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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Tyrann, Verschwender, Modernisierer
Herzog Carl Eugen von Württemberg
Von Marianne Thoms
Erst-Sendung: Freitag, 6. Februar 2015, 8.30 Uhr
Wiederholung: Freitag, 9. Dezember 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Andrea Leclerque
Produktion: SWR 2014
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MANUSKRIPT
Cembalomusik
Sprecherin:
Am 8. Februar 1744 verabschiedet der Preußenkönig Friedrich der Große seinen
württembergischen Zögling Carl Eugen. Er gibt ihm einen wohlmeinenden Rat mit in
den Süden Deutschlands:
Zitator:
Opfern Sie als Herzog einige Jahre dem Vergnügen. Dann denken Sie an Heirat.
Glauben Sie aber ja nicht, dass das Land Württemberg für Sie geschaffen worden ist.
Ziehen Sie immer das Wohlsein des Volkes Ihrer eigenen Annehmlichkeit vor.
Sprecherin:
Kaum neunjährig war Carl Eugen durch den plötzlichen Tod seines Vaters Anwärter
auf den württembergischen Herzogsthron geworden. Um ihn auf seine Regentschaft
vorzubereiten, hatte seine Mutter ihn an den Hof Friedrichs des Großen geschickt.
Der erwirkt seine vorzeitige Mündigkeit beim Kaiser. Danach beginnt Carl Eugens
schwindelerregende Karriere zu einem absolutistischen Herrscher par excellence:
Seine Untertanen missbraucht er als Geldquelle für seine Verschwendungssucht.
Tausende Landeskinder verkauft er als Soldaten an fremde Herrscher. Kritiker lässt
er einkerkern. Sexuelle Begierden lebt er hemmungslos aus – und er belastet sein
armes Herzogtum mit einem enormen Schuldenberg. Erst als ihn ein
Gerichtsbeschluss dazu zwingt – und vielleicht auch durch den Einfluss einer Frau –
zeigt dieser zwölfte Herzog von Württemberg Reformwillen.
Ansage:
Tyrann, Verschwender, Modernisierer – Herzog Carl Eugen von Württemberg. Eine
Sendung von Marianne Thoms.
Sprecherin:
Carl Eugen regiert Württemberg ein halbes Jahrhundert. Sein Herzogtum zwischen
Bodensee und Taubertal, Schwarzwald und Allgäuer Alpen umfasst 9.500
Quadratkilometer: weite Ebenen, sanfte Höhenzüge, Wälder, Weinberge, viele
Dörfer, wenig Städte und kaum eine halbe Million Untertanen. Das Herzogtum ist bei
seinem Amtsantritt bereits hochverschuldet und nach außen ohne besondere
Bedeutung. Carl Eugen ist nur einer von mehr als 360 Herrschern im Deutschland
des 18.Jahrhunderts. Wie sie alle verhält er sich wie ein Fürst von Gottes Gnaden,
mit dem Anspruch, absolut zu regieren – allerdings unter den besonderen
Bedingungen Württembergs. Das macht Carl Eugen für seinen Biografen, den
Literaturwissenschaftler Jürgen Walter, bemerkenswert.
OT 01 Jürgen Walter:
Württemberg hatte insofern eine Ausnahmestellung innerhalb der Kleinstaaten des
Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, in dem noch die Landstände eine
Macht hatten. Diese Landstände – in Württemberg nannte man sie die Landschaft –
gab es seit dem ausgehenden Mittelalter. Sie waren praktisch noch ein Relikt, das in
die Zeit des fürstlichen Absolutismus hineinragte. Der Tübinger Vertrag vom 8. Juli
1514 hatte den Vertretern der Landstände das Steuer- und Kriegsbewilligungsrecht
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garantiert. Die württembergischen Untertanen waren allein der Landschaft
steuerpflichtig und nicht dem Herzog. Die Landschaft bildete also seit alters her eine
Schranke gegen den Landesfürsten, grenzte seine Machtbefugnisse ein. Sie vertrat
die Gegenrechte der Untertanen und bildete somit die Landesverfassung.
