Regelanwendung und Game-Management. Qualifizierende

SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER
Zeitschrift für Sportpsychologie, 11/4, © 2004 by Hogrefe Verlag
DOI 10.1026/1612-5010.11.4.127
Diese Artikelfassung entspricht nicht vollständig dem in der Zeitschrift veröffentlichten
Artikel. Dies ist nicht die Originalversion des Artikels und kann daher nicht zur Zitierung
herangezogen werden.
Kolumnentitel: SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER
Regelanwendung und Game-Management.
Qualifizierende Merkmale
von Schiedsrichtern in Sportspielen.
Ralf Brand
Universität Stuttgart
Wolfgang Neß
Universität Kassel
Manuskript zur Veröffentlichung akzeptiert in der
Zeitschrift für Sportpsychologie (Heft 4-2004)
1
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER
2
Zusammenfassung
In der sportpsychologischen Forschung besteht Uneinigkeit darüber, wie die Aufgabe
von Schiedsrichtern im Sport angemessen zu beschreiben sei. Die vorliegende Untersuchung
zeigt, dass Schiedsrichter als Game-Manager und nicht als bloße Instanzen der
Regelverwaltung betrachtet werden müssen. Hierzu werden die Daten von 163
Schiedsrichtern herangezogen, darunter sämtliche Spielleiter der 1. Bundesliga Basketball,
Handball und Eishockey. In weiteren explorativen Analysen zeigt sich, dass
Bundesligaschiedsrichter häufiger als niedrigklassig agierende Schiedsrichter hoch
qualifizierten Berufstätigkeiten nachgehen, und dass die berufsbezogene Leistungs- und
Führungsmotivation von Bundesligaschiedsrichtern höher als die anderer Schiedsrichter ist.
Es wird argumentiert, dass sich diese qualifizierenden Personeneigenschaften gleichermaßen
im Leistungsumfeld Beruf, wie auch im Leistungsumfeld Spielleitung günstig auswirken. Die
erhaltenen Ergebnisse zum Schiedsrichter als Spielleiter sind insbesondere im Hinblick auf
zukünftige sportpsychologische Analysen von Schiedsrichterentscheidungen bedeutsam.
Schlüsselwörter: Schiedsrichter im Sport, Game Management, berufliche
Entwicklung, Motivation
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER
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Abstract
Sport psychologists disagree about how the role and the function of referees in sport
should be described adequately. The present investigation shows that referees are to be
considered as game managers and not as bare authorities of rule administration. Therefore the
data of 163 referees is analyzed; among them the whole group of Germany’s first league
basketball, handball and hockey referees. Exploratory analyses indicate that first league
referees, compared to other referees, occupy more often a professional or managerial position
in everyday life, and that they achieve higher scores in job-related achievement motivation
and leadership. It is argued, that these motivational qualities have advantageous effects on
both, their professional careers as well as their success in managing sport games. Results are
considered to be important especially with regard to future sport-psychological analysis of
referee’s decisions.
Key-words: referees in sport, game-management, career development, motivation
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Regelanwendung und Game-Management.
Qualifizierende Merkmale von Schiedsrichtern in Sportspielen.
In der Öffentlichkeit wird Schiedsrichtern meist nur dann größere Aufmerksamkeit
zuteil, wenn sie Fehler begehen. Dies liegt aber gewissermaßen in der „Natur der Sache“ und
braucht nicht weiter diskutiert zu werden (Heisterkamp, 1978; Brand, 2002a). Aus diesem
Blickwinkel heraus ist es also gar nicht einmal so verwunderlich, dass sportpsychologische
Forschung bisher fast ausschließlich auf die Analyse von leistungsbeeinträchtigenden
Bedingungen der Schiedsrichtertätigkeit konzentriert blieb. Inhaltliche Schwerpunkte
bildeten Fragestellungen zur Stress- und Stressbewältigung (zusammenfassend in Brand,
2002a) sowie solche zum Urteilen und Entscheiden von Schiedsrichtern (zusammenfassend
in Plessner & Raab, 1999). Demgegenüber blieb die wissenschaftliche Analyse möglicher
qualifizierender Merkmale im Hintertreffen. Ausnahmen stellen einige Arbeiten aus der
Expertise-Forschung dar (z. B. Ste-Marie, 1999, 2000), sowie eine einzelne Arbeit zur SelbstPräsentation von Schiedsrichtern nach kritischen Entscheidungen (Brand, 2002b). Das
Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, zu einer Perspektivenerweiterung anzuregen, die das
Rollenverständnis über Schiedsrichter im Sport weiterentwickeln soll. Demnach halten wir es
für nicht ausreichend, gelungene Schiedsrichterleistungen ausschließlich über das NichtVorhandensein von Urteils- und Entscheidungsfehlern zu definieren (vgl. Emrich &
Papathanassiou, 2003). Wir argumentieren, dass darüber hinaus qualifizierende Merkmale
von Belang sind, die Schiedsrichter zum Beispiel dazu in die Lage versetzen, trotz
möglicherweise falsch entschiedener Einzelsituationen, Spiele sicher „im Griff“ im zu halten
und diese souverän zu leiten.
