. Haftbefehle vollstrecken, Durchsuchungen sichern
oder auch die hochkomplexe
Überwachung mit modernsten
technischen Mitteln gehören
zum Alltag von OEZ und ZUZ.
Auch im Internet und dessen
„Dunkelbereich“, dem Darknet,
sind die Zollfahnder unterwegs.
Auf diese Weise konnte beispielsweise der Lieferant der
bei dem schrecklichen Amoklauf in München vom 22. Juli
2016 verwendeten Schusswaffe
ermittelt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt
am Main – Zentralstelle zur
Bekämpfung der Internetkriminalität – und das Zollfahndungsamt Frankfurt am Main
nahmen den 31-jährigen Deutschen Mitte August in Marburg
fest. Der Kontakt zwischen dem
Waffenhändler und seinem
Kunden war über einschlägige
Foren im Darknet zustande
gekommen. Die Spezialisten
der Observationseinheiten der
Zollfahndung sowie der ZUZ
sorgten im Auftrag der Frankfurter Zollfahnder während
der geplanten Übergabe der
Schusswaffe für eine sichere
Festnahme.
cok
vorgestellt
dbb
Mit einem Protestmarsch durch die Magdeburger
Innenstadt und einer anschließenden Kundgebung vor dem Landtag haben am 28. Oktober
2016 mehrere hundert Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Sachsen-Anhalt gegen sich weiter verschlechternde Arbeitsbedingungen, gegen
eine unzureichende Personalausstattung und für
eine gerechte Bezahlung demonstriert.
„Der von der Landesregierung
beschlossene und jetzt im
Landtag beratene Gesetzentwurf zur Herstellung einer
verfassungsgemäßen Besoldung entspricht ganz und gar
nicht unseren Vorstellungen“,
kritisierte Wolfgang Ladebeck, Vorsitzender des dbb
sachsen-anhalt. „Die Nachzahlungen an die Beamtinnen und Beamten für die Vergangenheit sind zu niedrig.“
Neben einer fairen Bezah-
lung fordere der dbb eine
Kurs­korrektur in der Perso­
nalpolitik. „Die ist zwar mit
dem Beschluss der Landesregierung, mehr Lehrer und
­Polizisten einzustellen, ein­
geleitet. Wir brauchen aber
auch mehr Personal in den
Fachverwaltungen“, so der
dbb Landesvorsitzende.
Die lautstarke Unterstützung
der Demonstranten für seine
Rede erhielt der Bundesvorsit-
zende der Deutschen SteuerGewerkschaft und stellvertretende dbb Bundesvorsitzende
Thomas Eigenthaler. Er warf
der Landesregierung vor, mit
ihrer verfehlten Besoldungspolitik die Zeichen der Zeit nicht
zu erkennen. Die Sparpolitik
des Landes sei „ein Motivationskiller erster Ordnung und
provoziert die Abwanderung
des Nachwuchses in benachbarte Bundesländer“.
Karl-Heinz Leverkus, stellvertretender Vorsitzender der
dbb Bundestarifkommission,
verurteilte, dass die Landes­
regierung die landesspezifischen ­Tarifverträge zur Teilzeit und Altersteilzeit nicht
verlängern wolle. Diese seien
bei den Beschäftigten auf
hohe Akzeptanz gestoßen und
eine gute Möglichkeit, die Arbeitskraft von Beschäftigten
<
< Klare Botschaft: Siegfried Eckert,
DPolG Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz
Leverkus, stellvertretender Vor­
sitzender der dbb Bundestarif­kom­mission, Wolfgang Ladebeck,
Vorsitzender des dbb sachsenanhalt, Thomas Eigenthaler, dbb
Vize und Bundesvorsitzender der
Deutschen Steuer-Gewerkschaft
DSTG, Rainer Wendt, Bundesvor­
sitzender der Deutschen Polizei­
gewerkschaft DPolG, und Maik
Wagner, Bundesvorsitzender der
Gewerkschaft der Sozialversicherung GdS (von links), führten den
Zug der Demonstranten an.
mit Rücksicht auf das Lebensalter und die private Situation
zu erhalten und zu fördern.
„Deshalb brauchen wir rechtssichere und einheitliche Regelungen“, machte Leverkus
deutlich.
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, kritisierte die
trotz bundesweit gleicher Arbeit unterschiedliche – und
vielerorts schlechte – Besoldung in den einzelnen Bundesländern. „Wir werden für eine
gerechte und faire Bezahlung
lautstark eintreten. Die Demonstration heute in Magdeburg ist nur der Anfang“, so der
DPolG-Chef.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
29
berufspolitik
© Friedhelm Windmüller
Mehr Personal und gerechte Bezahlung
© Friedhelm Windmüller
Demonstration in Magdeburg:
dbb
© Greg Brave / Fotolia
dbb
Lohngerechtigkeit:
bundesfrauenvertretung
30
Über Geld spricht man
Zufrieden, zu wenig, genug – konkreter antwortet
in Deutschland kaum einer auf die Frage: Wie viel
verdienen Sie? Mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit soll sich das ändern. Beschäftigte sollen das Recht erhalten, sich künftig über in ihrem
Betrieb gezahlte Löhne zu erkundigen. Vor allem
Frauen sollen transparente Löhne helfen, in Gehaltsgesprächen besser zu verhandeln. Aus Sicht
der dbb bundesfrauenvertretung bleibt das sogenannte „Lohngerechtigkeitsgesetz“ aber hinter
allen Erwartungen zurück.
Der vorliegende Gesetzentwurf vom 27. Oktober 2016
räumt Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
einen individuellen Auskunftsanspruch ein. Damit werden
mehr als 14 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht haben zu erfahren, wie sie im Vergleich zu
anderen bezahlt werden.
<
Prüfverfahren für
große Unternehmen
In tarifgebundenen Unternehmen oder Betrieben, die ver-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
bindlich einen Tarifvertrag
anwenden, sollen die Beschäftigten ihren individuellen Auskunftsanspruch künftig über
die Betriebsräte wahr-nehmen.
In Betrieben ohne Betriebsrat
und ohne Tarifvertrag sollen
Arbeitnehmende ihren Auskunftsanspruch direkt gegenüber dem Arbeitgeber geltend
machen. Wo es keinen Betriebsrat, aber einen Tarifvertrag gibt, sollen dem Gesetzestext zufolge Vertreter von den
regionalen Tarifparteien benannt werden, die dann anstelle des Betriebsrates Fragen
zum Gehalt beantworten.
Auch im öffentlichen Dienst
sollen Beschäftigte einen Auskunftsanspruch erhalten.
Ergibt eine solche Nachfrage,
dass tatsächlich ungerechtfertigt zu wenig Lohn gezahlt
wurde, können sich Betroffene
auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen und ihren Anspruch auf
Nachzahlung geltend machen.
Zudem fordert der Gesetzgeber Unternehmen ab 500 Mitarbeitern dazu auf, alle fünf
Jahre Prüfverfahren durchzuführen. Unternehmen gleicher
Größe, die lageberichtpflichtig
sind (Kapitalgesellschaften),
müssen zudem regelmäßig
über ihre Lohnstrukturen, Ent-
geltgleichheit und ihren Maßnahmen zur Gleichstellung berichten. Das betrifft rund 4 000
Unternehmen in Deutschland
mit insgesamt 6,6 Millionen
Beschäftigten.
<
Erwartungen nur
teilweise erfüllt
Die dbb bundesfrauenvertretung bezweifelt, dass durch
das im Entwurf vorliegende
Gesetz das Ziel einer tatsäch­
lichen substanziellen Verbes­
serung des Gender Pay Gap
erreicht werden kann. Im laufenden Verfahren habe das Gesetz gegenüber der ursprüng­
lichen Entwurfsfassung vom
9. Dezember 2015 deutlich an
Schlagkraft eingebüßt. Zu
deutlich sei die Handschrift
der Gesetzesgegner darin zu
erkennen, lautet die Kritik.
< Info
Wer sich wie gut bezahlt fühlt
Reden übers Einkommen ist in Deutschland noch immer ein
Tabu: 66 Prozent reden nicht über ihr Gehalt, 41 Prozent wissen
noch nicht einmal, wie viel ihr eigener Partner verdient. Laut
einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des Saarländischen Rundfunks fühlen sich 55
Prozent der Deutschen angemessen und nur drei Prozent zu
gut bezahlt. 41 Prozent hingegen finden, sie werden zu schlecht
für ihre Arbeit entlohnt.
dbb
„Auch nach dem neuen Gesetzentwurf werden nach wie
vor erhebliche Bereiche, in denen Lohndiskriminierung stattfindet, ausgespart: Zwar wurde
die Grenze für den individuellen Auskunftsanspruch von
500 auf 200 Beschäftigte herabgesetzt. Viele Frauen arbeiten aber gerade in Betrieben
und Unternehmen, in denen
diese Grenze nicht erreicht
wird. Dort wird Lohndiskriminierung ungehindert weiter
stattfinden können“, kritisiert
Helene Wildfeuer, Vorsitzende
der dbb bundesfrauenvertretung.
Nicht nachvollziehbar sei
zudem, dass es keine Verpflichtung für geeignete Prüfverfahren geben solle. „Das
wirksamste Instrument aus
dem ursprünglichen Gesetzentwurf ist verschwunden.
Geblieben ist lediglich eine
bloße Aufforderung, Entgelt-
regelungen und Entgeltbestandteile alle fünf Jahre zu
prüfen“, so die Vorsitzende.
