Internationale Menschenrechtsarbeit - Friedrich-Naumann

Wandel verstehen
Rechte schützen
Zukunft gestalten
Internationale Menschenrechtsarbeit
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Impressum
Herausgeber:
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Bereich Internationale Politik
Karl-Marx-Straße 2
D-14482 Potsdam
Redaktion:
Moritz Kleine-Brockhoff, Ruben Dieckhoff, Olaf Kellerhoff
Gesamtherstellung:
COMDOK GmbH
Kontakt:
[email protected]
Fotonachweis
©The Universal Logo for Human Rights
Titel: „Stop Torture”/Sokwanele, Zimbabwe
Alle übrigen Fotos: Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
ISBN 978-3-9816609-1-3
Wandel verstehen
Rechte schützen
Zukunft gestalten
Internationale Menschenrechtsarbeit
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Inhalt
Vorwort
Dr. Wolfgang Gerhardt, Ulrich Niemann
Gerhart Baum
4
5
Europäische Institutionen und Nordamerika
Immer noch nicht perfekt, aber besser als vor 50 Jahren
Prof. Thomas Buergenthal über seine Erfahrungen im Kampf
um Menschenrechte
6
Mittel-, Südost- und Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien
Die Chancen einen Prozess zu gewinnen, gehen gegen Null,
wenn die Judikative nicht unabhängig ist!
Interview mit Intiqam Aliyev,
Menschenrechtsverteidiger aus Aserbaidschan
Eiszeit statt Dialog
Wiktor Tymoschtschuk arbeitet in der Ukraine für eine
bürgernahe Verwaltung
8
10
Mittelmeerländer
Rechtsstaatlichkeit statt Gewalt
In Marokko organisieren Jamal Chahdi und sein „Centre des Droits
des Gens“ Menschenrechtsbildung für Gefängnispersonal, Richter,
Anwälte, Lehrer und Kinder
12
Afrika
2
Menschen eine Stimme geben
Interview mit Alice Mogwe, Direktorin für DITSHWANELO,
dem Menschenrechtszentrum Botswanas
14
Einsatz für ein Simbabwe, in dem ich meine Meinung
frei kundtun kann
Lucia Masuka-Zanhi, Direktorin der Legal Resources Foundation
Masvingo, hat eine Vision für ihr Heimatland
16
Lateinamerika
Stärkste Kritikerin und verlässliche Partnerin
Die Mexikanerin Laura Elena Herrejón will, dass Bürger
sich in ihren Nachbarschaften organisieren und ihre
Eigentumsrechte wahrnehmen
18
Südasien
Im Einsatz für Menschenrechte und gute Regierungsführung
Maja Daruwala ist die Direktorin der renommierten
Commonwealth Human Rights Initiative (CHRI), Delhi
20
Aufstieg militanter Extremisten verschlechtert Minderheitenrechte
Interview mit I. A. Rehman über die Situation von Minderheiten
in Pakistan
22
Südost- und Ostasien
ASEAN Menschenrechtssystem muss reaktionsfähig und effektiv sein
In Südostasien drängt die Arbeitsgruppe Regierungen,
Menschenrechte zu achten. Generalsekretär Ray Paolo Santiago
spricht über Erfolge und Herausforderungen
24
Islamisches Familienrecht spiegelt nicht Realität heutiger Ehen wider
In Malaysia setzt sich Ratna Osman für die Rechte
islamischer Frauen ein
26
Partner
28
3
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Menschenrechte und Liberalismus sind nicht voneinander zu trennen: Die universellen
Rechte des Bürgers sind das Fundament der liberalen Philosophie, die ein Maximum an
Freiheit einfordert. Dabei gibt es kaum einen Politikbereich ohne menschen- und bürgerrechtliche Aspekte.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Ulrich Niemann
Die Geschichte der Menschenrechte ist vor allem eine Geschichte des Einsatzes für ihre
Durchsetzung und Anerkennung. Mehr als 60 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen sind Menschenrechte zwar in vielen Ländern Teil der Rechtsordnung und moralisches Postulat, werden in
der Realität aber noch viel zu oft verletzt und missachtet. Überall in der Welt gab und gibt
es ungezählte mutige Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen und die dafür Unterstützung brauchen. Vor diesem Hintergrund nehmen Menschen- und auch Bürgerrechte
bei der Arbeit der Stiftung wichtige Stellungen ein. Seit dem Beginn ihrer Auslandstätigkeit
im Jahr 1963 engagiert sich die Stiftung zusammen mit ihren Partnern für Menschen- und
Bürgerrechte – mittlerweile in mehr als 70 Ländern weltweit. Grundlage unserer Arbeit ist
die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen, in der das Individuum im Mittelpunkt
steht und Rechte formuliert sind, die jedem einzelnen Menschen zustehen. Die Durchsetzung
dieser Rechte bedeutet für Liberale, dass jeder Mensch sich frei entfalten kann.
Wo Menschenrechte missachtet und Zugänge zu sozialer und institutioneller Infrastruktur
Teilen der Bevölkerung verwehrt bleiben, kann der Aufbau eines funktionierenden Gemeinwesens nicht gelingen. Daher ist und bleibt die Förderung von Demokratie, Rechtsstaat und
Menschenrechten die zentrale Aufgabe der Stiftung. Allen unseren Aktivitäten ist gemein,
dass sie nur Nachhaltigkeit entfalten können, wenn sie beharrlich und kontinuierlich durchgeführt werden. Mit dieser Informationsbroschüre möchten wir Ihnen Personen und Organisationen exemplarisch vorstellen, die sich – unter teils sehr schwierigen Bedingungen – für
die Menschenrechte in ihrem Land und darüber hinaus auf regionaler und internationaler
Ebene einsetzen. Für diesen Einsatz braucht es Mut, Einsatzbereitschaft und einen langen
Atem. Bisweilen ist er auch gefährlich, teils sogar lebensgefährlich. Wir meinen, dass sie
Unterstützung verdienen und arbeiten als Stiftung deshalb partnerschaftlich mit ihnen in
der Regel bereits seit vielen Jahren zusammen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir beeindruckende Persönlichkeiten kennenlernen dürfen, die ihren ganzen Einsatz den jedem Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe – zustehenden Menschenrechten gewidmet haben. Die Stiftung
wird sie auch in den kommenden Jahren mit vollem Einsatz unterstützen. Denn auch dort,
wo Rechte in Verfassungen einmal verankert und durch den Staat akzeptiert wurden, muss
ihr Bestand gesichert und ihre Durchsetzung gewährleistet werden. Gemeinsam mit unseren
Partnern setzen wir uns auch in der Zukunft dafür ein, dass mehr Menschen ein freies Leben
in Rechtssicherheit führen können. Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserer Menschenrechtsarbeit und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Herzlich,
Dr. Wolfgang Gerhardt
Vorsitzender des Vorstandes
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Ulrich Niemann
Bereichsleiter Internationale Politik
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
liebe Freundinnen und Freunde der Stiftung,
die beiden historischen Situationen auf deutschem Boden – die Nazidiktatur und das Unrechtssystem der DDR – haben mich nie losgelassen. Bei meinen vielen Reisen durch die
Welt, habe ich gesehen, dass die Unterdrückungsmechanismen und die Ohnmacht der Betroffenen überall exakt die gleichen waren. Das Ziel ist immer, die politischen Gegner mundtot zu machen, zu verfolgen, zu inhaftieren, zu foltern, und im äußersten Fall zu töten. Es ist
eben nicht das Recht an sich, sondern das Recht des Stärkeren, nackte Willkür, mit denen
sich die Diktaturen über Wasser zu halten versuchen.
Gerhart Baum
Der zentrale Gedanke der unantastbaren Menschenwürde hat sich entwickelt aus der Antike
über die europäische Aufklärung. Alle Weltkulturen beruhen auf dem Schutz des Menschen
und seiner Würde. Die Menschenrechte sind keine westliche Erfindung. Das unterstreicht
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Im Laufe der Jahrzehnte ist ganz
konsequent Schutzobjekt das Individuum, der einzelne Mensch geworden, der auch einen
Schutzanspruch gegenüber dem eigenen Staat hat. Vom Staatenrecht zum Recht der Weltbürger!
Das internationale Instrumentarium im Kampf für die Menschenrechte ist im Laufe der
Jahrzehnte stark verbessert worden. Der größte Erfolg der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz im Jahr 1993 war, die Menschenrechte als universelle, unteilbare Menschenrechte zu
bekräftigen und die unverzichtbare Rolle der Nichtregierungsorganisationen anzuerkennen
und zu schützen.
Menschenrechtspolitik ist ohne die mutigen Menschenrechtsverteidiger überall auf der Welt
nicht zu realisieren. Mit einer besonderen Resolution der Generalversammlung der UN, die
auch auf deutsche Initiative hin entstand, ist ihre Tätigkeit seit 1998 besonders geschützt.
Sechs Jahre lang habe ich unser Land in der Menschenrechtskommission der UN vertreten,
drei Jahre lang war ich im Auftrag der UN Menschenrechtsbeauftragter für den Sudan. Ich
habe mich immer als Verbündeter derjenigen verstanden, die für die Freiheit kämpften.