Theoretische und konzeptionelle Anknüpfungspunkte
Zur weiteren Argumentation bedienen wir uns zweier Anknüpfungspunkte: Die
Bestimmung der Aufgaben und damit auch der zur Aufgabenbewältigung notwendigen
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Kompetenzen von Schiedsrichtern ergibt sich maßgeblich aus dem konkreten Kontext des
Sports bzw. des Wettkampfsports. Dieser Komplex wird im Abschnitt Regeltext und
Schiedsrichterentscheidung zunächst ausführlich erörtert. Im Journal of Sport and Exercise
Psychology wurde jüngst eine Kontroverse ausgetragen, die ihren Ausgangspunkt u. E. vor
allem in verschiedenen Auffassungen über die Aufgaben von Schiedsrichtern im Sport nimmt
(Plessner & Betsch, 2001, 2002; Mascarenhas, Collins & Mortimer, 2002). Auf diese wird im
Abschnitt Game-Management oder Fehlentscheidung eingegangen. Auf diese
sportspezifischen Überlegungen folgt im Abschnitt Qualifizierende Eigenschaften,
Spielleiterqualitäten und Beruf eine allgemeinere Argumentation, die auf der Feststellung
einer Analogie der Situationen von Schiedsrichtern im Sport und der von Führungskräften im
Berufsleben beruht. Sie bildet den Kernansatzpunkt unserer empirischen Untersuchungen.
Regeltext und Schiedsrichterentscheidung
Grundsätzlich wird das Phänomen Sport erst über seine Regelwerke gegenüber
anderen gesellschaftlichen Wirklichkeitsbereichen unterscheidbar. Regeln „konstitutieren den
Sport, sie regulieren das sportliche Handeln, sie setzen fest, was unterlassen werden muss
bzw. was ausgeführt werden darf. Dabei erheben sie den Anspruch auf soziale
Verbindlichkeit“ (Digel, 1982, S. 44). Die primäre Aufgabe des Schiedsrichters wird aus
dieser Grundsituation heraus definiert. Schiedsrichter wachen als unparteiische Instanz über
die Einhaltung der Regeln durch die Spielparteien und sanktionieren Regelverletzungen (vgl.
Röthig, 1992). Das resultierende Bild vom „Schiedsrichter als Regelüberwacher und durchsetzer“ (Emrich & Papathanassiou, 2003, S. 6) ist Ausgangspunkt der meisten
sportpsychologischen Untersuchungen zum Thema Schiedsrichter (Plessner & Raab, 1999,
für einen Überblick).
Unserer Überzeugung nach, die einerseits auf Beobachtungen in der
Schiedsrichterpraxis beruht und andererseits an theoretische Überlegungen anknüpft, stellt
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eine solche Rollenbeschreibung allerdings eine definitorisch unangemessene Verkürzung der
Aufgaben von Schiedsrichtern im Sportspiel dar. Demgegenüber vertreten wir eine
weitergehende Auffassung: Schiedsrichter im Sport sollen (1) regelbasierte Entscheidungen
treffen, die (2) von einer sinngerechten Auslegung des Regelsystems zeugen und (3) das
Sportspiel unter gegebenen Kontextbedingungen spielbar machen (Brand, 2002a).