Sprecherin:
Wie der Preußenkönig ihm geraten hat, widmet der erst Sechzehnjährige die
Anfangsjahre seiner Regentschaft dem Vergnügen. Er lässt verschwenderische
Feste organisieren, hat Amouren, reitet, jagt, tanzt, repräsentiert und lässt den
Grundstein zu Stuttgarts Neuem Schloss legen. Er bereitet sich auf seine Hochzeit
vor und überlässt die Politik zunächst dem "Geheimen Rat" – dem Kabinett seiner
Minister. Zwanzigjährig heiratet Carl Eugen die schöne Nichte Friedrichs des
Großen, Friederike von Brandenburg-Bayreuth, ganz nach dem Wunsch seiner
Mutter und dem Plan des preußischen Monarchen. Heiratspolitik ist damals
Machtpolitik: Preußen will Württemberg vereinnahmen, als Verbündeten gegen die
Konkurrenzmacht Österreich. Doch privat misstraut Friedrich der Große seinem
einstigen Protégé. Zwei Jahre hatte er den württembergischen Thronfolger an
seinem Hof in Berlin auf das Herzogsamt vorbereitet und auch danach nicht aus dem
Blick gelassen. An Friederikes Mutter schreibt er:
Zitator:
Ich mache mir keine Hoffnung, dass er meiner Nichte die Treue halten wird. Sein
Charakter ist mir zur Genüge bekannt.
Sprecherin:
Carl Eugen zeigt sich nach anfänglicher Verliebtheit hochmütig und distanziert,
Friederike gibt sich stolz und verschlossen. Ein männlicher Thronerbe bleibt aus,
eine Tochter stirbt schon nach einem Jahr. Die einzige Leidenschaft, die das
Herzogspaar verbindet, ist ein glänzender Hofstaat und die kostspielige Welt des
spätbarocken Theaters. In beidem will Carl Eugen dem ungleich mächtigeren König
von Frankreich – Louis XV. – nacheifern. Ein verschwenderischer Charakterzug
bricht sich in ihm Bahn, mit nur einem Ziel:
OT 02 Jürgen Walter:
In Württemberg gab es zwei Vorgänger von Carl Eugen, die schon mit großer
Verschwendungssucht geherrscht und einen prächtigen Hof gehalten haben. Das ist
Eberhard Ludwig, der Ludwigsburg gegründet hat, und dann sein Vater Carl
Alexander. Und in dieser Tradition hat Carl Eugen sich wohl gesehen. Er wollte
seinen Hof zum prächtigsten Europas machen.
Musik
Sprecherin:
Für seine Residenzstadt Stuttgart befiehlt der Herzog den Bau eines opulenten
Opernhauses. Den berühmten italienischen Opernkomponisten Nicolo Jomelli
bezahlt er mit dem Mehrfachen eines Ministergehaltes. Die Kostüme nur einer
Opernaufführung sind ihm 40.000 Gulden wert – für einen Gulden musste ein
Tagelöhner beim Bau der Oper fünf Tage lang schuften. Überhaupt entfaltet Carl
Eugen einen überaus luxuriösen Lebensstil. Als galanter Gastgeber lockt er
erlauchte Besucher von nah und fern an den Württembergischen Hof – mit
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rauschenden Festen, sinnestrunkenen Maskenbällen, fantastischen Feuerwerken
und prachtvollen Paraden. Die aufkommende Bewunderung bringt den
venezianischen Abenteurer Giacomo Casanova zum Ausruf:
Zitator:
Der Hof des Herzogs von Württemberg ist zu jener Zeit der glänzendste von ganz
Europa!
Sprecherin:
Carl Eugen will, dass das so bleibt, koste es, was und wen es wolle. Die adligen
Herrschaften seines Herzogtums trifft es nicht, denn sie leben in Württemberg
steuerfrei. Für betuchte Patrizier gilt: Je größer ihr Besitz, umso geringer ihre
steuerlichen Lasten. Die meisten der Untertanen haben wenig, werden aber am
stärksten besteuert. In den Städten sind es die Beamten, Handwerker, Kaufleute,
Lehrer, Advokaten, in den Dörfern die ohnehin durch Frondienste geplagten Bauern.
Bald mahnen die Landstände den Herzog, seine Verschwendung der hart
erarbeiteten Steuergelder zu zügeln. Sie beklagen:
Zitator:
Serenissimus verlangen nur immer, dass man zu allem Ja sage; man hat aber schon
zu oft erfahren, dass die gnädigen Versprechungen nachher nicht gehalten werden.