Einige werden Ihnen in der vorliegenden Broschüre vorgestellt. Sie alle eint ihr Mut, ihr
Einsatzwille und ihr Glauben an Veränderung, den die Friedrich-Naumann-Stiftung für die
Freiheit seit über 50 Jahren weltweit unterstützt.
Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung. Ich habe bei vielen Gelegenheiten jungen
Menschen gesagt, dass es sich lohnt, für die Menschenrechte zu kämpfen. Wie oft habe ich
erlebt, dass die Idealisten die besseren Realisten waren, weil sie die auf Freiheit drängenden
Kräfte eben nicht unterschätzt hatten. Es ist viel erreicht worden im Laufe der Jahrzehnte.
Es lohnt sich für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik zu kämpfen, gerade für uns
Deutsche, die viele bittere Jahre der Unterdrückung erfahren haben.
Herzlich,
Gerhart Baum
Bundesminister a.D.
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Europäische Institutionen
und Nordamerika
Immer noch nicht perfekt,
aber besser als vor 50 Jahren
Prof. Thomas Buergenthal über seine Erfahrungen
im Kampf um Menschenrechte
Herr Buergenthal, was sind Ihre Erfahrungen aus Ihrer Arbeit in internationalen Menschenrechtsinstitutionen?
Man muss sich bewusst machen, dass man nicht alle Menschenrechtsverletzungen auf der
Welt verhindern kann. Das wird nicht geschehen, zumindest nicht in absehbarer Zeit, nicht
zu meinen Lebzeiten. Hier kann man das Beispiel des interamerikanischen Systems heranziehen. Als ich im Jahr 1979 an den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof
gewählt wurde, gab es überall in der Region Diktaturen. Nun unterzeichneten die meisten
Länder die Interamerikanische Menschenrechtskonvention, aber nicht in der Annahme, sich
an diese halten zu müssen. Unter dem Druck anderer, auch europäischer Länder, bildete sich
aber das Bewusstsein heraus, dass sowohl der Gerichtshof, als auch die Konvention wichtige
und mächtige Körperschaften sind, die das Handeln von Staaten lenken und überwachen
können. Und dies passierte in einer Reihe von Institutionen, sogar in der damaligen Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Es hat sich eine Art Menschenrechtsideologie in der Welt herausgebildet. Es ist Staaten nicht länger möglich, auszurufen, dass sie
Menschenrechte offen verletzen können.
Thomas Buergenthal wurde 1934 in der heutigen Slowakei geboren. Er verbrachte mehrere Jahre in verschiedenen deutschen Lagern, u.a. im Konzentrationslager Auschwitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte er in die USA aus. Buergenthal zählt heute zu den weltweit führenden Menschenrechtsexperten. Als
Richter arbeitete er am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Darüber hinaus war er Mitglied des UN-Menschenrechtsrats. Derzeit arbeitet er als
Professor für vergleichende Rechtswissenschaft an der George Washington Universität in Washington, DC.
Seit Anfang der 1980er Jahre kooperiert Buergenthal mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
6
Foto by nc-nd United Nations Photo
Was hat sich während Ihrer Karriere in der Menschenrechtsarbeit geändert?
Was sich hauptsächlich geändert hat, ist, dass wir im Gegensatz zu früher eine ganze Reihe internationaler Institutionen haben, welche sich mit Menschenrechtsfragen befassen.
Die Existenz dieser Institutionen hat viel zur Verbesserung der internationalen Menschenrechtssituation in der Welt beigetragen. Sie hat noch nicht den Stand erreicht, den wir uns
erhoffen, jedoch hat sich die jetzige Situation im Vergleich zur Situation von vor 40 bzw. 50
Jahren enorm verbessert.
Sie sagten einmal in einem Interview, dass wir nicht genug Gerichte haben, die internationales Recht interpretieren, anwenden und durchsetzen und, dass wir pro Region oder
Unterregion ein solches Gericht benötigen. Was würden Sie Kritikern entgegnen, die das
für gefährlich halten, da sie eine Fragmentierung des internationalen Rechts sowie eine
Bedrohung der Universalität befürchten?
Ich halte dies für absoluten Unfug. In Wahrheit ist es so, dass man bei Betrachtung der
verschiedenen Regionalgerichte und Tribunale feststellt, dass sie überhaupt nicht zu einer
Fragmentierung des internationalen Rechts führen. Was vielmehr passiert, ist, dass dies ein
internationales Recht für alle schafft.
Was waren die Höhepunkte Ihrer Erfahrungen mit diesen Menschenrechtsorganisationen?
Können Sie Fälle nennen, in denen Sie Ihrer Meinung nach am meisten bewirken konnten?
Der Fall der Verschleppungen von Personen aus politischen Gründen in Honduras, der fast
immer in diesem Zusammenhang zitiert wird, hat teilweise während meiner Präsidentschaft
des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs stattgefunden. Dies war wirklich das
erste Mal, dass sich ein internationales Gericht den Verschleppungen angenommen hat. Und
wir konnten zeigen, wie man auf internationaler Ebene mit solchen Fällen der Verschleppung umgeht. Es waren drei Fälle und in gewisser Weise haben diese auch die Probleme
Argentiniens offengelegt. Argentinien hat die Rechtsprechung des Gerichts nicht akzeptiert.
Aber die Wirkung der Entscheidung, unserer Entscheidung, hatte auch eine bedeutende
Auswirkung auf die Politik Argentiniens. Es wurde deutlich, dass wenn ein Regionalgericht
sich mit gewissen Themen befasst, sich dies auf eine gesamte Region auswirkt, und natürlich hatte es beträchtliche Auswirkungen in Honduras selbst.
Claus Gramckow, Washington, DC.
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Mittel-, Südost- und Osteuropa,
Südkaukasus und Zentralasien
Die Chancen einen Prozess zu gewinnen,
gehen gegen Null, wenn die Judikative nicht
unabhängig ist!
Interview mit Intiqam Aliyev,
Menschenrechtsverteidiger aus Aserbaidschan
Herr Aliyev, wie fühlt man sich, Menschenrechtsverteidiger in Aserbaidschan zu sein?
Ich bin seit 20 Jahren Anwalt und habe in dieser Zeit hunderte von Fällen bearbeitet. Jeder von ihnen drehte sich um grundlegende Menschenrechte: Versammlungsfreiheit, freie
Wahlen, Recht auf Eigentum, Meinungsfreiheit, etc. Allerdings gibt es keinen Fall, den ich in
Aserbaidschan gewonnen habe. Der Grund hierfür ist nicht mangelnde Kompetenz. Vielmehr
gehen in einem Land, in dem die Judikative nicht unabhängig ist, die Chancen eines Anwalts
einen Fall zu gewinnen gegen null.
Was denken Sie, lohnt sich eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)?
Der EGMR bleibt als einzige Möglichkeit, Gerechtigkeit wiederherzustellen, vor allem im
Hinblick auf politische Fälle. Ich würde aber nicht behaupten, dass seine Entscheidungen
einen großen Einfluss auf das politische System oder Justizwesen Aserbaidschans haben.
Intiqam Aliyev hat einen Abschluss der Baku State University und begann seine Karriere als Anwalt und
Menschenrechtsaktivist im Jahr 1990. Ein Jahr später gründete er die Kanzlei Advokat Servis. Seit 1999 ist
er Vorsitzender der Legal Education Society, einer NRO die sich auf Menschenrechtsschutz konzentriert.
In Anerkennung seiner Beiträge zum Schutz der Menschenrechte und der demokratischer Freiheiten in
seinem Heimatland, wurde Herrn Aliyev die Homo Homini Auszeichnung 2012 durch die Tschechische
NRO People in Need verliehen. Aserbaidschan ist eine Präsidialrepublik, in der laut Human Rights Watch
die Arbeitsatmosphäre für politische Aktivisten und unabhängige Journalisten in den vergangenen Jahren
immer feindseliger wurde.
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© www.obyektiv.tv
Dennoch sind sie von großer Bedeutung, da sie der Zivilgesellschaft die Chance eröffnen,
Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen zur Anhörung zu bringen und die Frage der
Reform des Systems aufzuwerfen. Ich bin überzeugt, dass, sobald die EGMR Entscheidungen
mit Bezug zu Aserbaidschan eine kritische Grenze überschritten haben, wir ihre Auswirkungen weitaus mehr spüren werden. Dies ärgert die Regierung. Deshalb greift sie insbesondere
jene Anwälte an, die in diese Aktivitäten involviert sind.
Erscheint Ihnen ihr Engagement nicht aussichtslos?
Ich würde das Gegenteil sagen. Vieles von dem, was wir gemacht haben und weiterhin
machen, mag aussichtslos erscheinen. Allerdings soll man keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Wir legen die Saat, und was man säht, das erntet man eines Tages auch. Jede Person, die
angesichts solcher schwierigen politischen Verhältnisse nicht zurückweicht, verdient hohe
Anerkennung für ihren Mut und Einsatz.
In diesem Sinne, was sind ihre Erwartungen?