Erschwerend komme hinzu,
dass Unternehmen frei wählen könnten, nach welcher
Methode sie die freiwillige
Prüfung durchführen möchten. „Eine statistische Vergleichbarkeit ist damit nicht
mehr gegeben“, so Wildfeuer.
Wir hätten uns hier eine eindeutige Regelung gewünscht,
die die Durchsetzungskraft von
Betriebs- und Personalräten
stärkt, etwa durch die Ver­
größerung der Gremien oder
verbesserte Unterrichtungs­
ansprüche und Freistellungs­
regelungen. Zwar ist die geschlechterbedingte Lohnlücke
in Betrieben mit Betriebsräten
und geltenden Tarifverträgen
geringer als im Durchschnitt.
Aber sie besteht dennoch“,
erläutert Wildfeuer und verweist auf die geltende Rechtslage. „Bereits heute haben Betriebsräte das Recht, Einblick in
die Lohn- und Gehaltslisten der
Beschäftigten zu nehmen. Das
sieht das Betriebsverfassungsgesetz für Betriebe mit mehr
als 200 Beschäftigten vor. Eine
konsequentere Durchsetzung
dieser Regelung kann auch das
neue Gesetz nicht herbeiführen“, so Wildfeuer.
Um die Position der Betriebsund Personalräte im Zuge des
Gesetzesverfahrens zu stärken,
kommt aus Sicht der dbb bundesfrauenvertretung nur eine
ausdrückliche Verankerung im
Kernbereich der Aufgaben der
Beschäftigtenvertretungen in
Betracht. „Die dazu ursprünglich vorgesehenen ausdrücklichen Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz und im
Bundespersonalvertretungsgesetz sieht der vorliegende Gesetzentwurf nicht mehr vor.
<
Equal Pay Day Fachtagung
am 19. Oktober 2016
im BMFSFJ in Berlin
© Frank Nürnberger/BPW
Positiv wertet die dbb bundesfrauenvertretung die durchgehende Einbeziehung des öffentlichen Dienstes.
Equal Pay Day
<
Seit zehn Jahren macht die Initiative Equal Pay Day auf die
geschlechterbedingten Lohnunterschiede in Deutschland aufmerksam. Im Oktober 2016 startete die Kampagne zum zehnten Equal Pay Day im Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Berlin: Helene Wildfeuer (Zweite
von rechts) war für die dbb bundesfrauenvertretung vor Ort.
Sie erneuerte ihre Forderung nach gendergerechten Beurteilungsverfahren im öffentlichen Dienst. Hier im Gespräch mit
Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums
Berlin für Sozialforschung (WZB), Christine Morgenstern, Abteilungsleiterin Gleichstellung im BMFSFJ (Dritte und Vierte von
rechts) und der Familienrechtlerin Lore Maria Peschel-Gutzeit
(ganz rechts).
Tradierte Rollenvorstellungen aufbrechen
Die Begrenzung des Geltungsbereiches des individuellen
Auskunftsanspruchs erst ab
200 Beschäftigte für den Bereich der Dienststellen des öffentlichen Dienstes spiele nicht
dieselbe tragende Rolle wie in
der freien Wirtschaft. Schließlich würden Entgelte im öffentlichen Dienst durch Tarifverträge und Besoldungstabellen
geregelt. Dass das vorliegende
Gesetz maßgeblich zu mehr
Lohntransparenz beitragen
wird, stellt Helene Wildfeuer
jedoch infrage.
„Der öffentliche Dienst lehrt
uns eines: Transparente Entgeltstrukturen allein sorgen
nicht für Lohngleichheit.
Trotz Tarif- und Besoldungstabellen finden wir auch hier Verdienstunterschiede von durchschnittlich acht Prozent.“
bas
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
dbb
Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission:
Eine gute Verwaltung ist ein wesentlicher
Standort- und Wettbewerbsvorteil
dbb magazin
Was erwarten Sie von Deutschland? Was muss die Bundesregierung tun, damit es mit Europa wieder vorwärtsgeht?“
<
interview
32
Juncker
Die Bundesregierung tut bereits sehr viel, damit es mit Europa vorwärts geht. In allem
Handeln der Bundeskanzlerin
Angela Merkel spiegelt sich die
Einsicht wider, dass viele der
Herausforderungen, vor denen
wir stehen, nur gemeinsam zu
meistern sind. Kein Mitgliedsland allein – so groß es auch
sein mag – kann Fragen der
Migration, Sicherheit oder des
Klimawandels im Alleingang
lösen. In diesem Sinne haben
wir auch in der Flüchtlingskrise
Hand in Hand daran gearbeitet, für europäische Werte einzustehen und gemeinsame Lösungen zu finden. Dadurch
konnten wir beispielsweise in
einer Rekordzeit von neun
Monaten einen europäischen
Grenz- und Küstenschutz einrichten.
In anderen Politikbereichen,
wie dem der Energieunion oder
der Kapitalmarktunion, können
wir unser gemeinsames Potenzial noch besser ausschöpfen.
So wie wir die Geldpolitik für
den Euroraum als Ganzen steuern, sollten wir darüber hinaus
auch die Finanzpolitik als Ganzes gestalten. Es liegt auf der
Hand, dass wir unsere wirtschaftliche Erholung besser unterstützen können, wenn wir
die Finanzpolitik enger koordinieren. Das heißt konkret: Diejenigen Mitgliedstaaten, die es
sich leisten können, müssen
mehr investieren, während diejenigen, die weniger haushalts-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
politischen Spielraum haben,
Reformen und eine wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung durchführen
sollten. Wir unterstützen diese
Bemühungen auch von europäischer Ebene mit der Investitionsoffensive. Diese hat bereits 138,3 Milliarden Euro an
neuen Investitionen mobilisie-
als Vorbild für zukünftige, verbindliche Verwaltungsstandards in den EU-Mitgliedstaaten oder was muss sonst getan
werden?
<
Juncker
In den vergangenen Jahren
sind die Verwaltungen auf der
Objektivität, Begründungspflicht und Datenschutz verankert, wird nicht nur in Beitrittsverhandlungen deutlich. Wir
arbeiten außerdem zusammen
mit den Mitgliedstaaten daran,
unnötige Bürokratie- und Verwaltungslasten sowie schwerfällige und langwierige Genehmigungsverfahren zu
entschlacken. Es ist in unser
aller Interesse, dass Investitionshemmnisse beseitigt werden, sei es im Insolvenzrecht
oder bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Darauf achten
wir übrigens besonders als Teil
des Europäischen Semesters
und somit im Rahmen unserer
wirtschaftlichen Koordinierung. Eine gute Verwaltung –
also Beamte wie Sie – sind ein
wesentlicher Standort- und
Wettbewerbsvorteil.
<
© Factio popularis Europaea
<
< Jean-Claude Juncker
ren können und wird rund
290 000 kleinen Unternehmen
und Start-ups Zugang zu Finanzierung verschaffen.
<
dbb magazin
Wie bürgerfreundlich ist die
EU-Verwaltung heute? Für die
Verwaltung der Europäischen
Union gilt bereits seit 2001 ein
„Kodex für gute Verwaltungspraxis“. Eignet sich der Kodex
nationalen wie auf der europäischen Ebene bürgerfreundlicher geworden. Wenn es beispielsweise um Transparenz
geht, hat uns das Internet sehr
geholfen, weil es den Bürgern
dank neuer technischer Möglichkeiten ganz ungeahnte Einsicht- und Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet. Wie
wichtig der von Ihnen angesprochene Kodex ist, der nach
wie vor aktuelle Prinzipien wie
dbb magazin
Aus Sicht der Kommission gibt
es Fortschritte bei der Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa, vor allem
wegen der EU-Jugendgarantie,
nach der allen Menschen unter
25 Jahren mithilfe europäischer Finanzmittel ein Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz angeboten werden
soll. Gleichwohl liegt die Jugendarbeitslosigkeit in einigen
Ländern noch immer bei weit
über 40 Prozent, im EU-Durchschnitt bei besorgniserregenden 18,6 Prozent. Welche
zusätzlichen Maßnahmen
könnten zur Senkung der
Jugendarbeitslosigkeit beitragen?
<
Juncker
Ich kann und werde nicht akzeptieren, dass die Millennium-Generation möglicherwei-
dbb
Am wichtigsten aber ist es,
Arbeitsplätze und Wachstum
zu schaffen. Das ist das Ziel,
auf das die zehn Prioritäten
meines Arbeitsprogramms
ausgerichtet sind; darum geht
es vom Investitionsplan über
den Ausbau der Energieunion
bis hin zum Digitalen Binnenmarkt. Gerade in Zeiten, in denen die Digitalisierung unsere
gesamte Arbeitswelt umkrempeln wird, müssen wir Ideen
und Innovationen fördern und
damit Chancen und Arbeitsplätze schaffen, die zukunftsorientiert sind. Europas Kapital
sind seine jungen Menschen
und ihre Ideen.
<
dbb magazin
Wie kann die Dublin-Verordnung an die Herausforderung
dauerhaft hoher Zuwanderungszahlen nach Europa
<
Juncker
Es ist eine Frage der Solidarität,
dass nicht allein die Position
auf der Landkarte darüber bestimmen darf, dass die Verantwortung für gemeinsame
Grenzen oder für Flüchtlinge
allein bei einem Land bleibt.
Wir wollen mit Vorschlägen zur
EU-weiten Harmonisierung der
Asylbedingungen das EU-Asylrecht reformieren und damit
die Voraussetzungen für eine
humanere, gerechtere, kohärentere und wirksamere europäische Asylpolitik schaffen.
