Dezember/Januar - luth. Kirche zu Bockau

„REFORMATIONSKALENDER“
Wir schreiben das Jahr des Herrn 1525. Aus dem Baccalaureus Erasmus ist ein Magister
geworden und Magister Thomas hat eine Stelle als Archidiakon an der stolzen Stadtkirche
zu Wittenberg übernommen. Kurz vor Weihnachten treffen sie sich wieder. Es hat
geschneit, und gemeinsam stapfen sie durch den Schnee zum ehemaligen Schwarzen
Kloster, in dem nun Dr. Luther mit seiner Frau Käthe wohnt.
Thomas: Grüßt euch Gott, Erasmus. Auch auf dem Weg zu Luthers?
Erasmus: Ja, seine Frau Käthe ist ein rechter Gewinn für unsere Stadt. Ein so offenes
und freies Haus findet man selten. Und die Gespräche bei Tisch sind ein Leckerbissen für
meine Ohren.
T: Ach gebt’s doch zu: Ihr habt Hunger, Euch steht der Sinn doch nach ganz anderen Leckerbissen!
E: Gut, Ihr habt recht, hungrig ist dort noch niemand aus dem Haus gegangen. Aber es ist doch mehr als nur
das gute Essen oder warum seid Ihr auf dem Weg dorthin?
T: Ja, habt Ihr nicht gehört, dass unser guter Doctor das Weihnachtsfest abschaffen will? Die Gemeinde in
unserer Marienkirche ist deshalb aufgeregt wie ein Schwarm wilder Bienen!
E: Das heilige Weihnachtsfest abschaffen? Nein! Ihr seid nicht bei Troste, Ehrwürden!
T: Na, abschaffen wohl nicht ganz, aber verändern will er es, hört man. Wo kommen wir noch hin, wenn alles
verändert wird!
E: Ach, so schlimm wird’s wohl nicht werden! Der heilige Nicolaus kommt gewiss auch dieses Jahr und wirft
den braven Kindern Nüsse und Äpfel durchs Fenster. Und den unartigen wird wohl sein Knecht Rupprecht mit
der Rute wieder ganz gehörig die Unarten austreiben. So war es schon immer, und das muss bleiben! Da
kann selbst ein Doctor der Heiligen Schrift und Martinus Luther nichts dran ändern!
T: Nichts ändern? Von wegen! Martin – so darf ich ihn nun nennen, sind wir doch sozusagen Kollegen – sagte
mir neulich: „Wir glauben nun nicht mehr an Heilige, haben sie von den Altären genommen und dorthin
unseren Herrn Jesus Christus gestellt. Und unsere Kinder lassen wir das Gute von einem Heiligen bringen?
Das kann doch nicht sein!“
E: Heilige hin oder her – aber die Kinder müssen doch zu Weihnachten etwas geschenkt bekommen.
Schließlich sollen sie sich an diesem Freudenfest auch über etwas freuen! Und dass dann die Saububen
bestraft werden, halte ich für ganz recht. Ich sage euch – ich bin derzeit Hauslehrer bei unserem Herrn
Schulteiß – der hat vielleicht Bengel ! Da könnte man…
T: Na, aber das ist es ja gerade, was der Luther meint: Gott nimmt uns, von der Sünde zerfressen, an. Wir
sind keinen Deut besser als die Rotznasen vom Bürgermeister. Vielleicht nach außen hin, aber innen?
E: Ja und?
T: Ja, da können wir doch nicht an dem Fest, an dem Gott als Kind in die Welt kommt, die Kinder mit Ruten
das Gute lehren wollen! Das treibt sie doch von Gott weg und lehrt sie eher das Fürchten!
E: Da ist was Wahres dran! Aber was ist mit den Geschenken?
T: Das könnt Ihr Luther gleich selbst fragen. Wir sind schon da. (Sie treten bei Luther ein.)
Mmh, wie das hier duftet! Ich möchte meinen, dass Frau Käthe den Backofen angeheizt hat und uns gleich ein
köstliches Gebäck erwartet.
E: Mir läuft geradezu das Wasser im Munde zusammen. Schnell, Ehrwürden Thomas, lasst uns Doctor Luther
begrüßen und dann flink zu Tische! (sieht Luther) Da ist er ja! Gott zum Gruße, Doctor Martinus!
Luther: Ja, kommt herein, setzt euch an unseren Tisch und schaut, was mein Eheweib gebacken hat:
Lebensbrot. Familie Baumgartner aus Nürnberg hat uns die Rezeptur und einige seltene und teure Gewürze
verehrt. Dieses gewürzte Brot ist ganz das rechte für das heilige Christfest.
E: So wollt ihr also doch Weihnachten nicht abschaffen, wie die Leute munkeln?
L: Abschaffen? Nein, wie könnte ich?! Kommt doch unser Herr Christ zu uns und Gott macht und das größte
Geschenk damit. Feiern muss man das! Drei Tage lang!
T: Dann stimmt es sicher auch nicht, dass Ihr die Geschenke für die Kinder abschaffen wollt?
L: Nie im Leben! Die Kinder sollen sich über etwas freuen, wie wir über das Christkind. Nur nicht der Nicolaus
bringt ihnen etwas, sondern das Christkind selbst. In der Heiligen Nacht fliegt es über unsere Häuser und wirft
durch die Essen die schönsten Dinge hinein, und wenn die Kinder am Morgen erwachen, leuchtet die
Weihnachtsfreude in ihren Augen.
E: Durch die Essen? Na, da wird es wohl schwarze Äpfel geben, die aussehen, als wären es Eier, vom
Leibhaftigen gelegt. Ihr lacht, verehrter Doctor?
L: Ihr seid noch ein rechtes Kind, Erasmus! Wenn die Geschenke des Christkindes die schmutzigen Essen
berühren, dann werden die weiß und rein wie Schnee, so wie unsere sündige schmutzige Seele, wenn
Christus sie berührt.
T: Und was macht dann Knecht Rupprecht, der die bösen Kinder Mores lehren soll?
L: Den schicken wir nach Rom. Dort mag er wohl genug zu tun haben. Wo der Herr Christ in das Haus und
Herz einkehrt, braucht es keinen Strafbüttel mehr.
Hans-Christian Moosdorf
Pfarrer in Schönheide