Das Regime tut alles in seiner Macht stehende, um die bereits begrenzten politischen Aktivitäten weiter einzuschränken, und ihren Einfluss auf die Zivilgesellschaft auszuweiten. Sie haben
die Kontrolle über die finanziellen Ressourcen übernommen, die Aktivitäten internationaler
Institutionen eingedämmt, Sanktionen für die Teilnahme an Demonstrationen verhängt und
das Visaverfahren erschwert. Ihr Arsenal an Werkzeugen um Menschen zu unterdrücken ist
endlos. Sie schrecken noch nicht einmal davor zurück, internationale Organisationen, Diplomaten, Politiker und Regierungen zu bestechen. Mit diesen Maßnahmen versuchen sie, sich
selber gegen jeden politischen Wandel zu schützen. Allerdings wollen Menschen im 21. Jahrhundert nicht in einer Gesellschaft leben, die von einer feudalen Ordnung beherrscht wird.
Sie werden niemals müde, ihre Ziele zu erreichen. Denken Sie nicht bereits ans Aufhören?
Von Zeit zu Zeit zu ermüden ist menschlich. Aber ich bin meiner Arbeit nicht müde. Dennoch
träume ich gelegentlich davon, der Gesellschaft den Rücken zu kehren und mich irgendwo
im Nirgendwo niederzulassen. Es ist allerdings lediglich ein Traum. Wir müssen dieses Land
ändern. Das bedeutet, dass wir kein Recht haben, zu ermüden oder uns abzuwenden. Wir
sind verpflichtet weiterzumachen. Wie kann man ruhig in einem Land leben, in dem Menschen wegen ihrer Meinungen ins Gefängnis kommen? Man kann nicht einfach aufhören,
wenn man mit eigenen Augen sieht, wie das System offensichtlich Bildung, Kultur und
moralische Überzeugungen zerstört. Wenn ich mich so verhalten würde, würde ich meine
Selbstachtung verlieren und das wäre mein Ende.
Natiq Cavadlı, Baku
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Mittel-, Südost- und Osteuropa,
Südkaukasus und Zentralasien
Eiszeit statt Dialog
Wiktor Tymoschtschuk arbeitet in der Ukraine für eine
bürgernahe Verwaltung
Wiktor Tymoschtschuk - Jurist, Wissenschaftler und Verwaltungsfachmann aus der Ukraine
– ist ein Verfechter von gutem Service. Dabei denkt er in erster Linie an Bürgerservice durch
Verwaltungen. „Bürgerämter sind Orte, an denen Mensch und Staat zusammenkommen.
Sie sind ein zentraler Treffpunkt. Und nach solchen Treffen beurteilten Bürger ihren Staat“,
ist Wiktor überzeugt. Im Jahr 2000 reiste er von Kiew nach Den Haag und besuchte dort
zum ersten Mal ein niederländisches Bürgerbüro. Wiktor war beeindruckt von der Anzahl
der Angelegenheiten, die die Niederländer dort unter einem Dach erledigen können: Wohnsitzanmeldung, Beantragung des Passes, einer Geburtsurkunde und des Führerscheins. Das
Konzept imponierte ihm so, dass er sich fortan mit kundenorientierter Arbeit von Verwaltungen in Europa, Kanada und den USA beschäftigte. Sein Wissen nutzt Wiktor zu Hause in
Kiew bei seiner Arbeit am Zentrum für Politische und Rechtliche Reformen. Das ZPRR, ein
Think Tank, setzt sich für Verwaltungsreform in der Ukraine ein.
„Die Ukraine braucht dringend einheitliche Verwaltungsverfahren“, fordert Wiktor. Allerdings stehen Amtsinteressen, Korruption und widersprüchliche Gesetze der Vereinheitlichung von Verwaltungsverfahren im Weg. Gute Verwaltung wird durch zentralistische,
überregulierte und schwerfällige Strukturen behindert. Außerdem höhlt die Staatsführung
gegenwärtig die lokale Selbstverwaltung aus.
Wiktor Tymoschtschuk ist stellvertretender Vorstandschef des 1996 von dem Parlamentarier Ihor Koliuschko gegründeten Zentrums für Politische und Rechtliche Reformen (ZPRR) in Kiew. 20 Mitarbeiter
arbeiten in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung, Verfassungsrecht und Strafjustiz.
In Zusammenarbeit mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit finden seit 2010 Seminare und
Trainings zur Schaffung von Bürgerämtern statt. Mittlerweile gibt es auf kommunaler Ebene zehn solcher
Bürgerämter. Ihre Dienstleistungen sind noch nicht so umfangreich wie gewünscht, aber das Konzept
sensibilisiert für serviceorientierten Verwaltungsstil. Die Ukraine ist offiziell eine Demokratie, aber das
Parlament ist kein politisches Gegengewicht zur Präsidialexekutive. Rechtsstaatliche Grundlagen werden
manipuliert, der Freiraum der Medien beschränkt.
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Egal, ob es darum geht, Baugenehmigungen zu erteilen oder Rechte an Immobilien oder
Unternehmen zu registrieren: viele Kompetenzen werden zentralstaatlichen Behörden übertragen. Und für andere Verwaltungsdienste wie Aufenthaltsgenehmigungen, Pässe und Führerscheine ist nach wie vor, so wie zu Sowjetzeiten, das Innenministerium zuständig. Es hält
traditionsbedingt wenig von Bürgernähe.
„Bei uns gibt es seit einigen Jahren Eiszeit anstatt eines Dialogs zwischen Zivilgesellschaft
und zentralstaatlichen Behörden. Deswegen arbeiten wir mittlerweile überwiegend mit reformwilligen Bürgermeistern von Städten zusammen, die sich serviceorientierte Bürgerzentren in ihrer Verwaltung vorstellen können“, sagt Wiktor. Die Kooperation, die das ZPRR
anbietet, ist vielfältig: Analysen, Gesetzentwürfe und Publikationen werden vorbereitet,
Trainings konzipiert und durchgeführt, Medienauftritte unterstützt.
Seit mehr als zehn Jahren engagieren sich Wiktor und das ZPRR für Verwaltungsreformen
und versuchen, das Konzept der Bürgerzentren in der Ukraine zu verbreiten. Ende der 90er
Jahre hatte Wiktor als Assistent des ukrainischen Abgeordneten Ihor Koliuschko im Parlamentsausschuss für Rechtspolitik gearbeitet. Das Tandem begleitet bis heute Gesetzgebung.
Wiktor ist Co-Autor von Gesetzen zum öffentlichen Dienst und zu Verwaltungsdienstleistungen. Auch ein Verwaltungsverfahrensgesetz stammt größtenteils aus seiner Feder, leider
wurde es nie verabschiedet. Sein Einsatz für gute Regierungsführung verlangt Wiktor viel Geduld ab. Richtig glücklich wäre er, wenn seine Kinder gern in der Ukraine blieben anstatt, wie
manche andere Bürger, ihr Heimatland zu verlassen, auf der Suche nach einem besseren Leben
in einem anderem Land, in dem staatliche Behörden an Recht und Gesetz gebunden sind.
Alina Kurasch und Miriam Kosmehl, Kiew
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Mittelmeerländer
Rechtsstaatlichkeit statt Gewalt
In Marokko organisieren Jamal Chahdi und sein „Centre des
Droits des Gens“ Menschenrechtsbildung für Gefängnispersonal,
Richter, Anwälte, Lehrer und Kinder
Die Avenue Mohammed V. in Fes zeugt vom Reichtum der alten Königsstadt: Zwei Reihen
hochgewachsener Palmen, in deren Mitte die Menschen flanieren, feine Cafés und Boutiquen. Am Ende der Allee fällt der Blick auf die berühmte Altstadt von Fes, die Touristen
aus der ganzen Welt anzieht. Doch die Stadt hat auch ihre Schattenseiten, und um diese
kümmert sich Jamal Chahdi von der Menschenrechtsorganisation „Centre des Droits des
Gens“ („Rechte der Leute“). Um sein Büro zu finden, muss man einen schmalen, dunklen
Gang zwischen zwei Wohnhäusern bis zum Ende gehen, rechts im Erdgeschoss liegen die
einfachen Räume der Menschenrechtsorganisation, die meisten fensterlos, einfache Bürotische, wenige Stühle. Der ehemalige Mathematiklehrer und Gewerkschaftler Chahdi, der die
Organisation 1999 mitgegründet hat und leitet, empfängt in seinem Büro, dessen einziger
Schmuck Zeugnisse von der Arbeit der Organisation sind: Fotos von Menschenrechts-Bildung von Lehrern, Plakate gegen die Todesstrafe und eine Landkarte von Marokko mit 207
Fähnchen, welche die Ableger der Organisation im Lande anzeigen.
„Unser Ansatz war absolut neu“, erinnert sich der 55-jährige Chahdi an die Anfänge. Damals
gab es mehrere Menschenrechtsorganisationen, die allerdings jeweils einer politischen Partei nahestanden und damit hoch politisiert waren.