Diese Reform gewährleistet
Großzügigkeit gegenüber besonders gefährdeten Personengruppen, die tatsächlich
internationalen Schutz benötigen, und ein strenges Vorgehen gegen möglichen Missbrauch, wobei die Grundrechte
immer geachtet werden.
Unsere Vorschläge zur Reform
des Dublin-Systems wollen so
unter anderem sicherstellen,
dass die Flüchtlinge grundsätzlich solidarischer zwischen den
Mitgliedstaaten verteilt werden. Es bleibt zwar dabei, dass
zunächst das EU-Land, auf dessen Boden der Flüchtling ankommt, die Verantwortung
übernimmt. Wenn allerdings
eine gewisse Schwelle überschritten ist und ein Mitgliedstaat – gemessen an seiner
Größe und seinem relativen
Wohlstand – einem unverhältnismäßigen Druck ausgesetzt
ist, soll automatisch ein Fairness-Mechanismus greifen, der
die Flüchtlinge auf die anderen
Länder verteilt. Außerdem wollen wir die Asylverfahren und
-normen in den Mitgliedstaaten harmonieren.
Das trägt auch dazu bei, Asylshopping und Sekundärwanderungen zu verhindern. Mehr
Solidarität und mehr Klarheit
sind sowohl im Sinne aller Mitgliedstaaten als auch im Sinne
derjenigen, die bei uns Zuflucht suchen.
<
dbb magazin
Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA erhitzen die Gemüter: Welchen Einfluss hätten die Verträge nach
derzeitigem Stand auf die Arbeitnehmerrechte? Würden
durch sie Privatisierungen und
Eingriffe in die öffentliche Daseinsfürsorge befördert?
<
Juncker
CETA, das Abkommen mit
Kanada, ist das beste Abkommen, das wir je ausgehandelt
haben – und das würde ich natürlich nicht sagen, wenn ich
nicht genau wüsste, dass wir
den Bedenken der Europäer
Rechnung getragen haben. Mit
CETA setzen wir höchste Standards im Bereich der Lebensmittelsicherheit, beim Gesundheits- und Datenschutz sowie
für die Produktsicherheit. Ent-
gegen anderer Darstellungen
bleiben die europäischen Standards ebenso erhalten, wenn
es um Arbeitnehmerrechte
geht. Das Abkommen stellt sicher, dass wirtschaftliche Vorteile nicht auf Kosten der Demokratie, des Umweltschutzes
oder der öffentlichen Daseinsvorsorge gehen. CETA verpflichtet nicht zur Privatisierung oder Deregulierung
öffentlicher Dienstleistungen
wie der Wasserversorgung
oder der Bildung. Darüber können die Mitgliedsländer weiterhin selbst entscheiden.
Wir haben alles dafür getan,
auf die Bedenken der Menschen einzugehen – das war
und ist mir besonders wichtig.
Mit Kanada haben wir einen
wichtigen Verbündeten gefunden, um unsere europäischen Standards weltweit zu
etablieren. CETA ist jetzt der
wegweisende Goldstandard
für alle weiteren Handelsabkommen.
< Jean-Claude Juncker ...
... Jahrgang 1954, wurde im luxemburgischen Redingen geboren.
1974 bis 1979 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg und erhielt 1980 die Zulassung als Rechtsanwalt,
übte diesen Beruf jedoch nie aus, da er von Beginn an eine Karriere
als Berufspolitiker anstrebte. 1982 wurde Juncker, der 1974 der
Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) beigetreten war. zum Staatssekretär für Arbeit und soziale Sicherheit ernannt und übte dieses
Amt bis 1984 aus. 1984 wurde er zum Arbeitsminister gewählt
und fungierte zugleich als beigeordneter Minister mit Zuständigkeit für den Haushalt. Von 1984 bis 1994 war er Finanzminister
und Arbeitsminister und von 2009 bis 2013 luxemburgischer Premierminister sowie von 2004 bis 2013 Vorsitzender der Eurogruppe. Im Jahre 2014 wurde Jean-Caude Juncker zum Präsidenten der
Europäischen Kommission gewählt.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
33
interview
Wir haben beispielsweise die
von Ihnen angesprochene EUJugendgarantie verbessert.
Mehr als neun Millionen junge
Menschen haben bereits von
dem Programm profitiert und
so einen Arbeitsplatz, ein Praktikum oder eine Ausbildungsstelle erhalten. Zusätzlich zu
Erasmus Plus, das nicht nur
Studenten, sondern auch jungen Berufstätigen offensteht,
haben wir einen Europäischen
Solidaritätskorps vorgeschlagen. Damit ermöglichen wir es
jungen Menschen, sich als Freiwillige in Krisensituationen –
wie der Flüchtlingskrise oder
wie nach dem Erdbeben in Italien – zu engagieren. Damit
können die jungen Menschen
sich nicht nur persönlich weiterentwickeln und wichtige berufliche wie persönliche Erfahrungen sammeln, sondern
auch europäische Solidarität
leben.
angepasst werden? Worin bestehen aus Ihrer Sicht die Eckpunkte einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik?
© david plas photographer
se die erste seit 70 Jahren ist,
der es schlechter geht als ihren
Eltern. Auch wenn es in erster
Linie Aufgabe der nationalen
Regierungen ist, dagegen zu
steuern, tun wir von europäischer Seite aus alles, um sie zu
unterstützen.
dbb
Bund-Länder-Finanzausgleich:
Alles unklar
Mitte Oktober haben sich Bund und Länder nach jahrelangen Verhandlungen auf
Eckpunkte für eine Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen verständigt. Am Ende jubelten
die Länder, konnten sie dem Bund doch weitreichende Zugeständnisse abringen. Dieser
muss zukünftig mehr Geld geben. Doch der vermeintliche Sieg könnte teuer erkauft sein,
denn im Gegenzug hat sich der Bund erweiterte Zuständigkeiten etwa im Straßenbau
und der Steuerverwaltung gesichert. Welche Folgen das für die betroffenen Bereiche des
öffentlichen Dienstes haben wird, ist noch völlig unklar.
Die Ausgangslage: Die Einnahmen aus den drei derzeit einträglichsten Steuern, nämlich
der Einkommen-, der Körperschaft- und der Umsatzsteuer,
stehen anteilig dem Bund und
den Ländern zu. Diese Steuern
zählen daher zu den sogenannten Gemeinschaftssteuern.
Das ist der „Kuchen“, den es zu
verteilen gilt. Das Länderstück
dieses Kuchens muss nun abermals zwischen den 16 Bundesländern aufgeteilt werden. Ziel
ist, dass jedes Land ausreichend Mittel hat, um seine
(grund)gesetzlich festgelegten
Aufgaben zu erfüllen.
<
Der bisherige
Finanzausgleich
Die Einkommensteuererträge
bekommt das Land, in dem der
Steuerzahler lebt. Die Körperschaftsteuererträge bekommt
das Land, in dem die besteuerte Leistung erbracht wurde.
Drei Viertel der Umsatzsteuererträge werden entsprechend
der Einwohnerzahlen verteilt.
Schon durch diese erste Aufteilung ergeben sich sehr unterschiedliche Einnahmen der einzelnen Länder. Deshalb setzt
hier nun der Finanzausgleich
unter den Ländern – der sogenannte horizontale Finanzausgleich – ein. Dabei wird in einem ersten Schritt das
verbleibende vierte Viertel der
Umsatzsteuererträge an finanzschwache Länder verteilt.
Das ist der sogenannte Umsatzsteuervorwegausgleich. Im
zweiten Schritt des horizontalen Finanzausgleichs erfolgen
nach einer komplexen Formel
weitere Zahlungen der reicheren an die ärmeren Länder. Daher spricht man hier vom „Länderfinanzausgleich im engeren
Sinne“.
Nach dem horizontalen Finanzausgleich folgt der vertikale
Finanzausgleich: Hier kommt
der Bund ins Spiel. Von ihm erhalten die auch nach dem horizontalen Finanzausgleich finanzschwächeren Länder die
sogenannten Bundesergänzungszuweisungen. Darüber
hinaus können Länder unter
bestimmten Voraussetzungen
(etwa wegen „teilungsbedingter Sonderlasten“) auch noch
Sonder-Bundesergänzungszuweisungen erhalten, die auch
einen wesentlichen Teil des
Solidarpaktes II ausmachen.
< Webtipp
Eckpunkte zur geplanten
Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen
Bund und Ländern:
https://goo.gl/UKDT4v
Hintergrundinformationen
zu den föderalen Finanzbeziehungen:
https://goo.gl/bJk4a
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
© Sliver / Fotolia
analyse
34
Der bisherige Länderfinanzausgleich war ein komplexes
Monstrum. Die Verwirrung
fängt schon bei der Benennung
an, denn der Bund spielt schon
lange eine wichtige Rolle im
Finanzausgleich der Länder.
Aber auch das mehrstufige
Verfahren selbst ist äußerst
komplex.
dbb
Neuordnung ab 2019
Diese Regelungen für den Länderfinanzausgleich laufen 2019
ebenso aus wie der ergänzende Solidarpakt II. Die Zeit für
eine Neuordnung drängte also,
zumal längst nicht mehr alle
Beteiligten mit dem alten System zufrieden waren. Die Geberländer, etwa Bayern, mussten für ihren Geschmack zu viel
geben – und klagten vor dem
Bundesverfassungsgericht. Als
Nehmerländer, etwa Bremen,
im Laufe der Zeit keine SonderBundesergänzungszuweisungen mehr erhielten, waren sie
ebenfalls unzufrieden – und
klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Und was machen
Länder, die sich untereinander
nicht einigen können? Richtig:
Sie fordern mehr Geld vom
Bund. Und so einigten sich die
Ministerpräsidenten auf einen
gemeinsamen Vorschlag an
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – und konnten
sich damit nach veröffentlichter Lesart weitestgehend
durchsetzen.
