SWR2 Musikstunde

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Ole Bull – mehr als der norwegische
Paganini (1)
Von Susanne Herzog
Sendung:
Montag 05. Dezember 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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SWR2 Musikstunde mit Werner Klüppelholz
Ole Bull – mehr als der norwegische Paganini (1)
Susanne Herzog
SWR 2, 05. Dezember – 09. Dezember 2016, 9h05 – 10h00
Mit Susanne Herzog und: Ole Bull. Wir tauchen diese Woche in die
abenteuerliche Lebensgeschichte dieses „norwegischen Paganinis“ ein. Herzlich
Willkommen dazu.
Titelmelodie
„Er ist verrückt“, das soll der dänische König Friedrich VI. über Ole Bull gesagt
haben. Bull hatte für den König Geige gespielt. Der hat dann anschließend
gefragt, wer denn seine Lehrer gewesen seien. Da hat Bull geantwortet: „Die
norwegischen Berge, Euer Majestät.“ Das hat den König irritiert. Trotzdem hat er
Ole Bull eine Schnupftabakdose mit Diamanten besetzt geschenkt. Aber kaum
war Bull durch die Tür, da hat ihn der König für verrückt erklärt.
Verrückt – das war Ole Bull sicher nicht. Aber er war eben mehr als ein
„norwegischer Paganini“, mehr als einer der virtuosen Geiger des 19.
Jahrhunderts mit brillanter Geigentechnik und kometenhafter Karriere.
Ole Bull war ein leidenschaftlicher Norweger: er hat die norwegische Natur
geliebt und sich von ihr zu Kompositionen inspirieren lassen. Deshalb auch die
norwegischen Berge als Geigenlehrer…. Er hat das erste norwegische Theater
gegründet, er hat eine norwegische Kolonie in den USA ins Leben gerufen und
nicht zuletzt hat er norwegische Volksmusik immer wieder studiert, gespielt und in
seinen Kompositionen verarbeitet.
Norwegen plus Geige das ergibt zwingend Ole Bull! 1‘10
MUSIK 1
Ole Bull
Sigrids sang
<12> 2’00
Arve Tellefsen, Violine
Håvard Gimse Klavier
5136 638
SIMAX classics, PSC 1261, NOFZS0561010-170
„Sigrids Lied“ von Ole Bull aus einer Bühnenmusik zu Henrik Wergelands
„Fjeldstuen“. Arve Tellefsen hat Geige gespielt, Håvard Gimse Klavier.
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Es gibt einige Photographien aus Ole Bulls letztem Lebensjahrzehnt zwischen 1870
und 1880: da erinnert er mich an Franz Liszt und auch an Edward Grieg. Die
halblangen, grauen Haare lassen an Liszt denken, die hellen Augen mit den
buschigen, grauen Augenbrauen an Grieg. Ole Bull ist mit beiden Musikern im
Laufe seines Lebens befreundet gewesen. Mit Liszt hat Bull seine Virtuosität, mit
Grieg das Engagement für die Volksmusik Norwegens.
Als Ole Bull 1810 in Bergen geboren wurde, da hat keiner in seiner Familie
vermutet, dass er einmal zum berühmtesten norwegischen Musiker werden sollte bevor dann Edward Grieg später diesen Platz übernommen hat.
Ole Bull war das erste von zehn Kindern. Sein Vater und sein Großvater sind
Apotheker gewesen. Andere Verwandte waren im kirchlichen Bereich tätig. Das
eine oder das andere sollte auch der Weg von Ole Bull sein. Doch im Hause Bull
lag Musik in der Luft.
Es wurde regelmäßig musiziert. Die Hausmusik hat dem kleinen Ole so gut
gefallen, dass er mit zwei Stöcken – einer das Cello oder die Geige, einer der
Bogen – die Musiker nachgeahmt hat. Ein Onkel von Ole Bull, der bei der
Hausmusik Cello gespielt hat, hat dem kleinen Ole dann seine erste Violine
geschenkt. Laut Bull: „gelb wie eine Zitrone“. Und auf dieser „zitronengelben“
Violine hat Ole Bull dann in einem kleinen Gartenhäuschen geübt. Er selbst sagt:
die Katzen hätten ihr Fressen stehen lassen und seien weggelaufen…1‘44
MUSIK 2
Nicolò Paganini
Cantabile
<1> 3’34
Erato, LC 0200, 0630-14778-2
5026 503
Nicolò Paganini, ein Cantabile war das für Violine und Gitarre. Gespielt haben
der Geiger Alexander Markov und der Gitarrist Eduardo Fernández.