(1) Regelbasierte Entscheidungen. Selbstverständlich stellt das Regelwerk die
wesentliche, nicht aber die alleinige Grundlage von Schiedsrichterentscheidungen dar. Für
einen Schiedsrichter kann es nicht darum gehen, „jedes kleine Vergehen entsprechend der
Regeln zu ahnden (…). Man stelle sich hier einen Schiedsrichter vor, der exakt die
Entfernung der Mauer zum Freistoßschützen mit dem Zollstock mäße“ (Emrich &
Papathanassiou, 2003, S.12). Schiedsrichter müssen vielmehr in schnell zu entscheidender
Interpretation Spielregeln in einer Grundsatzabwägung zwischen Geltungsanspruch und
Erhaltung des Spielflusses auslegen (vgl. Heisterkamp, 1977).
(2) Sinngerechte Auslegung des Regelsystems. Die Auslegefähigkeit einiger Regeln
im Sport spiegelt sich wider in einer (empirisch fundierten) Unterscheidung von drei Typen
von Schiedsrichterentscheidungen bzw. -pfiffen (Snyder & Purdy, 1987). Demnach gibt es,
erstens, klare Entscheidungen, die von den Schiedsrichtern getroffen werden müssen und die
eindeutig durch das kodifizierte Regelwerk gestützt sind (z. B. im Handball: der Verteidiger
greift in den Arm des Werfers und verhindert so einen Torwurf; Typ-1-Entscheidung).
Zweitens kommen aber auch Regelverletzungen vor, in denen eine Entscheidung getroffen
werden kann, aber nicht getroffen werden muss (z. B. schreibt es der Basketballregeltext dem
Schiedsrichter explizit vor, bei der Beurteilung von Kontakten, an resultierenden Vorteilsoder Nachteilssituationen abzuwägen; DBB, 2000, Art. 43.1.2; Typ-2-Entscheidung). Drittens
kann es zu Situationen kommen, in denen einfach etwas gepfiffen werden muss („The third
type of competence call involves situations in which something needs to be called; Snyder &
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Purdy, 1987, S. 397). So zum Beispiel, wenn sich nach einem Foul im Fußball eine harmlose
Rangelei zwischen Angreifer und Verteidiger „aufzuschaukeln“ droht und der Schiedsrichter
beide Spieler mit einer gelben Karte belegt, obwohl das Handgemenge vielleicht nur von
einem der beiden Spieler ausging (Typ-3-Entscheidung). Während Entscheidungen vom Typ1 nur in absoluten Ausnahmefällen auslegefähig sein dürften, bieten die Regelwerke der
Sportarten als Entscheidungsgrundlage zu Typ-2 und Typ-3 Entscheidungen weite
„Graubereiche“. Solche Schiedsrichterentscheidungen beziehen sich lediglich dem Sinn bzw.
der Intention der Regelbildung nach auf das kodifizierte Regelwerk.
(3) Das Spiel gestalten, ein Spiel spielbar machen. Zwei Bezugsebenen sind hierbei
wichtig. Auf sportspiel-immanenter Ebene kommt jedem Pfiff des Schiedsrichters doppelte
Bedeutung zu. Schiedsrichterentscheidungen beinhalten stets einen retrospektiven
Bedeutungsaspekt (etwa „Die abgepfiffene Aktion war regelwidrig.“), genauso wie einen
prospektiven Bedeutungsaspekt (etwa „Vergleichbare Aktionen sind zukünftig ebenfalls zu
unterlassen“). Hieraus ergibt sich eine nicht zu unterschätzende Gestaltungsmöglichkeit, aber
auch eine Gestaltungspflicht des Schiedsrichters (am deutlichsten im Kontext der Beurteilung
von Foulsituationen). Zweitens gilt auf kontextueller Ebene der Inszenierung von
Sportspielen zum Beispiel für den von wirtschaftlichen Motiven durchdrungenen
Spitzensport, dass die für einen Verein „erfolgreiche“ Durchführung eines Spiels von Sieg
oder Niederlage im sportlichen Wettkampf weitgehend entkoppelt sein kann. Wenn
Bundesligaspiele spannend und ergebnisoffen sein sollen, vor allem aber dramatisch und
medienwirksam sein müssen, können auch sportliche Niederlagen als erfolgreich bewertet
werden, solange den (Eintritt bezahlenden) Zuschauern ein attraktives und spektakuläres
Spiel geboten werden konnte. Schiedsrichter tragen mit ihren Entscheidungen wesentlich zur
Inszenierung von Sportveranstaltungen bei. Das geflügelte (Un-)Wort der „gesunden
internationalen Härte“ eignet sich dabei hervorragend zur schnellen Illustration dieses
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Sachverhalts. Fußball-Fans erscheint es unmittelbar einleuchtend, dass vergleichbare
Tacklings von Abwehrspielern in einem A-Jugend-Spiel anders als in der Champions-League
beurteilt werden müssen. In der Praxis richten Schiedsrichter ihre Entscheidungen am
Kontext der Inszenierung aus und berücksichtigen damit vor allem die Erwartungshaltungen
von Spielern und veranstaltenden Organisationen, aber auch (indirekt und nicht in gleichem
Ausmaß) die des Publikums. Bereits unter diesen Gesichtspunkten wandelt sich die
Auffassung vom Schiedsrichter als Regelverwalter zum Schiedsrichter als Spielleiter, der
unter gewissen Bedingungen vom bloßen Anspruch der strikten Regeldurchsetzung
zurücktreten muss. Die Aufgabe von Schiedsrichtern (nicht nur im Spitzensport) besteht
demzufolge darin, die sich im Spielprozess entwickelnden Situationen und Interaktionen
zwischen den Spielparteien so zu gestalten, dass das Spiel für diese spielbar wird (vgl. Digel,
1987, für die ermöglichende Funktion von Regeln im Sport).
