Programmheft als PDF - Staatskapelle Dresden

1. Dezember 2016
Semperoper
4. KAMMERABEND
D O N N ER S TAG 1.12 .16 2 0 U H R
I SEMPEROPER DRESDEN
4. KAMMERABEND
Ausführende
Heitor Villa-Lobos
Andreas Kißling Flöte
Robert Oberaigner Klarinette
Astrid von Brück Harfe
Federico Kasik, Anselm Telle,
Martin Fraustadt und
Robert Kusnyer Violine
Anya Dambeck und
Marie-Annick Caron Viola
Simon Kalbhenn und
Matthias Wilde Violoncello
Johannes Nalepa Kontrabass
(18 8 7-19 5 9)
PROGRAMM
Wolfgang Amadeus Mozart
(17 5 6 -17 91)
Quartett D-Dur für Flöte, Violine,
Viola und Violoncello KV 285
1. Allegro
2. Adagio – attacca
3. Rondeau. Allegretto
Andreas Kißling, Federico Kasik,
Marie-Annick Caron und
Matthias Wilde
Maurice Ravel (18 7 5 -19 37 )
»Introduction et Allegro«
für Harfe mit Begleitung von
Streichquartett, Flöte und Klarinette
Astrid von Brück, Federico Kasik,
Martin Fraustadt, Marie-Annick
Caron, Matthias Wilde, Andreas
Kißling und Robert Oberaigner
»Chôros« Nr. 2
für Flöte und Klarinette
Andreas Kißling und
Robert Oberaigner
György Ligeti (19 2 3 -2 0 0 6)
»Régi magyar társas táncok«
Alte ungarische Gesellschaftstänze
für Flöte, Klarinette und
Streichquintett (1949)
1. A ndante János Bihari, 1825
2. A llegro – János Bihari, Márk
Rozsavölgyi Trio. Pochissimo meno
mosso János Bihari, 1808
3. A ndantino maestoso – Trio
Antal Csermák, 1826
4. A llegro moderato János Bihari,
1808 – János Lavotta – János
Bihari, 1825
Andreas Kißling, Robert Oberaigner,
Federico Kasik, Martin Fraustadt,
Marie-Annick Caron, Matthias Wilde
und Johannes Nalepa
PAU S E
Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquintett g-Moll KV 516
1. Allegro
2. Menuetto. Allegretto – Trio
3. Adagio ma non troppo
4. Adagio – Allegro
Anselm Telle, Robert Kusnyer,
Anya Dambeck, Marie-Annick Caron
und Simon Kalbhenn
ZUM PROGRAMM
Das Flötenquartett KV 285 schreibt Wolfgang Amadeus Mozart während seines
Aufenthalts in Mannheim im Winterhalbjahr 1777 / 78. Der Flötist Johann Baptist
Wendling, Mitglied des Mannheimer Hoforchesters, vermittelt einen Auftrag des
Musikliebhabers Ferdinand de Jean, der bei dem knapp 22-jährigen Mozart gegen
ein Honorar von 200 Gulden »3 kleine, leichte, und kurze Concertln und ein Paar
quattro auf die flötte« bestellt. De Jean, der als Arzt im Dienst der ostindischen
Compagnie gestanden hatte und dort zu Reichtum gelangt war, ist Dilettant auf der
Traversflöte. Sein großzügiges Honorar kommt zur rechten Zeit. Es hilft, Mozarts
kostspieligen Aufenthalt in Mannheim zu verlängern. Bereits am 18. Dezember
1777 schreibt der Sohn an den Vater, der in Salzburg zurückgeblieben ist: »Ein
quartetto für den indianischen holländer, für den wahren Menschenfreünd ist auch
schon bald fertig.« Am Weihnachtstag 1777 liegt es vollendet vor. Dass die weitere
Erfüllung des Auftrags bald ins Stocken gerät, hat seinen Grund in der aufstrebenden Sängerin Aloisia Weber, in die sich Mozart kurzerhand verliebt. Immer
mehr verliert er die Lust an der Fertigstellung der noch ausstehenden Werke. Der
erste Satz seines Quatuor concertant für Flöte und Streicher folgt der Sonatenform
und arbeitet mit virtuosen Passagen, die die Bravour des Flötisten exponieren,
jedoch in Gegensatz zu den von de Jean gewünschten »leichten Concertln« stehen.