Die zwischen Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 vereinbarten Eckpunkte sehen
vor, den Länderfinanzausgleich
in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Damit entfällt auch
der Umsatzsteuervorwegausgleich. Der Länderanteil an der
Umsatzsteuer wird grundsätzlich nach der Einwohnerzahl
verteilt – allerdings modifiziert
durch Zu- und Abschläge entsprechend der ebenfalls nach
einer neuen Formel berechneten Finanzkraft. Im Ergebnis erfolgt der Finanzausgleich zukünftig im Wesentlichen
bereits bei der Verteilung der
Umsatzsteuererträge. Darüber
hinaus wird der Bund zur Kasse
gebeten: Auf insgesamt 9,5
Milliarden Euro sollen sich die
diversen Sonderzahlungen
summieren, die er dem Vernehmen nach künftig jährlich
an die Länder überweisen
muss.
<
Bund sichert
sich Kompetenzen
Im Gegenzug hat Finanzminister Wolfgang Schäuble dem
Bund neue Zuständigkeiten gesichert. Die Länder wurden von
den Medien zwar überwiegend
als vermeintliche Gewinner der
Neuregelung präsentiert, aber
diese Lesart scheint sich doch
sehr einseitig auf die zu zahlenden Beträge zu stützen.
Schäuble gilt als ausgefuchster
Politiker, der in langen Linien
denkt. Daher ist es fraglich, ob
ihm die neuen Kompetenzen
für den Bund nicht – lapidar
gesprochen – ein paar Milliarden wert waren. Zumal von
den Sonderzahlungen des Bundes von 9,5 Milliarden Euro
jährlich lediglich ein Anteil von
1,4 Milliarden dynamisiert werden soll, also im Lauf der Jahre
bei steigenden Steuereinahmen automatisch wächst. Die
Zeit wird zeigen, ob der Machtund Gestaltungsverlust die
Länder auf Dauer nicht doch
noch teuer zu stehen kommt.
Denn die vom Bund gewonnenen Kompetenzen haben es in
sich.
Am augenfälligsten ist dabei
die Absprache zur Gründung
einer „unter staatlicher Regelung stehenden privatrechtlich
organisierten Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, wie es im
Einigungspapier heißt. Ferner
soll „das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben“
werden. Das ist umso bemerkenswerter, weil damit letzt-
lich ein gegenteiliger Beschluss
der Verkehrsministerkonferenz
einkassiert wird. Wie die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ aussehen soll, ist indes
noch völlig offen. Fraglich auch,
ob damit – trotz anders anmutender Formulierungen – nicht
weiteren vom Bundesrechnungshof bereits mehrfach
kritisierten ÖPP-Projekten (Öffentlich-Private-Partnerschaften) der Weg bereitet wird.
Genau das befürchten die dbb
Fachgewerkschaften VDStra.
und BTB; ebenso wie die bisher
unabsehbaren Folgen für das
Personal. Zwar heißt es in dem
Papier, dass „die Interessen der
Beschäftigten hinsichtlich Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort beachtet werden“. Das aber
ist als Formulierung viel zu ungenau, um den betroffenen Beschäftigten die Sorgen zu nehmen. Völlig zu Recht fordern
VDStra. und BTB daher eine detaillierte Erklärung des Bundesverkehrsministers.
Auch in anderen Bereichen hat
der Bund neue Kompetenzen
bekommen, die mindestens
mittelbar Auswirkungen auf
die Beschäftigten haben könnten. So sollen etwa die Onlineanwendungen der öffentlichen
Verwaltung für alle Bürger und
die Wirtschaft über ein zentrales Bundes-Bürgerportal er-
reichbar gemacht werden.
Auch die Länder hätten ihre
Dienstleistungen darüber bereitzustellen. In der Steuerverwaltung wird der IT-Einsatz
ebenfalls vereinheitlicht, der
Bund erhält ein „erweitertes
Weisungsrecht zur Gewährleistung gleicher Programmergebnisse und eines ausgewogenen
Leistungsstandes“. Auch generell bekommt der Bund ein
stärkeres allgemeines fachliches Weisungsrecht im Steuerbereich, soweit die Mehrheit
der Länder nicht widerspricht.
Welche Auswirkungen diese
und die weiteren Vereinbarungen auf das Personal, insbesondere in den Landesfinanzbehörden, haben wird, dürfte
sich erst nach der konkreten
Umsetzung der beschlossenen
Eckpunkte abzeichnen.
<
Ohne die Beschäftigten
ist kein Staat zu machen
„Mehr Transparenz und eine
breitere öffentliche Debatte
hätten den beteiligten Politikern gut zu Gesicht gestanden“, kommentierte der dbb
Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt den Einigungsprozess.
„Nun werden wir sehen, wie
die vereinbarten Eckpunkte
mit Leben gefüllt werden. Eine
klare Kompetenzverteilung
zwischen Bund und Ländern ist
natürlich zu begrüßen, aber es
muss klar sein: Ohne die Beschäftigten ist kein Staat zu
machen.“
ef
< Infrastrukturgesellschaft
Kurz vor Redaktionsschluss hat die dbb Bundesleitung ihre Position zu der geplanten Infrastrukturgesellschaft des Bundes per
Beschluss untermauert und konkretisiert. Für die Beschäftigten
darf es demnach im Zuge der Veränderungen auf keinen Fall zu
Verschlechterungen kommen. Dabei gehe es um den Status sowie
Arbeitsplatz und Arbeitsort. Die Personalvertretungen sind einzubinden. Das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen
et cetera soll grundgesetzlich festgeschrieben werden.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
35
analyse
<
dbb
Vorgestellt:
Uwe Beckmann
© privat
aus Herten, Jahrgang
1960, ist seit 2011 Versichertenvertreter in der
Vertreterversammlung
der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG)
„
Als Versichtertenvertreter in der Vertreterversamm­
lung der VBG habe ich die Möglichkeit, auch auf den
Unfallschutz der Beschäftigten Einfluss zu nehmen und diesen
verantwortlich zu gestalten.
Ferner ist es mir ein besonderes Anliegen, auch die Interessen
der Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft im höchsten
Selbstverwaltungsorgan zu vertreten.
“
Zahlreiche Versicherte und Rentner fühlen sich in den Fachgewerkschaften und Verbänden unter dem Dach des dbb gut vertreten.
Damit ihre Interessen auch in den Selbstverwaltungsorganen der
Sozialversicherungsträger mit Nachdruck geltend gemacht werden,
tritt der dbb bei der kommenden Sozialwahl im Mai 2017 wieder
mit eigenen Kandidaten an. Das dbb magazin wird bis zum Wahltermin in loser Folge Bewerber vorstellen, die mit eigenen Worten
über die Beweggründe für ihre Kandidatur Auskunft geben.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
dbb
Geschenktipp für Kinder und Enkel – Kombination aus Sparkonto
und Bausparvertrag mit drei Prozent Zinsen:
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vorsorgewerk
38
Sichern Sie sich bis zum Jahresende alle Förderungen vom
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Wer sich mit dem Gedanken
trägt, einen Bausparvertrag
abzuschließen, sollte das noch
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dbb Mitglieder und ihre Ange-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
hörigen bei Abschluss eines
Bausparvertrages die halbe
Abschlussgebühr.
<
Große Geschenke für
kleine Baumeister
Aufbauen macht Spaß! Das
verstehen Kinder ganz von
selbst. Aber mit den „Bausteinen“, die auf Dauer wichtig
werden, brauchen sie die Hilfe
der Großen. Mit dem Geschenk
zum Fest für die Zukunft der
Kinder oder Enkelkinder vorsorgen – das geht bei einem
Bausparvertrag schon mit klei-
nen Beträgen ab 25 Euro. Der
Staat und Wüstenrot steuern
ebenfalls etwas bei. Wenn
Eltern oder Großeltern dem
Nachwuchs etwas Gutes tun
und Geld anlegen möchten,
fällt die Wahl schwer. Eine
sinnvolle Möglichkeit: ein
Geschenk-Bausparvertrag mit
Jugendbonus und staatlicher
Förderung.
Von der staatlichen Bausparförderung können Kinder und
Jugendliche auch ohne eigenes
Einkommen profitieren. Denn
die Wohnungsbauprämie gibt
es auch für sie. Alle, die noch
vor dem 25. Geburtstag einen
Bausparvertrag abschließen,
gilt: Nach sieben Jahren kann
frei über das gesamte Guthaben verfügt werden – inklusive
staatlicher Wohnungsbauprämie!
Unter 25 Jahren gibt es von
Wüstenrot obendrein einen
attraktiven Jugendbonus von
bis zu 200 Euro. Wichtig für Eltern oder Großeltern, die eine
solche Anlageform als Weihnachtsgeschenk ins Auge fassen: In der Besparung bleibt
man flexibel, sie kann in der
Höhe geändert oder zeitweise
ausgesetzt werden. Auch ein-
© dbb vorsorgewerk
© Style-Photography / Fotolia
Die Vorfreude auf Weihnachten steigt, bald
dürfen wir wieder hübsch geschmückte Päckchen
auspacken. Für Bausparer fällt der Gabentisch
noch üppiger aus: Sie können sich nämlich zusätzlich über Geschenke vom Staat freuen.
malige Einlagen sind möglich.