OT 03 Jürgen Walter:
Wenn man es auf dem Hintergrund der Landesverfassung sieht, waren es illegale
Methoden. Er hat sozusagen Kassen geplündert, die er nicht plündern durfte, und
dann schlicht und einfach Schulden gemacht und zwar überall, wo er konnte. Das
ging zum Teil soweit, dass er sogar Voltaire angepumpt hat.
Sprecherin:
Allein dem französischen Philosophen schuldet der Herzog 260.000 Gulden. Um sich
neue Finanzquellen zu erschließen, belastet er die württembergischen Beamten
rechtswidrig mit Zwangsanleihen in Höhe ihrer Jahresgehälter. Noch einträglicher
erscheint dem Landesvater der Verkauf von Landeskindern für die Kriege anderer
Staaten. 1752 verpflichtet er sich in einem sogenannten Subsidienvertrag, 6.000
Württemberger auf Abruf für Frankreich marschieren zu lassen. Er kassiert schon im
Voraus, ohne die versprochenen Soldaten zur Verfügung zu haben. Als er 1744 sein
Amt angetreten hatte, verfügte Württemberg lediglich über eine schlecht
ausgerüstete Truppe von 2.400 Mann. Für größeren Bedarf erlaubt die Verfassung
nur die Werbung von Freiwilligen. Wie Carl Eugen die gewinnt, hat sein Biograf
Jürgen Walter ermittelt:
OT 04 Jürgen Walter:
Da wurde einfach gelockt mit größerem Verdienst. Man verdiente ungefähr, glaube
ich, das Acht- oder Neunfache wie als Landarbeiter. Und da haben sich viele Leute
freiwillig gemeldet. Wobei man natürlich sich fragen kann, wie weit ist man freiwillig,
wenn einem das Wasser bis an den Hals steht. Und das war ja eine sehr große, weit
verbreitete Armut in Württemberg.
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Sprecherin:
Die von der Not getriebenen Freiwilligen hatten ihre Dörfer seit ihrer Geburt kaum
verlassen. Nun sollten sie – unzureichend ausgebildet – auf fremder Erde, für fremde
Interessen ihr Leben riskieren. Als mit dem Siebenjährigen Krieg, tatsächlich der
Ernstfall eintritt und die 6.000 1757 für Frankreich gegen Preußen marschieren
sollen, laufen dem Herzog seine Subsidientruppen in Scharen davon. Seine im
Kampf unerprobten Württemberger überlässt er seinem General Spiznas, der sie in
eine vernichtende Niederlage führt. Preußen siegt in der Schlacht bei Leuthen über
die verbündeten Österreicher und Franzosen. Damit ist auch das offizielle
Württemberg geschlagen. General Spiznas klagt seiner "Hochfürstlichen
Durchlaucht":
Zitator:
Die Offiziere bezeugten im Kampf eine ausnehmende Tapferkeit, wenn nur der
gemeine Mann seine Schuldigkeit hätte tun wollen.
Sprecherin:
Nur 1.900 dieser gescholtenen Männer kehren im April 1758 zerlumpt,
halbverhungert und krank aus dem Krieg zurück. Tausende sind gefallen. Carl Eugen
empfängt die Heimkehrer in Feldherrenpose auf dem Schmidener Feld – in
Galauniform und wohlgenährt. Mit Frankreich hat er schon einen weiteren
Subsidienvertrag ausgehandelt, dieses Mal über ca. 9.000 Landeskinder.
Außenpolitisch hat der jetzt Dreißigjährige kaum an Prestige gewonnen. So will er
nun innenpolitisch seine Souveränität beweisen. 1758 entmachtet er den "Geheimen
Rat" – die württembergische Regierungsspitze – wegen angeblicher Bevormundung.
Bald ist er nur noch von Schmeichlern umgeben, die ihm bereitwillig Finanzquellen
erschließen und korrupt in die eigene Tasche wirtschaften.
