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Peter Haimerl
Was denkbar
ist, ist auch
baubar!
Ausgerechnet aus Deutschland, dem
Ursprungsland der modernen Architektur
kommen aktuell leider keinerlei inspirierende Initiativen, die merkliche Auswirkungen auf die aktuelle Architekturentwicklung hätten; stattdessen deklinieren
deutsche ArchitektInnen meist technische, leider weniger kulturelle Randthemen wie Ökologie und Nachhaltigkeit
durch, die selbstverständlich Teil guter
Architektur sein müssen.
Deutsche Baukultur frägt zu vordergründig nach Funktion, Kostenreduzierung
und Komfort, Impulse für die Ausformulierung einer philosophischen, poetischästhetischen Architektursprache finden sich
kaum.
Diese Reduzierung der Ansprüche führt
zum Verlust gesellschaftlicher Relevanz
von Architektur und stellt für mich die
Hauptmisere der deutschen Architektur
dar.
Die innovative Kraft des, einst so einflussreichen deutschen Bauhauses basierte
auf einer Wechselspiel von sozialen,
technologischen und philosophischen
Errungenschaften in Architektur, Kunst
und Gesellschaft.
Leider sind davon nur simplifizierende
Slogans übriggeblieben, deren Handlungsmuster sich vor allem über
unsere Städte gelegt und dabei die viel älteren erprobteren und mit Historie aufgeladenen feinen Netze sukzessive aufgelöst
und zerstört haben. Mit dieser Zerstörung
der städtebaulichen Strukturen einher
ging der Verlust des räumlichen und philosophischen Denkens in der Architektur
und deren Nutzer.
Was braucht die
Deutsche Architektur?
Wir brauchen eine Symbiose aus historischer Kontinuität und visionären Interventionen auf philosophischer
Basis im Bereich der Infrastruktur und Planung. Die
Vorbehalte, die es in unserer Gesellschaft gegen Innovationen im Architekturbereich gibt, stehen diametral zur
Bereitschaft, technische Neuigkeiten im virtuellen und
medialen Bereich in den nun smarten Lebensalltag zu integrieren. Nichts hat das Leben, sowohl in der Stadt wie
auf dem Land nachhaltiger verändert, als die Einführung
medialer Infrastrukturen.
Dabei ist es mitunter so, dass weniger unsere Häuser und
unsere Städte unseren Alltag prägen und die privaten
und öffentlichen Räume bergen, es sind vielmehr virtuelle Räume im Netz, in denen uns Bilder-und Informationsfluten umgeben. Womöglich setzte die Entwicklung der
virtuellen Parallelarchitektur schon zu Beginn des Medienzeitalters mit seinen Massenkommunikationsmitteln
und Masseninformationsräumen ein - einher ging mit ihr
leider der Niedergang des abendländischen Städtebaus
mit seinen räumlichen Bindungen zwischen Häusern und
Straßen und Plätzen, aber auch der Verlust familiärer
und gesellschaftlicher Strukturen.
Was ist zu
tun?
Zu sehen ist das oft, aber am meisten in ländlichen
Regionen und kleineren Städten. Innerhalb der letzten
40 Jahre wurden hier wichtige historisch gewachsene
und soziale Bindungen vernichtet und meist wurden dies
durch städtebauliches Versagen und architektonische
Hilflosigkeit noch befeuert.
Die naive Annahme, Architektur müsste nur bescheiden
genug und dabei qualitätsvoll sein, dann könnte sie als
moralisches Gegenmodell zur maßlosen Konsumgesellschaft dienen, hat zur Entkoppelung von Architektur
und der gesellschaftlichen Realität des Medienzeitalters
geführt.
Gerade die deutschen ArchitektInnen zeichnen sich im
Glauben an ihre ehrenvolle Wirkungsmacht Qualitätsbewusstsein und durch falsch verstandene Zurückhaltung
von der Einmischung in gesellschaftspolitische Prozesse
aus. Daraus ist auch zu erklären, warum es in Deutschland kaum starke ArchitektInnenpersönlichkeiten und
individuellen WortführerInnen gibt, die gesellschaftlich
relevant, ihrer Zunft eine Stimme verleihen würden. Darum sind es lediglich die Verbände und die Architektenkammer, die noch versuchen gesellschaftlich zu intervenieren, auch wenn dies sich immer mehr auf die Rettung
der HOAI oder auf Randthemen fokussierte.
