Mehr Psychologie bitte! Über die gewachsene Bedeutung eines traditionsreichen Faches Schriftliche Fassung des Festvortrags anlässlich des 60jährigen Jubiläums des Berufsverbands Östrerreichischer PsychologInnen am 29.11.2013 in Wien Peter Michael Bak, Hochschule Fresenius, Köln Guten Abend meine Damen und Herren, Zunächst lässt sich in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg psychischer Erkrankungen festhalten. Die Medien berichten ich freue mich sehr, dass ich heute Abend anlässlich des darüber. Die Zahlen dazu variieren zwar, sind dennoch mitunter 60jährigen als dramatisch zu bezeichnen. Erst kürzlich spricht beispielsweise Jubiläums des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen zu Ihnen sprechen darf. 60 Jahre sind ein stolzes die Alter und der richtige Zeitpunkt, sich mit grundlegenden Fragen Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens davon, dass „bald jeder Gesundheitsministerin zu beschäftigen und sich über seine Position und Haltung auch zweite Erwachsene in Deutschland (…) mindestens ein Mal in mit Blick auf die nachwachsenden Generationen Gedanken zu seinem Leben psychisch krank“ wird1. Eine Studie der deutschen machen. Daher möchte ich unser Fach, die Psychologie, in den Bundestherapeutenkammer aus dem Jahr 2012 berichtet von Mittelpunkt meines Vortrages rücken. Unser Fach, so wie es sich einem aus meiner Sicht heute präsentiert. Wo es Not tut und wo es diagnostizierten Burnouts um sage und schreibe 700 Prozent vielleicht auch nicht so Not tut. gegenüber dem Vergleichsjahr 20042! Anstieg der des deutschen Krankschreibungen Bundeslandes aufgrund eines Diese Zahlen, so dramatisch sie sich einerseits anhören, so Was ich vorhabe, das lässt sich am besten durch drei Thesen differenziert sind sie andererseits zu betrachten. Zunächst kann beschreiben. konstatiert werden, dass durch die zunehmende, auch mediale Erstens: Die Psychologie hat nicht nur in der Vergangenheit, Berichterstattung über psychische Krankheiten, die Scheu, sich sondern wird auch in der Zukunft weiter an Bedeutung für unser als Betroffener Hilfe zu suchen und diese dann auch in Anspruch individuelles und gesellschaftliches Wohl gewinnen. zu nehmen deutlich gesunken ist. Zudem haben wir mittlerweile Zweitens: Nur das Zusammenspiel zwischen Psychologischer für Forschung und Anwendung führt letzten Endes zu mehr unangenehmen Empfindungen, unserem Leiden vielleicht den tragfähigem psychologischen Wissen. Namen einer Krankheit geben. Das kann tatsächlich erleichtern. Drittens: Die Psychologie ist nicht nur eine Fachdisziplin, sie ist Kann aber auch krank machen. Diagnosen sind eben nicht nur auch eine Haltung. Beschreibungen, viele Lebenslagen sondern Bezeichnungen, haben selbst können auch unsere normative Wirkungen, die häufig kontraproduktiv sind. So kann die Beginnen wir bei These 1: Die Psychologie hat nicht nur in der Diagnose „Depression“ einerseits das Leiden konkret und fassbar Vergangenheit, sondern wird auch in der Zukunft weiter an machen, andererseits womöglich die Symptomatik verschärfen. Bedeutung für unser individuelles und gesellschaftliches Wohl gewinnen. Allen Neben der erhöhten gesellschaftlichen Akzeptanz psychischer aus Störungen als echte Leiden ist außerdem auch eine Zunahme an neurowissenschaftlicher Ecke, feiert die Psychologie derzeit eine Unkenrufen zum Expertenwissen festzuhalten, das uns das Erkennen psychischer regelrechte Renaissance. Noch nie wurde so viel über die Seele, Probleme heute wesentlich einfacher macht. Aber wir müssen die Psyche, psychische Erkrankungen, Optimierungsvorschläge auch vorsichtig sein, wie die Diskussion im Zusammenhang mit in allen nur erdenklichen Lebensbereichen gesprochen wie heute. der Vorstellung des DSM-5 zeigt. Längere Trauerphasen nach Psychologische wahren dem Tod eines nahestehenden Menschen oder altersbedingte Modebegriffen. Wer kennt nicht das erste Axiom von Paul Leistungseinschränkungen werden hier kurzerhand zur Krankheit Watzlawicks erklärt. Termini Trotz, vor entwickeln Kommunikationstheorie? allem