Jamal Chahdi und Mitstreiter gründeten 1999 das „Centre des Droits des Gens“ („Zentrum des Rechts der
Leute“), die erste politisch neutrale Menschenrechtsorganisation Marokkos. Schwerpunkt ist Menschenrechts-Bildung für Lehrer und Schüler, Anwälte, Richter und Gefängnispersonal. Außerdem werden Gewaltopfer betreut. CDG, seit 2002 Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, hat 207 Zweigstellen, 48 Mitarbeiter und 2700 Freiwillige. Die Gründung ging einher mit Marokkos politischer Öffnung
am Ende der Herrschaft von König Hassan II. Zuvor war es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen
gekommen. Heute ist Marokko eine exekutive Monarchie mit König Mohammed VI. als Staatsoberhaupt.
Amnesty International sieht Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt.
12
„Sie haben ausschließlich Menschenrechtsverletzungen durch den Staat angeprangert. Aber
niemand hat sich darum gekümmert, den Leuten - Lehrern, Kindern oder Gefängnispersonal Menschenrechte und deren Wahrung zu vermitteln.“ Und so gründete Chahdi zusammen
mit neun Mitstreitern das politisch neutrale „Centre des Droits des Gens“ in Fes. Sein Credo:
„Wir bekämpfen jede Form von Extremismus und Gewalt und setzen uns für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein.“ Mit einer „Auto-Karawane“ sind die Aktivisten anfangs über
die Dörfer des Landes gezogen und haben in Schulen die Kinder, aber auch Lehrer und Eltern
darüber aufgeklärt, was Menschen- und Kinderrechte in Schule und Familie bedeuten. Die
politische Unabhängigkeit der Organisation hat es ermöglicht, dass sie mit Zustimmung des
Justizministeriums auch in Gefängnissen arbeiten darf. Dort werden Gefangene über ihre
Rechte informiert. Vor allem aber gibt es Menschenrechtsfortbildungen für Gefängnispersonal, auch für die Gefängnisdirektoren.
„Es reicht nicht, die Gesetze zu ändern, man muss auch die Mentalitäten ändern“, erklärt
Chahdi den Ansatz. Die Behörden vertrauen der Organisation, weil sie zwar Missstände im
Gespräch anprangert, aber nicht heimlich im Gefängnis filmt oder ihre Kritik sofort in die
Medien trägt. Allerdings hat die Flucht eines Dutzend Islamisten aus dem Gefängnis von
Kenitra 2009 zu einem Gesinnungswechsel auf Seiten des Staates geführt: Das Sicherheitsdenken dominiert erneut, die Organisation musste ihre Arbeit im Gefängnis reduzieren.
„Wir arbeiten weiter“, erklärt Chahdi, „aber jetzt meist nur noch durch Fortbildung von
Gefängnisdirektoren.“ Mehrere von ihnen sind mittlerweile Mitglieder der Organisation und
arbeiten als Trainer, um Kollegen zu schulen. Dieser inklusive und parteipolitisch neutrale
Ansatz in einem Land, das jahrzehntelang durch tiefe politische Gräben geteilt war, ist eines
der Erfolgsgeheimnisse von „Droits des Gens“.
Andrea Nüsse, Rabat
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Afrika
Menschen eine Stimme geben
Interview mit Alice Mogwe, Direktorin für DITSHWANELO,
dem Menschenrechtszentrum Botswanas
Welches sind die wichtigsten Herausforderungen an die Menschenrechte in Botswana?
Einige Herausforderungen, denen man in Botswana begegnet, sind die Todesstrafe, die
Rechte der Indigenen und LGBTI Rechte.
Wie fördert DITSHWANELO die LGBTI Rechte?
1998 initiierten wir die Schaffung von LeGaBiBo (Lesbians, Gays and Bisexuals of Botswana), einer informellen Gruppe von Lesben, Schwulen und Bisexuellen und stellten ihnen
Räumlichkeiten zur Verfügung. DITSHWANELO organisiert jährliche Filmfestivals, an denen
wir regelmäßig Filme zur LGBTI Thematik zeigen. Wir setzen uns für die Entkriminalisierung
der gleichgeschlechtlichen Beziehungen ein, indem wir Studenten, Forscher, die Öffentlichkeit und die Medien mit Informationen versorgen, machen Präsentationen und stellen Ressourcen für Institutionen bereit, die sich für diese Thematik interessieren. Überdies waren
wir in den Fall von Utjiwa Kanane und Graham Norrie involviert, die 1994 verhaftet und
wegen widernatürlichen Handlungen und unanständigen Verhaltens zwischen Männern angeklagt wurden. DITSHWANELO zog vor den Obersten Gerichtshof, um die Bestimmungen
des hiesigen Strafgesetzbuches anzufechten.
Alice Mogwe ist seit 1993 Geschäftsführerin bei DITSHWANELO, dem Menschenrechtszentrum Botswanas. Ihre Fachgebiete sind Menschenrechte, Rechte von Einheimischen, Todesstrafe, Streitschlichtung,
interkulturelles Engagement und regionale Solidarität. Seit 1994 kooperiert die Organisation im Rahmen der Partnerschaft mit SALAN (Southern African Legal Assistance Network) mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. In der Republik Botswana sind Frauen im Allgemeinen und Minderheiten
aufgrund körperlicher Einschränkungen oder ihrer sexuellen Orientierung noch häufig Diskriminierungen
ausgesetzt.
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Foto by nc-nd Christa Lohman
1998 veranstalteten wir eine Konferenz, die sich auf das Recht zur sexuellen Orientierung
konzentrierte. Die Hauptredner waren Rechtsanwälte, LGBTI Aktivisten und der damalige
stellvertretende Generalstaatsanwalt von Botswana. Hier wurde u.a. die Entkriminalisierung
von gleichgeschlechtlichen Beziehungen thematisiert. Wir halten weiterhin Konferenzen
ab, um einen Dialog über LGBTI Rechte in Botswana zu ermöglichen. Auf Anregung von
DITSHWANELO wurden LeGaBibo und RIA (Rainbow Identity Association – eine weitere
Organisation, die sich mit LGBTI Rechten befasst) Teilnehmer der Universal Periodic Review
(UPR) NGO Arbeitsgruppe für Botswanas UPR Sitzung. Wir setzen uns darüber hinaus für
die LGBTI Rechte ein, indem wir dafür lobbyieren, dass sowohl die Menschenrechtsstrategie als auch der Nationale Aktionsplan für Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich die
Regierung verpflichtet hat, Menschenrechtsbildung auch im Bereich der LGBTI beinhaltet.
Welche Erfolge konnten Sie bislang verzeichnen?
DITSHWANELO erhielt bisher sechs regionale und internationale Auszeichnungen für die
Menschenrechtsarbeit. 2012 bekamen wir eine Auszeichnung der französischen Commission Nationale Consultative des Droits de l’Homme (CNCDH) für ein Projekt, das auf ein Ende
der Armut durch wirtschaftliche und soziale Rechte sowie nachhaltige Entwicklung der heimischen Basarwa/San Bevölkerung abzielte. Anfang 1999 sollten zwei Männer hingerichtet
werden. Wir konnten uns einschalteten und eine Aussetzung der Exekution erwirken. Die
Aussetzung wurde im Oktober 1999 erreicht, als ein Richter bestätigte, dass die Angeklagten keine faire Verhandlung erhalten hatten. Die beiden Männer waren nicht länger im Todestrakt, warteten aber auf eine Neuverhandlung. Im Jahr 2005 wurden sie freigesprochen
und schließlich freigelassen.
Welche Schwierigkeiten haben Sie bei der täglichen Arbeit als Förderer und Verteidiger
der Menschenrechte?
Die größte Schwierigkeit als NGO in Botswana ist die mangelhafte Finanzierung. Das macht
effektives Arbeiten schwierig. Dazu fehlt es an Abstimmung der zivilgesellschaftlichen Akteure, um gemeinsam für nachhaltige Entwicklung zu arbeiten.
Was motiviert Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
Die Möglichkeit zu haben, anderen Leuten zu helfen, dass ihre Stimmen gehört und ihre
Rechte geschützt werden.
Katja Egger, Johannesburg
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Afrika
Einsatz für ein Simbabwe, in dem ich meine
Meinung frei kundtun kann
Lucia Masuka-Zanhi, Direktorin der Legal Resources Foundation
Masvingo, hat eine Vision für ihr Heimatland
Wenn man Lucia Masuka-Zanhi trifft, wird man von Hoffnung für die Zukunft Simbabwes
erfüllt. Es besteht kein Zweifel, dass sie eine gradlinige Anwältin ist, überzeugt davon, dass
alles möglich ist, solange man nur daran glaubt.
Herausfordernd ist der Kontext, in dem sie und ihre Mitarbeiterinnen arbeiten: Den Armen
den Zugang zu Gerichten zu ermöglichen sowie die Rechtskenntnis der Bürger zu erweitern. Auf dem Papier ist Simbabwe eine Demokratie, aber der Mangel an Meinungs- und
Versammlungsfreiheit und die anhaltende Präsenz repressiver Gesetze strafen dies Lügen.
Insbesondere Organisationen der Zivilgesellschaft waren und bleiben das Ziel von harten
Maßnahmen. Trotz dieser unsicheren Situation wird Masuka-Zanhi von der Notwendigkeit
angetrieben, für eine Nation zu arbeiten, die ihre grundlegenden Menschenrechte kennt.
