Jeremy Denk Mittwoch 14. Dezember 2016 20:00 Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese unbedingt zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen. Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird. Jeremy Denk Klavier Mittwoch 14. Dezember 2016 20:00 Pause gegen 20:25 Ende gegen 21:45 19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz PROGRAMM Franz Schubert 1797 – 1828 Fantasie C-Dur op. 15 D 760 (1822) »Wandererfantasie« Allegro con fuoco ma non troppo – Adagio – Presto – Allegro Pause Charles Ives 1874 -1954 Sonate für Klavier Nr. 2 (Concord, Mass., 1840 – 60) (um 1916 – 19, rev. 1920er– 40er Jahre) Emerson. Slowly Hawthorne. Very fast The Alcotts Thoreau. Starting slowly and quietly 2 ZU DEN WERKEN Aus dem alten Europa Franz Schuberts Wandererfantasie In seiner Wandererfantasie vereine Franz Schubert »ein ganzes Orchester in zwei Händen« äußerte der Komponist Robert Schumann. Dieses Klavierwerk beeinflusste die romantische Musiksprache essentiell. Schubert, der neben dem gefeierten Ludwig van Beethoven in Wien lebte, gelang 1822 eine hochvirtuose, stürmische Tondichtung in der freien Form einer Fantasie. Motivische Grundlage und poetischer Kern der 20-minütigen Komposition ist eine Passage aus seinem Lied Der Wanderer D 493 (1817). »Ich wandle still, bin wenig froh« heißt darin eine programmatisch wiederholte Zeile. Konkrete Grundlage der Klavierfantasie ist die Musik zur zweiten Strophe des Liedes: »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, Die Blüte welk, das Leben alt, Und, was sie reden, leerer Schall, Ich bin ein Fremdling überall.« Deutlich erkennbar taucht die Gesangsmelodie samt Klavierbegleitung aber nur zu Beginn des langsamen Adagio-Abschnitts auf. Doch alle Teile der Fantasie sind von ihrem prägnanten Schreit-Rhythmus geprägt (lang-kurz-kurz-lang). Beschleunigt und akkordisch verdichtet markiert er mottohaft den Anfang der Fantasie und kehrt im grandiosen Fugenthema ganz am Ende wieder. Dazwischen erlebt das Zitat feinere Verwandlungen, etwa als lyrischer Seitengedanke im Eingangs-Allegro. Im Presto-Abschnitt wird der Rhythmus sogar in den ¾-tel-Takt eines Scherzo gepresst. Der erste Abschnitt soll feurig interpretiert werden und verschreckt durch seine brillante Fassade auch heute noch so manchen Schubert-Fan. Zwar steht als Grundtonart C-Dur über der Komposition, doch wird in ihr ein weiter harmonischer Weg »durchwandert«. Die Reise geht im Eingangs-Allegro über E-Dur, Es-Dur, As-Dur, Des-Dur, c-Moll, Ges-Dur und fis-Moll zurück nach C-Dur. Die Form öffnet sich dabei dynamisch. Gemäß der klassischen Sonatenform-Ästhetik könnte man das einleitende 3 Allegro con fuoco als Exposition (zweier Themen) und (verarbeitende, dramatische) Durchführung bezeichnen. Die Reprise fehlt aber, denn nach einer chromatischen Rückung schließt sich direkt das Adagio in cis-Moll mit dem Liedzitat an. Dem Thema folgen mehrere Variationen, dabei wird die Musik allmählich in 64tel-Passagen aufgelöst, zerfließt förmlich unter den Händen des Pianisten. Dem robusten As-Dur-Scherzo mit seinem zarten Trio folgt ein Schlussabschnitt, der durch die stolze Allegro-Fuge gekennzeichnet ist. Doch streng ist auch hier nur der Beginn. Erneut ergreift die freie Fantasie das Zepter. Rauschende Spielfiguren mischen sich ein und