These 1:
Wir leben in
permanenter
Virulenz
In einer Welt der permanenten Virulenz können auch in
der Architektur nur ebenso innovative wie virulente Konzepte wirken. Hierbei ist der Begriff Virulenz nicht negativ
als pathologisch konnotiert, sondern wird hier als Wirkkraft eines vordergründigen Winzlings verstanden, der,
von außen kommend, sich innerhalb eines Systems positioniert, dort interveniert und sein Potential positiv entfaltet. Dabei verändert er und bewegt inspirierend, anregend
und v.a. individuell dieses System in eine neue Richtung.
In der Baukultur kann diese persönliche Kraft sichtbar
werden, wenn man sich als ArchitektIn nicht nur von DINNormen, ökonomischem Maximierungsstreben, tradierten
Haus-und Infrastrukturmodellen etc. lenken lässt, sondern
wachsam in der Zeit denkt, konzipiert und baut.
Dabei muss davon ausgegangen werden, dass wir fernab
jeglicher Stabilität in Zeiten permanenter Virulenz, also in
ständiger Wandelbarkeit von Welt, Gesellschaft, Denken,
Technik leben und uns als ArchitektInnen als fluide, initiierende, bewegte und bewegende Schaffende verstehen müssen.
Heute mangelt es an neuen städtebaulichen Konzepten,
zeitgemäßen Infrastrukturmodellen und an innovativen
Planungsmethoden. Gerade die Entwicklung der Forschung zur künstlichen Intelligenz und anderer Modelle,
wie z. B. Szenarien-artige Planung müssen vorangetrieben und entwickelt werden. Dazu sind Universitäten,
aber auch ArchitektInnen aufgefordert, die engen und
vor allem sehr theoretischen Lehransätze zu öffnen
und nach realen Umsetzungsmöglichkeiten zu suchen.
Gleichzeitig müssen diese theoretischen Modelle der
Öffentlichkeit zur Umsetzung und Diskussion zur Verfügung gestellt werden. Fördergelder sollten nicht nur
Institutionen oder Gemeinden erhalten, sondern auch
Architektur-Start-UPs sollten Gelegenheit bekommen,
Innovationen zu entwickeln, diese zu vermarkten und
so auch mit zeitgemäßem architektonischem Denken
eine Geschäftsgrundlage zu finden. Auch kleinere Büros
müssen darin unterstützt werden, Knowhow zu generieren und im Verbund mit Institutionen oder der Industrie
gleichberechtigt entgegentreten zu können.
These 2:
Architecte,
animos excita!
In Deutschland werden Lösungen gerne von Institutionen
und Verwaltungen erwartet. Herausragende Individuen sind mitunter nicht Teil dieser Strukturen, und am
wenigsten nur Dienstleister. Architektur wird, wie fast
alle anderen Bereiche, aber sehr stark durch persönliche
Entwicklung und durch die emotionale Ausstrahlung und
individuelle Prägung von Charakteren bestimmt. Auch
in der Architektur muss Verantwortung wieder an starke
Persönlichkeiten übertragen werden. Dieses Modell ist in
vielen Bereichen selbstverständlich. Im Sport werden die
besten Trainer, die besten Spieler gesucht, wenn es um
eine wichtige Liga geht. Warum sollte es in der Architektur anders sein? Gleichzeitig müssen Architekten ihre
Verantwortung sehen, sie annehmen und verantwortlich
handeln. Dabei müssen sie wachsam sein, sie müssen
Probleme erkennen und ansprechen, müssen Mitstreiter suchen und politisch werden. Hier sind vor allem
die ArchitektInnen selbst angesprochen sich mehr aktiv
einzubringen und nicht nur hinter ihrer Dienstleisterfunktion zu verstecken.
These 3:
Wir brauchen ein
philosophisches
Fundament
Keine Disziplin vereint sich mit so vielen Gebieten, wie
die Architektur. Auf der einen Seite stehen Ingenieurswesen und Technik auf der anderen Seite Design, Kunst
und soziales Handeln. Als Optimum vereinen sich wieder
alle Disziplinen zur Kunst. Nicht zuletzt verbildlicht Architektur die Materielle Hülle gebauten Geistes und wenn
es pathetisch klingen mag, bietet Architektur auch Inspiration durch Umsetzung neuer und alter Philosophischer
Gedankenwelten, die unsere Städte und Häuser und
Wohnungen und virtuellen Welten erst zu menschlichen
Behausungen macht. Architektur muss wieder umfassender werden. Architektur, Kunst und Philosophie müssen
für unsere Gesellschaft wieder essentiell werden.