sich Begriffe auch zu wie Burnout, Depression, Hochbegabte oder die aktuell hoch im Kurs liegende Fakt ist, dass sich natürlich viele Gründe benennen lassen, die für „Achtsamkeit“ begegnen uns nicht nur im professionellen Kontext, einen Anstieg psychischer Erkrankungen sprechen, etwa das sondern im Alltag, bei der Lektüre der Morgenzeitung oder im Schwinden Boulevard Magazin. Es reicht schon, Fußballfan zu sein, um zunehmende wichtige psychologische Vokabeln wie Depression oder Burnout beruflichen Mehrfachbelastungen, um nur drei Faktoren zu zu lernen. Woran liegt es, dass die Psychologie momentan so „in“ nennen. Vielleicht aber handelt es sich gar nicht um einen echten traditioneller Unterstützungssysteme Individualisierung, oder häufiger und die gewordene ist? „Das hat natürlich viele Gründe“, eine typisch psychologische Antwort übrigens. 1 Siehe dazu http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55653/Steffens-besorgt-ueberAnstieg-psychischer-Krankheiten Online-Zugriff am 4.11.2013 2 BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen und Burnout. (2012). Online abrufbar unter www.bptk.de Anstieg. Vielleicht sind die Menschen heute objektiv gar nicht Die Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten von gestresster oder kranker als früher, sondern nur sensibler für die Menschen ist seltsam zweigeteilt: in die Wissenschaft einerseits, Signale ihrer Seele oder ihres Körpers, was dann am Ende aufs die Anwendungspraxis andererseits. Die Wissenschaft, so scheint Gleiche hinausläuft, denn letztlich geht’ es in der Psychologie ja es mir, kümmert sich nicht groß um die Anliegen und Probleme ums Erleben. Und das ist ja immer subjektiv. der angewandten Psychologie. Eher kommt es mir so vor, als Aber ganz unabhängig von der Frage, ob nun und wie hoch der würde man in der konkreten Anwendung ein Verrat an der Anstieg an psychischen Erkrankungen tatsächlich ist, die Anzahl Reinheit der Wissenschaft sehen. Hat doch alles kein Hand und an Personen mit psychischen Leiden muss für uns alle ein Fuß, was die Praktiker da machen. Die Praktiker auf der anderen dringender Anlass sein, uns mit den berufs- wie privatweltlichen Seite, sind häufig froh, wenn sie die viel zu wissenschaftlich Kontextbedingungen, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten orientierten Studiengänge endlich hinter sich lassen können, bloß intensivst gestiegenen keine Methodenlehre oder Statistik mehr!, um endlich das zu Handlungsbedarf professionell zu bedienen. Und wenn schon machen, warum sie das Fach gewählt haben: Konkret mit nicht aus mitmenschlich motivierten Gründen, dann doch Menschen zu arbeiten. Beide Perspektiven sind grundlegend wenigstens aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen. Die Zahl an falsch. Mehr noch, diese Trennung von Theorie und Praxis ist krankheitsbedingten Fehlzeiten ist ja ein volkswirtschaftlich nicht nur überflüssig, sie schadet unserem Fach auch noch. höchst relevantes Momentum. Betrachten wir zunächst die Wissenschaft. Die Bedeutsamkeit der Psychologie ergibt sich aber nicht nur aus Ich glaube es ist nicht zu stark ausgedrückt, wenn wir heute von der Betrachtung des klinischen Kontextes. Die Psychologie einer Krise in der wissenschaftlichen Psychologie reden. Der besitzt heute ein Themenspektrum, das breiter kaum sein könnte spektakuläre Fall des renommierten niederländischen Diederik und alle relevanten Bereiche des beruflichen wie privaten Lebens Stapel, der betrifft. auseinander Angefangen zu den hochrangigen Fälschung zurückziehen musste, ist da vermutlich nicht mehr als Leistungsdruck in Schule und Ausbildung, dem gelungenen die Spitze eines Eisberges. Seine Kollegen, die Sozialpsychologe Einstieg ins Berufsleben, Themen wie Mobbing und Stalking, Dirk Smeesters und Lawrence Sanna haben es ihm bereits mit Migration, lebenslanges Lernen, Ruhestand oder unser Umgang gefälschten Daten nachgemacht. mit Medien, Stichwort Medienkompetenz, oder auch die Werbung So sehr man Stapel und die anderen hier in die Verantwortung und unser