Herausragend ist der serenadenhafte Ton des zweiten Satzes, der durch die Pizzicati der Streicher hervorgerufen wird, während sich die Melodie in der Flöte nicht
selten Spiele der Verschattung liefert. Das abschließende tänzerische Rondeau
steht ganz im Zeichen des Mannheimer goût.
Als Maurice Ravel im Sommer 1905 von der Pariser Klavierfirma Érard, die außer
mit Klavieren das Conservatoire mit Harfen versorgt, den Auftrag für eine Kammermusik mit Harfe erhält, schreibt er einem Freund, dass »eine Woche Arbeit und drei
schlaflose Nächte« genügen müssten, um das Stück zu beenden, »sei es zum Guten
oder Schlechten«. Ravel befindet sich in Eile. Das Auftragswerk soll vor Antritt
einer luxuriösen Schiffsreise, zu der ihm ein vermögender Zeitungsverleger eingeladen hat, fertiggestellt sein. Er arbeitet »zwischen Kofferpacken und Anproben
beim Schneider« – um dennoch das Ablegen des Schiffes zu verpassen, was ihn zur
Nachreise zwingt. Auch vergisst er das Manuskript in einem Modegeschäft, das ihn
für die Reise einkleidet. Überdies schwelt noch die Affäre um seine Nichtzulassung
in die Endrunde des begehrten Rom-Preises. Nur wenige Wochen nach seinem
30. Geburtstag hatte ihn die Jury zum wiederholten Male in der Ausrufung des
Gewinners noch vor der finalen Runde übergangen. Doch mehrt der Skandal lediglich Ravels Ruhm. Der Direktor des Conservatoire muss demissionieren, Gabriel
Fauré wird zu seinem Nachfolger erklärt. Die vordergründige Hektik ist dem Werk
jedoch kaum anzumerken. Vielmehr transportiert es ein Gefühl träger Sinnlichkeit:
bereits zu Beginn entspinnt sich zwischen Flöte und Klarinette ein fast schon laszives Gleichmaß, das von den Streichern in pendelnden Linien aufgenommen und
von der Harfe in einem flirrenden Klangteppich harmonisch abgerundet wird. Im
Grunde handelt es sich um ein kleines Harfenkonzert, das der »Vision einer sanften
arkadischen Tagwelt« folgt. Ravel öffnet einen Schatz brillanter Harfenpassagen. Im
Allegro, das in Sonatenform komponiert ist, kommt es wie in Mendelssohns Violinkonzert vor der Reprise zur Kadenz. Dem dichten Netz an instrumentalen Farben
stehen mannigfache Feinheiten des Rhythmus und der Phrasierung gegenüber.
Heitor Villa-Lobos wird am 5. März 1887 in Rio de Janeiro in die Familie eines
Laienmusikers und Bibliothekars hineingeboren. Schon bald erregen sogenannte
Choros die Aufmerksamkeit des Heranwachsenden. Dabei handelt es sich um ein
brasilianisches Musikgenre, das von den Chorões genannten lokalen Ensembles
in Rio gespielt wird. Doch ist Villa-Lobos die brasilianische Folklore nicht nur aufgrund seines Musizierens mit den Straßenbands in Rio bestens vertraut, sondern
auch dank seiner Studien im brasilianischen Urwald. Es heißt, Kannibalen, denen
er in die Hände gefallen sein soll, verschonen ihn nur deshalb, weil er es versteht,
ansprechende Musik zu machen. Im Paris der Zwanziger Jahre, wo er sich mithilfe eines Staatsstipendiums 1923 aufhält, kommen derartige Geschichten gut
an. Seine »brasilianischen Soiréen« erlangen schnell Kultcharakter – nicht zuletzt
dank der Melodien aus seiner Heimat, die er dem erstaunten Publikum vorträgt.
