z.Hd. Herrn Martin

Flüchtlingsrat Nds. e.V. • Röpkestr. 12 • 30173 Hannover
An den Präsidenten
des niedersächsischen Landtags
- Landtagsverwaltung z.Hd. Herrn Martin
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Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestraße 12
30173 Hannover
Kai Weber
Geschäftsführung
Tel.: 0511 – 98 24 60 30
Fax: 0511 – 98 24 60 31
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Hannover, 28.11.2016
Stellungnahme zum Antrag der CDU – Drs. 17/5831:
Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen sinnvoll steuern – das Instrument der
Landesplanung anwenden
Sehr geehrter Herr Martin,
sehr geehrte Damen und Herren,
zu dem vorliegenden Antrag der CDU nehmen wir wie folgt Stellung:
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hält es grundsätzlich für sinnvoll und angemessen, die Aufnahme
von Asylsuchenden zu steuern. Gerade vor dem Hintergrund einer Flucht von vielen Menschen, wie
wir das im Jahr 2015/2016 erlebt haben, bedarf es einer Verteilung und Steuerung der Aufnahme,
damit tatsächlich alle Geflüchteten ein Dach über dem Kopf haben und angemessen versorgt werden.
Wir können froh und stolz darauf sein, dass es im verhangenen Jahr gelungen ist, rund 800.000
Menschen in Deutschland überwiegend menschenwürdig aufzunehmen und unterzubringen.
Fraglich bleibt jedoch, ob die derzeitigen Formen der Verteilung von Asylsuchenden nach starren
Quoten zielführend und angemessen sind. Ende 2015 mussten wir erleben, dass manche Kommunen
ihrer Unterbringungspflicht nur noch mit Mühe durch die Bereitstellung von Turnhallen,
Containersiedlungen oder gar Zelten nachkommen konnten, während in anderen Kommunen
Leerstand zu beklagen war. Die Versorgung mit Wohnraum stellt sich in den Kreisen und kreisfreien
Städten höchst unterschiedlich dar. Dies macht die Karte des Hannoverschen Pestel-Instituts (siehe
nächste Seite) auch graphisch gut deutlich.
Eine starre Verteilung von Asylsuchenden ist aber auch deshalb unsinnig, weil viele der Geflüchteten
bereits über Kontakte in Deutschland verfügen und oftmals bei Verwandten, Freund_innen oder
Bekannten unterkommen könnten. Es erscheint absurd, dass Flüchtlinge immer wieder gezwungen
werden, öffentlichen Wohnraum in Anspruch zu nehmen, obwohl sie außerhalb des zugewiesenen
Ortes privat wohnen könnten. Im Rahmen der Aufnahme von Geflüchteten wird den Potenzialen der
Betroffenen zur Selbsthilfe zu wenig Beachtung geschenkt.
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Die quotierte Verteilung von Asylsuchenden nach dem Königsteiner Schlüssel ist Ausdruck eines
Grundverständnisses, dem zufolge Flüchtlinge vor allem als eine „Belastung“ definiert werden, die es
gleichmäßig zu verteilen gelte.
Zu beachten ist jedoch, dass die Aufnahme von Geflüchteten für die aufnehmende Region auch eine
ganze Reihe positiver Impulse mit sich bringt: Die Bereitstellung einer Infrastruktur für die Aufnahme,
Unterbringung, Beratung und Versorgung von Geflüchteten, für Sprachkurse und
Anpassungsqualifizierungen etc. führt zu neuen Aufträgen und Arbeitsplätzen und steigert die
Nachfrage, wirkt insofern faktisch wie ein Konjunkturprogramm.
Schließlich bleiben die aufgenommenen Flüchtlinge ja in der Regel nicht dauerhaft
Hilfeempfänger_innen. Sie lernen die Sprache, qualifizieren sich, suchen und finden Arbeit, zahlen
Steuern. Wenn sie eine vernünftige Aufnahme erhalten haben und gut behandelt wurden, bleiben sie
in der Regel auch dort, wo sie in Deutschland angekommen sind – vorausgesetzt, sie finden eine
Arbeit und wurden nicht durch Zwang von ihren Angehörigen räumlich getrennt.
Eine solche Werbung für den Standort durch die Ermöglichung von Bildung und Teilhabe ist der
richtige Weg. Die durch die jüngste Gesetzesänderung im Rahmen des sog. „Integrationsgesetzes“
ermöglichte Verhängung von Wohnsitzauflagen halten wir dagegen für absolut kontraproduktiv und
unsinnig: Es ist nicht zielführend, Geflüchtete nach einer Asylanerkennung in Regionen festzuhalten,
aus denen auch viele Einheimische mangels vorhandener Beschäftigungsmöglichkeiten auswandern.
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Zielführend wäre es aber, die Erstunterbringung von Asylsuchenden durch das Land Niedersachsen
so zu steuern, dass alle Asylsuchenden nach der Verteilung in die Kommunen angemessen
untergebracht werden können.
Hierzu schlagen wir folgende Maßnahmen vor:
1. Vor einer Verteilungsentscheidung sollten Flüchtlinge regelmäßig gefragt werden, ob sie
Verwandte oder Freund_innen in Deutschland haben, wo sie wohnen möchten, und ob dort
Möglichkeiten der Selbsthilfe bestehen. Sofern Flüchtlinge an einem bestimmten Ort
Angehörige haben oder sich selbst helfen können, sollte ihnen eine Unterbringung dort auch
ermöglicht werden.