Verhalten und Erleben im Zusammenhang mit den nehmen muss, so ist dieser Fall auch exemplarisch für eine revolutionären sozialen Medien: psychologisches Know How ist Wissenschaftsorganisation, heute an allen Stellen des Lebens, an denen sich Veränderungen Quantität der veröffentlichten Studien orientiert, was dann eben für uns als Akteure oder als Begleiter ergeben gefragt und im solche Fälle wie die von Stapel nur eine Frage der Zeit Sinne einer Orientierungs- und Entscheidungshilfe sinnvoll und erscheinen lassen. Das gilt im übrigen nicht nur für die nötig. Ganz abgesehen davon, dass psychologisches Wissen die Psychologie, wie eine aktuelle Studie von Bohannon 3 zeigt, der Grundlage 300 gefälschte Beiträge an sogenannte Open Access Journals darstellt, Handeln geht in es doch Fragen in psychologischen Fachzeitschriften publizierte Beiträge wegen präventives Paarberatung, mittlerweile über 50 seiner der für der und Kindererziehung und -förderung, dem Umgang mit dem gestiegen Problembereichen von setzen allen möglichen stets um das Zusammenspiel von kognitiven, emotionalen und motivationalen die sich hauptsächlich an der schickte und immerhin die Hälfte davon auch angenommen wurde. Faktoren also ureigenste psychologische Fragestellungen. Und klar ist doch: psychologische Prävention kann Ausgaben im Die Kritik am wissenschaftlichen Vorgehen kann man ruhig noch medizinischen Bereich einsparen. verallgemeinern. Betrachtet Damit die Psychologie aber eine am Lebenslauf orientierte wissenschaftlichen Unterstützungsfunktion Feststellungen treffen: erfüllen kann, sind allerdings man Publikationen, so ganz lassen allgemein sich die folgende Anstrengungen nötig, fundiertes wissenschaftliches Wissen in die Es gibt ein starkes Übergewicht an hypothesenbestätigenden Anwendungspraxis zu transformieren und umgekehrt, praktische Befunden. Anders formuliert, hypothesenwiderlegende Befunde psychologische Fragestellungen und Erkenntnisse zurück in die sind kaum repräsentiert. Die veröffentlichte Befundlage ist daher Wissenschaft zu spiegeln. Denn, wir stehen, trotz einer schon völlig zugunsten signifikanter Ergebnisse verfälscht. vorhandenen Tradition, im Vergleich zu anderen Disziplinen in Es gibt zu wenige Replikationsstudien, die die Verlässlichkeit gewisser Weise immer noch in den Kinderschuhen unseres wissenschaftlicher Aussagen erhöhen würden. Immer wieder Faches, womit ich schon bei meiner zweiten These angelangt bin: stellen wir fest, dass sich Ergebnisse nach Jahren als nicht mehr Nur das Zusammenspiel zwischen psychologischer Forschung replizierbar herausstellen. und Anwendung führt zu mehr tragfähigem psychologischen Die gemessene Effekte sind sehr häufig recht gering und besitzen Wissen. daher auch nur geringe ökologische Validität. 3 Bohannon, J. (2013). Who’s Afraid of Peer Review? Science, 342(6154), 60–65. Und es werden eben auch hauptsächlich nur Effekte produziert, „Entseelung der Psychologie“ zu betrachten ist und quasi die ohne dass eine theoretische Einordnung bzw. kritische Prüfung vorausgeahnte Legitimationsfrage angesichts der propagierten dieser Effekte erfolgt. neurowissenschaftlichen Befunde und Erkenntnisse beantworten Kurzum, wir brauchen aus meiner Sicht dringend ein Umdenken soll, nämlich wozu wir eigentlich die Psychologie angesichts der in der scientific community, was Sinn und Zweck der Forschung neurowissenchaftlichen Erkenntnisse noch benötigen. Sind die ist und was unsere Qualitätsansprüche dabei sein sollen. Ein Neurowissenschaften für die hard facts, dann ist die Psychologie Qualitätskriterium stellt dabei auch die Brauchbarkeit der eben für die soft facts, also so etwas wie Seele und das Erkenntnis im Tun dar. Es wäre in diesem Zusammenhang ganz Unterbewusstsein zuständig. fruchtbar, sich an von Foersters Imperativ „Willst Du erkennen, Zwei Dinge möchte ich dazu anmerken. Zum einen ist es wie so lerne zu handeln“ 4 zu erinnern, um sich über die oft in unserem Fach, dass wir uns bei der Konfrontation mit erkenntnisverhindernde Kluft zwischen Theorie und Praxis