Carl Eugen ist ohne Maß. Er greift sogar in die Kirchenkasse. Für weiteren
Geldbedarf duldet er, dass seine Günstlinge Ämter gleich mehrfach veräußern, dass
sie bereits abgeholzte Wälder verkaufen, um seine Darlehen zu tilgen, dass sie den
Untertanen zwangsweise Lose der herzoglichen Klassenlotterie wie eine Steuer
auferlegen – und andere Rechtswidrigkeiten mehr. Alles in allem lasten bald 412
steuerliche Abgaben auf der Bevölkerung. Der öffentliche Unmut entlädt sich in
anonymen Sprüchen wie diesem:
Zitator:
Der allen Mammon raubt und liederlich verprasst/ der treuer Bürger Blut aus
Langerweil verspritzt/ Der Amt, Gesetz und Recht um bares Geld verkauft/ Und wie
ein Wüterich tut, sprich doch: Wer ist der Mann?/ Der Schmeichler nennt ihn Fürst,
die Wahrheit sagt: Tyrann.
Sprecherin:
Des Herzogs Haupthindernis auf dem Weg zur Alleinherrschaft sind die Landstände.
Sein persönlicher Hauptgegner ist ihr Konsulent Johann Jakob Moser. Er verfasst die
meisten Protestschreiben der Landstände und ist ihr eigentlicher Wortführer. Ihn will
Carl Eugen ausschalten. Er zitiert den Staatsrechtler an den Hof, um ihm seinen
Entschluss mitzuteilen:
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Zitator:
Weil alle meine gegen ihn erlassenen Resolutionen nichts gefruchtet und die
Landschaft mit ihren respektwidrigen Schriften noch immer fortfährt, so sehe ich mich
genötigt, mich seiner als des Concipisten zu versichern und ihn nach Hohentwiel zu
schicken.
Sprecherin:
Ohne Gerichtsurteil befiehlt der Herzog die Einkerkerung Johann Jakob Mosers im
Staatsgefängnis Hohentwiel.
Cembalomusik
Sprecherin:
Er selbst wendet sich nun wieder seinen Vorlieben zu: Leonberger Bauern roden im
Frondienst 250 Hektar Wald für sein Lustschloss "Solitude", das zu einem
grandiosen Beispiel fürstlicher Selbstdarstellung wird.
Für seine Lustjagden, die Jahr für Jahr die mühsam bestellten Felder der Bauern
verwüsten, befiehlt Carl Eugen den Bau neuer Jagdhäuser. Schloss Grafeneck auf
der Schwäbischen Alb lässt er zu einer barocken Residenz mit Schlosskirche,
Opernhaus und Kavalierpavillons ausbauen. Carl Eugens 35. Geburtstag entartet zu
einer 14-tägigen Orgie inszenierter Huldigungen. In einem blitzartig errichteten
"Palast der Pracht" lässt er sich vor Hunderten Gästen wie Jupiter auf dem Olymp
feiern. Dabei umgeben ihn die schönsten Mädchen. Casanova berichtet:
Zitator:
Alle Tänzerinnen waren hübsch und rühmten sich, den gnädigen Herrn zum
mindesten einmal glücklich gemacht zu haben.
Sprecherin:
Seit die Herzogin Friederike ihren ignoranten Gemahl schon 1756 für immer
verlassen hat, kennt der Herzog in sexueller Hinsicht keine Grenzen mehr. Bei
Reisen durch das Land nähert er sich Bürgerfrauen, bei Lustjagden können es auch
Försterstöchter sein, bei Hofe sind es adlige Damen oder Künstlerinnen seiner
Theatertruppen. Auf Bällen tragen die Auserwählten als Zeichen seiner Gunst blaue
Seidenschuhe. Mehr als hundert uneheliche Knaben soll der rastlose Liebhaber als
seine Söhne anerkannt haben, schreibt sein Biograf Jürgen Walter. Die Mütter seiner
zahllosen Töchter lässt er abfinden oder er verheiratet sie mit wohlhabenden
Männern. Wie alle deutschen Potentaten hält sich auch Carl Eugen hochbezahlte
und reich ausgestattete Mätressen.