Game-Management oder Fehlentscheidung
Ausgangspunkt einer im Journal of Sport and Exercise Psychology zwischen
Mascarenhas et al. (2002) und Plessner und Betsch (2001, 2002) ausgetragenen Kontroverse
ist eine Laboruntersuchung mit Fußballschiedsrichtern. Plessner und Betsch (2001) zeigen
unter Verwendung von manipuliertem Videomaterial, dass die Wahrscheinlichkeit auf
Strafstoß für Mannschaft A zu entscheiden steigt, wenn vorher bereits ein Strafstoß für
Mannschaft B vergeben wurde. Sie erbringen mit diesem (und zwei weiteren) Ergebnissen
einen experimentellen Beleg dafür, dass Urteile von Schiedsrichtern nicht objektiv und
ausschließlich auf die aktuell zu beurteilende Situation bezogen sind und erklären so
fehlerhafte Strafstoßentscheidungen. Mascarenhas et al. (2002) stellen in ihrem Kommentar
zur Untersuchung von Plessner und Betsch die ökologische Validität des Experiments in
Frage. Außerdem und im gegebenen Zusammenhang nun wichtiger, führen sie eine
alternative Ergebnisinterpretation ins Feld. Demnach könnten Schiedsrichter mit einer
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Elfmeterentscheidung für Mannschaft A (nachdem schon früher auf Elfmeter für Mannschaft
B entschieden wurde) auf die zunehmende Härte im Spiel reagieren wollen, um so eine
weitere Eskalation der Körperkontakte zu verhindern. Die getroffenen
Strafstoßentscheidungen gründeten damit auf nachvollziehbaren und sinnvollen
Überlegungen der Schiedsrichter, die versuchen das Spiel zu managen: „Thus, expert referees
make decisions that are appropriate fort he nuances of a particular game, allowing the game
to flow, using the whistle only when the consequences for not doing so may adversely affect
the tempo or temper of the game“ (Mascarenhas et al., 2002, S. 330). Plessner und Betsch
entgegnen jedoch „In our opinion, good refereeing should reflect proper craftsmanship rather
than an artist’s attitude in dealing with a task that at times surpasses the human capacity to
process information“ (2002, S. 336).
Unsere Vermutung ist, dass den Beiträgen unterschiedliche Auffassungen über die
primären Aufgaben und die Rolle von Schiedsrichtern im Sport zugrunde liegen: Der
Schiedsrichter als Regelanwender einerseits, ist vor allem der korrekten und objektiven
Entscheidungsfindung streng nach kodifiziertem Regelwerk verpflichtet. Andererseits soll ein
Schiedsrichter als Spielleiter Spielsituationen „managen“ und das Regelwerk sinnvoll und auf
den konkreten Kontext bezogen auslegen. Diese beiden Auffassungen schließen sich u. E.