So schön hat der kleine Ole auf seiner zitronengelben Geige im Gartenhäuschen
sicherlich noch nicht gespielt. Aber er hat schnell Fortschritte gemacht und es
musste eine bessere Geige her. Glänzend rot diesmal, das kann man sich schon
eher als Geigenfarbe vorstellen. Ein reisender Franzose hatte Geigen in Bulls
Heimatstadt Bergen angeboten und Ole Bulls Vater hatte dem Drängen des
Sohnes nachgegeben und das glänzend rote Instrument gekauft. Ole ist so
verliebt in seine neue Geige gewesen, dass er sofort darauf spielen wollte.
Nachts ist er heimlich aufgestanden und hat den Kasten geöffnet. Natürlich sollte
er nachts nicht Geige üben. Deshalb hat er erst mal nur ein wenig an den Saiten
gezupft, den Bogen mal nur probeweise in die Hand genommen. Und sich dann
gedacht: ach, nur mal ein klein wenig streichen, ganz leise. Er ist dann möglichst
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weit weg vom Schlafzimmer der Eltern geschlichen, um seiner neuen Geige ein
paar leise Töne zu entlocken. Nach und nach hat ihn der Klang der Musik aber so
begeistert, dass er alles um sich vergessen hat. Er hat dann ein Stück gespielt,
dass ihm so gut gefiel, dass er in voller Lautstärke losgelegt hat. Das wurde ihm
erst bewusst, als er den Schlag des väterlichen Stockes auf seinem Rücken spürte.
Und zu allem Überfluss fiel ihm seine Geige auf den Bogen und zerbrach.
Eine etwas gemäßigte Variante dieser Kindheitserinnerung berichtet, dass Ole
über das Erscheinen und die mahnenden Worte seines Vaters so erschrocken
war, dass er die Geige fallen ließ. Ein Drama ist es für Ole Bull in jedem Fall
gewesen: auch als Erwachsener hat er diese Geschichte noch mit viel Emotion
erzählt.
1’45
MUSIK 3
Louis Spohr
Scherzo vivace aus:
Quartett Nr 16 a-moll, op 58,2
<7> 4‘25
New Budapest Quartet
Naxos, 8.223256, LC 9158
6119 465 102
Das war das New Budapest Quartet mit dem Scherzo vivace aus dem
Streichquartett in a-moll op. 58 Nr. 2 von Louis Spohr.
Die Musik von Louis Spohr hat Ole Bull als Kind schon gekannt. Schließlich ist Spohr
damals ein berühmter Geigenvirtuose und Komponist gewesen. Seine
Streichquartette hat man bei den Bulls zu Hause gespielt. Da sind dann neben
dem cellospielenden Onkel Musiker aus Bergens Orchester „Harmonien“ heute
das Philharmonische Orchester von Bergen, vorbei gekommen. Erste Violine bei
diesen Hausmusik Quartetten hat der damalige Konzertmeister des Bergener
Orchesters Johan Henrich Paulsen gespielt. Natürlich haben die Bulls die Musiker
auch bewirtet. Und so kam es, dass Paulsen an einem Abend ein bisschen zu tief
ins Glas geschaut hatte. Ole Bull hat erzählt, dass sein Onkel ihm angeboten
habe, ihm eine Süßigkeit zu geben, wenn er für Paulsen einspringen würde. Der
kleine Ole ließ sich nicht lange bitten: glücklicherweise kannte er die Noten des
Quartetts schon, die da auch den Notenständern lagen. Und so konnte der
achtjährige Ole mühelose mit den Profis mithalten. Paulsen ist so beeindruckt
gewesen, dass er Ole fortan unterrichtete und dafür sorgte, dass er auch bald
schon im Orchester als eine Art „Aushilfe“ mitspielen durfte. Mit neun hat Ole Bull
dann seinen ersten Soloauftritt gehabt. Der Onkel hat ihm dann eine große
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Violine gekauft, eine zu große sogar. Aber offensichtlich ist Bulls Talent durch
nichts zu bremsen gewesen. 1‘28
MUSIK 4
Ole Bull
Nocturne
<1> 3‘54
Arve Tellefsen, Violine
Trondheim Symphony Orchestra
Eivind Aadland, Ltg.
SIMAX classics, PSC 1261, NOFZS0561010-170
5136 638
Das war das Nocturne für Violine und Orchester von Ole Bull. Eivind Aadland hat
das Trondheim Symphony Orchestra geleitet. Solist war Arve Tellefsen.