gipfeln in einer fulminanten Coda. Ungemein kunstvoll gelingt es Schubert, Sonaten-Elemente, Fugenelemente und Variationsprinzipien in eine eigenständige Form zu gießen. Völlig neu ist dabei seine Idee, ein poetisches Motto als Grundlage eines längeren Klavierstücks zu wählen. Das Motiv des heimatlosen Wanderers ist allerdings ein urromantisches Thema. Nahezu zeitgleich entwickelte der britische Dichter Lord Byron seinen berühmten Weltschmerzhelden Manfred. Solch ein leidenschaftlicher, rastloser, verletzlicher und einsamer Mann begegnet uns einige Jahre später auch in Schuberts Liederzyklus Winterreise D 911 als Psychogramm eines Künstlers. Die Wandererfantasie ist dazu das mitreißende Vorspiel. Kein Wunder, dass der Pianist Franz Liszt das Stück liebte und es sogar 1851 für Klavier und Orchester bearbeitete. Aus der neuen Welt Charles Ives’ Concord Sonata »Als Amerikas bedeutendsten Komponisten« ehrte der in die USA emigrierte Österreicher Ernst Krenek seinen Kollegen Charles Ives in dessen Todesjahr 1954. Noch vor Arnold Schönberg und Igor Strawinsky soll Ives in der Abgeschiedenheit New Englands avantgardistische Techniken ausprobiert haben. Doch auch die Marschmusik begeisterte den Sohn eines Militärkapellmeisters. Komposition studierte er an der altehrwürdigen Yale University beim Komponisten und Organisten Horatio Parker, sein 4 Brot verdiente er allerdings als Versicherungsagent. »Er war ein Verfechter aggressiver Verkaufsmethoden, versiert in der Kunst, Leuten Policen anzudrehen, die sie eigentlich gar nicht gewollt haben«, erklärt der New Yorker Musikjournalist Alex Ross in seinem Buch-Beststeller The Rest is Noise (2007). Seine rabiaten Drückermethoden fasste Ives in der Schrift The Amount to Carry (Was man mitnehmen muss) zusammen. Das aus Europa importierte Musikleben beäugte er kritisch oder ignorierte es einfach. Für die Kunst des Einzelgängers gab es darin kein Podium. Da er vom Kulturbetrieb aber nicht wirtschaftlich abhängig war, begegnete er diesem »Desinteresse mit Verachtung«, bemerkte Schönberg geradezu neidisch. Ives selbst behauptete mit der ihm eigenen Arroganz: »Vielleicht wird die Kunst erst geboren, wenn der letzte Mensch, der von der Kunst leben will, für immer von der Bildfläche verschwunden ist.« Seine Stücke komponierte Ives in seiner Freizeit. Mit dem Pioniergeist eines »anything goes« setzte Ives auf die Fusion von Kunst- und Alltagsmusik. Daher wirken seine Werke (darunter vier Sinfonien oder die Orchesterstücke Three Places in New England und The Unanswered Question) oft wie kunstvolle Collagen. Frech kreuzt er darin geistliche Hymnen, Märsche, Ragtime, populäre Songs und Volksmusik mit einer dissonant-modernen und metrisch kühnen Musik, verbindet das Hohe mit dem Banalen, setzt auf unkonventionelle Schichtungen des ›Materials‹. Seine im heutigen Konzert aufgeführte 45-minütige zweite Klaviersonate Concord für Klavier galt lange Zeit als unspielbar. Das in mehreren Fassungen existierende »Work in progress« symbolisierte für Ives die politische und geistige Unabhängigkeit Amerikas. Es ist unter anderem seinen transzendentalen Lieblingsphilosophen Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882) und Henry David Thoreau (1817 – 1862) gewidmet. So bildet Ives den Prototyp des selbstbewussten amerikanischen Komponisten