allerdings gegenseitig nicht aus. Vielmehr verhalten sie sich komplementär zueinander,
stellen zwei Seiten einer Medaille dar und sind in verschiedenen Situationen von
verschiedener Bedeutung. Die Kontroverse beruht unserer Überzeugung nach auf einem
Missverständnis. Unbestreitbar ist, dass bei der wissenschaftlichen Untersuchung von Typ-1Entscheidungen eine allgemeinpsychologische Herangehensweise und eine entsprechende
Ergebnisinterpretation sinnvoll sind. Entsprechende Untersuchungen akzentuieren den
Aspekt der Objektivität und der Richtigkeit von Schiedsrichterentscheidungen im Sinne des
kodifizierten Regelwerks (z. B. Oudejans,Verheijen, Bakker, Gerrits, Steinbrückner & Beek,
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2000, für Abseitsentscheidungen im Fußball). Für die Praxis des Schiedsrichterns sind solche
Untersuchungen sinnvoll und nützlich, solange unterstellt wird, dass Urteilsverzerrungen und
getroffene (Fehl-)Entscheidungen tatsächlich nicht-intentional sind, dass die Entscheidung
des Schiedsrichters also nicht aus Gründen des Game-Managements so getroffen wurde.
Wenn Typ-2 oder gar Typ-3 Entscheidungen zum Gegenstand sportpsychologischer
Laboruntersuchungen werden, dann stoßen allgemeinpsychologisch zu interpretierende,
experimentelle Untersuchungen zur sozialen Informationsverarbeitung ins Leere, weil sie auf
die Analyse der automatisch ablaufenden Prozesse abzielen. Eine Herausforderung für
sportpsychologische Untersuchungen wird es deshalb darstellen, darüber zu entscheiden,
welche Situationen bzw. Schiedsrichterentscheidungen sich aus den genannten Gründen
besser oder weniger gut zu entsprechenden Argumentationen eignen. (Mascarenhas mit
Kollegen, sowie Plessner und Betsch kämen vermutlich zu unterschiedlichen Auffassungen
darüber, ob es bei den im Laborexperiment dargestellten Strafstoßentscheidungen um
Situationen handelt, die Typ-1 Entscheidungen erfordern, oder die Typ-2 Entscheidungen
zulassen.)
Einen Beitrag zur Lösung dieser Problematik sehen wir darin, dass in zukünftigen
Untersuchungen begrifflich wie inhaltlich konsequent zwischen Schiedsrichtern in
Sportspielen und Punkt- oder Kampfrichtern in Individualsportarten1 unterschieden werden
sollte. Aus den mit Nachdruck vertretenen Positionen von Mascarenhas et al. (2001; die
ausschließlich Schiedsrichter meinen) und Plessner und Betsch (2002, S. 336; die am Beispiel
von Punkt-/Kampfrichteraufgaben illustrieren)2 wird die Unterschiedlichkeit der Konzepte
deutlich: Die von einem Schiedsrichter zu beurteilende Situation (und damit die sportliche
Leistung) entsteht in Sportspielen prozesshaft und in direkter Interaktion zwischen
wettstreitenden Parteien. Auf Ebene der Einzelentscheidung besteht die Aufgabe des
Schiedsrichters darin, konkurrierende und assoziierende Elemente des Sportspiels zu
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balancieren (vgl. Emrich & Papathanassiou, 2003, S. 9). Darüber hinaus greifen
Schiedsrichter fortwährend bzw. mehrfach in ein sich entwickelndes Gesamtspielgeschehen
ein, so dass einzelne Entscheidungen grundsätzlich in Relation zueinander stehen. (Wenn aus
Einzelentscheidungen heraus deutlich wird, dass der Schiedsrichter einen einheitlichen
Bewertungsmaßstab anlegt, entspricht dies dem im Sportjargon gebräuchlichen Ausdruck der
„Linie“ des Schiedsrichters; vgl. Snyder & Purdy, 1987). Demgegenüber entsteht die zu
beurteilende Situation im Falle eines Punkt- oder Kampfrichters nicht aus einer direkten
Interaktion zwischen Konkurrenten, sondern im Sinne einer einfachen Aktion aus einer
sportlichen Darstellung heraus. Das Punkt- oder Kampfrichterurteil steht hier als
Einzelentscheidung am Ende einer zu beurteilenden Darstellung. Ungleich dem Pfiff eines
Schiedsrichters kommt dem Punkt- oder Kampfrichterurteil somit keine den
Sportspielprozess steuernde Funktion zu. Die Argumentation, die im Kontext Sportspielen für
die situationsgerechte Anpassung des Regelwerks in manchen Situation spricht (GameManagement), ist in diesem Fall ist in diesem Falle unsinnig.