Das persönliche Schuldenkonto des Herzogs beträgt inzwischen mehr als 13
Millionen Gulden. Weit dramatischer aber ist, dass der exzessive Lebensstil Carl
Eugens ganz Württemberg einen gigantischen Schuldenberg aufgehalst hat. Da
beschließen die Landstände zu handeln. Sie verklagen ihren Herzog beim
kaiserlichen Hofgericht in Wien des fortgesetzten Verfassungsbruchs. Durch listige
Einwände kann Carl Eugen zwar einen Schuldspruch fünfeinhalb Jahre
hinauszögern, aber am Ende ist er der Verlierer. Ein sogenannter "Erbvergleich" vom
Jahre 1770 gibt den Landständen in allen Beschwerdepunkten Recht. Jürgen Walter
resümiert in seiner Biografie:
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Zitator:
Carl Eugen muss auf den Grundsatz unumschränkter Herrschergewalt ausdrücklich
verzichten. Der Tübinger Vertrag von 1514 ist somit in allen Punkten bestätigt. Ferner
wird der Herzog zur Rückzahlung dessen verurteilt, was er dem Kirchengut, den
Gemeinden und einzelnen Privatpersonen unrechtmäßig weggenommen hatte. Die
Rückzahlung erpresster Landschafts- und Steuergelder wird ihm allerdings erlassen.
Sprecherin:
Am Hof, so wird berichtet, darf eine Weile niemand diesen Vergleich auch nur
erwähnen, wenn er nicht einen heftigen Wutausbruch seiner Durchlaucht riskieren
will. Doch dahinter verbirgt sich mehr als Emotion.
OT 05 Jürgen Walter:
Dahinter steht zuerst einmal ein politisches Scheitern. Und da muss er wohl etwas in
sich gegangen sein. Es gibt keine Dokumente direkt darüber, aber er hat sein Leben
selbst in zwei Teile eingeteilt und hat in dem sogenannten Kanzelmanifest in allen
Kirchen seine Wandlung verkünden lassen.
Sprecherin:
Er habe "teils aus angeborener menschlicher Schwachheit, teils aus nicht
genügsamer Kenntnis" Fehler gemacht. Wörtlich lässt er die erstaunten Untertanen
wissen:
Zitator:
Wir sehen den heutigen Tag als eine zweite Periode unseres Lebens an. Ja,
Württemberg muss es wohlgehen! Dies sei für das Künftige auf immer die Losung
zwischen Herrn, Dienern und Untertanen.
Sprecherin:
Carl Eugen zeigt Reformwillen. Das Herzogtum soll modern ausgebildete Beamte,
Offiziere und Künstler erhalten. Über Standesgrenzen hinweg verpflichtet er begabte
Schüler zum kostenlosen Studium an seine Militärakademie. Per Unterschrift holt er
sich von den Eltern die volle Verfügungsgewalt über seine Zöglinge. Doch das rigide
militärische Reglement, dem der Herzog sie bis in die Schlafsäle hinein unterwirft,
bleibt vielen eine bedrückende Erfahrung. In dieser pädagogisch aufgeladenen Zeit
tritt eine besondere Frau in Carl Eugens Leben: Franziska von Bernardin,
verheiratete Baronin von Leutrum. Die Historikerin und Biografin Gabriele Katz
erzählt über die folgenreiche Begegnung während einer Lustjagd im September
1771:
OT 06 Gabriele Katz:
Carl Eugen war, wie alle in Württemberg heute noch wissen, ein Frauenheld par
excellence. Und jetzt trifft er auf diese Franziska, von der wir wissen, dass sie weder
schön noch eloquent war, sondern, aus einem pietistisch geprägten Elternhaus, ganz
besonders bescheiden und zurückhaltend in ihrem Auftreten. Sie hatte von dem
höfischen Leben überhaupt keine Ahnung. Und Carl Eugen begann sich genau aus
den Gründen für diese Frau zu interessieren. Denn er war, seit er auf die Welt
gekommen war, nur von Leuten umgeben gewesen, die ihm nach dem Mund geredet
haben. Er war Serenissimus, er war Herrscher von Gottes Gnaden. Niemand hätte
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jemals gewagt, ihm die Wahrheit zu sagen, außer dieser Frau, die jetzt in sein Leben
stolpert. Der Hof ist alarmiert. Was passiert da? Diese lächerliche Figur und der
Herzog! Niemand kann es verstehen.