Mit zwölf Jahren bekam Ole einen neuen Lehrer: den schwedischen Geiger
Mathias Lundholm. Aber die Chemie zwischen Schüler und Lehrer stimmte nicht
so recht. Ole ist ein phantasievolles und auch sehr eigenständig denkendes Kind
gewesen. Er wollte sich nicht in ein strenges Unterrichtsmodell pressen lassen. Eine
Methode seines Lehrers bestand darin, Ole für die aufrechte Haltung mit Kopf
und Rücken an der Wand spielen zu lassen. Aber sein eigentümlich eingeknicktes
linkes Handgelenk, das hat Lundholm ihm nicht austreiben können. Das behielt
Ole Bull auch als reisender Virtuose bei. Geschadet hat es offensichtlich nicht,
obwohl es auch heutzutage noch jedem Geigenlehrer die Schweißperlen auf die
Stirn treiben würde.
Da gab es also eine gewisse Spannung zwischen Ole und seinem Lehrer. Ole Bull
erinnert sich an folgende Geschichte. Eines Abends als verschiedene Musiker mal
wieder im Hause Bull zu Gast waren, stand ein Konzert von Spohr auf dem
Notenständer. Während die anderen noch aßen, probierte Ole es heimlich zu
spielen. Da kam sein Lehrer rein und schimpfte mit ihm. Das sei ja wohl viel zu
schwer. Doch weit gefehlt: Ole spielte den ersten Satz und die anderen Musiker –
inzwischen dazu gekommen – klatschen Beifall. Das ärgerte den Lehrer. Und
schon setzte er dem Jungen ein Capriccio von Paganini vor. „Probier mal das!“
Sie können sich wahrscheinlich denken wie’s weitergeht: auch das konnte Ole
spielen. Aber natürlich konnte er nicht zaubern. Er hatte die Capricci von
Paganini heimlich geübt. „Die Katzen kannten das Stück“ hat er später gesagt.
Im Gartenhäuschen hatte der Vierzehnjährige sich durch verschiedene Capricci
von Paganini durchgearbeitet. Seine Großmutter hatte ihm nach viel Gebettel
die Noten besorgt.
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Ja, da war sein Lehrer natürlich baff. Und konnte dann nur noch bemerken, dass
er vielleicht - wenn er sehr fleißig wäre – später auch mal so schön spielen könnte
wie er selbst. 2‘03
MUSIK 5
Nicolo Paganini
Capriccio Nr. 5 a-moll
<5> 2‘37
Thomas Zehetmair, Violine
TELDEC, 9031-76259-2, LC
5055 135
Thomas Zehetmair mit dem fünften Capriccio von Nicolò Paganini.
Der Zauber von Paganinis Musik hat sich bei Ole Bull schon als Jugendlicher
während seiner Übestunden im Gartenhäuschen ausgebreitet. Ein anderer
wichtiger musikalischer Einfluss für Bull ist die norwegische Volksmusik gewesen.
Die Sommer verbachte die Familie Bull in ihrem Haus in Valestrand. Das ist ein
Paradies für die Ole und seine Geschwister gewesen: sie sind in einem kleinen
See geschwommen und durch die Wälder gestreift. Ole hatte auf seinen
Ausflügen gerne seine Geige dabei und hat dann inmitten der Natur gespielt. Die
Geigenklänge, die aus den Wäldern und Büschen drangen, die haben die
Landbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Man munkelte, dass seit
neustem Geister und Kobole ihr Unwesen trieben…
In Valestrand hat Ole als Kind norwegische Volksmusik gehört. Wenn bei den
Bauern der Umgebung Hochzeiten oder sonstige Feste stattfanden, dann griffen
die Musiker zur Hardangerfiedel. Das ist eine reich verzierte Violine mit
zusätzlichen Resonanzsaiten. Torgeir Augundson, den berühmten
Hardangerfiedel Spieler, genannt Myllarguten, der Müllersbursche, den hat Ole
Bull als junger Erwachsener kennen gelernt. Mehrere Tage haben beide
gemeinsam in Valestrand verbracht und Myllarguten hat für Bull gespielt. Bull hat
ihn gebeten, möglichst langsam zu spielen, denn er wollte so viele Melodien wie
möglich mitschreiben. Das alles ging mehr schlecht als recht, aber letztlich hat
Bull dann doch so einige norwegische Volksmelodien zu Papier gebracht. 1‘37
MUSIK 6
Edvard Grieg
Halling fra Østerdalen - Byssan byssan bodne Springdans fra Nummedal - aus:
Vier Bergmelodien, bearb. für Sopran, Hardangerfiddle, Violoncello und
Cembalo von Felix Treiber <1> 0’46 <2> 1’55 <4> 1’19 Insg. 4‘00
Åselinde Wiland, Sopran
Ensemble Sorpresa Antes Edition, BM 319289, LC 07985 5189 868
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Das waren drei Bergmelodien von Edvard Grieg bearbeitet für Sopran,
Hardangerfiedel, Violoncello und Cembalo. Gespielt hat das Ensemble Sorpresa,
die Sängerin war Åselinde Wiland.
