Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland 25/2016 Burkhard Wilke Zur Situation des deutschen Spendenwesens im Jahr 2016 Einleitung Dieser Beitrag dokumentiert wichtige Entwicklungen des deutschen Spendenwesens im zu Ende gehenden Jahr 2016. Die statistischen Erkenntnisse zur Spendenentwicklung in Deutschland sind nach wie vor lückenhaft, und die einzelnen Erhebungen bedienen sich zudem teils unterschiedlicher Begriffe und Methoden. Deshalb kann sich der Zahlenteil dieser Situationsbeschreibung nur darauf beschränken, die vorhandenen Teile des Mosaiks so abzubilden und zueinander in Beziehung zu setzen, dass zumindest ansatzweise ein Gesamtbild erkennbar wird. 1. Spendenentwicklung Folgt man der Datensammlung „Spendenjahr 2016: Trends und Prognose“, die Mitte November 2016 vom Dachverband Deutscher Spendenrat e.V. und der GfK SE Panel Services Deutschland vorgelegt wurde, so hat sich das Spendenaufkommen von Januar bis September 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum zwar um 9,9 Prozent verringert, liegt damit aber immer noch um 2,3 Prozent über dem Niveau von 2014 und 8 Prozent höher als 2013. Die Spendensumme in den ersten neun Monaten 2016 beziffern Spendenrat und GfK auf 3,1 Milliarden Euro (Januar bis September 2015: 3,3 Mrd. Euro), und die Zahl der Spendenden auf 17,8 Millionen (Januar bis September 2015: 18,4 Mio.). Ausschlaggebend für den Rückgang dürfte ein „Normalisierungseffekt“ sein, da 2015 mit den vom DZI auf 116 Mio. Euro bezifferten Sonderspenden anlässlich der Erdbebenkatastrophe in Nepal sowie zugunsten von Flüchtlingen (2015 gemäß DZI-Erhebung: 117 Mio. Euro) zwei besondere, durch die Medien stark kommunizierte Spendenanlässe zu verzeichnen waren, 2016 jedoch keine. Bezieht man allerdings die langjährige Spendenentwicklung in die Betrachtung ein, so zeigt sich auch für 2016 die Fortsetzung einer stetigen Zunahme des Spendenvolumens jenseits katastrophenbedingter Sonderentwicklungen, die auch durch den DZI Spenden-Index bestätigt wird. Dieser Index wird im gerade neu erschienenen DZI Spenden-Almanach 2016 dokumentiert und auch methodisch erläutert. Einen internationalen Vergleich – zumindest – der Spenderquote ermöglicht seit 2010 der online kostenfrei abrufbare WORLD GIVING INDEX der britischen Charities Aid Foundation (CAF). Berichts- und Erhebungsjahr klaffen hier jeweils um ein Jahr auseinander. Die Daten des im Oktober 2016 veröffentlichten WORLD GIVING INDEX 2016 wurden im Jahr 2015 Seite 1 von 5 durch das Meinungsforschungsinstitut Gallup in 140 Staaten weltweit erhoben. In Deutschland ist danach die Spenderquote in der Bevölkerung (15 Jahre und älter) 2015 auf 58 Prozent gestiegen (2014: 49 Prozent). Das dürfte auf die oben bereits geschilderten zwei Sonderentwicklungen im vergangenen Jahr zurückzuführen sein. Im sechsjährigen Vergleich (2009-2015) liegt die deutsche Spenderquote gemäß World Giving Index stabil um 47 Prozent und gemäß den Erhebungen des Deutschen Spendenrats e.V. mit der GfK ähnlich zuverlässig im Bereich von 27 Prozent. Der deutliche Niveauunterschied zwischen beiden Untersuchungen könnte damit zusammenhängen, dass Spendenrat und GfK die Bevölkerung bereits ab 10 Jahren berücksichtigen, der World Giving Index aber erst ab 15 Jahren. Hinsichtlich der längerfristigen Entwicklung können zusätzlich die Ergebnisse des Deutschen Freiwilligensurveys herangezogen werden, der im Frühjahr 2016 mit den Zahlen der Erhebungswelle 2014 veröffentlicht wurde. Hier zeigt sich eine sinkende Tendenz der Spendenbeteiligung (Bevölkerung ab 14 Jahren): von 63,4 Prozent (1999) über 63,9 Prozent (2004, Sonderfaktor Tsunami-Spenden) sowie 58,1 Prozent (2009) auf 54,4 Prozent (2014). Der Rückgang betrifft alle Einkommensgruppen, aber besonders stark die Personen mit geringen Einkommen. Als mögliche Erklärungsgründe nennt der Freiwilligensurvey Tendenzen einer Entsolidarisierung sowie einer Abkehr von Geldspenden hin zu „Zeitspenden“, das heißt zum freiwilligen