fern europäischer Kunstdiktatur. Die Concord Sonata ist ein klingendes Manifest und nach Ives der »Versuch, den Geist des Transzendentalismus widerzuspiegeln«. Insofern erklärt sich auch der Beiname: Die Stadt Concord in Massachusetts war ein Mekka für Dichter und Philosophen der amerikanischen Romantik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 5 Hier lebten auch die erwähnten Literaten Emerson und Thoreau. In Concord entstand, wie das Zeitfenster im Werktitel »1840 – 1860« noch ergänzt, die geistige und ideelle Grundlage eines neuen Amerika. Ein optimistischer, aber von keinen Dogmen eingeschränkter Blick auf die Welt: der Natur zugewandt, eigenverantwortlich und freiheitlich. Ein Rest Geheimnis musste natürlich bleiben, neben der Mystik englischer Romantiker hinterließ auch die indische Philosophie Spuren. Die amerikanischen Transzendentalisten formulierten eine Aufbruchsstimmung. Diese gewann in den Jahren des ersten Weltkriegs und kurz danach, als Ives die Concord Sonata komponierte, neuen Auftrieb. Das Werk entstand in zwei Hauptphasen: 1911 bis 1915 und 1916 bis 1919. Einiges Material dieser Sonate ist noch früher datiert (so gibt es Entwürfe zu einer »Alcotts«-Ouvertüre oder einem »Emerson«-Klavierkonzert). Dem Erstdruck um 1920 folgte 1947 eine revidierte Version. Insofern ist es kaum übertrieben, von dem zentralen Ives-Werk überhaupt zu sprechen. Nachdem nur einzelne Sätze und Passagen daraus vorgestellt wurden, erfolgte die erste halböffentliche Komplettaufführung erst am 28. November 1938 in Cos Cob (Conneticut) durch John Kirkpatrick. Der amerikanische Pianist hatte unter anderem in Paris bei Nadia Boulanger studiert und war später Herausgeber von Ives’ Werken. Kirkpatrick spielte die Concord Sonata auch bei der New Yorker Premiere am 20. Januar 1939. Er hinterließ zwei wegweisende Aufnahmen von 1945 und 1968. Von Ives selbst sind mehrere hochinteressante, weil improvisatorisch bereicherte TonSchnipsel der Concord Sonata dokumentiert. Sie unterstreichen noch einmal den »Work in progress«-Charakter. Auch der mögliche Einbezug einer Bratsche (Kopfsatz) und einer Flöte (Finale) für nur wenige Takte ist einzigartig. Die Passagen können vom Pianisten jedoch übernommen werden. Zum Werk verfasste Ives die Textsammlung Essays before a Sonata, in dem er die Idee seines Werks und auch die Satzcharaktere umreißt. Bereits im ersten, dem Transzendentalisten Emerson gewidmeten Satz wurden Anspielungen auf alte europäische Komponisten wie Bach, Brahms, Chopin oder Wagner entdeckt. Die Amalgamierung in die eigene Musiksprache ist jedoch so eng, dass sie nur findigen Ohren auffallen mögen. 6 Bemerkenswert ist der Bezug zu Beethoven, konkret zum »Schicksalsmotiv« aus der fünften Sinfonie (dem Leitmotiv dieser Sonate). Daneben dürfte auch Beethovens Hammerklaviersonate op. 106 wegen ihrer Grenzen sprengenden Dimensionen Pate gestanden haben. Ein weiteres Leitmotiv ist Stephen Forsters populärer Minstrel-Song Massa’s in de Cold Ground (1852). Im Kopfsatz scheint der klassisch-romantische Sonatensatzes in groben Umrissen durch (Exposition-Durchführung/BallungReprise). In rasch wechselnden und dissonant geschichteten Tonarten werden die ›Bauteile‹ der Sonate vorgestellt. Allerdings gestaltet Ives seine Themen als wachsend-organische Gebilde (aus vielen