Ole Bull hat norwegische Volksmusik mit seiner von Paganini inspirierten Virtuosität
verbunden. Herausgekommen ist dabei ein Geigenvirtuose ganz eigener
couleur.
Eine Besonderheit ist zum Beispiel sein polyphones Spiel gewesen. Bull konnte
nicht nur zwei Saiten und auch zwei Melodien auf einmal spielen, sondern er hat
auf allen vier Saiten gleichzeitig gespielt und dabei Tripel- und Quardrupelgriffe
verwendet. Sozusagen ein Streichquartett auf einer einzigen Violine! Dabei
haben Bull seine Erfahrungen mit der Hardangerfiedel geholfen. Denn so ein paar
kleine Tricks hat er für diese Vielstimmigkeit schon angewendet. Er hat nämlich
den Steg seiner Violine besonders tief gefeilt – so wie bei einer Hardangerfiedel.
Dadurch konnte er die Saiten leichter gleichzeitig streichen. Außerdem hat er
den Bogen nicht so stark gespannt, um möglichst alle vier Saiten gleichzeitig zu
erwischen.
Der Virtuose mit seiner bravourösen Technik – mit Mehrfachgriffen, vielfältigen
Flagoletts, unzähligen staccato Noten auf einem einzigen Bogenstich und so
weiter und so fort - das ist die eine Seite des Geigers Ole Bull. Die andere ist seine
ungeheure Musikalität. Immer wieder wurde sein singender Ton gelobt. Ein wohl
eher kleiner Ton, aber klar, sanft und süß im Klang. Und wenn er dann
norwegische Volksmelodien mit diesem Klang gespielt und im nächsten Moment
ein virtuoses Feuerwerk gezündet hat, dann ist das natürlich schon eine
einzigartige Mischung gewesen.
Hier ein Ausschnitt aus dem ersten Satz von Ole Bulls Violinkonzert in A Dur, bei
dem man das so besondere vierstimmige Spiel von Ole Bull ganz deutlich hören
kann. Allerdings spielt der Geiger Annar Follesø auf einer Violine mit „normalem“
Steg und muss deshalb die vierstimmigen Akkorde anders als Bull damals als
gebrochene Akkorde spielen. 2‘06
MUSIK 7
Ole Bull
Ausschnitt aus: Allegro Maestoso aus Violinkonzert A-Dur
<2> ausblenden bei 7’00
Annar Follesø, Violine
Norwegian Radio Orchestra
Ole Kristian Ruud, Ltg.
2L, 2L-067-SABD, LC ?
Privat CD
8
„Ich hoffe es wird eine Sensation auslösen, weil es sicherlich die schwierigste
Musik ist, die je für Violine geschrieben worden ist.“ hat Ole Bull 1834 bereits als
Virtuose in Italien an seinen Vater über sein Violinkonzert in A-Dur geschrieben. Wir
haben einen Ausschnitt aus dem ersten Satz gehört mit Annar Follesø und dem
Norwegischen Radio Orchester unter der Leitung von Ole Kristian Ruud.