Exklusiver Vorteil: Bei Bausparverträgen für Kinder oder Enkelkindern von Einzelmitgliedern eines Landesbundes oder
einer Mitgliedsgewerkschaft
des dbb kann zusätzlich die
halbe Abschlussgebühr gespart
werden.
Für Sparfüchse interessant ist
die Kombination von dbb Vorteil, halber Abschlussgebühr
und dem Wüstenrot Jugendbonus: Damit fällt beim Geschenkbausparen über das
dbb vorsorgewerk für Jugendliche bis 24 Jahre bis zu einer
Bausparsumme von maximal
40 000 Euro effektiv keine
Abschlussgebühr an!
Ebenfalls eine interessante
Wahl: die Kombination mit
Wohnsparen und einem
Jugendsparkonto von Wüstenrot – das gibt es gebührenfrei
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Mitgliedern zu einem Zinssatz
von drei Prozent auf jeden gesparten Euro bis 1 500 Euro.
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empfohlenen Produkten und
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Mitglieder.
sz
Ein großzügig bemessener Supermarktparkplatz am Berliner
Stadtrand bringt es sage und
schreibe auf 21 Verbotsschilder, die sich teils sogar widersprechen. Doch das macht
nichts, schließlich geht es um
das große Ganze. Und der gute
Wille zählt wie überall sonst in
deutschen Landen für die Tat.
Diese Maxime findet inzwischen nicht nur auf Supermarktparkplätzen Anwendung,
sondern gilt längst immer und
überall. Unsere Volksvertreter
überbieten sich darin, immer
neue und bessere Regelungen
für Menschen in besonderen
Lebenslagen zu ersinnen, was
grundsätzlich löblich ist, doch
der allgemeine Grundkonsens
gerät aus dem Lot. Das gilt für
Inklusion und innere Sicherheit
ebenso wie für Schul- und Kita-
politk, von Alterssicherung und
Gesundheitswesen ganz zu
schweigen. Aber wen kümmert
schon der Grundkonsens, damit ist vielleicht Staat zu machen, aber ansonsten kein Blumentopf und schon gar keine
Wahl zu gewinnen.
Was gemeint ist, hat der alte
Kant vor 300 Jahren formuliert: „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden
auf das Zusammenspiel der
Freiheit von jedermann, sofern dies nach einem allgemeinen Gesetz möglich ist.“
Davon sind wir inzwischen
leider weit entfernt, weil die
Ausnahme zur Regel stilisiert
worden ist. Und der noch ältere Seneca weiß warum. In einem seiner Briefe an Lucilius
stellte er vor 2 000 Jahren fest:
„Ich schäme mich, es auszusprechen. Wir pflegen das
Gutsein als Freizeitbeschäftigung.“ Jede Wette, dass sich
die Parteien und deren Galionsfiguren im Wahljahr 2017
an Letzteres halten werden,
an Ersteres nicht. Der kategorische Kant war immer schon
(zu) schwer verständlich … sm
39
glosse
Deutschland ist ein „El Dorado“,
ein wahres Gold- und Wunderland für Senioren, Eltern mit
Kindern und Menschen mit Behinderungen. Nirgendwo sonst
in Europa oder anderswo werden deren besondere Bedürfnisse liebevoller berücksichtigt
als hierzulande. Das zeigt sich
seit einiger Zeit besonders eindrucksvoll auf den Parkplätzen
diverser Supermärkte. Hier sind
die Einkaufswagen mit Leselupen ausgestattet, dort finden
Kunden ohne Behindertenausweis oder Kindern im Schlepptau kaum mehr einen Parkplatz.
In jeder Reihe warnen Hinweisschilder bei Androhung strafrechtlicher Verfolgung vor dem
widerrechtlichen Parken auf zur
Sondernutzung ausgewiesenen
Plätzen. Und das Abladen von
Müll ist selbstredend ebenfalls
verboten.
© Walter Schmitz
dbb
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
dbb
Onlineeinkauf international:
Über die Grenzen Deutschlands hinaus erschließt
sich eine Warenwelt, in der nichts unmöglich
scheint. Ob es darum geht, hierzulande Seltenes
überhaupt zu bekommen oder in Deutschland
Teures billiger: Praktisch können Kunden über das
Internet Waren in der ganzen Welt ordern. Wären
da nicht die deutschen Zollbestimmungen, die so
mancher Schnäppchenjagd einen Strich durch die
Rechnung machen.
Vertretung des Anmelders oder
Empfängers.
<
Komplizierte Regeln
Bei Waren aus der europäischen Union gilt: Der Warenverkehr innerhalb der EU ist
grundsätzlich frei, es fällt weder Zoll noch Einfuhrumsatzsteuer an; das gilt derzeit auch
noch für Großbritannien. Einschränkungen gelten für Arzneimittel, militärisch nutzbare
Waren, Feuerwerk, Kulturgüter, Waffen und Munition.
Alkohol, Tabak oder Kaffee
müssen unter Umständen besonders versteuert werden.
Komplizierter ist der Bezug von
Warensendungen aus dem außereuropäischen Ausland. Eine
Postsendung aus einem NichtEU-Staat muss grundsätzlich
zollamtlich abgefertigt werden.
Ob Zölle oder Steuern anfallen,
hängt von der Art und dem
Wert der Ware ab: Geschenksendungen sind nur bis zu einem Wert von weniger als 45
Euro abgabenfrei. Voraussetzung ist, dass die Sendungen
von Privatpersonen in einem
Nicht-EU-Staat an Privatpersonen im deutschen Zollgebiet
ohne jegliche Bezahlung versandt werden.
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
/ Foto
lia
Mit dem Begriff „Warenwert“
ist immer der Preis inklusive
Versandkosten gemeint:
© M P2
online
40
Der Einzelhandel klagt zunehmend über die Konkurrenz aus
dem Internet, und Gewerkschaften prangern die Beschäftigungsbedingungen
der Mitarbeiter bei Amazon und Co. an. Trotzdem
kann niemand leugnen,
dass sich der US-Gigant
als größtes Onlinekaufhaus
der Welt etabliert hat. Auch
Konkurrent E-Bay ist als Marktplatz für Gebrauchtes und
Neues beliebt. Allen gesellschaftspolitischen Implikationen zum Trotz machen es die
„großen Zwei“ ihren Kunden
überaus angenehm, online einzukaufen. Interessenten aus
Deutschland bestellen natürlich meist über die deutschen
Internetseiten der Anbieter –
müssen das aber nicht, denn
ihre Accounts sind weltweit
gültig und können daher auch
in jedem Landesshop benutzt
werden: England wird gerade
wegen der Schwäche des britischen Pfunds interessant, Italien und Frankreich boten in
manchen Sparten schon oft
günstige Preise und auch
Amerika glänzt mit einem erweiterten Warenangebot und
teils guten Preisen – zumindest auf den ersten Blick. In
der Realität gibt es Lieferbeschränkungen für bestimmte
Waren. Bei Amazon USA können Deutsche nicht in allen
übernommen und die Kosten
bereits in richtiger Höhe in
seinen Preis eingerechnet, bedeutet das, dass statt des ersehnten Pakets aus Übersee
lediglich eine Zollbenachrichtigung im Briefkasten landen
kann. Sie besagt, dass die Sendung beim zuständigen Zollamt
gegen Entrichtung der anfallenden Gebühren abgeholt werden kann. Bei zahlreichen
internationalen Postsendungen wird
das Paket mit
Einfuhrabgabenbescheid
direkt an den
Empfänger, den
sogenannten Zollschuldner, übersandt. Wenn
keine Einfuhrabgaben entstehen
© euthymia / Fotolia
und die Sendung keine
Warengruppen
Waren enthält, die Einfuhrverbestellen. Bei E-Bay entscheidet der jeweilige Anbieter über boten und -beschränkungen
unterliegen und keine anderen
die Zustellung nach DeutschHinderungsgründe vorliegen,
land, kann sich aber ebenfalls
wird die Sendung direkt durch
nicht über gültige Handelsbedie Post AG ausgeliefert. Besteschränkungen hinwegsetzen.
hen dagegen Zweifel, ob diese
Trotzdem bleibt in diesen und
vielen anderen amerikanischen Voraussetzungen vorliegen, ist
die direkte Zustellung in der
Shops ein riesiges WarenangeRegel nicht möglich. Wenn webot, das einen Blick lohnt. Die
gen der Überschreitung von
Turnschuhe aus den USA, PorWertgrenzen Einfuhrabgaben
zellan direkt aus Japan oder
entstehen, es aber keine weiteder Wein aus dem Urlaub –
ren Hinderungsgründe gibt,
theoretisch kein Problem.
kann die Post trotzdem zustelPreistreibend wirken sich dabei
len: Sie übernimmt dann die
zunächst die Versandkosten
zollamtliche Abfertigung in
aus, die meist höher sind als innerhalb Deutschlands. Zudem
müssen auf den günstigen Preis
unter bestimmten Bedingungen Einfuhrumsatzsteuer und
Zoll aufgeschlagen werden, für
deren Abgabe in aller Regel der
Käufer selbst verantwortlich
ist. Hat der Verkäufer die Zollformalitäten nicht ausdrücklich
© frender / Fotolia
Grenzenlose
Warenwelten
dbb
o lia
MEV
/ Fot
Höhe
der Einfuhrabgaben ergibt sich dann
aus den im gemeinsamen Zolltarif der Europäischen Union
und den nationalen Steuergesetzen festgelegten Abgabensätzen und berechnet sich aus
folgenden Abgabenarten: Zoll
für alle eingeführten Waren,
eventuell Verbrauchsteuern,
dazu zählen Energiesteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer,
Alkopopsteuer, Biersteuer,
Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer und Kaffeesteuer, Verbrauchsteuer für alle
verbrauchsteuerpflichtigen
Adapter
erforderlich
macht. DVDs aus Übersee sind
in aller Regel mit einem anderen Regionalcode versehen,
den heimische Geräten nur abspielen, wenn dieser im Player
umgeschaltet wird, was nicht
unbegrenzt möglich ist. Bei
Bekleidung gilt es, Größentabellen umzurechnen, damit
Schuhe und Blusen auch wirklich passen. Auch können die
Schnitte der Kleidungsstücke
von europäischen Gepflogenheiten abweichen.