Einzelzellen), keinesfalls als fest umrissene Melodien. Auf die fantastischen Kurzgeschichten des Amerikaners Nathaniel Hawthorne (1804 – 1864) verweist der zweite Satz mit seinen grotesken Stilsprüngen. Der Interpret soll ihn »so schnell wie möglich« spielen. Die Merkmale einer Collage kommen hier am stärksten zum Ausdruck, Ives zitiert im Verlauf sogar seinen früheren Country Band March. Das Sprunghafte der Musik verweist auf das »Abenteuerliche« in Hawthornes Geschichten, erklärt der Komponist in den begleitenden Essays before a Sonata. Es gehe nicht um das Ereignis an sich, sondern um »die Art, wie es sich ereignet«. Klanglich und spieltechnisch ist dies der bizarrste Satz der Concord Sonata. Für einen Cluster-Akkord über zwei Oktaven im Diskant ließ Ives sogar ein passendes Holzbrett anfertigen, das auf die Tastatur gedrückt werden muss. Wie eine Meditation über Beethovens »Schicksalsmotiv« startet der dritte Satz. Über diesen Gedanken und später über eine Passage aus dem Finale der fünften Sinfonie wird nach wenigen Sekunden anregend reflektiert. Gewidmet ist dieser Teil dem Schriftsteller und Lehrer Amos Bronson Alcott (1799 – 1888), der die undogmatischen Ideen der Transzendentalisten in seinem Unterricht an die Jugend vermittelte. Er begründete zudem eine erste sozialutopische Kommune des neuen Denk- und Lebensstils. In Alcotts Villa in Concord versammelte sich die schreibende und philosophierende Elite. Seine Tochter Louisa May Alcott war eine bekannte Jugendschriftstellerin – deshalb ist der Satz mit The Alcotts überschrieben. Ives Musik ist nun deutlich kontemplativer, aber auch kraftvoll-hymnischer als zuvor. 7 So entsteht ein nahtloser Übergang zum letzten, dynamisch aber noch weicher zu spielenden letzten Satz Thoreau (ein Forte soll jetzt nur noch einem Mezzopiano der vorherigen Sätze entsprechen). Die Musik Thoreaus während einer Auszeit in der Natur verfassten Buch Walden: Or Life in the woods (1854) gewidmet. In einer selbst erbauten Blockhütte am Ufer des Sees Walden Pont verfasste der Schriftsteller diesen Text und erklärte: »Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das Leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar.« Thoreau wollte weg vom Erfolgsdruck und »Gleichschritt« der industrialisierten USA. Die im Buch Walden aufgestellte Maxime »Wenn ein Mann nicht Schritt mit seinen Kameraden hält, dann vielleicht deshalb, weil er einen anderen Trommler hört« wird in der Concord Sonata insofern umgesetzt, als sich in der Partitur kaum einengenden Taktstriche finden und alle zwölf Stufen der Tonleiter einbezogen sind (wenn auch nicht in Schönbergs geschlossenem System). Der Charakter einer frei strömenden Improvisation liegt über diesem Schlussteil, der als transzendentaler Epilog auch den selbst denkenden, ungebundenen Menschen meint. Man kann dieses Finale im Sinne Ives als »impressionistisches Portrait« über den in der Natur nachdenkenden und im Einklang mit ihr lebenden Thoreau hören. Seine Meditationen werden »nur durch den fernen Klang der Glocken von Concord unterbrochen«, schreibt Ives. Zum deskriptiven Romantiker wird er aber nicht. Seine epochale Concord Sonata und die begleitenden Essays widmete er daher sarkastisch »jenen, die mit beiden nichts anfangen können«. Matthias Corvin 8 WEITERHÖREN Schroffe Wände