Das Leuchten ihrer Augen, wenn sie von Treffen mit Nutznießern der Rechtsaufklärung in
abgelegenen ländlichen Regionen spricht, die solche Informationen nutzen, um ihre Leben
zu verbessern, spricht Bände.
Die Legal Ressource Foundation (LRF) ist eine unabhängige Stiftung, die 1984 gegründet wurde, um den
Bürgern Simbabwes den Zugang zu Rechts- und Informationsdienstleistungen zu gewährleisten. Die LRF
bietet rechtliche und politische Aus- und Weiterbildungen an und setzt sich für eine verbesserte Beteiligung der Bürger in der öffentlichen Verwaltung ein. LRF ist Mitglied des Southern African Legal Assistance
Network (SALAN), mit dem die Stiftung seit 1994 zusammenarbeitet. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Simbabwe seit Jahren, weil unter der Herrschaft von Präsident Mugabe eine Demokratie nur auf
dem Papier existiert und grundlegende Menschenrechte nicht gewährleistet werden.
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Foto by Misko
Für die Legal Resources Foundation sieht Lucia eine lebendige Zukunft – eine, in der sie sich
Menschenrechtsfällen annimmt, ganz gleich, ob es sich bei dem Menschenrechtsverletzer
um die Regierung oder einen privaten Akteur handelt. „Für uns als Organisation ist es wichtig, uns die zentralen Menschenrechtsfragen vorzunehmen, in vorderster Reihe zu stehen
und gehört und gesehen zu werden, wenn Menschenrechtsverletzungen stattfinden.“
Lucia merkt an, dass die Organisation im Zusammenhang mit der Ermöglichung von Zugang
zu Gerichten auch andere Menschenrechte – beispielsweise die Rechte von Kindern, das Recht
auf körperliche Integrität und Eigentumsrechte stärkt. Die Vermittlung von Rechtskenntnis
durch die Organisation ist umfassend, erklärt sie, und deckt alle Rechte einer Person ab. Ein
Gebiet, auf das sich die Legal Resources Foundation noch nicht konzentriert, an welchem
Masuka-Zanhi aber besonderes Interesse zeigt, ist die Sicherstellung wahrer Meinungsfreiheit für die Bürger. In der Tat wirken sich die momentanen Restriktionen der Meinungsfreiheit und des Informationszuganges negativ auf alle anderen fundamentalen Rechte aus. Als
Vorstandsmitglied einer NGO, die mit freien Radiosendern arbeitet, ist ihr die Dringlichkeit
bewusst, zu gewährleisten, dass Zeitungen frei von Angst vor Schließung herausgegeben
werden, und dass kommerzielle und freie Radiosender ihre Nischenmärkte ausfüllen.
Die Leidenschaft, mit der Lucia ihr zukünftiges Simbabwe beschreibt, lässt einen daran
glauben, dass, dank Menschen wie ihr Simbabwe zu einem Land werden kann, in dem Menschenrechte nicht nur auf dem Papier existieren, sondern respektiert, gefördert und gelebt
werden. In Lucias Vision ein Ort, „an dem ich meine Meinung frei kundtun kann, an dem ich
einem freien Radiosender meiner Wahl lauschen kann, an dem ich ohne Angst vor einem
Polizeieinsatz ein Plakat an einer Straßenecke hochhalten, an dem ich die Regierung zur
Verantwortung ziehen kann.“
Mit einer Prise Realismus, sagt sie abschließend, dass das zukünftige Simbabwe, in dem alle
mit Würde und Respekt behandelt werden nicht nur den Einsatz der Regierung, sondern
auch den von nationalen und internationalen Akteuren und der Zivilgesellschaft erfordert.
„Es ist unbedingt erforderlich, dass Akteure darauf bestehen, dass vor landesweiten Wahlen
ein sicheres Klima geschaffen wird; und, dass die Zivilgesellschaft dynamisch und kreativ
handelt, ihre Kräfte bündelt und mit einer Stimme spricht“, betont sie.
Odette Geldenhuys, Harare
17
Lateinamerika
Stärkste Kritikerin und verlässliche Partnerin
Die Mexikanerin Laura Elena Herrejón will, dass Bürger sich in
ihren Nachbarschaften organisieren und ihre Eigentumsrechte
wahrnehmen
Laura Elena Herrejón, Gründerin der Bürgerinitiative „Movimiento Pro-Vecino“ („Bewegung
für den Nachbarn“) in Mexiko-Stadt, sorgte sich um ihre drei Kinder: Wegen mangelnder
Sicherheit konnten die Kleinen nicht auf der Straße spielen, der Spielplatz in der Nähe
ihres Hauses verwahrloste, und niemand unternahm etwas. Laura Elena wollte nicht auf
staatliche Behörden warten. Sie wusste, dass die Situation nur mit Eigenengagement zu
ändern war. Und so begann sie vor 18 Jahren, sich für ihre Familie, ihre Wohngegend und ihr
Land einzusetzen. Erst brachte Laura Elena die Familien der Nachbarschaft zusammen, dann
gründete sie „Movimiento Pro-Vecino“. Die Bürgerinitiative hilft Stadtviertel-Bewohnern
und Gemeinden, sich zu organisieren. Ein Schwerpunkt der Arbeit sind Bildungskampagnen zu Eigentumsrechten, denn viele Mexikaner haben ihr Eigentum noch nicht registriert.
Sie besitzen somit keine juristische Sicherheit, die sie vor willkürlichem Regierungshandeln
schützt.
Laura Elena hatte keinen leichten Start. Zwar existiert ein Gesetz zur Bürgerbeteiligung,
auf dessen Basis sie arbeitete. Doch das Gesetz gibt Behörden und Parteien mehr Gewicht
als Bürgern. Mit „Movimiento Pro-Vecino“ sollte sich das ändern. Die Initiative stellt Bürger-Bedürfnisse vor politische Allüren.
Laura Elena Herrejón aus Mexiko-Stadt gründete vor 15 Jahren die Organisation Movimiento Pro-Vecino.
Ihr Ziel ist, dass Mexikos Bürger sich organisieren und ihre Eigentumsrechte wahrnehmen. Laura Elena spricht auch in anderen Ländern Zentral- und Südamerikas über Qualifizierung verantwortungsvoller
Bürger. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Movimiento Pro-Vecino arbeiten seit 2007
zusammen. Mexiko ist eine demokratische Präsidial-Republik. Menschenrechtsprobleme ergeben sich aus
der durch organisiertes Verbrechen bedrohten Sicherheitslage sowie durch mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Im Drogenkrieg kommt es zu Morden, Entführungen und Vergewaltigungen. Überfälle auf Journalisten bedrohen die Meinungsfreiheit.
18
Anfangs gab es viele Hindernisse: Bürokratie, Korruption und mangelndes Interesse von
Seiten der Bevölkerung an der Eigentumsregistrierung. Gegner glaubten, Laura Elena werde
nach sechs Monaten aufgeben. Doch dann unterstützten mehr und mehr Menschen ihr
Projekt in der Hoffnung, zusammen mit Pro-Vecino ihre Lebensqualität zu verbessern. So
entwickelte sich ein Gegengewicht zu staatlichen Behörden. Schließlich wurde Pro-Vecino
als ernstzunehmende und verantwortungsbewusste Organisation wahrgenommen.
In drei Jahren brachte es Laura Elena von der Vertreterin ihrer Nachbarschaft zur Vorsitzenden ihres Bezirkes und zur juristischen Beraterin für Bürger in ganz Mexiko-Stadt. Behörden, die Laura Elena zuvor misstrauisch beäugelt hatten, kooperieren heute mit ihr. Nun ist
sie stärkste Kritikerin und verlässliche Partnerin zugleich.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten kam die Wende, als ein Radiosender anlässlich des
einjährigen Jubiläums von Pro-Vecino anbot, eine Sendung über Laura Elenas Kampagne
für mehr Umweltschutz zu gestalten. Dank des großen Erfolges dieser Sendung wurde ihr
ein täglicher, einstündiger Sendeplatz eingeräumt, den sie dazu nutzte, über die Probleme
der Stadt und über mögliche Lösungen zu sprechen. Damit erregte sie die Aufmerksamkeit
eines großen TV-Senders, der ihr ein Fernsehprogramm einrichtete. Heute ist Laura Elena
mit drei Nachrichtensendungen im Radio präsent, schreibt eine Kolumne in der Zeitung „El
Universal“ und moderiert eine politische Fernsehsendung.
Laura Elena betont, dass ihre Familie ein wichtiger Faktor war und ist, um ihr Engagement
fortzuführen. Die Familie unterstützte sie auch bei risikoreichen Aktionen: 2004 und 2008
organisierte sie zwei große Märsche in der Hauptstadt, bei denen Demonstranten beklagten,
dass der Staat immer noch nicht für Sicherheit im Land sorgt. „Es gibt noch viel zu tun“,
sagt Laura Elena, „aber ich bin überzeugt davon, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ Ihren
Kindern hat sie ihre Lebensphilosophie mit auf den Weg gegeben: „Lasst nicht andere für
euch handeln, wenn ihr es selbst tun könnt.“
Susanne Göggel, Mexiko-Stadt
19
Südasien
Im Einsatz für Menschenrechte
und gute Regierungsführung
Seit 20 Jahren ist Maja Daruwala die Direktorin der renommierten
Commonwealth Human Rights Initiative (CHRI), Delhi
CHRI setzt sich in Indien für die Verbesserung von Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung ein. Auf Majas Einfluss hin, hat sich CHRI auf die Themen Recht auf Information
sowie auf Polizei- und Gefängnisreformen spezialisiert.
