Klassiker deutscher Lyrik im Lichte höchstrichterlicher

Klassiker deutscher Lyrik im Lichte höchstrichterlicher
Rechtsprechung
Jonathan Dollinger – Finale des Jura-Slams des DAV in Berlin, 21.11.2016
I. Zivilrecht: Theodor Fontane, John Maynard
John Maynard!
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Doch halt, so rufen Maynards Erben!
Für Liebe allein tat John nicht sterben.
Das Schiff hat er sicher gebracht an Land,
doch dabei sind seine Klamotten verbrannt!
Ohn' Auftrag wahrt er Fremdinteressen Schadensersatz ist angemessen!
670 BGB gewährt ihm den, soweit ich seh'.
Gerettet hat er euch, oh ja; nun haftet ihr aus GoA!
Und ist Johns Leben auch hinüber, der Anspruch gehet auf uns über.
Zudem, sagen die Erben kalt, schuldete John uns Unterhalt!
Der ist uns nun, so scheint's entgangen, drum müssen wir den Herrn belangen
der dieses Schiff hat konstruiert. Ich sage es ganz ungeniert:
Wer solch' ein morsches Schiff erricht', verletztet seine Sorgfaltspflicht.
Drum hör, oh Werftbesitzer W, 844 BGB
gewährt uns, was uns John gegeben, wenn er noch wäre jetzt am Leben.
Wir haben's nämlich schon geblickt dass du uns haftest aus Delikt.
Denn dieses Schiff ist dein Produkt! Wir haben im Palandt nachgeguckt:
Wird jemand durch Produkt versehrt, wird die Beweislast umgekehrt!
Wir warten darum einfach dreist, ob du das Gegenteil beweist;
und schaffst du's nicht, so kann man unken, dass wegen dir das Schiff gesunken.
II. Joseph von Eichendorff: Das zerbrochene Ringlein
In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Meine Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein'n Ring dabei,
Sie hat die Treu gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.
Doch während A noch bitter weint, der Anwalt seiner Ex erscheint.
Ihn int'ressiert hier nur ein Ding: Wo ist denn bitte dieser Ring?
Auch wenn ihr jetzt vor Wut noch tobt: Ihr habt euch rechtsgültig verlobt;
und nach dem Ende der Verlobung richten an dich sich noch gewisse Pflichten.
Verlöbnisse, vernimm es bitte, sind mehr als nur Moral und Sitte.
Zwar kann man – das muss ich kaum sagen – daraus nicht auf die Ehe klagen.
Doch wie man es auch dreht und wendet, wenn einmal die Verlobung endet,
dann sind – nichts ist umsonst im Leben! - Geschenke doch zurückzugeben!
Von deiner Ex richt' ich dir aus: Du kommst mir gar nicht mehr ins Haus.
Doch gib mir diesen Ring zurück! Ich hänge sehr an diesem Stück.
Für dich ist bei mir nicht mehr Platz – ab heut' nenn' ich den Ring „mein Schatz“!
Der A meint, ganz und gar verdrossen: Dein Anspruch, der ist ausgeschlossen.
Ich habe meine Einwendungen: Der Ring ist mir entzwei gesprungen.
Deshalb beruf ich voller Schwung mich hiermit auf Entreicherung!
Der Wert des Rings ist in Sekunden aus dem Vermögen mir verschwunden.
Ich war, so meint er unverzagt, auch gutgläubig und nicht verklagt.
Drum gilt 818 Absatz 3: Mit deinem Anspruch ist's vorbei.
III. Johann Wolfgang von Goethe, Der Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind.
Er hält den Knaben wohl in dem Arm. Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Wer reitet so spät des nachts durch den Wald? Es ist der V, doch nun macht er Halt.
Dort auf dem Schild stehts, auf dem roten: Reiten im Walde ist verboten!
Der V denkt sich: Das ist jetzt dumm, und dreht sein Pferd geschwind herum;
denn drohen Kälte auch und Not: Ein Verbot bleibt ein Verbot!
Doch schnell kommen dem V Bedenken: Muss er dem Schild Gehorsam schenken?
Er denkt sich: Diese Albernheit verletzt meine Persönlichkeit!
Drum wird zunächst mal nicht geritten, der Rechtsweg wird fortan beschritten,
und ist er erst einmal erschöpft, wird dieses Schild sich vorgeknöpft
vor Deutschlands Oberstem Gericht. Da steht er nun, der V, und spricht:
Das Grundgesetz, Artikel 2, das schützt mich, und s'ist einerlei,
ob das, was ich hier nun begehr, besonders wichtig für mich wär.
Und sieben richterlich' Gestalten, die sagen: Ja, V, dein Verhalten,
das fallet in den Schutzbereich! Doch sagen wir dir auch zugleich:
Du wirst es uns nicht lange danken, denn auch dieses Recht hat Schranken.
Der Schutz der Fußgänger vor Reitern, der lasset deine Klage scheitern.
Allein der Richter Dieter Grimm, der findet die Begründung schlimm.
Für ihn sind solche Bagatellen nicht unter Grundrechtsschutz zu stellen.
Und so hört V von Grimm betroffen: Der Schutzbereich ist gar nicht offen.
So denk ich einmal mehr: Wie peinlich! Das BVerfG ist sich nicht einig.
Doch ach, und das ist gar zu schön, der Streit, der kann dahin hier stehn.
Am Ende sind sie nicht gespalten: An das Verbot muss V sich halten.
Und so befolgt V akkurat, was Karlsruhe gesprochen hat.
Umgeht den Wald im weiten Bogen, da kommt der Erlkönig gezogen.
Das Kind gerät in große Nöte – den Rest erfahren wir bei Goethe.
Wär' V nur durch den Wald geritten, das Kind hätt' keine Not gelitten.