045. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages, 13.12.2016 Rede von MdL Enrico Stange zum Antrag der Fraktion DIE LINKE in Drs 6/7137 „Voraussetzungen für ein systematisches Gesundheitsmanagement im öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen schaffen - Analyse der Ausgangssituation umfassend betreiben“ Auszug aus dem Stenografenprotokoll Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs mit dem einen oder anderen Mythos, bevor er sich verfestigt, aufräumen Es ist schön und gut, wenn Sie einen Handlungsleitfaden Gesundheitsmanagement entwickelt haben - allerdings möchte ich an den Jahresbericht des Sächsischen Rechnungshofes 2015 erinnern, in dem nicht nur ein Leitfaden gefordert wurde, sondern die Umsetzung von Maßnahmen. Da fordert er die Koordinierung zwischen den Ressorts und, und, und. Das sollten wir uns mal zu Gemüte führen und nicht mit Schattenboxen anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kollege Zschocke, lassen Sie sich eines sagen: Das klingt richtig, der Krankenstand und die Ausfallzeiten bei der Bereitschaftspolizei sind allerdings deutlich geringer als In den Revieren. Es sind nämlich die etwas älteren Kolleginnen und Kollegen - da haben Sie wieder vollkommen recht -, die vor Ort mit Messern angegriffen werden, wo sie nicht wissen, was hinter der Tür auf sie lauert. Sie haben ein großes Problem und wir müssen nachsteuern, wenn wir den Ursachen auf den Grund gehen wollen 75 % der Angriffe auf Polizeibeamte finden eben nicht bei Demos oder beim Fußball, sondern in den Alltagslagen statt. Das sollte endlich in die Köpfe hinein. Kollege Wehner, ich schätze Sie durchaus, allerdings war ich verblüfft von Ihrem Vortrag. Gesundheit wird zum Dogma - ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht ganz funktioniert hat -, aber lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Wenn auch die Deutschen Bewegungsmuffel sind, so würden Polizistinnen und Polizisten gern viel öfter Sport treiben, aber sie haben nicht die Zeit dazu. Das muss man zur Kenntnis nehmen Da können Sie reden, was Sie wollen Es fehlt ihnen die Zeit, genau das zu tun, wovor Sie hier fast zu warnen scheinen, lieber Kollege Wehner. Das finde ich nicht ganz in Ordnung, weil es die tatsächliche Situation verzerrt Herr Wendt, wenn Sie sagen, Sie stimmen unserem Antrag nicht zu, weine ich nicht deswegen, aber wenn Sie sagen, wir müssen mal etwas Konkretes machen, dann frage ich Sie, was Sie gerade vorgeschlagen haben - nicht wirklich etwas. Das ist das Problem bei der ganzen Geschichte und was unser Antrag fordert (Andre Wendt, AfD: Herr Stange, da müssen Sie die Ohren spitzen!) Lieber Kollege Pallas, es geht darum, die Ausgangslage für ein systematisches Gesundheitsmanagement zu schaffen, nämlich zu analysieren, warum wir zum Beispiel bei der sächsischen Polizei eine exorbitant große Zahl an Ausfalltagen haben und warum die Zahl von Langzeiterkrankten immer weiter wächst. Was sind die Ursachen? Diese Frage ist zu beantworten, um ein aktives Gesundheitsmanagement entwickeln zu können. Meine Damen und Herren! Zu den historischen Wurzeln hat Kollege Bartl zur OttawaCharta usw. ausgeführt. Ich will Sie an die konkrete Situation bei der Polizei heranführen. Zunächst ist festzustellen, dass die sächsische Polizei an der äußersten Belastungsgrenze arbeitet. Der Ehrlichkeit halber müsste man eigentlich sagen, dass bisweilen diese Grenze überschritten wird. Der Personalbestand ist auf ein Maß heruntergefahren worden, welches die sächsische Polizei de facto in eine strukturelle Krise geführt hat. Die zusätzliche Spannung aus den Anforderungen des deutlich gestiegenen Demonstrationsgeschehens der Jahre 2014 bis 2016 sowie aus der Absicherung von Fußballspielen und Asylbewerberunterkünften hat diese strukturelle Krise nicht etwa verursacht, sondern schneller zutage treten lassen. Als Indikator dafür lässt sich die dauerhaft hohe Zahl von Mehrarbeit und Überstunden nennen. So lag die Zahl der im Oktober 2016 angefallenen Mehrarbeitsstunden der Polizeivollzugsbeamten bei 93 915, mehr als die Hälfte davon - jetzt kommt's - bei der Bereitschaftspolizei. In den November wurden von Oktober 137 704 Mehrarbeitsstunden als nicht abgebaut übertragen. Ein Jahr zuvor sammelten die Beamtinnen und Beamten der sächsischen Polizei 92 000 Mehrarbeitsstunden an und übertrugen 111 000 Stunden in den Monat November 2015. Trotz rückläufiger Zahlen ankommender Asylbewerber, trotz rückläufiger Zahlen von Demonstrationen schiebt die sächsische Polizei einen imposanten Überstundenberg