Sprecherin:
Franziska ist weder standesgemäß noch vermögend. Sie weiß nicht, wann man in
einem Hofknicks versinkt. Sie ist eine bodenständige Frau aus niederem Adel,
unsentimental und geradeheraus.
OT 07 Gabriele Katz:
Mit sechzehn Jahren hatte ihr Vater sie gegen die Begleichung seiner Schulden an
den ziemlich hässlichen, kleinwüchsigen und vor allem charakterlich schwierigen
Baron von Leutrum gegeben. Franziska war in dieser Ehe isoliert und völlig
unglücklich. Ein Zustand, der schon mehrere Jahre lang angehalten hatte. Und nun
hatte sie die Chance, mehrere Tage in der Nähe des Herzogs von Württemberg zu
sein.
Sprecherin:
Danach ist sie fest entschlossen und mutig genug, aus ihrem bisherigen Leben
auszubrechen. Binnen eines Monats wird sie die Mätresse Carl Eugens und gewinnt
Einfluss auf seinen Charakter.
OT 08 Gabriele Katz:
Als Franziska auf ihn trifft, ist sie eine der wenigen Personen, vielleicht sogar die
einzige im Leben des Herzogs, die mit ihm wie mit einem Menschen spricht. Also von
gleich zu gleich. Und die von daher seine Gefühle erreicht. Und Franziska wird das
immer tun.
Cemablomusik
Sprecherin:
Carl Eugen verspricht ihr gleich zu Beginn die Ehe, als künftige Herzogin an seiner
Seite. Und der so oft Wortbrüchige wird sein Versprechen gegen alle höfischen und
kirchlichen Widerstände einlösen, sobald seine erste Gemahlin, Friederike von
Brandenburg-Bayreuth, 1780 stirbt. Bisher kaum zu wirklicher Liebe fähig, gesteht
Carl Eugen:
Zitator:
Ich liebe Dich von ganzem Herzen, ganzer Seele. Tausend und tausend Mal sei Dir
versichert, Franzele, dass so lang ein Atem in mir sein wird, Du mir das Liebste in der
Welt bleiben wirst.
OT 09 Gabriele Katz:
Franziska konnte natürlich Carl Eugen nicht zügeln. Carl Eugen wurde durch seine
politische Vernunft gezügelt. Er war gezwungen, sich zu ändern, seinen Lebensstil
zu ändern, sich ein neues Image im Land aufzubauen. Und Franziska war die Person
an seiner Seite, mit der er das erfolgreich und vor allem ja auch den Untertanen
gegenüber glaubhaft tun konnte.
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Sprecherin:
Der Herzog lässt Franziska zur Reichsgräfin von Hohenheim erheben und bemüht
sich, dass sie beim württembergischen Hochadel und an ausländischen Höfen
akzeptiert wird. Auf gemeinsamen Reisen sammeln die beiden wissenschaftliche
Informationen, um die Carlsschule weiter zu profilieren. Sie erwerben eine der
weltweit größten Bibelsammlungen und andere bibliophile Kostbarkeiten. Überall
repräsentiert das Paar standesgemäß, maßvoller vielleicht, aber längst nicht
bescheiden. Der Herzog hält weiter Ausschau nach teuren Pferden für seinen
Reitstall und Franziska zeigt sich unterwegs gern mit großen Diamanten. Im
sogenannten "Dörfle", das sie sich rund um das Schloss Hohenheim als
Rückzugsgebiet vom Hofleben schaffen, leben sie allerdings wie schlichte
Landedelleute.
OT 10 Gabriele Katz:
Franziska war glücklich mit einem sehr einfachen Leben, in dem sie so sein konnte,
wie sie war. Also ohne ständig über irgendwelche Stolpersteine am
württembergischen Hof zu straucheln. Und das Besondere an Carl Eugen ist, dass er
dieses Leben mit ihr teilt.