Ein weiterer Stolperstein ist
die Auswahl des passenden
Onlineshops jenseits der großen Player. Ist er seriös oder
eine Kundenfalle? Auch das
sollten internationale Einkäufer vor der Bestellung prüfen,
soweit das überhaupt möglich
ist. Darüber hinaus müssen
Kunden auf Waren aus Übersee oft mehrere Wochen warten und bei möglichen Reklamationen können Umtausch
und Erstattung ebenfalls problematisch werden, weil entweder andere Verbraucherschutzrichtlinien gelten oder die
Sprachbarriere eine vernünftige Kommunikation erschwert.
Abhalten lassen sollten sich
Kunden vom Stöbern in ausländischen Warenkörben von
all diesen Unwägbarkeiten
aber nicht: Für manche Waren
kann der Aufwand lohnen und
am Ende kann es eben doch
sein, dass ein kleiner Traum
wahr wird, wenn gefunden
wurde, was hierzulande nicht
oder nur sehr teuer zu bekommen ist.
br
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
41
online
Während sich die Einfuhrumsatzsteuer bis auf ganz wenige
Ausnahmen bei 19 Prozent beFür Waren aus vielen Ländern
wegt, unterscheiden sich die
werden allerdings ZollbegünsZollsätze für die Wareneinfuhr
tigungen, sogenannte Präfein die EU stark: Während anarenzen, gewährt. Besteht die
loge Fotokameras mit 4,2 ProZollbegünstigung in einer
zent verzollt werden müssen,
Zollbefreiung, so sind für die
sind digitale Kameras zollfrei.
eingeführte Ware lediglich die
Vorsicht
auch beim
Einfuhrumsatzsteuer und gegeFahrradbenenfalls die Verbrauchsteuer
kauf
zu zahlen. Meist gelten die Präaus
ferenzen allerdings nur bei
China:
einem Wert von bis zu
Hier fallen
lia
500 Euro.
neben
dem Zollo to
F
/
ed
satz
von
15
Prozent
zus ar
a
©n
sätzlich 48,5 Prozent Antidumpingzoll an. Notebooks
Da
und Tablets sind zollfrei, DVDalso keiPlayer schlagen dagegen mit
ne pauschalen 13 Prozent zu Buche.
Angaben möglich sind, muss
So mancher Händler bietet an,
jeder Onlinedie erstandene Ware als „Gekunde selbst beschenk“ zu deklarieren und
rechnen, ob die Beden Warenwert entsprechend
stellung am Ende lohnt
nach unten zu korrigieren, um
oder nicht. Die Internetseite
Zoll zu sparen. Käufer sollten
www.zoll.de bietet dafür einen sich allerdings nicht darauf einumfangreichen Leitfaden, den
lassen, denn kontrollieren kann
Kunden vor der Bestellung auf
der deutsche Zoll die Sendung
jeden Fall berücksichtigen sollnatürlich trotzdem – mit allen
ten, um sich vor teuren ÜberKonsequenzen.
raschungen zu schützen.
Hat man ein Produkt zu einem
<
Kuriose Unterschiede
günstigen Preis gefunden und
ist auch der Zollsatz akzeptaUnter den Einfuhrbeschränbel, gilt es, vor dem Kauf gekungen in die EU finden sich
nau zu prüfen, ob die Ware in
derweil Kuriositäten und auch
Deutschland überhaupt bedie unterschiedlichen Zollsätze nutzt werden kann: Elektrofür verschiedene Warengrupnik aus Japan und den USA ist
pen leuchten dem Laien nicht
zum Beispiel auf ein 110-Voltunbedingt ein. Für FolterwerkStromnetz ausgerichtet. Elekzeuge zum Beispiel heißt es auf tronik aus Amerika verfügt
www.zoll.de: „Für die Einfuhr
zudem über andere Netzbestimmter Güter zur Hinrichstecker als Produkte für den
tung oder Folter von Menschen Deutschen Markt, was einen
<
r a il
Ab einem Warenwert von
mehr als 150 Euro wird es
dann interessant, denn jetzt
werden die Abgaben nach dem
Zolltarif berechnet. Bei der Berechnung der Kosten wird jede
anfallende Abgabenart (zum
Beispiel Tabaksteuer, Zoll
und Einfuhrumsatzsteuer) einzeln
berechnet. Die
Andere Länder,
andere Sitten
bestehen Handelsverbote
beziehungsweise Genehmigungspflichten.“ Peitschen
mit mehreren Riemen fallen
zum Beispiel darunter, solche
mit nur einem dagegen nicht.
Arzneimittel dürfen Privatpersonen gar nicht im außereuropäischen Bereich bestellen.
Innerhalb Europas ist derzeit
eine Gesetzesänderung auf
dem Weg, die das Verbot
lockern soll.
can
Bei einem Wert zwischen 22
und 150 Euro sind die Sendungen zwar zollfrei, die Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 19
beziehungsweise sieben Prozent und die Verbrauchsteuer
(bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren) sind aber zu erheben. Abgaben in einer Höhe
von weniger als fünf Euro betrachtet der Zoll als geringfügig und erhebt sie nicht.
Waren und Einfuhrumsatzsteuer für alle eingeführten
Waren. Der zu zahlende Zollbetrag ergibt sich letztlich aus
dem Zollwert der Ware und
dem entsprechenden Zollsatz.
Der Zollwert ist höher als der
Warenwert, da er auch ausländische Steuern oder Versandkosten bis an die EU-Grenze
beinhaltet. Er wird nach den
allgemeinen zollwertrechtlichen Vorschriften ermittelt.
©S
Warensendungen mit einem
Gesamtwert von nicht mehr
als 22 Euro können ohne die
Erhebung von Einfuhrabgaben
eingeführt werden. Von der
Befreiung ausgeschlossen sind
alkoholische Erzeugnisse, Parfums und Tabakwaren.
dbb
Drei Fragen an ...
... die Bundeswahlbeauftragte für die Sozialwahlen, Rita Pawelski:
Wir vermissen die Unterstützung
der großen bundesweiten Medien
?
Alle sechs Jahre finden die Sozialwahlen in Deutschland statt.
Können Sie kurz erklären, um
was es bei diesen Wahlen geht?
© BWB
benswirklichkeit der Versicherten und der Arbeitgeber sind.
Selbstverwaltung ist wichtig!
Darum meine Bitte: Nehmen
Sie an den Wahlen teil! Es ist
ganz einfach: Sie informieren
sich auf der Homepage Ihrer
Versicherung über die Listen,
Im Rahmen der Sozialwahlen
werden die Verwaltungsräte
der gesetzlichen Krankenkassen
und die Vertreterversammlun-
< Rita Pawelski ist seit
Oktober 2015 Bundeswahlbeauftragte für die
Sozialversicherungswahlen. Von 2002 bis
2013 gehörte die freie
Journalistin dem Deutschen Bundestag an und
engagierte sich unter
anderem als Vorsitzende
der AG Frauen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion. Von 1990 bis 2002
war sie Mitglied des
Landtages in Niedersachsen.
nachgefragt
42
gen der gesetzlichen Rentenund Unfallversicherungsträger
bestimmt. Diese Gremien sind
die wichtigsten Elemente der
Selbstverwaltung. Und diese
Selbstverwaltung ist das Kernstück des deutschen Systems
der Sozialversicherung. Selbstverwaltung bedeutet, dass sich
die Mitglieder mittels ihrer gewählten Selbstverwalter selbst
um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Das ist Mitbestimmung pur, das ist Demokratie in Reinform!
kreuzten auf dem Stimmzettel
Ihren Favoriten an, stecken den
Wahlzettel in den roten Umschlag und überlassen alles
andere der Post.
?
Könnte man auf die Selbstverwaltung verzichten? Theoretisch wäre das denkbar! Aber
was wäre die Alternative? Eine
Staatsverwaltung? Die Privatisierung? Mit der Abschaffung
der Selbstverwaltung würde
ein bedeutender Teil unserer
Mitbestimmung verloren gehen. Dann würden an entscheidender Stelle diejenigen fehlen, die als Betroffene nah an
den Problemen und der Le-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
Für die kommenden Sozialwahlen 2017 wurden Sie als Bundeswahlbeauftragte ernannt.
Was sind Ihre Aufgaben als
Bundeswahlbeauftragte?
Im engeren Sinn bin ich für
die Setzung der nicht gesetzlichen Rahmenbedingungen
und die Überwachung der
Einhaltung der Regeln für die
Sozialwahlen zuständig. Dazu
gehört die Veröffentlichung
von Bekanntmachungen im
Bundesanzeiger, mit denen
die Abläufe der Sozialwahlen
gesteuert werden. So habe
ich den Wahltag festgesetzt
und veröffentliche die Wahlausschreibung mit der Bekanntgabe der wichtigsten
Termine. Unverzichtbar für
alle, die mit der Vorbereitung
und Durchführung der Sozialwahlen betraut sind, ist der
von mir veröffentlichte Wahlkalender.
?
