PREIS DEUTSCHLAND 4,90 € 101158_ANZ_10115800005367 [P].indd 1 DIEZEIT 15.01.16 09:12 WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R UTOPIEN DIE ZEIT im Taschenformat. Jetzt für Ihr Smartphone! www.zeit.de/apps 15. DEZEMBER 2016 No 52 15.01.16 09:11 101159_ANZ_10115900005368 [P].indd 1 Das kleine Glück Wo selbst bei düsterer Weltlage und grauer Stimmung Freude wartet Z – Zeit zum Entdecken, Seite 60 Titelfoto [M]: Greg Pease/Getty Images Die Suche nach einer besseren Welt Alles aus Tradition Was eine Gans so alles erlebt, bevor sie zum Braten wird Seit 500 Jahren treibt Menschen die Frage um, wie eine gerechte Weltordnung aussehen könnte. Wer sind die Idealisten, die heute noch alles ändern wollen? FEUILLETON Wissen, Seite 40 SYRIEN RUSSLAND Hölle auf Erden Immer ist es Putin Kriegsverbrechen lohnen sich wieder – und die ganze Welt schaut zu. Das ist die bittere Wahrheit von Aleppo VON ANDREA BÖHM A m Dienstagabend, als diese Zeilen geschrieben wurden, befanden sich noch Zehntausende Zivilisten in den Ruinen von Ost-Aleppo, während sich ein Abkommen an‑ bahnte, das den letzten Rebellen den Abzug aus der Stadt ermöglichen sollte. In den Straßen lagen Leichen, die niemand mehr zu bergen gewagt hatte. Die Vereinten Nationen be‑ richteten am Dienstag von Massakern durch ein‑ rückende Assad-Truppen. In Aleppo, so ein UN-Sprecher, zeige sich ein »kompletter Kollaps der Menschlichkeit«. Nein, es ist nicht der erste Kollaps der Menschlichkeit in der jüngeren Geschichte – wo wüsste man das besser als in Deutschland? Aber es ist der erste, der sich auf YouTube, Twitter und WhatsApp live verfolgen ließ. Oppositio‑ nelle Syrer haben in Echtzeit die Zerstörung ih‑ rer Städte, die Bombardierung von Hospitälern, Märkten und Schulen, den Einsatz von Giftgas und Fassbomben und ihr Warten auf den Tod dokumentiert. Anfangs taten sie das in dem Glauben, ihre Zeugenschaft würde die Welt zum Handeln bewegen, aber nichts geschah. Statt‑ dessen ernteten sie zahllose Emoticons und Likes, aber auch jede Menge Beschimpfungen als »Lügner«, »Fälscher« oder »Handlanger von Ter‑ roristen«. Weiterhin werden Orte mit mehr als einer Million Menschen belagert Nur wenige Jahre nach Ruanda und Srebrenica und all den »Nie wieder«-Schwüren steht fest: Es ist wieder passiert – und dieses Mal haben wir nicht nur davon gewusst, wir haben auch genau hingesehen. Ost-Aleppo ist verloren. Das Min‑ deste ist, zu benennen, was da vor den Augen der Welt zerstört worden ist: zuallererst ein Sinnbild für den Beginn der Arabellionen, an den sich heute kaum einer mehr erinnern mag. Denn im Ostteil Aleppos war zunächst genau das entstan‑ den, worauf die Menschen im Nahen Osten so sehr gehofft und was die Autokraten der Region so gefürchtet hatten: Die Bewohner einer halben Großstadt zeigten eine politische Alternative zur Diktatur auf, geschützt von moderaten Rebellen, die sich zudem als schlagkräftige Truppe gegen den »Islamischen Staat« erwiesen. Zerstöre Ost-Aleppo, und du zerstörst den Kern des Aufstands. Nach diesem Motto hat das Regime zusammen mit seinen Verbündeten Russland, Iran und der libanesischen HisbollahMiliz so ziemlich jede Waffe eingesetzt, die völker rechtlich geächtet ist. Nichts davon entschuldigt Verbrechen der Rebellen gegenüber Zivilisten im Westteil durch Artilleriebeschuss. Aber das Arsenal der Assad-Allianz – die Fass‑ bomben, Brandbomben und vor allem der Ein‑ satz von Hunger als Waffe – hat nicht nur Aber‑ tausende getötet und den bewaffneten Wider‑ stand radikalisiert und islamisiert. Es hat auch ein verheerendes Zeichen für die Diktatoren in anderen Ländern gesetzt: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit lohnen sich wieder. Solange sie als »Kampf