Diskographische Anmerkungen zu Schuberts Wandererfantasie 1933 erhielt Charles Koechlin einen Auftrag vom damaligen Dirigenten der »Ballets russes«, Boris Kochno – für eine »choreographische Fantasie«. Koechlin orchestrierte Schuberts Wandererfantasie mit schillernden, fast exotisch anmutenden Farben, so wie man es, logischerweise, von der originalen Klavierfassung her eben nicht kennt. Wer also einen ungewöhnlichen Hör-Einstieg sucht, um sich mit diesem Werk vertraut zu machen, kommt an Heinz Holliger und dem RSO Stuttgart nicht vorbei. Die Aufnahme stammt von 2010 (hänssler). Wenn schon von Orchester die Rede ist, darf auch die Bearbeitung von Franz Liszt nicht unerwähnt bleiben. Liszt hat aus dem Solo-Klavierwerk ein Klavierkonzert gemacht. Dieser Fassung begegnet man sowohl im Konzertsaal als auf Tonträger des Öfteren, etwa mit Louis Lortie und dem Residentie Orchestra (Chandos), mit Michél Beroff und dem Gewandhausorchester Leipzig (EMI/Warner), mit Boris Berezovsky und dem New York Philharmonic (Warner) und – an erster Stelle – bei der herrlich ausgewogenen Einspielung mit Jorge Bolet und dem London Philharmonic Orchestra unter Georg Solti (Decca). Nun aber zu den originalen Klavierfassungen. Man kann mit dem überbordenden Beginn vieles anstellen, vor allem kann man ihn in einer Mischung aus Überschwang und Wucht auch verwässern, mit viel Pedal etwa, wie es Paul Lewis vorzieht (2011, HM); man kann dies, bei annähernd gleicher Verve aber auch trockener spielen, das wirkt kantiger und schroffer. So hat es der junge Evgeny Kissin gespielt (DG) – eine stürmische, aber nie nebelverdächtige Deutung dieser einzigen großen Fantasie, die Schubert für Klavier solo geschrieben hat, dieses Werk, das so radikal zwischen Aufbruch, Resignation, Kampfeswille und Melancholie hin- und herschwankt wie sonst allenfalls seine Spätwerke aus dem Todesjahr 1828. 9 All diese Brüche, diese Extreme hat Sviatoslav Richter ausgelotet, fulminant, furios, beklemmend, wenn auch vielleicht nicht immer von der klangschönsten Seite. Doch darum geht es Richter auch nicht primär: Er zeigt uns Schubert als einen Getriebenen, nicht als Idylliker (Warner). Diese Aufnahme ist in gewisser Weise Maßstab und unerreicht, aber auch Geschmackssache. So weit wie Richter wollen viele Pianisten dann doch nicht gehen, selbst solche, die Schuberts Klavierwerk in großen Teilen oder ganz aufgenommen haben wie Alfred Brendel (der das Werk dreimal eingespielt hat, darunter zweimal für Philips) oder Gerhard Oppitz (hänssler), dessen Aufnahme durch ein befremdlich wattiges Klangbild beeinträchtigt wird. Sucht man nach einem ähnlichen Ansatz wie bei Richter, der meist das Ruppige und Kalte dieser Musik hervorkehrt, um dann die Fallhöhe zum Innigen umso deutlicher hervortreten zu lassen, wird man wohl am ehesten bei Maurizio Pollini fündig, der die Wandererfantasie in den frühen 70er Jahren eingespielt hat – als eine Art Grand opéra für Klavier (DG). Wie man Richters Ansatz mildern kann, ohne den Gestus grundsätzlich zu ändern, wie man den einzelnen Tönen ein wenig Raum zum Ausklingen, ja vielleicht zum Ausatmen lässt, zeigen etwa Matthias Kirschnereit (Berlin classics) oder auch 1988 Elisabeth Leonskaja (Warner). Zugegeben, es ist schwierig, Aufnahmen zu finden, die die Wandererfantasie als einen Kosmos der