Engagement. Weitere Einzelheiten der Spendenstatistik im neuen Freiwilligensurvey beschreiben Nicole Hameister und Claudia Vogel in ihrem Beitrag im neuen SpendenAlmanach 2016. Die privaten Haushalte haben in Deutschland den Berechnungen des DZI zufolge im Jahr 2015 knapp 7 Mrd. Euro Geldspenden für gemeinnützige Zwecke geleistet und somit 4,4 Prozent mehr als 2014 (6,7 Mrd.). Bereinigt um die katastrophenbedingten Sondereffekte beträgt die Zunahme 2,4 Prozent. Diese Hochrechnung stützt sich auf den DZI Spenden-Index und auf Berechnungen des Spendenvolumens privater Haushalte, die das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2011 für das Bezugsjahr 2009 veröffentlicht haben. Für den nach wie vor beträchtlichen Unterschied zu dem von Spendenrat und GfK angegebenen Spendenvolumen (2015: 5,5 Mrd.) gibt es keine vollständig befriedigende Erklärung. Ein Grund dürfte sein, dass vom Spendenrat Einzelspenden von über 2.000 Euro nicht berücksichtigt werden. Blickt man zusätzlich auch auf die Daten des Statistischen Bundesamts, nach dessen vorläufigen Angaben 2012 rund 6,7 Mrd. Euro Spenden steuerlich geltend gemacht wurden, so wird deutlich, dass das Spendenvolumen 2015 insgesamt wohl mindestens bei den 7 Mrd. Euro liegen dürfte, die vom DZI hochgerechnet wurden. Neuere Aufschlüsse sind von aktualisierten Auswertungen auf Grundlage des Sozioökonomischen Panels (SOEP) zu erwarten, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) derzeit vorbereitet. Über die Aufteilung der Spenden auf unterschiedliche gemeinnützige Zwecke gibt die BILANZ DES HELFENS 2016 Auskunft. Sie wurde im März 2016 vom Deutschen Spendenrat e.V. und Seite 2 von 5 der GfK vorgestellt. Danach verteilten sich die Spenden 2015 wie folgt auf die einzelnen gemeinnützigen Themen: • 79,3 Prozent Humanitäre Hilfe, • 5,3 Prozent Tierschutz, • 2,4 Prozent Kultur- und Denkmalpflege, • 2,1 Prozent Umwelt-/Naturschutz, • 2,5 Prozent Sport und • 8,4 Prozent sonstige gemeinnützige Zwecke. Eindeutige Angaben oder auch nur Schätzungen zur Gesamtzahl der Spendenorganisationen in Deutschland gibt es nicht – schon allein deshalb, weil die Bezeichnung „Spendenorganisation“ nicht klar definiert ist. Der 2013 veröffentlichte „ZIVIZ-SURVEY 2012“ von Dr. Holger Krimmer und Jana Priemer bietet eine umfassende Bestandsaufnahme der zivilgesellschaftlichen Strukturen in Deutschland im Jahr 2012. Neben den Themen „Bürgerschaftliches Engagement und bezahlte Arbeit“, „Finanzielle Ressourcen“ sowie „Drittsektor-Organisationen zwischen Zivilgesellschaft und Markt“ wird auch die Grundstruktur des zivilgesellschaftlichen Sektors statistisch aufgeschlüsselt. Demzufolge gab es im Jahr 2012 in Deutschland • 580.284 eingetragene Vereine, • 17.352 Stiftungen bürgerlichen Rechts, • 10.006 gemeinnützige GmbHs sowie • 8.502 Genossenschaften. Der Sektor finanzierte sich dem ZIVIZ-SURVEY 2012 zufolge zu 41 Prozent aus Mitgliedsbeiträgen, zu 27 Prozent aus selbsterwirtschafteten Mitteln, zu 20 Prozent aus Spenden- und Sponsorengeldern, zu 10 Prozent aus öffentlichen Mitteln und zu 2 Prozent aus sonstigen Einnahmen. Spenden- und Sponsorengelder sind in der Studie nicht separat voneinander ausgewiesen. Ein aktualisierter ZIVIZ-Survey ist für das Bezugsjahr 2016 geplant. Die Zahl der eingetragenen Vereine wird seit vielen Jahren auch von der V&M Service GmbH erhoben (www.npo-info.de). Diese weist zuletzt für 2014 die Zahl von 588.801 eingetragenen Vereinen aus. Sie verteilten sich auf die Vereinszwecke wie folgt: Seite 3 von 5 Freizeit/Heimatpflege Soziales/ Wohlfahrtspflege Sport Berufs-/Wirtschaftsverbände/Politik Interessenvereinigungen/Bürgerinitiativen Kunst/Kultur Umwelt/Natur Sonstige Gesamtzahl Vereine im Jahr 2014 202.774 107.391 90.724 90.328 52.089 28.556 8.665 8.274 588.891 34,4 % 18,2 % 15,4 % 15,3 % 8,9 % 4,9 % 1,5 % 1,4 % 100 % Ende 2015 gab es nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Stiftungen e.V. 21.301 Stiftungen bürgerlichen Rechts. Zur Anzahl nicht eingetragener Vereine und kirchlicher Stiftungen gibt es für Deutschland im Übrigen keine genauen Schätzungen. Spenden nehmen alle zivilgesellschaftlichen Organisationen gern entgegen. Aber nur ein kleiner Teil, geschätzt 2.000 bis 3.000, wirbt regelmäßig, systematisch und überregional um Spenden. 