Sprecherin:
Er pflückt ihr Beeren, bindet ihr Blumensträuße und versichert ihr seine Liebe. Für die
Armen der Umgebung zelebrieren beide öffentliche Wohltätigkeit. Im "Dörfle" befasst
sich der Herzog sogar mit der Landwirtschaft. Er kauft Zuchttiere und moderne
Ackerbaugeräte, er drängt zur Stallfütterung, experimentiert mit dem Anbau von
Kartoffeln und Klee und gibt den württembergischen Bauern Beispiele
ertragreicheren Wirtschaftens. Doch das spielerische Landleben in der Idylle von
Hohenheim macht aus Carl Eugen keinen gänzlich gewandelten Landesvater. Wenn
er es für nötig hält, kehrt er den Despoten heraus und Franziska hindert ihn nicht
daran. Für seinen nach wie vor riesigen Geldbedarf verkauft er erneut 3.000
Landeskinder, diesmal an das Königreich Großbritannien – als Soldaten in
afrikanischen Kolonien. Der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart macht diesen
perfiden Soldatenhandel in seiner Zeitschrift "Deutsche Chronik" öffentlich. Er kennt
die damit verbundene Gefahr:
Zitator:
Zu einer Zeit, da Priester- und Fürstengewalt gegen jedes Freiheitsgefühl
anbrausten, konnte kein Gewerbe gefährlicher sein, als das eines
Zeitungsschreibers. Um diese Zeit erhielt ich schriftliche und mündliche Warnungen
mich vorzusehen, weil ein schweres Wetter gegen mich aufzöge.
Sprecherin:
Schon einmal hatte Schubart Carl Eugen erzürnt, als er dessen Hohe Carlsschule als
"Sklavenschule" und den Initiator als "Schulmeister" verhöhnte. Jetzt soll dieser
Kritiker feudaler Herrschaftsmethoden endgültig mundtot gemacht werden. Die
Häscher des Herzogs locken Schubart aus der Reichsstadt Ulm auf
württembergisches Gebiet und verschleppen ihn ins Staatsgefängnis Hohenasperg.
Dort überwachen Carl Eugen und Franziska mit Genugtuung seine Einkerkerung.
Dem Dichter hat sich die Szene fest eingebrannt:
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Zitator:
Jetzt rasselte die Tür hinter mir zu und ich war allein – in einem grauen, düsteren
Felsenloche allein. Ich stand und starrte vor Entsetzen, betrachtete die öde,
schweigende Wand und den eisernen Ring, der darein gemauert war, um mich nach
dem Befehl des Fürsten daran zu ketten.
Sprecherin:
Erst zehn Jahre und vier Monate später wird Schubart, nach Interventionen von
Prominenten wie Goethe und Friedrich dem Großen, wieder freigelassen. Dabei
inszeniert sich Carl Eugen als großmütiger Gönner und ernennt den geschundenen
Staatshäftling zu seinem Theaterdirektor.
Dieser schillernde Herzog von Württemberg hat während seiner bisherigen
Regentschaft das feudale System und seine Macht darin für unantastbar gehalten.
An diesem Credo hält er auch dann noch unbeirrt fest, als die Revolution im
benachbarten Frankreich 1789 alle europäischen Feudalmächte zum Erzittern bringt.
Sein Biograf Jürgen Walter erzählt:
OT 11 Jürgen Walter:
Carl Eugen tat dann etwas, was kein anderer deutscher Fürst getan und gewagt hat:
Er reiste 1791 nach Frankreich und sah sich die Revolution selbst an. Er besuchte
die Nationalversammlung und war auch Zeuge der Gefangennahme des
französischen Königs. Etwas Ähnliches in Württemberg sah er und befürchtete er
aber offensichtlich nicht. Für ihn gab es keine Volkssouveränität. Er hielt am Prinzip
des Gottesgnadentums und der Feudalordnung fest.
Cembalomusik
Sprecherin:
Die europäischen Auswirkungen der französischen Revolution hat Carl Eugen nicht
mehr erlebt. 1793 ist er nach schwerer Krankheit gestorben. So widersprüchlich wie
sein Charakter, so widersprüchlich war seine Politik. Nur auf einem Politikfeld
erlebten die Untertanen ihren unsteten Herzog kompromisslos:
OT 12 Jürgen Walter:
Württemberg hat eigentlich, außer dem Eingreifen im Siebenjährigen Krieg, nie einen
Krieg gehabt in seiner Regierungszeit. Er hat fast fünfzig Jahre regiert, und in diesen
fünfzig Jahren sind keine Kriegshandlungen in Württemberg vorgekommen – und das
ist das, was er letztendlich geleistet hat.
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