Gegensätze, als Grenzwanderung zeigen – und gleichzeitig Schuberts liedhaften Ton einfangen. Murray Perahia kommt dieser Quadratur des Kreises relativ nahe (Sony), oder auch Wilhelm Kempff (DG), dessen SchubertAnsatz sich grundsätzlich durch eine Neigung zu kurzen, hammerklaviernahen Akkorden und ruhig kantablen Linien auszeichnet. Man sollte auch Julius Katchen nicht übergehen, den früh gestorbenen Amerikaner, dem jede saftige Pedalisierung fremd ist und der im Adagio eine gespenstische Ruhe erzeugt, um danach ein ebenso resolutes wie – in wenigen Takten nur – elfenhaftes Presto folgen zu lassen (Decca). Einer der wenigen Pianisten, die sowohl die Solo-Fassung als auch die konzertante Liszt-Version aufgenommen haben, ist 10 Clifford Curzon: 1937 entstand die Fassung mit Orchester (mit dem Queen’s Hall Orchestra und Henry Wood), 1954 dann eine ungemein poetische Deutung des Schubertschen Originals (Decca). Hat man den Beginn jemals so – ja, fast: zart gehört? Diese Aufnahme fällt in mancherlei Hinsicht aus dem Rahmen, nicht weil sie manieriert ist, sondern weil sie ein sehr eigenes Schubert-Bild zeichnet, mit einer suchenden, verletzlichen Seele im Vordergrund. Elly Ney, Rubinstein, Arrau, Planès, Fleisher, Watts, Graffman, Schiff, Chamayou – dies nur einige Namen, die sich ebenfalls der Wandererfantasie angenommen haben. Dagegen ist die Auswahl an Alternativen, eingespielt auf einem historischen Instrument, denkbar klein. Genannt sei zumindest Viviana Sofronitzki, die die Wanderer-Fantasie 2010 auf dem Nachbau eines Graf-Flügels eingespielt hat (CAvi-music). Hier besteht sicherlich noch Nachholbedarf. Christoph Vratz 11 BIOGRAPHIE Jeremy Denk Der amerikanische Pianist Jeremy Denk studierte am Oberlin College, an der Indiana University und der Juilliard School und lebt heute in New York. Er gastierte weltweit in Konzerthäusern wie der Carniege Hall, der Wigmore Hall und dem Concertgebouw Amsterdam. Zu seinen musikalischen Partnern gehören neben dem Chicago Symphony Orchestra und dem New York Philharmonic Musiker wie der Cellist Steven Isserlis und der Violinist Joshua Bell, mit dem er 2012 einen ECHO Klassik für die gemeinsame Einspielung French Impressions erhielt. Er ist regelmäßiger Gast bei verschiedenen amerikanischen und europäischen Festivals wie dem Spoleto Festival, dem Tanglewood, dem Aspen Music und dem Mostly Mozart Festival. Zuletzt war er auch Gast der BBC Proms. 2014 war er künstlerischer Leiter des Ojai Music Festivals, in dessen Rahmen er neben Soloauftritten auch das Libretto für die Oper The Classical Style schrieb, die dort und auf weiteren Festivals aufgeführt wurde. Während seiner letzten Tournee gab er Konzerte in 14 Städten der USA und war mit der Britten Sinfonia zu erleben. Höhepunkte der aktuellen Saison sind eine Tour durch Großbritannien, unter anderem mit einem Konzert in der Wigmore Hall, sowie eine Tour durch die USA mit Halt in der Chicago Symphony Hall und beim Lincoln Center’s White Light Festival. Er ist mit dem St. Paul Orchestra zu Gast in New York und spielt erneut mit dem National Symphony Orchestra und dem St. Louis Symphony Orchestra. Jeremy Denk spielte mehrere Soloaufnahmen ein, darunter Einspielungen von Bachs Goldberg-Variationen, Ligetis Klavieretüden und Klaviersonaten von Beethoven bis Charles Ives. Für dieses Jahr sind weitere Veröffentlichungen geplant, unter anderem gemeinsam mit Joshua Bell und Steven Isserlis. 