Als Maja zu CHRI wechselte, war die Organisation seit drei Jahren in Neu Delhi und litt noch
unter Startschwierigkeiten. Alles was sie vorfand, waren ein engagierter Mitarbeiter, eine
studentische Hilfskraft, ein Newsletter und ein kaputter Computer; die Projektmittel waren
minimal und das Gehalt der Direktorin gering. Was also hat sie zu diesem Schritt bewogen?
Es war der tiefe Wunsch mit ihrem juristischen Wissen etwas für Indien zu tun.
Maja hatte sich relativ spät im Leben für ein Jurastudium entschieden. Die Herausforderung
neben dem Studium auch ihre traditionelle Frauenrolle als Hausfrau und Mutter auszufüllen, ließ Fragen an der herkömmlichen Rollenverteilung und der männlichen Dominanz in
indischen Familien aufkommen. Maja begann neben ihren Juraunterlagen Bücher zu Feminismus zu lesen. Im Recht fand sie eine Lösung für die Diskriminierung und Unterdrückung
von Frauen.
Maja Daruwala ist die Direktorin der Commonwealth Human Rights Initiative (CHRI) in Neu Delhi. CHRI
ist eine überparteiliche, internationale NGO, die für die Durchsetzung der Menschenrechte in den Ländern
des Commonwealth arbeitet. Gegründet im Jahr 1987 und seit 1995 in Zusammenarbeit mit der Stiftung,
konzentriert sich CHRI in ihrer Arbeit auf die Themen Informationsfreiheit sowie Polizei- und Gefängnisreformen. Indien ist eine föderale parlamentarische Republik, in der Machtmissbrauch durch Sicherheitskräfte, Korruption und mangelnde Transparenz immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen führen.
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Human Rights Defenders in the Commonwealth
SILENCING THE DEFENDERS:
Human Rights Defenders in the Commonwealth
CHRI
CHRI
Commonwealth Human Rights Initiative
working for the practical realisation of human rights in the countries of the Commonwealth
Commonwealth Human Rights Initiative
working for the practical realisation of human rights in the countries of the Commonwealth
Ihr wurde klar, wie mächtig Gesetze sein können; diese Macht können Gesetze aber nur
entfalten, wenn sie bekannt sind. Seine Rechte zu kennen, heißt nicht wehrlos ausgeliefert
zu sein, sich selbst helfen zu können. Diese Erkenntniss beflügelt Maja bis heute bei ihrem
Einsatz für mehr Rechtsbewusstsein und Rechtstaatlichkeit.
Indien hat eine veraltete Polizeigesetzgebung, die zu großen Teilen noch aus der Kolonialzeit stammt und als Reaktion auf den ersten großen indischen Aufstand gegen die Kolonialherrschaft erlassen wurde. Dementsprechend weitreichend sind die Machtbefugnisse der
Polizisten. Oft sind sie es, die die grundlegenden Rechte der Menschen verletzen, anstatt sie
zu schützen. Folter und Missbrauch in Polizeigewahrsam, schludrige Untersuchungen und
Korruption sind keine Seltenheit. Systematische Reformen und ein stärkeres Menschenrechtsbewusstsein der Polizei sowie der Bevölkerung sind längst überfällig.
Der Zugang zu Informationen ist eine wichtige Voraussetzung für die Einforderung von
Bürger- und Menschenrechten. Mangelnde Transparenz und Auskunftspflicht führen zu
massivem Missbrauch öffentlicher Gelder. Den Schaden tragen die Bürger: Straßen werden
nicht gebaut, Krankenhäuser nicht Instand gesetzt, Schulen nicht ausgestattet. Die Armen
leiden besonders, da für sie gedachte Sozialausgaben nie bei ihnen ankommen. Solange
die Menschen darüber im Dunkeln gelassen werden, welche Gesetze sie schützen, welche
Programme für sie bestimmt sind und auf welche Dienstleistungen sie einen Anspruch haben, können sie ihre Rechte darauf nicht einfordern. Das Recht auf Information ist somit
elementar, damit eine aktive Bürgergesellschaft Missstände bekämpfen kann.
CHRIs Lobbyarbeit für neue Gesetze, Menschenrechtskurse für Polizisten, Aufklärungskampagnen für die breite Bevölkerung – all das braucht Zeit. Es ist für alle Beteiligten ein großer
Erfolg, wenn ein Gesetz für die Menschenrechte nach langer Überzeugungsarbeit verabschiedet wird, wie beispielsweise der Right to Information Act 2005. Auch motiviert es,
wenn Menschen informiert und bestärkt aus Veranstaltungen gehen. Die mühselige Arbeit
geht danach jedoch weiter, denn neue Rechte müssen umgesetzt, neues Wissen angewandt
werden. Oft heißt es: zwei Schritte vor, einen zurück. Hier ist Durchhaltevermögen gefragt –
etwas, das Maja und CHRI schon oft bewiesen haben.
Maria Schneider, Neu Delhi
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Südasien
Aufstieg militanter Extremisten
verschlechtert Minderheitenrechte
Interview mit I.A. Rehman über die Situation
von Minderheiten in Pakistan
Gibt es einen Platz für Minderheitenrechte in einem Land wie Pakistan?
Pakistan kommt mehr und mehr unter Druck von religiösen Hardlinern. Der Platz für Minderheitenrechte wird sich auch in der nächsten Dekade verkleinern.
Inwieweit sind Minderheiten in der pakistanischen Gesellschaft akzeptiert?
Es gab ein hohes Maß an Akzeptanz bis zu Zia ul-Haq (1977–1988). Seine Islamisierung beeinflusste jedoch die Gesellschaft und sie wurde immer intoleranter. Der Aufstieg militanter
Extremisten hat die Situation weiter verschlechtert. Sie haben sich einem rigiden, harschen
Wahhabi Islam verschrieben und sind entschlossen, ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen.
Sie töten nicht nur Nichtmuslime, sondern auch Schiiten.
Wie reagiert die Regierung generell auf Gewaltausbrüche gegen Minderheiten?
Die übliche Reaktion ist Gewaltanwendung. Den Opfern wird meist Hilfe angeboten, um ihre
Häuser und Geschäfte wieder aufzubauen, aber nichts gegen die Gesetzesbrecher unternommen.
Ziemlich oft sehen sich Minderheiten gezwungen, mit ihren Unterdrückern wieder Frieden
zu schließen.
I.A. Rehman ist der Generalsekretär des Human Rights Commission of Pakistan (HRCP), die im Jahr 1987
als unabhängige NRO gegründet wurde. Seitdem hat die Kommission sich zu einer einflussreichen landesweiten Menschenrechtsorganisation entwickelt. Die HRCP übernimmt eine führende Rolle bei der Durchsetzung der Menschenrechte in und für eine demokratische Entwicklung in Pakistan. Sie wird seit Mitte
der 1990er Jahre dabei von der Stiftung unterstützt. Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik,
die mit zunehmender Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten konfrontiert ist und in der Frauen
oft ungleich behandelt werden.
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Foto by Olaf Kellerhoff
Gibt es auch Diskriminierung im Erziehungswesen?
Ja, viel sogar! Angehörige von Minderheiten werden nicht aufgrund von Leistung zu höherer
Bildung zugelassen. Reservierte Plätze für Minderheiten sind letztlich kontraproduktiv. Außerdem behandeln sie die verschiedenen Lehrpläne nicht als Bürger mit gleichen Rechten
geschweige denn fair. Kinder von Minderheiten sind verpflichtet, islamische Text zu lernen,
aber nicht die ihrer eigenen Religion. Zudem bildet die Darstellung von Minderheiten in
Schulbüchern Vorurteile gegen sie heraus.
Gibt es Aussichten auf Verbesserung in dieser Hinsicht?
Versuche, das Bildungswesen zu verbessern, um Bedenken von Minderheiten Rechnung zu
tragen, wurden bisweilen unternommen, trafen jedoch ausnahmslos auf Widerstand seitens
des islamischen Klerus. Nur wenn die derzeitige Welle der Religiosität sich verbraucht hat,
gibt es Chancen einer Verbesserung.
Die Unfähigkeit, Minderheiten bei Zwangskonvertierung zu schützen, liegt auf der Hand.
Warum gibt es keine Schritte dagegen?
Zwangskonvertierungen werden vom islamischen Klerus gedeckt. Politiker haben Angst davor,
den Klerus zu verstimmen, da dieser in der Vergangenheit die meisten Bewegungen gegen Regierungen organisiert und angeführt hat. Selbst die Justiz fürchtet sich, Opfern von Zwangskonvertierungen Schutz zu gewähren, um nicht das Wohlwollen des Klerus zu verlieren.