Die Sozialwahlen werden trotz
ihrer enormen Bedeutung für
die Versicherten und Rentner
von vielen Menschen nicht
wahrgenommen. Woran könnte dies Ihrer Ansicht nach liegen
und wie könnte dies geändert
werden?
Ich gebe zu, die Sozialwahlen
könnten bekannter sein, zumal
sie die drittgrößten Wahlen in
Deutschland sind. Wir werben
und sprechen mit lokalen Zeitungen und Radiostationen,
auf den Homepages der Versicherungsträger wird auf die
Wahlen hingewiesen.
Allerdings vermissen wir die
Unterstützung der großen,
bundesweiten Medien. Diese
greifen dieses Thema leider
nur sehr selten auf, was bei
etwa 50 Millionen Wahlberechtigten gar nicht zu verstehen ist. Aber zur Pressefreiheit
gehört leider auch, Themen zu
ignorieren, die 90 Prozent der
Bevölkerung angehen. Wir alle
können die Bekanntheit der
Sozialwahlen erhöhen, indem
wir darüber reden ... mit Journalisten, Politikern, Meinungsträgern.
Jeder kann ein Botschafter dieser Wahlen sein. Und darum
bitte ich jetzt schon um Unterstützung, wenn wir die Redaktionen der Zeitungen besuchen.
Mein Stellvertreter Klaus Wiesehügel und ich wollen Menschen aus der Selbstverwaltung
mitnehmen, damit sie über ihre
Erfahrungen berichten können.
Und ich freue mich, dass das
dbb magazin seinen Beitrag
dazu leistet, über die Sozialwahlen zu informieren.
Die Fragen stellte
Wencke Riemer
dbb
Drei Fragen an ...
... Dr. Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstitut (HWWI):
Lohngerechtigkeit: Abbau echter Diskriminierung ist das Ziel
ist, um den Talentpool
Deutschlands besser auszuschöpfen und damit fitter im
Wettstreit mit anderen Volkswirtschaften dazustehen. Hier
ist schon vor Verabschiedung
des Gesetzes viel ins Rollen gekommen, und das ist gut so,
denn es geht hier nicht um
eine Verteilungsfrage, sondern
um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.
Warum tut sich Deutschland so
schwer, die Lohnlücke zu schließen, und was wäre nötig, um
hierzulande Lohngerechtigkeit
herzustellen?
bundesfrauenvertretung
Der zweite Prüfauftrag betrifft
die Arbeitsbewertung: Werden
gleich anspruchsvolle Tätigkeiten auch im Gehalt gleich eingruppiert, unabhängig vom
Frauenanteil in diesen Tätigkei-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf für den Bereich öffentlicher Dienst? Wie können hier
Entgeltunterschiede behoben
werden?
© HWWi
44
Christina Boll:
Die Lohnlücke zu schließen,
wäre an sich nicht das richtige
Ziel. Echte Diskriminierung abzubauen, ist das Ziel. Solange
Menschen – seien es Frauen
oder Männer – andere Jobattribute wie beispielsweise
sinnstiftendes oder selbstbestimmtes Arbeiten höher
gewichten als ein maximales
Gehalt, ist hieran nichts zu kritisieren. Gehaltsunterschiede
können also auch Spiegelbild
unterschiedlicher Arbeitnehmendenwünsche sein. Aber es
kommt in der Tat auf die Wahlmöglichkeiten an. Wenn ein
Geschlecht systematisch benachteiligt wird, ist das Diskriminierung, die abzubauen ist.
Im Einzelfall lässt sich dies aber
nur auf einzelbetrieblicher
Ebene klären. Daher lautet der
erste Prüfauftrag an die betriebliche Ebene, genau hinzuschauen, ob bei allen lohnrelevanten Merkmalen beide
Geschlechter dieselben Zugangschancen haben. Der
Staat ist hier im Zusammenhang mit den flankierenden
institutionellen Rahmenbedingungen und Sozialpolitiken gefragt: Welche Anreize werden
für eine Erwerbsaufnahme und
hohe Verdienste von Frauen im
Steuer- und Sozialsystem gesetzt? Ist eine umfängliche
Erwerbstätigkeit seitens der
vorgehaltenen Infrastruktur
überhaupt realisierbar?
< Dr. Christina Boll ist Forschungsdirektorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und leitet dort den Bereich „Arbeit, Bildung und
Demografie“. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Zusammenhängen von Arbeitsmarktsegregation und Einkommensstrukturen. In
einer aktuellen Studie analysiert sie den Einfluss von unterschiedlichen
Faktoren, unter anderem von Arbeitszeit auf den Gender Pay Gap in den
europäischen Ländern.
ten? Hier haben die Tarifvertragsparteien eine zentrale
Funktion.
Der dritte und letzte Prüfauftrag betrifft uns alle, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft:
Warum werden Männer und
Frauen für gleiche Merkmale
teils unterschiedlich bezahlt?
Warum zum Beispiel wird Teilzeit im Lohn bei Männern stärker abgestraft als bei Frauen?
Auch hier sind voreilige Schlüsse auf Diskriminierung verfehlt,
Messfehler in den Daten könnten die Ursache sein. Jedoch
wirft der Sachverhalt auch ein
Licht auch auf die Bedeutung
von Geschlechterrollen und gesellschaftlich akzeptiertem und
nicht akzeptiertem Verhalten.
Auch Männer können Opfer
von Diskriminierung sein.
Wie muss ein Lohngerechtigkeitsgesetz ausgestaltet sein,
um in Deutschland den gewünschten Effekt zu erzielen?
Christina Boll:
Ein Gesetz ist nicht in der Lage,
Ergebnisgerechtigkeit in den
Löhnen herzustellen, wie auch
immer man Letztere definiert.
Dies ist auch gar nicht erstrebenswert. Erstrebenswert ist
vielmehr, Prozesse transparenter zu gestalten. Dies will das
Gesetz, und dies wird es auch
erreichen. Mehr Transparenz
kann sowohl für Arbeitnehmende als auch für Arbeitgebende nützlich sein: für Arbeitgebende, die darlegen können,
wo Differenzierung nach den
Gesetzen des Marktes angebracht sein kann. Und aufseiten der Arbeitnehmenden, die
mögliche strukturelle Ungerechtigkeiten thematisieren
können. Durch Transparenz
kommt ein gesellschaftlicher
Diskurs in Gang, der überfällig
Christina Boll:
Der Staat sollte als Arbeitgeber
beim Thema Lohngerechtigkeit
mit großem Vorbild vorangehen. Studien zeigen, dass die
Lohnlücke im öffentlichen
Dienst zwar regelmäßig geringer ist als in der Privatwirtschaft. Doch auch hier bleibt
zu fragen: Haben Frauen bei
gleicher Eignung wirklich dieselben Chancen auf höherwertige Jobs und Spitzenämter wie
Männer? Dies ist das Thema
der Zugangschancen, siehe
oben. Und ein zweiter Prüfauftrag ergeht an die Tarifvertragsparteien: Folgt die Besoldung wirklich stringent den
Ergebnissen der Arbeitsbewertungsverfahren? Zwar werden
nach Besoldungsrecht gleiche
Tätigkeiten gleich bezahlt, aber
wie steht es um die Eingruppierung der Stellen, die überwiegend von Frauen ausgeübt
werden?
Die Fragen stellte
Birgit Strahlendorff
Das ausführliche Interview
mit Dr. Christina Boll in der
November-Ausgabe von
frauen im dbb im Internet:
www.frauen.dbb.de.
dbb
Populistische Tendenzen in Europa:
Positive Anreize gegen Hetzer setzen
europa
46
Bereits bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre
2014 machten neben der britischen UK Independence Party
(UKIP) auch andere europa­
populistische Parteien wie die
Alternative für Deutschland
(AfD), der französische Front
National (FN) oder die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)
durch größere Wahlerfolge auf
sich aufmerksam. Dieser Trend
ist auch auf mitgliedstaatlicher
Ebene zu beobachten; in manchen EU-Staaten sind Populisten bereits fest in den jeweiligen Parteiensystemen etabliert. So erhielt die Dänische
Volkspartei bei der Parlamentswahl im Juni 2015 über 21 Prozent der Stimmen und sorgte
für eine Niederlage der zuvor
regierenden sozialdemokratischen Partei.
In Ungarn regiert der Ungarische Bürgerbund (Fidesz) mit
absoluter Mehrheit und blockiert vertiefende Integrationsschritte in der Flüchtlings- und
Asylpolitik auch europäische
Lösungen. Stärkste Kraft bei
den Wahlen zum polnischen
Sejm im Oktober 2015 wurde
die rechtspopulistische Partei
Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Als eine ihrer ersten Handlungen verbannte die neu gewählte Ministerpräsidentin Beata
Szydło symbolträchtig alle EUFlaggen aus dem Pressesaal
ihres Amtssitzes. Bei der öster-
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
reichischen Bundespräsidentenwahl im April 2016 erhielt
der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer die meisten Stimmen und
verfehlte im Mai 2016 bei der
Wiederholung der Stichwahl
nur knapp den Wahlsieg gegen
den unabhängigen Kandidaten
Alexander Van der Bellen. In
Finnland und Lettland sind die
europapopulistischen Parteien
Wahre Finnen (PS) und Nationale Vereinigung „Alles für
Lettland!“ (VL!) Teil der jewei­
ligen Regierungskoalition.
Sogar in Deutschland, das
­jahrzehntelang als besonders
europaphiler „Musterknabe“
galt, legte die AfD gerade
durch ihre Ablehnung der
Flüchtlingspolitik der Bundesregierung bei Landtagswahlen
im Jahre 2016 und auch in
­bundesweiten Umfragen in
der Wählergunst zu.
