Kunst und Kultur KV-Blatt 12.2016 „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith Mord nach bestem Wissen und Gewissen Mehr Schein als Sein? Für einen Hochstapler stellt sich die Frage nach der Wahrheit nicht, er gibt dem Publikum genau das, was es sehen will. Die USamerikanische Autorin Patricia High smith (1921 – 1995) hat mit ihrem Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ von 1955 einen charmanten Mörder geschaffen, der kaltschnäuzig die Identität seines Opfers annimmt, um ein Leben im Luxus zu führen. Highsmith missachtet die Konventionen des Krimigenres, indem sie die Perspektive des Verbrechers einnimmt und sich für eine Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung durch seine Bestrafung partout nicht interessiert. Der Kosmos Highsmith ist bevölkert von abseitigen Figuren voller Gier und Rücksichtslosigkeit, die dem persönlichen Glück nachjagen und im Mitmenschen nur den Konkurrenten sehen. Nach eigenen Aussagen wurde die Autorin zu dieser Typenwahl durch ein populärwissenschaftliches Buch eines Psychiaters inspiriert, das sie als Achtjährige im elterlichen Bücherschrank fand. Die vorgestellten Fälle psychisch defekter Menschen fand sie so schauerlich wie alltäglich, weit wichtiger als Märchen. Zur literarischen Verarbeitung all dessen, was geistig missraten konnte, sagte sie: „Was zukünftiges Schreiben über den so genannten Psychopathen betrifft, so ist das Schreiben nur ein etwas eingeschränktes und bestimmteres Leben. Der Psychopath in einem Buch ist ein Durchschnittsmensch, der klarer lebt, als es die Welt ihm erlaubt.“ Alfred Hitchcock als Entdecker Patricia Highsmith wurde 1921 im texanischen Fort Worth geboren und wuchs in New York City auf. Die Mutter arbeitete als Graphikerin, ihren leiblichen Vater, einen Sohn deutscher Auswanderer, lernte sie erst mit zwölf Jahren kennen. Sie studierte Englische Literaturwissenschaft am Barnard College, schrieb Texte für die Superman-Comics und konnte 1945 eine erste Kurzge- Foto: KEYSTONE/Picture-Alliance/Photoshot 24 Portrait der Autorin als junge Frau, noch nicht gezeichnet von Alkohol und Nikotin schichte an das Magazin Harper’s Bazaar verkaufen. 1948 bekam sie ein Stipendium für die Künstlerkolonie Yaddo in Saratoga, die sie Jahrzehnte später testamentarisch als Haupterbin ihres Vermögens bedenken sollte. Sie feierte mit ihrem dort fertiggestellten Debüt „Zwei Fremde im Zug“ von 1950 ihren literarischen Durchbruch; Alfred Hitchcock kaufte die Filmrechte am Buch, in der Folge wurde sie weltberühmt. Den Roman „The price of salt“ über eine lesbische Liebe (1952), von dem allein im Erscheinungsjahr über eine Million Exemplare verkauft wurde, schrieb sie unter dem Pseudonym Claire Morgan; erst die Neuauflage 1990, die den Titel „Carol“ trug, zeichnete sie mit ihrem Namen. 1963 siedelte Highsmith nach einem nomadischen Leben ausgedehnter Reisen nach Europa über; sie lebte einige Monate im italienischen Positano, dann bis 1967 in London und Suffolk, in der Folge bis 1981 in der Île-de-France und schließlich aus steuerlichen Motiven im Tessin. Patricia Highsmith war sich bereits in Jugendjahren ihrer Homosexualität bewusst, die sie aktiv, aber diskret lebte (in der Hochzeit der Kommunistenverfolgung durch Senator Joseph McCarthy und einem Klima sexueller Prüderie zu Beginn des Kalten Krieges auch in den Metropolen). Ihrem damaligen Verlobten zuliebe unterzog sie sich einer (gescheiterten) Therapie, um heterosexuell zu werden. Zeit ihres Lebens hatte sie zahlreiche Affairen resp. Beziehungen zu Frauen, ohne tiefere emotionale Bindung, die selten länger als zwei Jahre dauerten. High smith trank und rauchte viel zu viel, lebte ihre Misanthropie weidlich aus und verbrachte ihre Zeit bevorzugt in Gesellschaft von Katzen und Schnecken. Ungeachtet dieses destruktiv-bizarren Lebenswandels schrieb sie diszipliniert Kunst und Kultur KV-Blatt 12.2016 täglich bis zu acht Seiten Prosa, umriss Ideen für neue Bücher in Notizbüchern und verfasste zahllose Briefe (ihr Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv umfasst deren 50.000). Sie starb 1995, ihre Urne wurde in Tegna, ihrem letzten Wohnort, beigesetzt. Überschreitung der Grenzen des Krimis Formal schreibt Patricia Highsmith Kriminalromane, wobei sie das bewährte Muster des „Wer war es?