klar zu vermeintlich werden. Wir sollten im unsere eigenen wissenschaftlichen Ansprüche nicht geltend Handeln zu erproben. Die Praxis ist eben einmal für unsere machen bzw. sie wie selbstverständlich noch nicht einmal Theorien die beste Prüfung! Dieser Test setzt allerdings eine verteidigen. Ein Indiz für dieses geringe Selbstvertrauen ist unter funktionierende Schnittstelle zwischen beiden Ebenen unseres anderem, dass es uns selbst schon ganz gut gefällt, wenn wir zur Wirkens voraus. Unterstützung unserer Argumentation an einer Stelle zumindest Und jetzt einige Bemerkungen zur angewandten Psychologie. sagen können: „Mittlerweile gibt es auch neurophysiologische Neben all den berufsständischen Fragen, wer, was, nach welcher Belege für diese Ansicht“. Neurowissenschaftliche Belege sind Ausbildung, wo, wie machen darf und was, wo, von wem aber doch per se gar kein Qualitätsmerkmal. Wir nehmen es aber anerkannt wird, stellen sich aus meiner Sicht inhaltliche Fragen, genau so wahr und verwenden es auch in diesem Sinne. Uns die fehlt selbst häufig das Vertrauen in unsere Erkenntnis. Und das der ganzen Theorien politischen bzw. Gültigkeit und vorauseilenden Gehorsam als „braver Schüler“ zeigen und wissenschaftlicher die sofort und bei bemühen, Fächern“ praktischen Brauchbarkeit uns „wissenschaftlicheren im bildungspolitischen Diskussion häufig ins Hintertreffen geraten. Dies betrifft zum einen den eben bereits angesprochenen hat Auswirkungen auch für andere. Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die praktische Arbeit, also in Ein Interview mit Roman Polanski, das gerade in der Frankfurter Therapie, Beratung oder Coaching, zum anderen das aktive Allgemeinen Zeitung abgedruckt wurde, gab mir in diesem Einbringen psychologischen Know Hows als Experte, der oder die Zusammenhang zu denken. Ich möchte daraus einen kurzen öffentlich Stellung zu verschiedenen aktuellen Themen nimmt. Abschnitt zitieren5. Beginnen wir die Betrachtungen beim Theorie-Praxis-Transfer, Die Reporterin fragt: „Sie hassen bekanntermaßen Interviews, die jetzt aber aus Perspektive des Praktikers. zu einer Art Therapie werden - weil ja immer Parallelen zwischen Seit einigen Jahren erlebt das Thema Embodiment einen wahren Ihrem Leben und Werk gezogen werden. Boom. Verkürzt gesagt werden unter diesem Schlagwort Polanski antwortet: „Oh ja. Ob ich Therapie hasse, kann ich aber zusammengefasst, die die Wechselwirkungen nicht sagen. Ich habe nie eine ausprobiert. Ich stelle mir das Forschungen zwischen geistigen und körperlichen Prozessen untersuchen. einfach langweilig vor.“ Eine Vielzahl an Studien belegt, was wir als Psychologen ja Die Reporterin. „Nicht mal, als Ihre Frau Sharon Tate ermordet ohnehin wurde? Bekommt man da keine psychologische Hilfe an die Seite schon immer mitgedacht haben, nämlich, dass psychische Prozesse auf körperliche Prozesse wirken und gestellt?“ umgekehrt, Prozesse Polanski: „Wann immer in den Nachrichten von irgendeiner beeinflussen. körperliche Im Prozesse Zusammenhang psychische Studien, Katastrophe die Rede ist, heißt es, psychologische Helfer-Teams insbesondere zum Entscheidungsverhalten, bei dem sich aus mit seien schon vor Ort. Was zum Teufel soll das sein? Was machen Sicht prominenter Forscher zeigt, wie sehr unser gesamtes sie mit diesen Menschen? Ich halte das für so einen Blödsinn, Verhalten nicht etwa durch bewusste, sondern in erster Linie echt. Natürlich, wenn einem etwas Dramatisches passiert, durch unbewusste Prozesse gesteuert wird, lässt sich eine wahre braucht man jemanden, mit dem man reden kann. Aber wen? Renaissance tiefenpsychologischer, anderen psychodynamischer Einen Fremden? Den man auch noch bezahlt obendrein? Man Theorieansätze bzw. entsprechender Konzepte beobachten. „Das braucht jemandem, dem man vertrauen kann. Der einem etwas Unbewusste ist wieder da“, so könnte man das formulieren. bedeutet. Wenn du einen guten Freund hast, und dieser Freund Eigentlich doch ganz schön, oder? Ich werde nur hin und wieder kommt zu dir, das hilft. Das hilft schon sehr. Ich glaube, diese den Verdacht nicht los, dass dieser Hype ums Unbewusste auch Psychologen ersetzen heute die katholische Beichte. Beichten als Reaktion auf die mit den Neurowissenschaften verbundene hat vermutlich vielen Menschen geholfen, weil sie dem Priester Euphorie gegenüber den „objektiven Wissenschaften“ bzw. 4 von Foerster, H. (1993), Wissen und Gewissen. Frankfurt: Suhrkamp. 