Das ist jetzt schon ein kleiner Ausblick in die Zukunft des reisenden und
komponierenden Virtuosen Ole Bull gewesen. Aber zunächst war alles ganz
anders geplant. Obwohl so begabt auf der Geige, sollte Bull nämlich eigentlich
Theologie studieren. 1828 ist er dazu nach Christiania, das heutige Oslo,
gegangen. Aber dann ist er durch die Lateinaufnahmeprüfung für Theologen
gefallen. Glück im Unglück: Der Leiter des Theater Orchesters und des Musik
Lyceums ist krank geworden. Und da Bull ja jetzt keinen Studienplatz als Theologe
hatte, hat er dessen Posten übernommen. Es sollte also doch in Richtung Musik
gehen…
In dieser Zeit in Christiania hat Bull den zwei Jahre älteren Henrik Wergeland
kennengelernt. Er sollte zu einem der wichtigsten Dichter Norwegens werden. Ole
Bull und Henrik Wergeland haben ihre patriotische Begeisterung für Norwegen
und der Wunsch nach Unabhängigkeit verbunden. Seit 1814 war Norwegen nicht
mehr unter Dänemarks Herrschaft. Es musste aber eine Personalunion mit
Schweden eingehen, allerdings hatte es eine selbstständige Verfassung. Die
Unabhängigkeit von Schweden haben Bull und Wergeland nicht mehr erlebt:
dazu ist es erst 1905 gekommen. Aber beide Künstler haben sich während ihres
Lebens sehr für die kulturelle Identität Norwegens eingesetzt. Ole Bull hat bei
seinen Reisen quer durch Europa und bis nach Amerika die Volksmusik
Norwegens in die Welt getragen. 1‘55
MUSIK 8
Ole Bull
La Melancholie
<9> 2‘43
Arve Tellefsen, Violine
Trondheim Symphony Orchestra
Eivind Aadland, Ltg.
SIMAX classics, PSC 1261, NOFZS0561010-170
5136 638
„I ensomme stunde“ – La Mélancolie von Ole Bull in einer Fassung für Violine und
Orchester. Ursprünglich war das ein Lied, das auf einer norwegischen
Volksmelodie beruht oder einer solchen von Bull nachempfunden ist. Gespielt
gerade eben von dem Geiger Arve Tellefsen und dem Trondheim Symphony
Orchestra unter der Leitung von Eivind Aadland.
9
Die einsame Stunde: dieses Werk mit seiner klagenden Melodie ist eine der
bekanntesten Stücke von Bull. Und in gewisser Weise spiegelt es auch durchaus
den Charakter von Ole Bull wieder. Oft hat Bull von seinen Konzertreisen an seine
Eltern geschrieben, nur der Himmel wisse, ob er sie je wieder sehen würde. Er hat
sich häufig krank gefühlt, neigte wohl auch zu Hypochondrie. „Ich werde nie
glücklich sein.“ klagt er seiner Mutter: „Ständige Leiden gehören zu meinem
Leben“.
Sein Freund, der Dichter Henrik Wergeland, hat die erste Biographie über Ole Bull
geschrieben. Er charakterisiert Bull als leicht reizbar, betont auf der anderen Seite
seine kindliches Vertrauen zu anderen Menschen und seine
Begeisterungsfähigkeit.
Ein labiler Charakter, bei dem Begeisterung auch schnell in eine depressive
Verstimmung umschlagen konnte. Das ist nicht gerade eine gute Voraussetzung
für einen reisenden Virtuosen…
Dennoch sollte genau das Ole Bulls Weg sein. Und so machte er sich 1829 von
Christiania auf zu seinem großen Idol: zu dem Komponisten und Violinvirtuosen
Louis Spohr in Kassel. 1‘29
MUSIK 9
Louis Spohr
Mazurka
aus: Sechs Salonstücke op. 135
<12> 7’43
Ingolf Turban, Violine
Kolja Lessing, Klavier
Cpo, 777 492-2, LC8492,
5187 769
Ingolf Turban und Kolja Lessing waren das mit der die Mazurka aus den Sechs
Salonstücken op. 135 von Louis Spohr.
Der Besuch von Ole Bull bei Spohr in Kassel ist ein einziges Fiasko gewesen. Spohr
hat ihn nicht als Schüler angenommen, so wie Bull sich das gewünscht hatte.
Spohr hat ihm nicht einmal etwas vorgespielt. 250 Stunden habe seine Reise
gedauert, soll Bull zu Bedenken gegeben haben. Na dann könne er ja auch
gleich noch weiter nach Nordhausen reisen, da würde er bei einem Musikfestival
spielen, meinte Spohr daraufhin angeblich.
Das ist eine entmutigende Erfahrung für Bull gewesen, dass sein Idol ihn so hat
abblitzen lassen. Aber letztlich hat diese Enttäuschung ihn auf einigen Umwegen
nur in eine andere Richtung gelenkt. Dann eben nicht Spohr und Kassel, sondern
auf nach Paris. In der französischen Metropole wollte der junge Virtuose Ole Bull
10
sein Glück versuchen. Er hat es durchaus gefunden, aber ganz anders als er
selbst erwartet hatte. Dazu morgen mehr in der SWR 2 Musikstunde. Ich bin
Susanne Herzog und freue mich wenn Sie mir morgen auf Ole Bulls
verschlungenen Wegen durch Paris folgen. Von da geht’s nach Italien und dann
durch ganz Europa!