»Chôros« Nr. 2 schreibt Villa-Lobos 1924, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Paris.
Das Stück ist Teil einer Serie von 14 unterschiedlich besetzten Kompositionen, die
allesamt den Titel »Chôros« tragen, vom Solostück für Gitarre bis zum Werk für
Band und zwei Orchester. »Chôros« Nr. 2 dauert ca. 2 ½ Minuten und ist damit
eines der kürzesten innerhalb der Reihe. Das Werk ist einem der Gründer der brasilianischen Moderne gewidmet, dem Dichter, Novellisten und Kunst- und Musik­
historiker Mário de Andrade. Erstmalig aufgeführt wird es am 18. Februar 1925
in São Paulo. Es besteht aus vier kleineren Abschnitten, deren Anfänge durch
jeweilige Tempowechsel deutlich werden. Villa-Lobos arbeitet mit rhythmisch
aufgeladenen Strukturen wie dem Thema der Klarinette im zweiten Abschnitt, das
eine Ähnlichkeit zum Hauptthema von »Chôros« Nr. 10 aufweist, oder dem fast
schon überakzentuierten Thema im vierten Teil, ebenfalls in der Klarinette. Harmonisch schöpft er aus dem Fundus von Ganz- und Achttonleitern. Reizvoll ist, wie die
Figuren auf Grundlage komplexer Skalenbildungen diatonisch aufgefangen werden.
In »Régi magyar társas táncok« bearbeitet György Ligeti alte ungarische Gesellschaftstänze. Der Partitur liegen Tänze aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert
von János Bihari, János Lavotta, Antal Csermák sowie von Márk Rozsavölgyi zugrunde. 1947 folgt Ligeti einer Strömung, die sich um Vermittlung zwischen differenzierten ästhetischen Ansprüchen und volkstümlichen Kunstformen bemüht. Der
Komponist fühlt sich als Teil einer linksintellektuellen ungarischen Tradition und
schreibt 1949 eine Jugendkantate, die er später stilistisch zwischen Kodály, Britten
und Händel einordnet. In die Kantate ist eine »klerikale« Chorfuge à la Händel eingefügt, die auf heftige Kritik der Kulturfunktionäre stößt. Noch 1965 erinnert sich
Ligeti lebhaft: »Von diesem Augenblick an habe ich mich radikal geweigert, ›poli-
tische‹ Kompositionen zu schreiben, und habe mich hinter den harmlosen Volksliedbearbeitungen und dem Unterrichten verschanzt.« Als Stipendiat sammelt er
im Winter 1949 / 50 ungarische Volksmusik: »In einer Bewegung, in der vor allem
das uralte ungarische Volkslied als etwas vollkommen Neues entdeckt wurde
und nicht sekundär und passiv aus Büchern und Noten, sondern als klingende,
lebendige Wirklichkeit erfahren wurde, war kein Platz und keine Notwendigkeit
für Schönberg«, macht Ligeti deutlich. In János Bihari, Antal Csermák und János
Lavotta findet er allesamt ungarische Komponisten, die Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts Zigeunerweisen im Stil des Verbunkos und Csárdás verfassen. Der
Verbunkos, in Ligetis »Régi magyar társas táncok« prominent vertreten, leitet
sich aus dem deutschen Wort »Werbung« ab und geht auf die Anwerbetänze für
die österreichische Armee im achtzehnten Jahrhundert zurück. Kennzeichnend
sind neben der Zigeunertonleiter ein lebhafter - oder -Takt, häufige Synkopierungen und Punktierungen, Temposteigerung sowie eine typische Schlussformel,
genannt »bokázó«, die sinnbildhaft für einen militärischen Fersen- oder Hackenschlag steht.
Oft ist versucht worden, Größe und Wirkung von Wolfgang Amadeus Mozarts
Streichquintett g-Moll in Worte zu fassen. Nicht selten ist die Rede von Melancholie, Gebet, von Trauer und Tragik. Manche wähnen sich im dritten Satz sogar im
Garten Gethse­mane, wie der Musikpublizist und Mozart-Kenner Alfred Einstein.