gegen den Terror« verpackt wird, ist (fast) jede Gewalt ge‑ gen die eigene Bevölkerung erlaubt. Die westlichen Staaten werden Betroffenheit zeigen, aber sie werden nichts tun. Ost-Aleppo ist verloren – und damit auch die letzte Chance auf einen Verhandlungsprozess. Die politische Opposition gegen Assad ist erle‑ digt und sieht sich von all ihren internationalen Sponsoren – den USA, der EU, der Türkei und den Golfstaaten – verraten und verkauft. Der Name Aleppo wird, so steht zu befürch‑ ten, zum Fanal für radikalisierte Sunniten wer‑ den, die in der Zerstörung dieser sunnitischen Hochburg eine weitere Kriegserklärung der Schi‑ iten sehen. Der Fall von Ost-Aleppo markiert somit nicht den Anfang vom Ende des Krieges, sondern den Beginn eines neuen Stadiums. Nicht wenige westliche Politiker würden über Syrien jetzt am liebsten den Sargdeckel zu‑ schlagen und »Wir konnten leider nichts tun« auf den Grabstein schreiben. Aber so einfach kommen Europa und Deutschland nicht davon. Noch sind in Syrien größere Gebiete in den Händen der Opposition. Weiterhin werden 36 Orte mit rund einer Million Menschen belagert, fallen auch anderswo Fassbomben. All die Op‑ tionen, die bislang aus schierer Feigheit nicht ge‑ nutzt worden sind, liegen immer noch auf dem Tisch: Luftbrücken für Hilfsgüter, Sanktionen gegen syrische und russische Verantwortliche für Kriegsverbrechen und, ja, die Drohung, militä‑ risch gegen die Bombardierung der Zivilbevöl‑ kerung einzuschreiten. Diese Revolution mag verloren sein. Aber Hunderttausende Menschen sind noch zu retten. www.zeit.de/audio Erst Donald Trump, dann Angela Merkel: Kann der Kreml wirklich die Wahlen im Westen manipulieren? VON ALICE BOTA W ladimir Putin muss der mäch‑ tigste Mann der Welt sein. Wie sonst sollte er in der Lage sein, in Syrien brutale Fakten zu schaffen, in Amerika den Präsidenten zu installieren, in Deutschland der AfD bei der Bundestagswahl 2017 zu helfen und in Frankreich – abwarten! – Marine Le Pen an die Staatsspitze zu bringen? Noch sind es lediglich Indizien, die darauf hindeuten, dass Russland hinter den Hacker- Angriffen in den USA stecken könnte. Warten wir also die Beweise ab und fragen derweil, wie Russland, vorgestern noch eine »Regionalmacht« (Obama), so mächtig werden konnte. In Syrien ist Putins Macht real, und er setzt sie unmensch‑ lich ein. In Amerika und Europa aber machen ihn die Ängste des Westens mächtiger, als er ist. Während Europa die Auflösung der EU fürch‑ tet, ist Putin seiner repressiven Politik treu geblie‑ ben, nach innen wie außen – von Hacks, Handels‑ boykotten und Energieengpässen können nicht nur die Balten viel erzählen, sondern die meisten Völker, die in der angeblichen »Einflusssphäre« Russlands leben. Was hybrider Krieg bedeutet, erfahren die Ukrainer noch immer schmerzlich. Wenn also die deutschen Geheimdienste nun vor russischer Einmischung warnen, dann erinnert das vor allem daran, auf welchen Illusionen die politische Partnerschaft mit Russland lange fußte. Man kann auch sagen: Wladimir Putin ist sich treu geblieben, der Westen aber erlebt eine Zeit tiefster Unsicherheit. Putin ist nicht der Verursacher der Krise der liberalen Demokratie. Er ist ihr Nutznießer Die Zukunft der Europäer steht auf dem Spiel, die Nationalisten sind auf dem Vormarsch. In Ame‑ rika gefährdet die Wahl Trumps die transatlanti‑ schen Beziehungen, wie wir sie kennen. Etwas geht zu Ende, aber das Neue hat noch nicht begonnen. Das macht anfällig. Aus dieser Schwäche erwächst Putins Stärke. Er ist nicht der Verursacher der Krise der liberalen Demokratie. Er ist ihr Nutznießer. Aleppo wurde zerstört, weil sich der Westen zu keiner Strategie durchringen konnte. Die dem Kreml hochwillkommenen rechten