Meinen Sie, dass die Lage besser wäre, wenn Pakistan ein säkularer Staat wäre?
Ja, da bin ich mir sicher. Aber wie Pakistan zu einem säkularen Staat machen? Das ist die
1-Million-Dollar-Frage!
Inwieweit stört das Blasphemiegesetz die soziale und religiöse Harmonie?
Die Publicity bringt muslimische Massen dazu zu glauben, dass alle Angehörigen von Minderheiten wenig Respekt vor dem Islam haben und dass sie absichtlich und böswillig Blasphemie begehen. Selbst wenn sich dann die Anklage als gegenstandslos erweist, ist der
Schaden schon geschehen. Die Propaganda des Klerus, dass jeder Muslim das Recht und
die Pflicht hat, Blasphemiker zu töten, führt zu mutwilligen Tötungen und mehr Intoleranz.
Gibt es irgendwelche Bemühungen, das Blasphemiegesetz zu reformieren?
Inzwischen ist der Missbrauch Allgemeingut, aber dennoch werden keine Versuche unternommen, diesen zu stoppen. Bemühungen diverser Regierungen wurden aus Angst vor Reaktionen von Konservativen aufgegeben.
Glauben Sie, dass Pakistan seine Minderheitenrechte verbessern wird?
Nein, derzeit nicht. Die Situation könnte sogar in den nächsten zehn Jahren noch schwieriger werden, bevor sich eine Besserung ergibt.
Olaf Kellerhoff, Islamabad
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Südost- und Ostasien
ASEAN-Menschenrechtssystem muss
reaktionsfähig und effektiv sein
In Südostasien drängt eine Arbeitsgruppe Regierungen,
Menschenrechte zu achten. Generalsekretär Ray Paolo Santiago
spricht über Erfolge und Herausforderungen
Herr Santiago, Ihr Land, die Philippinen, setzt sich innerhalb von ASEAN für Menschenrechte ein. Aber gibt es nicht bei Ihnen auch noch Probleme?
Die Philippinen sind bekannt als ein menschenrechtsfreundliches Land und haben fast alle
wichtigen internationalen Menschenrechtsabkommen ratifiziert. Wir haben eine gute Gesetzgebung. Allerdings gibt es Kritik daran, dass diese guten Gesetze mangelhaft umgesetzt
werden. Abhängig von der politischen Führung bleiben einige Herausforderungen, wie zum
Beispiel außergesetzliche Tötungen. Manche führen Probleme auf mangelnden politischen
Willen zurück. Die Regierung verweist auf beschränkte Ressourcen. Schutz der Menschenrechte kann nicht zurückgestellt werden, nur weil angeblich keine Mittel vorhanden sind.
Was sind die Herausforderungen und dringlichsten Anliegen der Arbeitsgruppe für einen
ASEAN-Menschenrechtsmechanismus?
Wir wollen das sich entwickelnde ASEAN-Menschenrechtssystem reaktionsfähig und effektiv ausgestalten. Ich sehe vier Herausforderungen: Die Erste ist, dass die meisten ASEANMitgliedsstaaten sich noch entwickelnde oder junge Demokratien sind.
Ray Paolo Santiago aus den Philippinen ist der Generalsekretär der Arbeitsgruppe für einen ASEAN Menschenrechtsmechanismus. Die Arbeitsgruppe gibt Empfehlungen für die Regierungen des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN). Der Staatenbund hat eine ASEAN-Menschenrechtskommission (AICHR)
geschaffen und eine ASEAN-Menschenrechtserklärung (AHRD) verabschiedet. Die Arbeitsgruppe fordert
von den Regierungen, das Mandat der AICHR auszuweiten: Zudem arbeitet die Arbeitsgruppe darauf
hin, dass die ASEAN-Regierungen in Zukunft einen ASEAN-Menschenrechtsgerichtshof schaffen. Die Arbeitsgruppe für einen ASEAN Menschenrechts-Mechanismus und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die
Freiheit sind seit 1996 Partner.
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Foto by sa Timothy Tsui
Obwohl Konzept und Bedeutung von Menschenrechten mittlerweile anerkannt werden,
bringt ihre Durchsetzung Herausforderungen mit sich. Zweitens hat sich Anerkennung und
Durchsetzung von Menschenrechten in den ASEAN-Ländern hauptsächlich durch persönliches Engagement verbessert. Es ist notwendig, die Mentalität der Regierungsbeamten zu
verändern und Menschenrechtsschutz zu institutionalisieren. Drittens müssen Menschenrechte viele Politikbereiche berühren. Wir brauchen Synergien, auch innerhalb der verschiedenen ASEAN-Einrichtungen. Und schließlich besteht nach wie vor Ressourcenknappheit
bei den Institutionen und bei den Menschenrechts-Organisationen der Zivilgesellschaft.
Was sind die Errungenschaften der Tätigkeit der Arbeitsgruppe?
Die Arbeitsgruppe hat Austausch und Konsistenz in die Menschenrechtsdebatte in Südostasien gebracht und dazu beigetragen, dass die ASEAN-Staaten sich kontinuierlich mit dem
Thema befassen. Im Zuge des Aufbaus von ASEAN-Menschenrechtsinstitutionen haben wir
unermüdlich auf die Anerkennung verschiedener Positionen des Menschenrechtsschutzes
hingewirkt. Dies mag von manchen als ein langsamer Prozess angesehen werden, aber unser
Vorgehen hat die Entwicklung von Menschenrechten innerhalb von ASEAN vorangebracht.
Die seit 1996 bestehende Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe mit ASEAN hat uns eine offizielle Anerkennung als eine Organisation, die mit ASEAN assoziiert ist, gebracht. Unser
Status ist in der ASEAN-Charta verbrieft. Die Einrichtung einer Menschenrechtskommission
durch die ASEAN-Staaten, die Schaffung der Kommission zum Schutze der Rechte von Frauen und Kindern sowie die Verabschiedung der ASEAN-Menschenrechtserklärung 2013 sind
die greifbarsten Erfolge. Unsere Arbeitsgruppe hat sie begleitet, ja forciert. Auch wenn wir
Erfolge nicht für uns allein reklamieren, so spielte die Arbeitsgruppe doch eine wichtige Rolle.
Was ist Ihre persönliche Motivation?
Meine persönliche Motivation ist es, zu meinen Lebzeiten positive Veränderungen zu sehen,
auch wenn sie in kleinen Schritten erfolgen. Wir sind in einer besseren Lage als andere
Menschen, die mit schlimmen Situationen zurecht kommen müssen. Deshalb haben wir die
Verantwortung, positive Veränderungen zu erreichen und Dinge richtig zu machen.
Pett Jarupaiboon, Bangkok
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Südost- und Ostasien
Islamisches Familienrecht spiegelt
nicht Realität heutiger Ehen wider
In Malaysia setzt sich Ratna Osman für die Rechte
islamischer Frauen ein
Ratna Osman wuchs in Malaysia in einer moderat-muslimischen Familie auf. Sie besuchte
eine Koranschule. Religion war wichtig, aber im Großen und Ganzen war Ratna ein modernes Großstadtmädchen. Mit 15 wurde sie von einer muslimischen Unterrichtsgruppe
zu einem Training eingeladen. Der Prediger sprach darüber, wie ein gutes, islamisches Kind
zu sein habe. Dazu gehöre es, den Eltern zu gehorchen und das Leben Gott zu widmen. Sie
bekam zu hören, dass ihre Eltern in der Hölle für Ratnas Sünden bestraft würden, wenn
sie den Lehren des Predigers nicht folge. „Ich habe geglaubt, was mir beigebracht wurde“,
sagt Ratna heute, „ich glaubte, dass Frauen das schwächere Geschlecht seien, dass eine
gute Ehefrau ihrem Ehemann gegenüber gehorsam zu sein habe, und dass Polygamie ein
natürliches Recht der Männer sei.“ Damals wurde Ratna der Islam als dogmatische Religion
vermittelt. Das warf für sie viele Fragen auf. Aber Ratna stellte keine Fragen - aus Angst, als
schlechte Muslimin angesehen zu werden.
Diese frühen Erfahrungen gaben Ratna ein fundiertes Verständnis konservativer Interpretationen des Islams. Vor einigen Jahren lernte sie dann die Arbeit von „Sisters in Islam“
(SIS) kennen, einer malaysischen NRO, die sich für die Rechte muslimischer Frauen einsetzt.
Zunächst war Ratna skeptisch, weil die Positionen von SIS gewagt sind.
Ratna Osman ist die Geschäftsführerin der NGO “Sisters in Islam” (SIS) in Kuala Lumpur, Malaysia. Die
Gründer von SIS - Anwälte, Akademiker und Aktivisten - kamen Ende der 80er Jahre zusammen. SIS
veröffentlichen Artikel, organisieren Workshops und öffentliche Foren. Auch wenn die Arbeit von SIS
ausdrücklich den Schwerpunkt Frauenrechte hat, beschäftigt sich die NGO in diesem Kontext gleichzeitig mit den großen Themen Regierungsführung, Islamisierung sowie Herausforderungen von Wandel und
Moderne. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und SIS sind seit 1992 Partner. Malaysia ist
eine konstitutionelle Monarchie in der laut Human Rights Watch Versammlungs- und Meinungsfreiheit
eingeschränkt sind.