Der Mozart-Biograph Otto Jahn erkennt in dem Werk die klassische Einheit von
Inhalt und Form, und wie in ihm »beide, die Wahrheit und Kraft der psychologischen Entwicklung und die Reinheit und Schönheit der künstlerischen Form,
in ihren wesentlichen Manifestationen zusammenfallen und eins sind«. Das
C-Dur-Quintett KV 515 trägt Mozart am 19. April 1787 in sein Verzeichnüß ein,
das g-Moll-Quintett folgt am 16. Mai. Beide Werke fallen in die Arbeit an seiner
Oper »Don Giovanni«. Nicht nur in ihrer tongeschlechtlichen Polarität bilden sie
ein Werkpaar, auch wenn das Streichquintett g-Moll hauptsächlich für sich steht.
Von Satz zu Satz scheint Mozart in immer tiefere Bereiche der Trauer vorzudringen, sieht man von dem unbekümmert scheinenden zweiten Teil des Finalsatzes
ab. Der erste Satz wirkt wie ein groß angelegter Klagegesang mit absteigender
Chromatik und pochenden Achteln in den Begleitstimmen. Im Menuett nimmt
der Grad der Zerrüttung im gesanglichen Verlauf zu. Das Es-Dur-Adagio, der
dritte Satz, erinnert an Joseph Haydns Passionsmusik »Die sieben letzten Worte
unseres Erlösers am Kreuz«, die als Streichquartettbearbeitung Anfang 1787
erschienen war. Einbrüche des Dunklen dienen als Steigerung des Ausdrucks
ebenso wie ein Sfumato, das mit ausgeprägter Weichzeichnung das Moment des
Innigen verstärkt. Der Finalsatz beginnt mit einem Adagio. Über dem Pizzicato
des Basses und den gleichförmigen Achteln der Mittelstimmen erhebt sich in der
ersten Violine eine zart tönende Lamentofigur. Der Abschnitt ist so erfüllt von
Trauer, dass nach hinüberleitender Wendung nur noch ein kräftig aufspielendes
Rondo möglich scheint. Klage löst sich auf in nonchalante Heiterkeit und begegnet der Melancholie des Komponisten mit einem kräftigen Ruck.
VORSCHAU
5. Symphoniekonzert
S O N N TAG 11.12 .16 11 U H R
M O N TAG 12 .12 .16 2 0 U H R
Kammermusik der Sächsischen
Staatskapelle Dresden
Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden
S E M P ER O P E R D R E S D E N
Verantwortlich:
Friedwart Christian Dittmann,
Ulrike Scobel und Christoph Bechstein
Franz Welser-Möst Dirigent
IMPRESSUM
D I E N S TAG 13.12 .16 2 0 U H R
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 9 D-Dur
Kostenlose Konzerteinführungen
jeweils 45 Minuten vor Beginn im
Opernkeller der Semperoper
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2016| 2017
H E R AU S G E B E R
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© Dezember 2016
R E DA K T I O N
André Podschun
6. Symphoniekonzert
TEXT
S O N N TAG 8 .1.17 11 U H R
Der Einführungstext von André Podschun
ist ein Originalbeitrag für dieses Heft
M O N TAG 9.1.17 2 0 U H R
G E S TA LT U N G U N D S AT Z
D I E N S TAG 10 .1.17 2 0 U H R
S E M P ER O P E R D R E S D E N
Vladimir Jurowski Dirigent
Borodin Quartet
Alexander Zemlinsky
Sinfonietta für Orchester op. 23
Erwin Schulhoff
Konzert für Streichquartett und
Blasorchester WV 97
Bohuslav Martinů
Konzert für Streichquartett mit
Orchester H 207
Leoš Janáček
Sinfonietta für Orchester op. 60
Kostenlose Konzerteinführungen
jeweils 45 Minuten vor Beginn im
Opernkeller der Semperoper
schech.net
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DRUCK
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