Um unsere Position vom Schiedsrichter als Spielleiter empirisch zu untermauern, wird
im ersten Teil unserer empirischen Untersuchung nach der Selbsteinschätzung von
Schiedsrichtern gefragt (Fragestellung 1): Wie bedeutsam ist der Komplementäraspekt
‚Game-Management’ im selbst wahrgenommenen Rollenbild als Schiedsrichter?
Qualifizierende Eigenschaften, Spielleiterqualitäten und Beruf
Psychologisch besonders interessant erscheint die Frage, ob Personen-Eigenschaften
angenommen werden können, die Schiedsrichter für die beschriebene Tätigkeit als Spielleiter
bzw. Game-Manager qualifizieren. Hinweise zur Entwicklung eines theoretischen
Explorationskonzepts entnehmen wir zwei US-amerikanischen soziologischen Studien. Purdy
und Snyder (1987) berichten über eine Untersuchung mit 689 Schiedsrichtern. Sie verwenden
eine nach Wohnorten stratifizierte Stichprobe von lizensierten Basketballschiedsrichtern des
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Staates Ohio (USA), die ihrer Spielleitertätigkeit zumindest auf High School-Ebene
nachgehen. Die Autoren berichten zum einen die erstaunliche Zahl von 59 % Spielleitern in
ihrer Stichprobe, die einen College- oder noch höheren akademischen Abschluss besitzen.
Zum anderen stellen sie fest, dass 57 % der Personen in ihrer Stichprobe eine höhergestellte
berufliche Position bekleiden. Aus einer anderen Untersuchung berichtet Furst (1991) für
eine 165 Personen umfassende, noch höherklassig (State Division 1) agierende
Schiedsrichterstichprobe aus verschiedenen Sportspielen einen noch höheren Prozentsatz von
63 % College-Absolventen und „well over 50% of the officials in managerial or professional
careers“ (Furst, 1991, S. 98). In beiden Arbeiten wird nur vage über mögliche Gründe
spekuliert, die dieses Zusammentreffen von Bildungs- und beruflichen Merkmalen mit der
Schiedsrichtertätigkeit erklären könnten.
Wir vermuten diese Gründe im Vorliegen einer strukturellen Analogie der Handlungsund Erfahrungsbereiche ‚Schiedsrichter im Sport’ und ‚Berufswelt’.
Hier wie dort müssen leitende Personen Entscheidungen treffen und (soziale)
Interaktionen auf ein Ziel hin koordinieren. Die Übernahme von Führungsverantwortung im
Beruf beinhaltet den Willen und die Fähigkeiten des Führenden zur intentionalen sozialen
Einflussnahme, die über kommunikative Prozesse vermittelt werden muss (Rosenstiel, 1995).
Der Zusammenhang zwischen personalen Merkmalen (z. B. Motivationslagen) und
Führungserfolg im Beruf ist durch einige Metaanalysen schon seit längerer Zeit eindrucksvoll
belegt (vgl. Schuler & Funke, 1989). Verschiedene Autoren vertreten sogar die Auffassung,
dass sich späterer Führungserfolg aus zu einem multiplen Indikator verdichteten
Persönlichkeitsmerkmalen in einer Größenordnung von r = .40 vorhersagen ließe (Thornton,
Gaugler, Rosenthal & Bentson, 1987). In Anlehnung zu Definitionen aus der A&OPsychologie soll Führung im Kontext Spielleitung die unmittelbare, absichtliche und
zielbezogene Einflussnahme durch den Spielleiter auf die übrigen Spielbeteiligten bedeuten
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(vgl. Rosenstiel, 1995, S. 337). Die Führungstätigkeit des Spielleiters umfasst zum einen die
sinngerechte und verbindliche Auslegung des Regelwerks, wodurch das Spiel für die
Spielparteien spielbar gemacht wird. Zum anderen sind die Fähigkeiten von Spielleitern
angesprochen, sich durch getroffene Entscheidungen bei den Beteiligten Akzeptanz zu
verschaffen (vgl. hierzu besonders das Konzept der symbolischen Führung; Neuberger, 1990)
oder mit Konfliktsituationen nach umstrittenen Entscheidungen umzugehen (Brand, 2002b;
Mascarenhas, 2002). Wir gehen davon aus, dass sich dem Kontext Sport entkleidete
Anforderungen, ähnlich auch Führungskräften im Beruf stellen.