5 Das ganze Interview findet sich hier: www.faz.net/aktuell/feuilleton/roman-polanski-imgespraech-es-ist-doch-komisch-finden-sie-nicht-12667731.html, Online-Zugriff am 27.11.2013 vertrauten, denn er repräsentierte etwas für sie. Aber Ideen oder Glaubenssätze, sondern hat sich als seriöse und Psychologen?“. mindestens Zunächst fand ich das ziemlich daneben, was Polanski da sagt, Empirische Erkenntnisse sollen nicht dazu dienen, das was man aber nach zwei, drei Tagen, da hatte ich das unwohle Gefühl, macht, oder das woran man glaubt, nachträglich zu legitimieren, dass an den Aussagen durchaus auch was dran ist. Die sondern Aussagen Polanskis stehen für mich für eine miserable erhöhen. Dies setzt den permanenten kritischen Blick auf Öffentlichkeitsarbeit der Psychologie als Ganzes. Auch wenn Wissenschaft und Praxis voraus! Für alle angewandt tätigen Verallgemeinerungen nie so ganz zutreffen, dennoch, irgendwie Psychologen und Psychologinnen bedeutet das an dieser Stelle haben wir es nicht geschafft, uns und unsere Arbeit angemessen aber auch: Theoretisches und methodisches Wissen sind keine und Kür, sondern auch in der Praxis Pflicht! entsprechend der großartigen Leistung unzähliger gleichberechtigte Wissenschaft zu verstehen. die Chancen auf eine erfolgreiche Intervention zu Wissenschaftler und Praktiker in der Öffentlichkeit darzustellen. Ich möchte noch ein weiteres Beispiel anbringen, das aus meiner Wir verharren hier noch häufig einer Position, die irgendwo Ansicht den Finger in die Wunde eines nicht gelingenden Theorie- zwischen Psychoanalyse, Esoterik und Religionsersatz zu finden Praxis-Transfers ist. insbesondere Zu dieser häufig geht um das „Fernsehen Thema und Medien, Kinder“. Seit der Jahrzehnten wird in Fachkreisen und den Medien darüber gestritten, ob wir nun verlässliche Daten zu den Auswirkungen wissenschaftliche Erkenntnisse nur als Beleg für ohnehin schon des TV-Konsums auf gesundheitlich relevante Faktoren bei vorher vorhandene Vorstellungen benutzen und unkritisch als Kindern besitzen. Da werden von der einen Seite Studien Faktum beigebracht, die deutlich einen negativen Zusammenhang die konkrete Beratung Geringschätzung Es Thema psychologischen Arbeit tragen wir selbst durchaus bei, wenn wir in wahrgenommenen legt. dem einbauen. So wird beispielsweise die mittlerweile berühmte Studie von Bargh, Chen 6 zwischen TV-Konsum und beispielsweise Bewegung, und Burrows , die 1996 in zwei Experimenten zeigten, dass Körpergewicht oder Schulleistungen zeigen. Dagegen werden jungen „Altern“ andere Studien ins Feld gebracht, die keinen negativen Einfluss auseinandergesetzt haben, anschließend und stereotypkonform, auf den TV-Konsum finden. Diese Diskussion dauert gefühlt für den Leute, Weg die sich zum zuvor Thema eine schon ewig und wird vermutlich auch ewig so weitergehen, da es völlig aussichtslos ist, empirisch etwas zu beweisen. Das wissen psychischer, mentaler Prozesse auf unser Verhalten angesehen. wir doch spätestens seit Popper. Die Frage ist an dieser Stelle Dazu ist anzumerken, dass an den von den Forschern aus meiner Sicht völlig falsch gestellt. Natürlich lassen sich viele durchgeführten Studien erstens, jeweils nur 30 Personen Variablen benennen, die die Auswirkungen des TV-Konsums auf teilgenommen haben, zweitens die Effekte zwischen den Kinder moderieren, von der Bildung der Eltern angefangen über Experimental- und Kontrollgruppen sehr gering sind und es die drittens die selbstverständlich ist der TV-Konsum eher ein Abbild der Allgemeingültigkeit länger dem Kontrollgruppe, häufig als eindrucksvoller Beleg für die Wirkung kaum Aufzug mit Replikationsstudien dieser Befunde benötigten