2. Wichtige Ereignisse und Entwicklungen Hilfe für die Betreuung und Integration geflüchteter Menschen war in Deutschland auch 2016 das am stärksten wahrgenommene einzelne Thema im bürgerschaftlichen Engagement. Zwar wurde die politische und gesellschaftliche Debatte darüber viel kontroverser geführt als in der zweiten Jahreshälfte 2015, jedoch berichten die Wohlfahrtsverbände auch Ende 2016 von einer starken, nicht wesentlich nachlassenden Engagementbereitschaft in großen Teilen der Bevölkerung. Wie sehr sich dies auf das Spendenvolumen 2016 auswirken wird, ist nur schwer zu erheben, da die Hilfe noch mehr als 2015 von lokalen Initiativen und Einrichtungen getragen wird. Das DZI hat deshalb auf eine vergleichbare Erhebung der Spenden für Flüchtlingshilfe, wie es sie für 2015 noch durchgeführt hatte, verzichtet. Im Frühjahr 2016 kündigte die Unternehmerin Susanne Klatten eine Spende von 100 Mio. Euro an, die im Rahmen der so genannten SKala-Initiative durch die gemeinnützige PHINEO AG bis 2020 an etwa 100 gemeinnützige Organisationen aus vier Themenbereichen weitergeleitet werden soll. Frau Klatten verlagert damit ihr bisheriges Stiftungsengagement (Herbert Quandt-Stiftung) hin zu einer wirkungsorientiert gesteuerten Spendenpraxis. Das Beratungs- und Analysehaus PHINEO, das bisher schon gemeinnützige Projekte prüft, sowie gemeinnützige Organisationen und auch Großspender berät, hat mit der Aufgabe des Zuwendungsgebers in der SKala-Initiative nunmehr insgesamt vier wesentliche Rollen übernommen. Ob und inwiefern dies zu Rollen- und Interessenkonflikten führt, wird im Bereich der zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen bisher bemerkenswert wenig diskutiert. Seite 4 von 5 Die 2010 gestartete „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ konnte die Zahl der ihr angeschlossenen Unterzeichner auch 2016 um rund 100 erhöhen. Ende 2016 haben sich etwas mehr als 800 Organisationen und Einrichtungen (Dezember 2015: 700) zur Veröffentlichung der zehn von der ITZ festgelegten Basisinformationen entschlossen. Dieses niedrigschwellige Transparenzinstrument wird federführend von Transparency International Deutschland betrieben und von einem Trägerkreis koordiniert, dem unter anderem auch das DZI angehört. Im 2. Halbjahr 2016 hat das DZI im Rahmen eines Pilotprojekts die Überprüfung der Einhaltung der ITZ-Selbstverpflichtung unterstützt, die bisher von drei ehrenamtlichen Mitarbeitern bei Transparency International Deutschland e.V. allein durchgeführt worden war. Mit den dabei gewonnenen Erfahrungen sollen Planungen bei Transparency International Deutschland und im Trägerkreis unterstützt werden, die darauf zielen, mittelfristig die Anzahl der Unterzeichner der ITZ deutlich zu erhöhen und die ITZ als eigenständiges, niedrigschwelliges Transparenzangebot bestmöglich mit anderen Transparenzinstrumenten in der Zivilgesellschaft, wie etwa den qualifizierten Auskünften der DZI Spenderberatung, zusammenwirken zu lassen. Zwei neue Foren haben sich 2016 gegründet, um die zivilgesellschaftliche Forschung in Deutschland voranzubringen: Im September konstituierte sich als Projekt der ZiviZGeschäftsstelle das „Forum Zivilgesellschaftsdaten“, und im November fand die erste Sitzung des bei der Maecenata Stiftung angesiedelten Tocqueville Forums statt. Das DZI beteiligt sich an beiden neuen Foren insbesondere im Themenfeld Spendenstatistik. Autor Burkhard Wilke, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI). Kontakt: [email protected] Redaktion BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin Tel: +49 30 62980-115 [email protected] www.b-b-e.de Seite 5 von 5
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