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„Bei SIS wurde Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung von muslimischen Männern
und Frauen diskutiert. Das hat mich umgehauen“, erinnert sich Ratna. „Als mir schließlich
eine Stelle angeboten wurde, sagte ich mir, dass SIS genau das ist, wonach ich gesucht
hatte.“ Ratna hat an der internationalen Islamischen Universität in Islamabad Islam- und
Scharia-Recht studiert. Bei SIS kann sie ihr erworbenes Wissen nun anwenden und Muslime
in Malaysia für progressive Interpretationen der islamischen Lehren sensibilisieren.
„Die größten Herausforderungen sind, die Mentalität der Menschen und die Gesetze zu ändern. Die Rolle des Mannes als Versorger und Beschützer im islamischen Familienrecht geht
auf jahrhundertealte Vorstellungen und Gebräuche zurück. Dies spiegelt nicht die Realität
heutiger Ehen wieder“, erklärt Ratna. Unter bestimmten Umständen erlaubt islamisches
Familienrecht Männern, mehr als eine Frau zu heiraten. Oft werden dabei minderjährige
Mädchen mit erwachsenen Männern verheiratet. „Das größte Übel ist die Armut“, sagt Ratna. Viele Eltern sind zu arm, um für ihre Töchter zu sorgen. Mit der Heirat geht die Verantwortung auf den Ehemann über.
Malaysias Zivilrecht, das für Mitglieder anderer, also nicht-islamischer Religionen gilt, gibt
beiden Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder. Im islamischen Recht hingegen, das für Malaysias Muslime gilt, haben Väter das Sorgerecht. Mütter können zwar vor Gericht gehen
und Sorgerecht beantragen. Aber nur wenige Frauen wagen den Schritt, weil sie Angst haben, stigmatisiert zu werden. Außerdem sind die Erfolgsaussichten vor Gericht beschränkt.
Kulturelle Erwägungen, Traditionen, familiärer Druck und mangelnde Sensibilisierung in
Geschlechterfragen sind Faktoren, die an Malaysias Gerichten durchaus eine Rolle spielen.
Mittlerweile fühlt sich Ratna bei SIS zu Hause und leitet die Organisation. SIS studiert und
erforscht die Rolle von Männern und Frauen in islamischen Lehren. Ein Hauptziel ist, zu
zeigen, dass der heilige Koran nicht zwischen den Geschlechtern unterscheidet. SIS und die
Mitarbeiter werden oft kritisiert. Weil die Positionen von SIS so progressiv sind, wurde gegen die NGO auch mehrfach rechtlich vorgegangen. Einige konservative religiöse Gelehrte
sind der Ansicht, dass über den Inhalt des Korans nicht debattiert werden dürfe. Manche
verlangen sogar, dass SIS verboten wird. Doch Ratna und ihre Kollegen lassen sich nicht
beirren. Sie analysieren, was im Koran steht und diskutieren mutig über Interpretationen.
Sisters in Islam werden international anerkannt und respektiert, weil sie sich seit Jahrzehnten unermüdlich für Gerechtigkeit und die Gleichstellung muslimischer Frauen einsetzen.
Juliane Schmucker, Kuala Lumpur
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Partner
Region / Land
Partner
Webseite
Europäische Institutionen und Nordamerika
Europäische Institutionen
ALDE-Fraktionen im Ausschuss der Regionen und
im Europäischen Parlament
www.alde.eu
Europäische Union
Alliance of Liberals and Democrats for Europe (ALDE) Party
www.aldeparty.eu/de
Europa
Europarat und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
hub.coe.int
Weltweit
Liberal International (LI)
www.liberal-international.org
Europa
European Liberal Forum (ELF)
www.liberalforum.eu
Europa
European Network of Political Foundations (ENoP)
www.european-network-ofpolitical-foundations.eu
Washington DC und Brüssel und Europa
American Jewish Committee (AJC)
AJC Transatlantic Institute in Brüssel
www.ajc.org
Washington DC und Brüssel
National Democratic Institute (NDI)
www.ndi.org
Washington DC und Brüssel
Freedom House
www.freedomhouse.org
Brüssel
Humanity in Action (HiA)
www.humanityinaction.org
Mittel-, Südost- und Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien
Regional
28
American Jewish Committee
www.ajc.org
RusslandMemorial
www.memorial.de
Ukraine
www.en.pravo.org.ua
Centre for Political and Legal Reforms (ZPRR)
RusslandGolos
www.golos.org
Kirgistan
Central Asia Free Market Institute -CAFMI
www.freemarket.kg
Azerbaijan
Human Rights Club
www.humanrightsclub.org
Azerbaijan
Institute for Reporters’ Freedom and Safety - IRFS
www.irfs.org
Georgien
Georgian Young Lawyers Association
www.gyla.ge
Armenien
Helsinki Citizens’ Assembly Vanadzor Office
www.hcav.am/en/
Region / Land
Partner
Webseite
Ägypten
Arabic Network for Human Rights Information (ANHRI)
www.anhri.net/en
Ägypten
Egyptian Organization for Human Rights (EOHR)
en.eohr.org
Marokko
Centre for the Rights of the People
www.droitsdesgens.org
Algerien
WASSILA LADDH (Algerische Menschenrechtsliga)
www.la-laddh.org
Algerien
Amnesty International Algeria
www.amnestyalgerie.org
Tunesien
ATIDE (Association Tunisienne pour l’Integrité et la
Democratie des Elections)
www.atide.org
Tunesien
ATFD (Association Tunisienne des Femmes Démocrates)
femmesdemocrates.org
Jordanien
National Center for Human Rights (NCHR)
www.nchr.org.jo
Libanon
The Arab Center for the Development of the Rule of Law
and Integrity (ACRLI)
www.acrli.org
Israel
Citizens’ Accord Forum
www.caf.org.il
Palästina
Ramallah Center for Human Rights Studies (RCHRS)
www.rchrs.org
Türkei
Hrant Dink Stiftung
www.hrantdink.org
Türkei
Prime Ministry’s Human Rights Presidency (HRP)
Mittelmeerländer
Afrika
Regional
Southern African Legal Assistance Network (SALAN)
www.salan.org Regional
Institut International des Droits de l‘Homme (IIDH)
www.iidh.org
Simbabwe
Legal Resources Foundation (LRF)
www.lrf.co.zw
Cote d’Ivoire
LIDHO - Ligue Ivorienne des Droits d l‘Homme
www.lidho.org
Cote d’Ivoire
MIDH - Mouvement Ivorien des Droits de l‘Homme
www.midhci.org
Cote d’Ivoire
RAIDH - Regroupement Ivorien des Acteurs des Droits
de l‘Homme.
www.raidh-ci.org
Ghana
Center for Democratic Development (CDD)
www.cddghana.org
Senegal
Forum Civil
www.forumcivil.net
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Region / Land
Partner
Webseite
Argentinien
Libertad y Progreso
www.libertadyprogresonline.org
Argentinien
Fundacion LED
www.fundacionled.org
Argentinien
Fundacion Bases
www.fundacionbases.org/cms
Mexiko
Caminos de la Libertad
www.caminosdelalibertad.com
Mexiko
Movimiento Libertario de México
www.libertarios.info
Guatemala
Centro de Investigaciones Económicos Nacionales (CIEN)
www.cien.org.gt
Honduras
Asociación Nacionál de Industriales
www.andi.hn
Nicaragua
Fundación Libertad
www.fundacionlibertad.org.pa
Costa Rica
Asociación Nacional de Formento Economico (ANFE)
www.anfe.cr
Regional
Commonwealth Human Rights Initiative
www.humanrightsinitiative.org
Indien
Tibetan Parliamentary and Policy Research Centre (TPPRC)
www.tpprc.org
Pakistan
Society for the Protection of Rights of the Child (SPARC)
www.sparcpk.org
Pakistan
Human Rights Commission of Pakistan (HRCP)
www.hrcp-web.org/hrcpweb
Pakistan
Shehri - Citizens for a better Environment (CBE)
www.shehri.org
Pakistan
Center for Peace and Development Initiative (CPDI)
www.cpdi-pakistan.org
Bangladesch
Information Commission Bangladesh
www.infocom.gov.bd/ic
Lateinamerika
Südasien
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Region / Land
Partner
Webseite
Südost- und Ostasien
Regional
The Working Group for an ASEAN Human Rights
Mechanism
www.aseanhrmech.org
Thailand
National Working Group on Human Rights
Kambodscha
National Working Group on Human Rights
Kambodscha
Cambodian Centre for Human Rights
www.cchrcambodia.org
Malaysia
Sisters in Islam
www.sistersinislam.org
Myanmar
Irrawaddy News Group
www.irrawaddy.org
Myanmar
Myanmar Egress
www.myanmaregress.org
Myanmar
Bayda Institute
www.facebook.com/bayda.
institute.burma
Philippinen
Ateneo Human Rights Center (AHRC)
www.law.ateneo.edu
Philippinen
National Working Group on Human Rights
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