dazu gibt, untermauern als die Qualität der Sozialbeziehungen etc. etc.. Und könnten. besonderen Lebensumstände in denen die betrachteten Kinder Außerdem werden auch ernstzunehmende Alternativerklärungen aufwachsen. Aber gleichzeitig bedarf es aus meiner Sicht in zu den Befunden diskutiert7. Eine eins zu eins Übertragung in die diesem Fall keiner weiteren empirischen Befunde, wenn wir uns tägliche Praxis etwa zur Untermauerung der Wirkungsweise z. B. einfach an die bereits gut bewährten und etablierten Theorien imaginativer Verfahren ist aus meiner Sicht ohne Weiteres nicht etwa zum Lernen oder zur Emotionsentstehung bedienen, um die zulässig. Frage zu beurteilen, ob und was und wie oft wir unsere Kinder Um nicht missverstanden zu werden: die Befunde von Bargh und fernsehen lassen wollen. Und darum geht es doch letztendlich, Kollegen sind unglaublich spannend und haben die Forschung um die Beantwortung ganz lebenspraktischer Fragen. Wenn sehr belebt und vorangebracht. Und imaginative Verfahren sind beispielsweise der Konsum aggressiver TV-Inhalte keinerlei bei vielen Anlässen sehr wirkungsvolle Interventionsmethoden. negative Auswirkungen auf die Rezipienten hätte, dann müssen Darum geht es mir hier nicht. Mir geht es um die Frage, wie und wir die Theorie des Modelllernens aufgeben. Wissenschaftlich unter welchen Bedingungen praktische psychologische Arbeit wäre das ja sogar ein Fortschritt, wenn es denn dafür triftige durch empirische abgesicherte Studien, Theorien und Konzepte Gründe gibt und wir eine Alternativerklärung anbringen würden. in einer Art und Weise unterstützt werden kann, die sich gegen Aber eins ist doch klar: Die unzähligen Studien zum Thema Einwürfe, das sei doch alles reichlich naiv und sowieso nur eine berühren diese Fragen gar nicht, sondern verhaken sich in dem Frage des Glaubens, in belegbarer Art und Weise zur Wehr Wunsch, zu beweisen oder zu widerlegen, dass bestimmte TV- setzen kann. Die Psychologie ist keine Sammlung sektiererischer Inhalte zu bestimmten Konsequenzen führen. Das ist so sinnvoll, 6 Bargh, J. A., Chen, M., & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype activation on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71(2), 230–244. 7 Doyen, S., Klein, O., Pichon, C.-L., & Cleeremans, A. (2012). Behavioral Priming: It’s All in the Mind, but Whose Mind? PLoS ONE, 7(1), e29081. wie allgemeingültig und monokausal belegen zu wollen, dass Autofahren tötet. Als Forscher kann es uns doch nur darum gehen zu erklären, amerikanische Forscher9 in der renommierten Zeitschrift Nature unter welcher den Befund, das ihre Versuchspersonen nach dem Anhören einer Randbedingungen wir mit welchen Folgen zu rechnen haben. Als welchen Mozart Klaviersonate in bestimmten Intelligenzaufgaben besser Praktiker und als Mensch müssen wir dagegen Entscheidungen abschnitten als Personen aus den Kontrollgruppen. Obwohl die treffen, häufig vor dem Hintergrund von Unsicherheit. So ist es Ergebnisse von den Autoren noch vorsichtig interpretiert wurden, halt. Warum orientieren wir uns dabei nicht an dem, was wir als entwickelte sich, nach dem einige Medien davon berichtet hatten, Spezialisten, Stand heute, wissen? eine wahre Hysterie in den USA. Mütter spielten ihren noch Betrachten wir das, was wir zu diesem Thema bereits heute ungeborenen Kindern Mozart vor, in Florida wurde sogar sagen können, dann gibt es aus meiner Sicht keinerlei Gründe, gesetzlich dafür gesorgt, dass in den Kindergärten täglich Musik nicht vor einem zu hohen TV-Konsum von Kindern zu warnen. zu hören ist. In der Zwischenzeit hat sich dann übrigens gezeigt, Dies geschieht aber kaum. Warum eigentlich? dass der Mozart-Effekt wohl weniger mit Mozart, als vielmehr mit Wenn wir Erkenntnisse haben, dann müssen wir diese an einer generellen Aktivationsanhebung zu tun hat und die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger weitergeben. Selbst dann, allgemein schwachen Effekte auch mit anderer Musik bzw. wenn wir Gefahr laufen, dass sich das gerade „Richtige“ zu einem Stimulation erreicht werden können. späteren Zeitpunkt als falsch herausstellen könnte. Das ist doch So absurd die eben geschilderten Folgen auf uns rückblickend letztlich immer so. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir die wirken mögen, so sind wir doch selbst nicht weit davon entfernt. Deutungshoheit in unserem ureigensten Themengebiet denen Wer will es schon riskieren und seinen Kindern bzw. sich selbst überlassen, die sich weniger „um das Haltbarkeitsdatum ihrer die Aussagen scheren oder nicht über das entsprechende Wissen vorenthalten, wenn die Forschung doch gezeigt hat, dass dies verfügen“8. Das können wir nicht wirklich wollen. oder jenes positive Folgen haben kann? Aus Können folgt hier Und damit bin ich bei meiner dritten These des heutigen Abends eben auch Sollen! Es ist klar, wohin das führen kann: zu einem angelangt: Die Psychologie ist nicht nur eine Fachdisziplin unter „salutogenen Leistungsdruck“, um es vorsichtig zu sagen, zu vielen, sie ist auch eine Haltung. einer Art social engineering, um es etwas polemisch zu Ich habe es bereits gesagt, die Psychologie geht schnell in formulieren. Die schöne neue Welt Huxleys ist da nicht mehr weit. Deckung, wenn es konkret wird, wenn es hart wird. Wir trauen Mal ganz abgesehen davon, dass wir als professionelle uns selbst und unserer Disziplin zu wenig zu und überlassen Psychologen, Therapeuten und Berater dann ebenfalls der dabei unser ureigenstes Feld lieber denjenigen, die zwar keine Erwartung ausgesetzt sind, einfach nur die richtige Technik für Ahnung von unserem Fach haben, dafür aber die Chuzpe, sich das entsprechende Problem anwenden zu müssen. Aber genau dazu der dieser Eindruck kann, oder soll ich besser sagen, darf(!) nicht „Süddeutschen Zeitung“ kann davon ein Liedchen singen. Jeden entstehen. Die Psychologie spielt nicht mit Wissen und zu Lasten Tag erfahren wir hier, wie wir unsere Kinder besser auf den Betroffener. Und die Psychologie ist und wird es voraussichtlich - stressvollen Schulalltag vorbereiten können, lernen welche soll ich lieber sagen: hoffentlich? - auch nie dazu in der Lage sein, Resilienzfaktoren uns unser Leben besser meistern lassen, ein einfaches Rezept für die komplexen Lebenslagen individueller erfahren, wie wir mit Krisen umgehen können oder warum wir so Menschen anzubieten. Das kann auch nicht unser Ziel sein. oft falsche Entscheidungen treffen oder dass Babys schon vor der Deswegen bedarf es durchaus einer sehr kritischen Betrachtung Geburt lernen können, dass Jungs anfälliger für Computerspiele unseres Selbstverständnisses. Nicht jede Barriere im Lebenslauf sind oder, dass Achtsamkeit der Schlüssel zu mehr Offenheit und ist eine Krise, nicht jede Krise kann bewältigt, nicht jedes Defizit Mitgefühl ist. So vorteilhaft und begrüßenswert die mediale kompensiert werden. Verlust bliebt Verlust, Verletzung bleibt Berichterstattung einerseits für uns sein mag, sie führt ja Verletzung, Krise Krise. Dies ist nicht etwa resignierend oder als immerhin zu einem großen Interesse an unserem Fach, so Defizit hinzunehmen, sondern ganz positiv und durchaus freudig schädlich kann diese Form der Öffentlichkeitsarbeit andererseits beherzt. Denn wie würde unsere Gesellschaft und unser sein. Nicht weil hier Befunde ohne wirkliches Fachwissen Zusammenleben interpretiert werden oder kein Wert auf Effektstärken oder andere menschlichen Probleme tatsächlich im Griff hätten? Damit will ich, einschränkende Bedingungen gelegt wird, sondern weil damit der um jedwedem Missverständnis sofort aus dem Weg zu gehen, Eindruck entsteht, dass wir auch anwenden und umsetzen nicht an der Notwendigkeit der psychologischen Unterstützung müssten, was uns die Forschung an Erkenntnissen liefert. Wer's zweifeln. nicht macht ist selber schuld! Dies führt zu teilweise absurden „wegzutechniken“, gerade weil Probleme Probleme sind, bedarf Verhaltensweisen. Denken wir zum Beispiel an den sogenannten es der psychologischen Hilfe und Unterstützung. Aber, die Mozart-Effekt. Vor genau 20 Jahren, also 1993 veröffentlichten Verfügbarkeit psychologische Hilfe darf nicht im Sinne einer 8 Bak, P. M. (2011). Von der Notwendigkeit als PsychologIn Stellung zu beziehen. Psychologische Rundschau, 62(4), 237–238. 