Die Eiskunstläuferin und die Energiewende

Medieninformation
Die Eiskunstläuferin und die Energiewende
Mit einer preisgekrönten Idee sorgt der Windenergieprofessor
Clemens Jauch für ein träges Stromnetz – und stellt die
Versorgung mit erneuerbaren Energien für die Zukunft auf
sichere Füße.
Abteilung Kommunikation
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Was kunstvolle Sprünge und Pirouetten auf der Eisbahn mit der
Energiewende zu tun haben? Wenig bis gar nichts trifft es wohl
ziemlich genau. Doch Clemens Jauch hat eine Eiskunstläuferin
zur Patin seiner Idee gemacht, die erheblichen Einfluss auf die
weitere Entwicklung und das Gelingen der Energiewende haben
könnte.
Torsten Haase
Leitung
+49 461 / 805-1304
Kristof Gatermann
+49 461 / 805-1229
Flensburg, 02.12.16
Clemens Jauch ist Professor für Windenergietechnik am Institut
für Windenergietechnik (WETI) der Hochschule Flensburg. Hier
beschäftigt er sich unter anderem damit, wie das Stromnetzt
aussehen muss, soll es künftig nur noch durch
Windenergieanalagen, Solaranlagen oder andere Erzeuger
regenerativer Energien versorgt werden. Vor dem Hintergrund
der Diskussion um Speichermöglichkeiten, den Bau von
Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland und immer neuer
Ökostromtarife scheint die Energiewende im Stromnetz schon
weit vorangeschritten zu sein. „Dem ist aber nicht so“, sagt Jauch,
„im Schatten der Energiewende hat sich ein Problem entwickelt,
das bisher kaum wahrgenommen wird.“ Dabei geht es um die
schwindende Trägheit im Netz.
Damit die meisten unserer elektrischen Geräte funktionieren,
muss die Netzfrequenz bei 50 Hz liegen, was nur erreicht werden
kann, wenn die erzeugte Leistung dem Verbrauch entspricht.
Wird plötzlich mehr oder weniger Strom verbraucht, ändert sich
die Frequenz. Das Ungleichgewicht muss ausgeglichen werden,
mittels sogenannter Primärregelkraftwerke. Bis diese jedoch die
geforderte Leistung aufgebracht haben, verhindert die
Systemträgheit
eine
inakzeptable
Veränderung
der
Netzfrequenz. „Stellen Sie sich vor, sie fahren bei
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gleichbleibender Stellung des Gaspedals mit dem Auto plötzlich
bergauf“, sagt Jauch, „da bleiben Sie ja nicht sofort stehen,
sondern werden allmählich langsamer.“
Die Trägheit resultiert aus den rotierenden Massen der am Netz
befindlichen Maschinen, zum Beispiel den Turbinen. Solche gibt
es in einem Netzt, das ausschließlich mit erneuerbaren Energie
versorgt
wird,
kaum
noch.
Wie
kann
man
also
Windenergieanlagen dazu bringen, dass sie das Netz mit der
nötigen Trägheit versorgen? Hier kommt die Eiskunstläuferin ins
Spiel. „Dreht sich eine Eiskunstläuferin mit ausgestreckten
Armen, hat sie eine große Trägheit und dreht sich langsam“,
erklärt Jauch. Ziehe sie die Arme an, beschleunigen sich die
Drehungen, da sie weniger träge ist. „Dieses Prinzip habe ich auf
den Rotor einer Windenergieanlage übertragen“, sagt Jauch kurz
und knapp. Gerade ist er für diese Entwicklung beim
Ideenwettbewerb Schleswig-Holstein mit dem Sonderpreis Green
Economy ausgezeichnet worden.
Die Jury wie auch die Fachwelt sind begeistert von dem
Vorhaben, im Rotorblatt zwei Kolbenspeicher – einen außen
(nahe der Blattspitze), einen innen am Rotor (nahe der Nabe) –
einzubauen und diese mit einer Hydraulikflüssigkeit zu befüllen.
„Wird die Flüssigkeit nach außen geschoben, wird, wie bei der
Eiskunstläuferin,
die
ihre
Arme
austreckt,
das
Massenträgheitsmoment groß und Rotationsenergie wird
eingelagert.“, erklärt Jauch. Wird zu einem anderen Zeitpunkt
zusätzliche
Leistung
im
Netz
gebraucht,
wird
die
Hydraulikflüssigkeit in die inneren Kolbenspeicher gedrückt. Das
ist dann so wie wenn die Eiskunstläuferin ihre Arme anzieht,
was dazu führt, dass sie sich schneller dreht. Das
beschleunigende Drehmoment wir in der Windenergieanlage
jedoch nicht dazu genutzt, um die Drehzahl der Anlage zu
erhöhen, sondern die entstehende Leistung wird ins Netzt
gespeist, um kurzzeitig einen zu abrupten Frequenzabfall zu
verhindern – bis die Primärregelkraft Verbrauch und Leistung
wieder in Gleichklang bringen. „Leistung bei einer
Windkraftanlage abzuregeln, ist einfach. Aber mit dieser
Methode können wir schnell Leistung ins Netz bringen“, sagt
Jauch. Das Netz wird träge.
Jauchs Idee hat aber noch einen mindestens ebenso wichtigen
Zusatznutzen: Durch den verschiebbaren Masse können
Windenergieanlagenhersteller
auch
das
Problem
der
Materialermüdung durch die Schwingung der Anlage abmildern.
Windenergieanlagen sind hochgradig schwingungsfähige
System. Moderne Windenergieanlagen mit ihren langen und
schlanken Rotorblättern und Türmen sind sogar so von
schädlichen Schwingungen bedroht, dass man sie aktiv vor
Beschädigung durch zu große Schwingungen schützen muss.
„Wir können mit den verschiebbaren Massen Resonanzen
verhindern. Das heißt, wir können verhindern, dass sich die
Schwingungen etwa eines Rotorblattes zu sehr aufschaukeln –
und dieses im Extremfall bricht beziehungsweise zu schnell
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ermüdet“, sagt Jauch.
© Hochschule Flensburg
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