2. Eine vernünftige Landesplanung könnte die Aufnahme von Asylsuchenden „über der Quote“
attraktiver machen. Anreize zur Aufnahme könnten z.B. über die flexible Gestaltung der
Erstattungspauschale des Landes (2017 pauschal 10.000 € pro Flüchtling und Jahr), aber
auch durch zusätzliche Fördermittel (etwa im Bereich der Sprachförderung, Schule etc.)
geschaffen werden.
3. Eine Unterbringung „über der Quote“ sollte allerdings an bestimmte Standards gebunden sein.
Hierzu gehören aus unserer Sicht insbesondere eine vernünftige Verkehrsanbindung , das
Vorhandensein einer Infrastruktur (Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche und psychosoziale
Versorgung, Schulen und Kindergärten pp.), Sprachkursangebote und die Gewährleistung
einer qualifizierten Beratungsstruktur. Die besonderen Bedarfe besonders schutzbedürftiger
Personen im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie sind dabei stets zu berücksichtigen. Es
erscheint uns, ohne hier in die Details zu gehen, sinnvoll, alle in Betracht kommenden
Förderprogramme des Landes daraufhin zu durchforsten, inwieweit über sie die Bereitstellung
einer solchen Infrastruktur gefördert werden kann.
Den Antrag der CDU, „auf Landesebene verbindliche Regelungen zu schaffen, die es ermöglichen,
bestimmte Regionen für Flüchtlinge und Asylbewerber attraktiv zu machen und gleichzeitig besondere
Anreize für Vermieter, Ausbilder und Arbeitgeber in demographisch besonders benachteiligten
Regionen zu schaffen, die die Integration erleichtern“, ist insofern grundsätzlich zu begrüßen.
In ganz Deutschland fehlen bezahlbare Wohnungen. Das Pestel-Institut beziffert den Bedarf auf
gegenwärtig rund 840.000 Wohnungen bundesweit, vor allem in den Ballungszentren. Als Ursache
benennt das Pestel-Institut u.a.:
–
Die Familien bleiben in den Städten (Ursachen: Viele junge Menschen bekommen nur
Zeitverträge, die Einstiegsgehälter sind eher niedrig, die Mobilitätskosten wesentlich höher,
und für das Wohnen auf dem Land gibt es keine Subventionen mehr)
–
Die Zahl der Studierenden hat stark zugenommen
–
Die Zuwanderung aus dem Ausland hat stark zugenommen (Neben der Asylzuwanderung
insbesondere auch die Zuwanderung aus anderen EU-Staaten)
Hinzu kommt, dass in der alternden Gesellschaft der Bundesrepublik jede Person im Schnitt erheblich
mehr Wohnraum für sich beansprucht als in vergangenen Zeiten.
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Gleichzeitig wurde der Soziale Wohnungsbau stark eingeschränkt und zunehmend ersetzt durch eine
Politik der „Wohnungsmarktförderung“. Im Ergebnis ist die Zahl der Sozialmietwohnungen drastisch
zurückgegangen.
Fazit des Pestel-Instituts:
Die Versorgung einkommensschwacher Haushalte mit Wohnungen wird zunehmend schwieriger. Die
Fluktuation im Bestand sinkt. Geringverdiener_innen haben kaum noch eine Chance, eine bezahlbare
Wohnung zu finden. Sozialverträgliche Lösungen lassen sich, so das Pestel-Institut, nicht finden,
wenn wir nur auf den Markt setzen.
Die Politik ist insofern gefordert, zum einen den sozialen Wohnungsbau wieder anzukurbeln, zum
anderen das Wohnen auf dem Land wieder attraktiver zu machen. Für das Problem des fehlenden
bezahlbaren Wohnraums müssen gesamtgesellschaftliche Lösungen geschaffen werden. Keinesfalls
dürfen Flüchtlinge zum Ausfallbürgen für eine gescheiterte Wohnungsbaupolitik gemacht und gegen
den allgemeinen Trend in Regionen abgeschoben werden, aus denen die Einheimischen in großer
Zahl auswandern. Auch hält es der Flüchtlingsrat Niedersachsen nicht für zielführend, wenn Anreize
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im Bereich der sozialen Wohnraumförderung für Investor_innen der Wohnungswirtschaft gesetzt
werden, die für bestimmte Wohnungen eine Mindestnutzdauer durch Flüchtlinge für 10 Jahre
vorsehen und dafür besondere Konditionen versprechen.1
An der grundsätzlichen Konzeption für die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland wollen wir nicht
rütteln: Flüchtlinge sollten auch weiterhin auf die Kommunen verteilt werden. Die Aufnahme von
Geflüchteten bleibt damit eine Daueraufgabe der Kommunen, und dies hat natürlich zur Folge, dass
diese gehalten sind, Aufnahmekonzepte zu entwickeln, die eine nachhaltige Integration und Teilhabe
der Flüchtlinge zum Ziel haben. Sozialer Wohnungsbau im gesamtgesellschaftlichen Interesse muss
aber für alle realisiert werden und dann auch allen gleichberechtigt zur Verfügung stehen. Flüchtlinge
sollen gerade nicht auf Dauer eine Sonderbehandlung erhalten, sondern als eine (von mehreren)
Zielgruppen in den Blick genommen werden, die eine staatliche Unterstützung bei der Suche nach
einer eigenen Wohnung benötigen. Zielrichtung muss es sein, wieder ausreichend Sozialwohnungen
in allen Quartieren vorzuhalten.
Geschäftsführer
1
https://www.nbank.de/Blickpunkt/Mietwohnraumf%C3%B6rderung-verbessert.jsp, abgerufen am
28.11.2016; sh. auch Stellungnahme MS zu Vorlage LT-Drucksache 5831, Anlage 2, Seite 6.
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