“ aufhebt. Sie interessiert sich nicht für die Wiederherstellung der Ordnung der Welt durch die Verurteilung des Verbrechers; sie nimmt vielmehr die Perspektive des getriebenen, oft latent homosexuellen Täters ein und folgt ihm bei der Planung und Durchführung seines Vorhabens. Moralische Fragen spielen dabei keine Rolle, sie skizziert das Verbrechen als extremes Mittel zum Erreichen eines konkreten Zweckes. Damit überschreitet sie die Grenzen der Gattung, ihre psychologisch gefärbten, dialoglas tigen Romane passen atmosphärisch eher in die Nähe zu Fjodor Dostojewski oder Albert Camus (zwei ihrer großen Vorbilder) als zu Agatha Christie oder Dorothy Sayers. Highsmith kreiert ein Gefühl der Beklemmung, das das Verhältnis der Personen ihrer Bücher zuein ander bestimmt und das sich auf die Lesenden überträgt; sie werden, in den Worten eines Kritikers, mit „dem Bösen konfrontiert“. Mit dem Buch „Der talentierte Mr. Ripley“ (US-Original 1955, deutsche Erstveröffentlichung 1961), das zweimal verfilmt wurde (1960 mit Alain Delon und 1999 mit Matt Damon in der Titelrolle), schuf sie ihren bekanntesten Charakter: Der junge Mann schlägt sich mit Gelegenheitsjobs und kleinen Betrügereien durch, als er unverhofft von einem reichen Ölmagnaten den Auftrag bekommt, dessen Sohn im sonnigen Italien aufzuspüren und ihn zur Rückkehr in die USA zu bewegen, um in die väterliche Firma einzusteigen. Vor Ort im Golf von Neapel nimmt Tom Ripley mit Dickie Greenleaf Kontakt auf, der an der Seite seiner schreibenden Freundin Marge Sherwood seine Zeit mit Malen verbringt, und findet Gefallen an dessen Leben als Playboy zwischen Strand, Bett und Bar. Tom schafft eine Gelegenheit, mit Dickie allein einen Bootsausflug zu unternehmen, währenddem er diesen kaltblütig erschlägt und im Meer vor San Remo versenkt. Er kehrt allein an Land zurück und beschließt, Dickies Identität anzunehmen und dessen Leben des dolce far niente (mit der väterlichen Apanage) weiterzuführen. Keine große Schwierigkeit, wie High smith kommentiert: „Wenn man die Vorstellung nur früh genug übt, wird sie bald zum wahren Charakter. Und das Eigenartige im Wesen des Menschen ist, dass die Falschheit am Ende zur Wahrheit wird.“ Ripleys Gabe zum Töten voraus, dabei vor einem weiteren Mord nicht zurückschreckend und Dickies Verschwinden als Selbstmord inszenierend. Am Ende gelingt es ihm gar, sich mit einem fingierten Testament Greenleafs auskömmliches Erbe zu sichern und dergestalt seinen Komfort zu finanzieren. Und das Lesepublikum, im vollen Wissen der Grausamkeit Toms, fiebert mit bei der Verschleierung des Geschehenen. Ripleys „Talent“ besteht in der dreisten, konsequent ausgeführten Mimikry, der Täuschung seiner Umgebung über seine Absichten und sein Vergehen, letztlich in seiner Unempfindlichkeit Fragen des Rechts und des Gewissens gegenüber. Diese Gabe zum Töten führt ihn ans Ziel, wo es ihn nicht schmerzt, mit dem Wissen über die aufgewandten Mittel allein zu bleiben. Tom muss in der Folge nach zwei Seiten spielen: Er kann nur dort als Greenleaf auftreten, wo man diesen nicht kennt; Tom muss er bleiben gegenüber denen, die ihn als solchen kennengelernt haben. Er imitiert Dickies Schreibstil, verfasst in seinem Namen Briefe an die Eltern in den USA sowie an Marge Sherwood und löst mit seiner gefälschten Unterschrift plus gestohlenem Pass Schecks bei der Bank ein. Seine Travestie hat Erfolg, er ist der italienischen Polizei immer einen Schritt Von Beginn an ist Tom fasziniert vom sorglosen Leben, das Dickie aufgrund seines Geldes führen kann; seine Freundin Marge wirkt da wie ein Störfaktor zwischen den beiden Männern, deren Verschmelzung Tom vorschwebt. In einer zentralen Szene des Romans zieht sich Tom Greenleafs kostbare Kleidung an und mimt vor dem Spiegel dessen Trennung von Marge: „Er entschied sich für eine dunkelblaue Seidenkrawatte, die er