Aber nicht nur Rechtspopulisten fordern die etablierten (Regierungs-)Parteien in nationalen und europäischen Wahlen
heraus. In den von der Eurokrise besonders betroffenen südeuropäischen Mitgliedstaaten
erzielten linkspopulistische
Parteien wie Syriza in Griechenland oder die spanische
Podemos aufsehenerregende
Wahlerfolge. All diesen Parteien und Bewegungen ist eine
populistisch-europaskeptische
Rhetorik gemeinsam, die im
Falle von harten Europapho­
bikern wie Marine Le Pen,
­Nigel Farage oder Geert Wilders zu einem regelrechten
EU-Bashing ausarten kann.
Dieses schürt vor allem Vorurteile und Feindbilder über die
Europäische Union. Gefährlich
werden derartige Vorurteile
und Feindbilder, wenn sie von
größeren Gruppen der Bevölkerung ungeprüft übernommen werden und eine rationale Auseinandersetzung mit
politischen Problemen und
Konflikten ­unmöglich gemacht
wird. Das bisher stärkste Beispiel einer populistisch geprägten Debatte, die die Zukunft der Europäischen Union
nachhaltig beeinflussen wird,
ist der negative Ausgang des
britischen EU-­Referendums,
der ganz Europa und selbst
Brexit-Befürworter kurzzeitig
in Schockstarre versetzte.
<
Was tun gegen den europaweiten Populismus?
Die Strategien im Umgang mit
europapopulistischen Parteien
beziehungsweise Argumentationen in den Mitgliedstaaten
sind vielfältig. Sie reichen von
Banalisierung, Tabuisierung
oder Ausschluss aus dem politischen Betrieb und Diskurs bis
hin zu deren Einbindung oder
Nachahmung. Die weiterhin
abnehmenden Zustimmungswerte und Wahlergebnisse
etablierter Parteien sowie die
generell stagnierenden Parteibindungen sollten jedoch pessimistisch stimmen, was den
Erfolg solcher Strategien in der
Politik betrifft.
Europaskeptizismus muss nicht
per se destruktiv wirken. Doch
der pauschale Vorwurf von
­Populismus und gleichzeitig
die Tabuisierung von EU-Kritik
impliziert meist auch eine Abwertung der Anhänger populistischer Parteien und die Mar-
ginalisierung ihrer Sorgen und
Ängste. Dies hat wie die Nachahmung populistischer Strategien eine gegensätzliche Wirkung und führt eher zu einer
stärkeren Hinwendung zu populistischen Parteien und Bewegungen. Dabei muss auch
einem Transfer der populistischen Schlagworte in den
­politischen Mainstream ent­
gegengewirkt werden, um zu
verhindern, dass diese von anderen Parteien als salonfähig
übernommen werden.
Doch allein Fakten und eine
Versachlichung europapopulistischer Diskurse werden nicht
ausreichen, den Ängsten sowie
der Unzufriedenheit und dem
Misstrauen gegenüber der
­Politik auf mitgliedstaatlicher
Ebene zu begegnen: Auch der
in Medien und von Politikern
auf mitgliedstaatlicher und
EU-Ebene schon beinahe inflationär wiederholte Satz, man
müsse die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen,
läuft ins Leere, wenn die politischen Akteure es nicht schaffen, zusätzlich positive Anreize
gegen Hetzer zu setzen und
das Vertrauen in die Demokratie, ihre repräsentativen Institutionen und die Europäische
Union zu stärken.
Julia Klein
< Info
Julia Klein ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und
­Koordinatorin des Projekts
„TruLies – The Truth about
Lies on Europe“ des Instituts
für Europäische Politik (IEP).
Das Projekt hat sich die
­Versachlichung der Debatte
zu Europa in Deutschland
zur Aufgabe gemacht.
Weitere Informationen
auf der Projekthomepage:
www.trulies-europe.de
© Gebi / Fotolia
Eine Zunahme EU-skeptischer oder sogar europafeindlicher Parteien und sozialer Bewegungen, die
sich populistischer Methoden bedienen, ist schon
länger zu beobachten. Europas Multikrisen – seien
es die um Staatsverschuldung und Wirtschaft
oder zuletzt die Flüchtlingsproblematik – sowie
die schon länger vorhandenen „Baustellen“ des
­institutionellen Konstrukts der Europäischen
­Union bieten den Kontext für eine verstärkte
­Ablehnung der europäischen Integration.
dbb
e
r.d
/ Fo
t o lia
> AiR | dbb seiten | Dezember 2016
47
kulisse
© eyeQ / Fotolia
Pinguin statt Geißbock –
Hauptsache Maskottchen. Was
dem 1. FC Köln recht ist, darf
der norwegisch-königlichen Leibgarde billig
sein. Seit 1972 dient
ein Königspinguin
aus dem Edinburger Zoo namens
Sir Nils Oliver dem
Regiment als Wappentier. Der Pinguin nimmt nicht nur
die jährliche Ehrenparade ab, sondern
wird auch regelmäßig
befördert: 2008 wurde er
zum Ritter geschlagen, in diesem Jahr avancierte Sir Nils
Oliver zum Brigadegeneral.
Ob das den Kölner Geißbock
wurmt, ist nicht bekannt.
Er heißt schlicht „Hennes“.
to
re eingerichtet. Als Dekoelemente dienen mechanische
Schreibmaschinen, Röhrenradios, Bleistiftspitzmaschinen
oder schwarze Wählscheibentelefone. Die Gäste nehmen
stilecht an Nierentischen Platz
und frönen ihrer Lust am Amt,
wenn denn geöffnet ist. Das ist
allerdings nur stundenweise
der Fall und teils sogar wetterabhängig. Wie im richtigen
(Behörden-)Leben nennt sich
der Gastronom „Amtsleiter“.
Wenn der Hahn kräht – auf
dem Mist, ändert sich nicht
nur das Wetter, sondern die
Ruh ist hin und der Seelenfrieden so mancher Nachbarn
auch. In dem Brandenburger
Dörflein Zitz, das 300 Einwohner zählt, tobt seit Jahren ein
erbittert geführter (Hahnen-)
Kampf um Kräh- und Ruhezeiten der rund 150 ortsansässigen Gockel. Der Nachbar eines
Hobbyzüchters ging bereits
mehrfach vor Gericht, weil er
eine strikt einzuhaltende Krähund Ruhezeit durchsetzen
wollte. Eine solche so mir
nichts, dir nichts zu
verordnen, sahen
©s
ho
ck
sich die Richter
f
außerstande.
Jetzt soll der
Züchter
nachweisen,
dass das
Hähnekrähen ortsüblich ist, und
der Kläger
muss Protokoll
darüber führen, wie
viele Hähne, wie lange
und zu welchen Zeiten seine
Ruhe stören. Damit dürfte der
Kikeriki-Konflikt neue Nahrung, aber noch längst kein
Ende finden.
sm
ac
Sattes Grün – will liebevoll
gepflegt sein. So erhielt eine
offenbar wild ausgesamte
Staude in einem Bielefelder
Vorgarten die besondere Zuwendung sämtlicher Hausbewohner. 2,60 Meter hoch
wuchs das unbekannte Gewächs, bevor die Polizei der
weiteren Pflege Einhalt gebot.
Die Mieter hatten eine gigantische Cannabispflanze vor ihrer
Haustüre mit voll ausgebildeten Blütenständen herangezüchtet. Beamte des Rauschgiftdezernates ernteten und
vernichteten das berauschende
Gewächs sehr zum Ärger der
Hausbewohner, die sich an
dem kräftigen Wachstum der
Grünpflanze immer wieder
erfreut hatten.
Von wegen kalter Kaffee – der
mag zwar als Bürolabsal in vielen Amtstuben zum Standard
gehören, doch nicht in einem
nostalgischen Beamten-Kaffeehaus in Bremen. Dort munden Kaffee und Kuchen den
Gästen bestens, was kaum
dem Ambiente geschuldet sein
kann. Das Etablissement ist im
Stil einer Behörde der 60er-Jah-
© Iveta Angelova / Fotolia
Seid fruchtbar und mehret
euch – heißt es schon in der
Bibel. Und Italien macht damit
– zumindest in einer Werbekampagne – ernst. Ob des
drastischen Geburtenrückganges hat die Regierung nicht nur
vor Kurzem einen „Fertility
Day“ ausgerufen, sondern
gleich eine ganze Fortpflanzungskampagne gestartet. Die
Kritiker der umstrittenen Aktion können gewichtige Argumente gegen den staatlichen
Kinderappell vorbringen. Etwa
40 Prozent der jungen Italiener
sind arbeitslos und finanziell
gar nicht in der Lage, eine Familie zu gründen. Da nutzt es
wenig, wenn der umstrittenste
Slogan lautet: „Fruchtbarkeit
ist ein Gemeingut“, während
von konkreten Familienhilfen
nicht die Rede ist.
Ehre, wem Ehre gebührt –
heißt es zu Recht. Und so avanciert endlich das schlichte Gänseblümchen zur Heilpflanze
des Jahres 2017. „Bellis perennis“, die „Ewig Schöne“, so der
botanische Name, empfiehlt
sich als Zutat in jedem Kindertee und hilft bei Schwächezuständen, Erkältungen,
Durchfall, Hautausschlag und
Menstruationsbeschwerden.
Literaturnobelpreisträger Bob
Dylan sollte allein aus Seelenverwandtschaft dem kleinen
weiß-gelben Blümchen eine
Ballade widmen.