12 Neben seiner Tätigkeit als Pianist unterrichtet Jeremy Denk, schreibt Rezensionen für verschiedene amerikanische Zeitungen und betreibt einen eigenen Blog, in dem er sein musikalisches Schaffen und seine Erfahrungen auf Tournee dokumentiert. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Avery Fisher Prize und dem Preis des Instrumentalist of the Year von Musical America und ist im MacArthur Fellows Program. In diesem Jahr wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Jeremy Denk kehrt erstmals seit seinem Debüt als »Rising Star« im November 1997 in die Kölner Philharmonie zurück. 13 Centrum Köln Vom Einsteigerklavier bis zum Konzertflügel – besuchen Sie das C. Bechstein Centrum Köln! C. Bechstein Centrum Köln In den Opern Passagen · Glockengasse 6 · 50667 Köln Telefon: +49 (0)221 987 428 11 [email protected] · bechstein-centren.de KölnMusik-Vorschau Dezember SO 18 18:00 DO 15 Anna Dennis Sopran Robin Blaze Countertenor Jeremy Budd Tenor Ashley Riches Bariton 20:00 Chouchane Siranossian Violine Choir of the Age of Enlightenment Anima Eterna Brugge Jos van Immerseel Dirigent Orchestra of the Age of Enlightenment Masaaki Suzuki Dirigent Ludwig van Beethoven Ouvertüre aus: Die Geschöpfe des Prometheus D-Dur op. 43 Ballettmusik für Orchester Johann Sebastian Bach Weihnachtsoratorium BWV 248 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61 MI 21 Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 Klassiker! 3 20:00 Wiener Philharmoniker Daniel Barenboim Dirigent SO Bedřich Smetana Má Vlast (Mein Vaterland) Zyklus sinfonischer Dichtungen für Orchester 18 15:00 Filmforum KölnMusik gemeinsam mit der Westdeutschen Konzertdirektion Köln Der Lieblingsfilm von Daniel Barenboim Mr. Bean macht Ferien BG 2007, 90 Min, DF, DVD Regie: Steve Bendelack Mit: Rowan Atkinson, Willem Dafoe, Steve Pemberton Das Kleine Wiener 1 Köln-Zyklus der Wiener Philharmoniker 3 Medienpartner: choices DO KölnMusik gemeinsam mit Kino Gesellschaft Köln 22 Karten an der Kinokasse 20:00 Cameron Carpenter Orgel Werke von Johann Sebastian Bach Cameron Carpenter Improvisierte Sinfonie über Weihnachtslieder Orgel Plus 3 15 SA DO 24 29 15:00 Heiligabend 20:00 duo tuba & harfe Andreas Martin Hofmeir Tuba Andreas Mildner Harfe Blechbläser der Kölner Dommusik Kölner Domchor Eberhard Metternich Leitung Besser ohne Worte Mädchenchor am Kölner Dom Oliver Sperling Leitung Wenn zwei solche Musiker sich auf Tuba und Harfe romantisches Liedgut und die große Opernarie vornehmen, kann nur eine musikalische Gaudi voller Esprit und Humor herauskommen. Seit zehn Jahren bilden Andreas Martin Hofmeir und Andreas Mildner ein etwas anderes, aber höchst erfolgreiches Duo. Mit ihrem Programm beweisen sie, dass Lieder und Arien von Schubert bis Puccini auch ganz ohne Texte zünden können. Christoph Biskupek Moderation Wir warten aufs Christkind DI 27 20:00 Igudesman & Joo Aleksey Igudesman Violine Hyung-ki Joo Klavier FR 30 And Now Mozart 20:00 Chilly Gonzales p MI 28 Kaiser Quartett 20:00 Filmforum Imperfect Harmony NL 2014, 76 Min., OmeU Regie: Carmen Cobos Mit dem Königlichen Concertgebouworchester Amsterdam, Mariss Jansons KölnMusik gemeinsam mit dem Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund | Köln e. V. Karten an der Kinokasse 16 Ronald Brautigam Hammerklavier Die Kölner Akademie Michael Alexander Willens Foto: Marco Borggreve Dirigent Sonntag 25. Dezember 2016 (1. Weihnachtstag) 18:00 Sinfonien und Klavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart Der niederländische Fortepiano-Spezialist und die von Michael Alexander Willens geleitete Kölner Akademie sind alte Bekannte und wahre Mozart-Experten: Die gemeinsamen preisgekrönten Einspielungen erwecken Mozarts Werke durch die Authentizität des Hammerklaviers zu neuem Leben. Am ersten Weihnachtstag präsentieren Ronald Brautigam und Die Kölner Akademie in festlicher Atmosphäre einen Auszug der Klavierkonzerte und Sinfonien des Meisters der Wiener Klassik. Ihr nächstes Abonnementkonzert SA Sa 31 04 18:00 Silvester Februar 20:00 Burcu Karadağ Ney Hakan Güngör Qānun Aykut Köselerli türkische Schlaginstrumente Dominic Chamot Klavier Daniil Trifonov Klavier Robert Schumann Kinderscenen op. 15 (1837/38) Toccata C-Dur op. 7 (1829–33) für Klavier Kreisleriana op. 16 (1838) WDR Sinfonieorchester Köln Jukka-Pekka Saraste Dirigent Dmitrij Schostakowitsch 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51) Auszüge Silvesterkonzert Fazıl Say Sinfonie Nr. 1 op. 28 für großes Orchester und türkische Instrumente »İstanbul Symphony« Igor Strawinsky Trois Mouvements de Pétrouchka (1921) für Klavier Franz Liszt Totentanz S 126 Paraphrase über »Dies irae«. Für Klavier und Orchester 19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz Leonard Bernstein Ouvertüre aus: Candide Komische Operette in zwei Akten. Libretto von Lillian Hellmann nach Voltaires Roman »Candide oder Die beste Welt« KölnMusik gemeinsam mit dem Westdeutschen Rundfunk 18 Porträt Daniil Trifonov 2 Piano 4 Montag 26. Dezember 2016 (2. Weihnachtstag) 20:00 Kit Armstrong Klavier Eric Le Sage Klavier Andrej Bielow Violine Christian Poltéra Violoncello Sebastian Klinger Violoncello Alec Frank-Gemmill Horn Wenn zwei international ausgezeichnete Pianisten verschiedener Generationen sich eine Bühne teilen, verspricht das einen gelungenen musikalischen Abend. Der junge Amerikaner Kit Armstrong, der sich neben seinem umfangreichen Repertoire auch schon mit Eigenkompositionen einen Namen machen konnte, trifft auf die französische Klaviergröße Eric Le Sage. Gemeinsam mit herausragenden Musikerfreunden an Geige, Celli und Horn lassen sie zum Ende der Weihnachtsfeiertage in wechselnden Konstellationen Schumann und Brahms erklingen. Werke von Brahms und Schumann Foto: Neda Navae Philharmonie-Hotline 0221 280 280 koelner-philharmonie.de Informationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner Philharmonie! Kulturpartner der Kölner Philharmonie Herausgeber: KölnMusik GmbH Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH Postfach 102163, 50461 Köln koelner-philharmonie.de Redaktion: Sebastian Loelgen Corporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH Textnachweis: Die Texte von Matthias Corvin und Christoph Vratz sind Originalbeiträge für dieses Heft. Fotonachweise: Jeremy Denk © Michael Wilson Gesamtherstellung: adHOC Printproduktion GmbH Foto: Cosimo Filippini Maurizio Pollini koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Freitag 10.02.2017 20:00
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