Parteien in Europa, von der ungarischen Jobbik bis zum französischen Front National, sind nicht dank russischer Hilfe stark (auch wenn Le Pen Kredit von einer russischen Bank bekam), sondern dank Bruder Franziskus zum Achtzigsten Vier Jesuiten sagen, was sie an ihrem Papst schätzen Glauben & Zweifeln, Seite 58 PROMINENT IGNORIERT frustrierter Wähler. Trumps Wahlsieg spiegelt zu‑ allererst den Zustand der amerikanischen Gesell‑ schaft wider. Nun riskiert der neu gewählte Prä‑ sident, der unverhohlen seine Geschäftsinteressen über das Gemeinwohl stellt, über die Russland‑ frage den Bruch mit der eigenen Partei. Mit den Geheimdiensten überwirft er sich, noch bevor er sein Amt angetreten hat. Trumps Berufung von Männern, die sich durch private Geschäftsinteressen zu Russland auszeichnen, fällt in eine Zeit, in der zumindest ein Teil der europäischen Eliten sich von Illusio‑ nen über das russische Machtsystem verabschie‑ det. Deutsche Politiker nehmen die Gefahren ernst, die von der Desinformationskampagne russischer Staatsmedien über Flüchtlinge aus gehen, und die deutschen Nachrichtendienste sind alarmiert. Hoffentlich werden daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Das kleine Estland ist nach den russischen Cyber-Attacken führend bei Cyber-Sicherheit geworden. Aber deutsche Sze‑ narien über den hybriden Krieg lassen Putin so mächtig erscheinen, als könnte er glatt zum Kanzlermacher werden. Nun lässt sich sagen, dass es nicht weiter schlimm ist, Putin zu überschätzen. Dann werden die westlichen Geheimdienste eben vorsichtiger, die Politiker wachsamer. Holen nach, was sie zu‑ vor versäumt haben. Damit aber tun sie, erstens, dem Kreml einen enormen Gefallen. Und zwei‑ tens sollte man sich hüten, bei der Verteidigung der liberalen Demokratie Sprache und Denkweise des Kremls zu übernehmen. Wer vom Informati‑ onskrieg spricht, in den man ziehen müsse, wie‑ derholt fast wörtlich Putins Doktrin über Infor‑ mationssicherheit. Wer russische Staatsmedien zu »ausländischen Agenten« erklären will, greift auf die Instrumente des Kremls zurück. Und wenn immerzu Putin hinter allem steckt, dann ist die eigene Verantwortung keine Kategorie mehr. Doch die Deutschen sind dafür verantwort‑ lich, ob die AfD 20 Prozent bekommen wird, nicht der Kreml. Die Franzosen sind dafür ver‑ antwortlich, wenn Le Pen Präsidentin wird. Und die Österreicher sind dafür verantwortlich, gerade einen Rechten als Präsidenten verhindert zu haben. Allen voran die jungen, gut ausgebilde ten Frauen haben offenbar eine immunisierende Waffe gegen den Info-Krieg und die Macht der Populisten gefunden: den kühlen Verstand. www.zeit.de/audio Schaf, Wolf, Esel Dass in Niedersachsen am Deich die leckeren Schafe weiden, haben die Wölfe längst gemerkt. Immer häufiger fallen sie über die Tiere her. Da Zäune teuer sind, schaffen sich manche Landwirte Esel an. Fürchtet der Wolf den Esel und seinen Schrei? Einerseits. Anderer‑ seits: Wer das Kinderbuch Pu der Bär kennt, weiß, dass I-Aah derart melancholisch ist, dass dem Wolf die Tränen kommen und ihm der Appetit vergeht. GRN. Kleine Bilder (v. o.): Willing-Holtz/plainpicture; A. Haifisch für DZ; C. Jaspersen/dpa PictureAlliance Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, 20079 Hamburg Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail: [email protected], [email protected] ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de ABONNENTENSERVICE: Tel. 040 / 42 23 70 70, Fax 040 / 42 23 70 90, E-Mail: [email protected] PREISE IM AUSLAND: DK 49,00/FIN 7,50/N 66,00/E 6,10/ CAN 6,30/F 6,10/NL 5,30/ A 5,00/CH 7.30/I 6,10/GR 6,70/ B 5,30/P 6,30/L 5,30/H 2090,00 o N 52 7 1. J A H RG A N G C 7451 C 52 4 190745 104906
© Copyright 2024 ExpyDoc