Anekdoten - Ruhr-Universität Bochum

DerProfessorundderPolitiker.
NilsA.Baas
AufeinerschönenAnhöhebeiderUniversitätsitzteinMannmittlerenAltersund
blickt auf einen herrlichen Fjord. Seine Kleidung kann einen zu der Annahme
verleiten, dass er ein Steinmetz aus dem Steinbruch direkt unter ihm sei. Aber
nein,eristProfessoranderUniversitätunderkommtofthierhoch,umhierzu
sitzenundüberschwierigeProblemenachzudenken.Hierobenhatteerüberdie
JahreschoneinigeguteIdeen.
Auf dem Fußpfad kommt gehetzt ein sehr gut gekleideter Mann mit weißem
HemdundKrawattedaher.Eratmetdurch,hatrosaWangenundsiehtziemlich
angestrengtaus.EristPolitiker-Forschungsminister-undistaufdemWegzu
einemTreffenmitdemEffektivitätsausschussanderUniversität.
DerPolitikergrüßtdenProfessorhöflich,genießtdieAussichtundfragt,werer
seiundwaserhierobenmittenamTagemache.
„Ich bin Professor an der Universität und sitze hier und denke nach. Hier habe
ichfrühervieleguteIdeengehabt.JetztarbeiteichaneinemschwierigenProblem,daslangeZeitbiszurLösungbrauchenwird“istdieAntwort.
DerPolitikeristüberrascht,einenProfessormitteninderArbeitszeithierdraußenzufinden,ohnedenAnschein,dasseretwasvernünftigestue
„Wäreesnichtbesser,wennSieinIhremBürosäßenundarbeiteten?“fragtder
Politiker.
„Nein!“sagtderProfessor.„HierfühleichwenigerStressundmehrFreiheit,langenachzudenken.“
„HörenSie“sagtderPolitiker,„eswärevielbesser,wennSieinIhremBürosäßenundArtikelschriebenüberProbleme,dienichtsoschwierigsind.“
„DasfindeichnichtsointeressantundauchnichtsowichtigfürdieEntwicklung
meinesFaches.Alsowarumsollteichdastun?“antwortetderProfessor.
„Aberdasistgenaudas,waswirimEffektivitätsausschusserreichenwollen.Die
Wissenschaftler sollen nicht über Probleme nachdenken, die zu schwierig sind,
sondern sich auf solche Probleme konzentrieren, welche die Veröffentlichungsrateerhöhen.DannkönnenunserenumerischenKriterienihreArbeitaufeinfacheWeisemessen,undwirkönnendieQualitätIhrerArbeitunmittelbarfeststellen.“
„Ichglaubedasnicht.Alsowarumsollteichdastun?“antwortetderProfessor.
DerPolitikerdrängtmehrundmehrundfährtfort:
„WennSieunserennumerischenMaßstäbengemäßPublikationspunkteerzielen,
werdenandere–unddasschließtmichein-diesbesserschätzen,undSiewerdendieChancebekommen,vieleForschungsmittelfürIhreweitereArbeitzuerhaltenunddieMöglichkeitvieleMenschenzubeschäftigen.“
„DannlöseichmeinProblemnicht.DannmussichdiemeisteZeitmitFührungsaufgabenundManagementverbringen,anstattsieaufmeinProblemzuverwenden.“
„WennSieArtikelübereinfachereProblemeschreiben,dannkönnenSieüberso
große Mittel verfügen, dass Sie auch einen Leiter einsetzen können. Vielleicht
bekommenSiesogarIhreeigeneAbteilung.“
„Dasreiztmichnicht.“sagtderProfessor.„MehrMenschenlösenmeinProblem
auchnicht,undmichwirdesnurablenken.“
„Dasglaubeichnicht.“sagtderPolitiker.„WirsindderMeinung,dass,wennwir
Geldgeben,sodasssichdasVolumenvergrößert,dannsteigtauchdieQualität".
„Unsinn!“ sagt der Professor, und nun beginnt die Stimmung ein wenig angespanntzuwerden.DerPolitikeristansolcheDebattengewöhntundversuchtes
erneut.
„Wäre es nicht wunderbar, wenn Sie eine große Gruppe von Wissenschaftlern
beschäftigtenundIhreeigeneAbteilunghätten,wojederanIhremProblemarbeitenwürde?“
„Wassollichdanntun?“fragtderProfessor.
DerPolitikeristjetztvollständigverwundertundantwortet:
„DannkönntenSiesicheinfachirgendwohinsetzenundinRuhenachdenken.“
„Aberdasistgenaudas,wasichtue“antwortetderProfessor.
Der Politiker hört die Antwort kaum und verschwindet zu seinem Treffen mit
dem Effektivitätsausschuss. Vielleicht mit einigen neuen Gedanken und einem
HauchvonNeid?
Freinach:HeinrichBöll,„AnekdotezurSenkungderArbeitsmoral“.
ÜbersetzungausdemNorwegischeninsDeutsche:MarkusSzymik.
NilsA.Baas
InstitutfürMathematik
NTNU
N–7491Trondheim
Norwegen
Email:[email protected]