sorgfältig knotete. Der Anzug passte. Er kämmte sich das Haar und Anzeige fü r en s e r t il it ä t p Ex sib en u g a n l P üf u -pr Ihre Spezialisten für alle Rechtsfragen im Gesundheitswesen! Insbesondere ns sb s bes beso Beratung Bera für - Ärzte | Zahnärzte - Apotheken - Krankenhausträger - Berufsverbände - Sonstige Unternehmen im Gesundheitswesen Vom Arbeitsrecht bis zur Zulassung – unsere Kanzlei steht für persönliche, individuelle und zielgerichtete Rechtsberatung und Vertretung. Erfahren Sie mehr über unser umfassendes Leistungsportfolio unter Praxisrecht.de oder vereinbaren Sie einen persönlichen Termin. Ihre Ansprechpartnerin vor Ort Elke Best Rechtsanwältin Fachanwältin für Medizinrecht Kanzlei Berlin Uhlandstraße 28 10719 Berlin fon +49 (0) 30 – 887 10 89 10 e-mail [email protected] 25 Kunst und Kultur KV-Blatt 12.2016 setzte den Scheitel etwas mehr seitlich an, so wie bei Dickie. <Marge, du musst verstehen, daß ich dich nun einmal nicht liebe>, sagte Tom mit Dickies Stimme zum Spiegel, indem er wie Dickie die betonten Wörter höher aussprach und am Ende des Satzes ein gutturales Geräusch machte, das je nach Dickies Laune attraktiv oder unfreundlich, vertraulich oder arrogant klingen konnte.“ In einer Welt der Oberflächenreize erfährt Tom, kostümiert als Dickie, dass Kleider Leute machen, die feinen Textilien schenken im buchstäblich eine andere Haut: „Es überraschte ihn, wie ähnlich er mit bedecktem Kopf Dickie sah. Eigentlich war sein dunkleres Haar der einzige größere Unterschied zwischen ihnen. Ansonsten – seine Nase, wenigstens im großen und ganzen, sein schmaler Kiefer, seine Augenbrauen, wenn er den richtigen Gesichtsausdruck hatte …“ Diese Umstände lassen seine Phantasie, Greenleaf zu töten und an seine Stelle zu treten, zu einem realen Plan reifen. Nach dessen Vollzug verliert er nicht die Nerven, sondern legt mit erstaunlicher Souveränität Spuren ins Nichts, täuscht die trauernde Marge und einen misstrauischen Detektiv; seine Hochstapelei nimmt er geradezu sportlich, er trainiert das Fälschen der Unterschrift Dickies ebenso sorgfältig wie das Erfinden einleuchtender Lügen: „Unter der Oberfläche wäre er so ruhig und selbstsicher gewesen, wie er es nach dem Mord an Freddie gewesen war, weil seine Geschichte unwiderlegbar war. Wie die Geschichte über San Remo. Seine Geschichten waren gut, weil er sie sich intensiv vergegenwärtigte, so intensiv, daß er sie fast selbst glaubte.“ Schließlich gelingt es Tom Ripley, die Verfolger abzuschütteln und als Dickies Nachfolger aufzutreten. Die geschilderten Verbrechen wirken als konsequente Fortsetzung des destruktiven Umgangs der Menschen mitein Foto: Bronstering Vom Erfinden einleuchtender Lügen Ist das Glas halbleer oder halbvoll? Egal, der Hochstapler schenkt einfach nach ander und rücken Patricia Highsmith in die Nähe des französischen Existenzialismus. Sie machte Ripley später zu einer Serienfigur, wobei die weiteren Romane mit diesem Charakter (1970, 1974, 1980 und 1991) nicht die kalte Lust der Premiere erreichten. Hintersinnig der Name seines Anwesens nahe Fontainebleau: Der „Belle Ombre“, der Schöne Schatten, legt sich hegend über Toms Geheimnis; Ripley wirkt wie ein Repräsentant einer Welt des Scheins, in der er sich systemkonform verhält. Oder in den Worten Felix Krulls, einem anderen Hochstapler aus dem zeitgleich verfassten gleichnamigen Roman Thomas Manns: „Die Welt will betrogen sein, sie wird sogar ernsthaft böse, wenn Du es nicht tust.“ Andrea Bronstering SPEZIALISTEN FÜR HEILBERUFE Schumannstraße 18 10117 Berlin Telefon 030 206298-6 Fax 030 206298-89 www.meyer-koering.de Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB RECHT RUND UM DIE MEDIZIN * * Wolf Constantin Bartha Fachanwalt für Medizinrecht * Torsten von der Embse Fachanwalt für Medizinrecht * Dr. Christopher Liebscher, LL.M. * Dr. Sebastian Thieme Fachanwalt für Arbeitsrecht Fachanwalt für Medizinrecht * Dr. Reiner Schäfer-Gölz Fachanwalt für Medizinrecht, Of Counsel Fachanwalt für Medizinrecht * Jörg Robbers Rechtsanwalt, Of Counsel Anzeige 26
© Copyright 2024 ExpyDoc