vor sich her. Der verbliebene Personalbestand ist also nicht in der Lage - das muss man zur Kenntnis nehmen -, die Arbeit so untereinander zu verteilen, dass die Belastung zurückgefahren werden kann. Hohe Arbeitsbelastung führt erfahrungsgemäß zu einem steigenden Krankenstand und entsprechend krankheitsbedingten Ausfalltagen. Dies ist sowohl in der freien Wirtschaft als auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes so. Allerdings liegt der Krankenstand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft bei etwa 4 %, hingegen in der sächsischen Polizei bei durchschnittlich 8,4 %. Es gibt sowohl bei der sächsischen Polizei als auch in anderen Bereichen der Arbeitswelt recht unterschiedliche Ergebnisse. Im Jahr 2015 lagen die Krankenstände bei der PD Leipzig bei 10,5 % und bei der PD Görlitz bei 10,3 %, hingegen lag diese Kennziffer beim LKA bei 5,8 % und - jetzt kommt's - bei der Bereitschaftspolizei bei 5,5 %. In anderen Bereichen der Arbeitswelt gestaltet sich dies wie folgt, um einmal zu vergleichen: Bei Bus- und Straßenbahnfahrern sind es 7,7 %, bei Berufskraftfahrern 5,9 %, in Post- und Zustelldiensten bei 6,4 %, bei Büro- und Sekretärskräften 3,9 %, liegt insgesamt aber deutlich unter den Zahlen der sächsischen Polizei. Im Jahr 2015 sammelten sächsische Polizistinnen und Polizisten 342 966 Ausfalltage an. Da schaut der Finanzminister ganz ernst, das ist mir völlig klar. Dabei entfallen 48.000 Ausfalltage auf Krankenfälle über sechs Wochen Dauer und weit über 98.000 Ausfalltage auf Krankenfälle über zwölf Wochen Dauer. Das heißt, die steigende Zahl der Langzeiterkrankten ist besorgniserregend Zugegebenermaßen - so steht es im Abschlussbericht der Fachkommission zur Evaluierung der Polizeiarbeit - können Polizei und andere Bereiche der Arbeitswelt nicht ohne Weiteres miteinander - verglichen werden. Allerdings sprechen die Zuwachsraten bei der sächsischen Polizei für sich allein. Polizei und Justizvollzug sind nun mal die Institutionen, die 24 Stunden, sieben Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr arbeiten gehen. Sie sind immer da und ansprechbar und sollen das auch sein. Das ist nicht bei jedem Unternehmen und bei jedem Tante-Emma- Laden der Fall, meine Damen und Herren. Das kann man also so nicht nebeneinander betrachten. Wir brauchen für die Bediensteten in Polizei und Justizvollzug ganz dringlich die mit unserem Antrag erforderliche Analyse der Ursachen und die Umsetzung in ein Gesamtkonzept für ein gutes, aktives behördliches Gesundheitsmanagement - auch in Erinnerung an den Jahresbericht des Sächsischen Rechnungshofes. Falls Fragen aufkommen, wie dieses Gesundheitsmanagement auszusehen hat oder aussehen könnte, kann man sich der Broschüre der Gewerkschaft der Polizei aus NRW „Gesundheitsmanagement der Polizei des Landes NRW - Position der Gewerkschaft der Polizei“ bemächtigen. Darin könnte man zum Beispiel auf 44 Seiten lesen, wie man sich das dort vorstellt. Die GdP Sachsen hat bei der Anhörung zum Doppelhaushalt 2015/2016 in Person Hagen Husgen sehr klare Anforderungen an das Gesundheitsmanagement in Sachsen gestellt, unter anderem zur Zahl der Polizeiärzte, zu den Aufwendungen von bis zu 35 Euro pro Bediensteten als Mittel für das behördliche Gesundheitsmanagement. Ja, wir nehmen zur Kenntnis, dass die Sächsische Staatsregierung mit der Ergänzungsvorlage deutlich andere Zahlen in den Haushaltsentwurf geschrieben hat. Aber, lieber Kollege Pallas, eben mit der Ergänzungsvorlage. Es ist nicht mit dem ursprünglichen Haushaltsentwurf gekommen. So viel zum Stellenwert des Gesundheitsmanagements in der – (Albrecht Pallas, SPD: Das ist doch Erbsenzählerei, Herr Kollege!) - Das ist nicht Erbsenzählerei. (Albrecht Pallas, SPD: Nichts anderes ist das!) Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Es ist mit der Ergänzungsvorlage gekommen. Ganz einfach. (Zurufe von der SPD) Das muss man zur Kenntnis nehmen. In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir unsererseits und in der Staatsregierung die gefestigte Überzeugung, dass wir auf der sachgerechten Analyse des Istzustandes eine umfassende Konzeption für ein gutes Gesundheitsmanagement erarbeiten und dann umsetzen müssen. Wir können es nicht länger hinnehmen, dass die Arbeit und die Umstände in den Dienststellen und Behörden unsere Staatsbediensteten krank machen und sie - um Herrn Wendt von der DPolG zu zitieren - in die innere Kündigung treiben. Herzlichen Dank. Wir bitten um Ihre Zustimmung. (Beifall bei den LINKEN)
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