9 Rauscher, Frances H.; SHAW, Gordon L.; KY, Katherine N.: Music and spatial task performance, in: Nature, 365, 14. Oktober 1993, S. 611 zu Umständen äußern. Jeder bzw. Leser beim Vorliegen des „Spiegels“ oder positiven Im Konsequenzen wohl bestimmter aussehen, Gegenteil, gerade wenn weil Verhaltensweisen wir all die Probleme allzu nicht „Psycho-Pille“ missverstanden werden, die man nur einzunehmen individuelle bzw. zu verabreichen hat, und alles wird wieder gut. Von der einmischen. „Mehr Psychologie bitte!“ mag man da rufen. eigenen Verantwortung, derer man sich damit ganz einfach Fundiert, empirisch abgesichert, theoretische begründet. Aber entledigen kann ganz zu schweigen. Menschliches Leben ist von auch nur da, wo es Not tut, möchte ich einschränkend hinterher Anfang rufen. an und bis Anpassungsleistung, zu die seinem Ende keinem eine großartige optimierten oder Angebote machen und uns auch öffentlich Mein Wunsch, wenn ich ihn dann am Schluss hier noch effizienzgesteuerten Plan zu erfüllen hat und zu dem es natürlich aussprechen kann, wäre es, dass die Psychologie als gehört, an Grenzen zu stoßen, Krisen zu erleben und Probleme wissenschaftlich fundierte, aber angewandte Disziplin, sich zu haben. Dies dürfen wir aus meiner Sicht nicht vergessen, endlich selbstbewusst und engagiert die Deutungshoheit über ihr wenn wir psychologische Hilfe anbieten bzw. hier oder in den eigenes Fachgebiet zutraut und sich der damit einhergehenden Medien darüber reden. Und dies ist eine aus meiner Sicht zutiefst Verantwortung stellt. Es gibt zu viele Bereiche, in denen unser humane Haltung, die sowohl dem Wissenschaftler wie dem Wissen, unsere Methoden und unsere Erfahrungen und unsere Praktiker, der, ob er es nun will oder nicht, immer auch durch sein Denkweisen hilfreich und nötig wären, dass wir es nicht anderen Schaffen Wirkung auf andere Menschen erzielt, gut stehen überlassen sollten, sich die Freiheit herauszunehmen, auf uns zu würde. Irgendwie ein bisschen mehr Demut vor der Komplexität verzichten. des Lebens. Und damit möchte ich nun langsam zum Schluss kommen und Zum Autor nochmals zusammenfassen. Ich habe versucht, aufzuzeigen, dass die Psychologie als Wissenschaft und in ihrer praktischen Dr. Peter Michael Bak ist Diplom-Psychologe und Professor für Umsetzung notwendiger denn je ist. Ob psychisches Leiden, Psychologie an der Hochschule Fresenius in Köln sowie Dozent lebenslange Entwicklung, Förderprogramme oder die sinnhafte an nationalen und internationalen Hochschulen. Zudem ist er als Gestaltung von privaten wie beruflichen Beziehungen, stets Buchautor, Speaker und Berater tätig. haben wir es mit originär psychologischen Themen zu tun, zu denen wir mit Rat und Tat im Sinne einer befriedigenden Lebensführung beitragen können. Dies setzt jedoch, so meine zweite These, Zusammenspiel ein wirkungsvolles zwischen und psychologischer vorurteilsfreies Forschung und Anwendung voraus. Hier gilt im übrigen auch nochmals die mit dem Bologna-Prozess verbundenen Konsequenzen kritisch zu hinterfragen. Welchen Bachelorabschluss hier Stellenwert geben? wollen Wie wir etwa dem lassen sich eher wissenschaftlich orientierte universitäre Studiengänge von eher anwendungsbezogenen Studiengängen an anderen Hochschulen sinnvoll abgrenzen und mit welchen Konsequenzen für das weitere Berufsleben? Wie kann in den sehr verschulten Bachelorund Masterstudiengänge Platz für kritisches Denken geschaffen werden? Eine Menge Stoff, aber für einen anderen Vortrag. Schließlich habe ich die Notwendigkeit betont, dass wir als Psychologen, a priori, weil der Mensch im Mittelpunkt unserer Arbeit steht, eine ganz besondere Verantwortung haben, die es am besten mit einer entsprechenden Haltung zu erfüllen gilt. Da wo es aufgrund unseres Expertenwissens Not tut, da müssen wir Kontakt: [email protected]
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