Zur Entwicklung der personalen Merkmale von Führenden, hat sich auf Ebene der
theoretischen Grundannahmen in der A&O-Psychologie mittlerweile die Auffassung
durchgesetzt, dass sich individuelle Personen-Merkmale und Bedingungen des
Tätigkeitsumfelds in reziproker Beziehung zueinander entwickeln, dass sie sich zunehmend
verfestigen und sich stabilisierend auf das Denken und Handeln der Person auswirken
(Schallberger, 1999). Als Ort dieser Wechselwirkungen müssen das individuelle Handeln und
die daran gebundenen Erfahrungen betrachtet werden (Hoff, 2002). Wenn nun gerade
Schiedsrichter in Spitzenligen sehr viel Zeit für ihre nebenberufliche Tätigkeit als Spielleiter
aufbringen, erscheint es zumindest plausibel, dass aufgrund der benannten strukturell
ähnlichen Anforderungen in den beiden Settings, gemachte (Führungs-)Erfahrungen ähnlich
eindrücklich und nachhaltig sind. Gewinnbringende Erfahrungen in dem einen Setting
könnten somit die Grundlagen des Handelns in dem anderen Setting konsolidieren oder sogar
erweitern. In der organisationspsychologischen Literatur wird in ähnlichem Zusammenhang
gelegentlich auf einen (bidirektionalen) „spill-over“ hingewiesen, der die Möglichkeit einer
einfachen Übertragung von Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen zwischen
(beruflichen und freizeitlichen) Lebenssphären bezeichnet. Jedoch existieren dazu derzeit
noch kaum aussagekräftige empirische Studien (vgl. Hoff, 2002).
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In einem explorativ-empirischen Herangehen greifen wir berufsbezogene
motivationale Personeigenschaften heraus und betrachten sie in Relation zur
Spielleitertätigkeit im Sport. Wir vermuten erstens, dass sich Spielleiter im Spitzensport eher
in beruflich qualifizierten Führungspositionen befinden (Fragestellung 2). Zweitens nehmen
wir an, dass sich in hohen Ligen tätige Schiedsrichter, von ihrer beruflichen Position
unabhängig, durch zu Führungstätigkeiten qualifizierende personale Eigenschaften
auszeichnen. Im Besonderen meinen wir die Motivation von Personen, andere zu führen und
Leistungssituationen zu gestalten (vgl. Hossiep & Paschen, 1998). Als grundlegend
insbesondere für das Erreichen von Spitzenniveau in der Spielleitertätigkeit wird außerdem
eine hohe Leistungsmotivation erwartet (Fragestellung 3).
Methode
Design
Bei der Studie handelt es sich um eine einmalige, vollständig standardisierte
Befragung von Schiedsrichtern aus dem Bereich des Spitzensports. Zur Kontrastierung
unserer an Spitzenschiedsrichtern erhobenen Daten wurde außerdem eine Vergleichsgruppe
befragt. Die Fragebögen wurden den Schiedsrichtern im Rahmen von offiziellen
Schiedsrichter-Fortbildungslehrgängen im Sommer 2003 dargeboten und bearbeitet.3
Stichprobe
Insgesamt nahmen 163 Schiedsrichter im Alter zwischen 17 und 49 Jahren (M = 34,2
Jahre, SD = 8,2 Jahre) aus den drei Sportspielen Handball, Basketball und Eishockey
freiwillig und unentgeltlich an der Untersuchung teil. Nur zehn Personen waren Frauen, so
dass wir in unseren Analysen nicht zwischen männlichen und weiblichen Schiedsrichtern
unterscheiden wollen. Die aktuelle Ligenzugehörigkeit der Schiedsrichter reicht von der
Landesliga bis hin zum internationalen Niveau (Tabelle 1). Unsere Untersuchungsgruppe
stellt die Grundgesamtheit aller Bundesligaschiedsrichter der Saison 2003/2004 aus den drei
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genannten Spielsportarten dar. Der Vergleichsgruppe gehören beim Handball Schiedsrichter
der fünfthöchsten, beim Basketball und Eishockey Schiedsrichter der dritt- und vierthöchsten
Spielklassen in Deutschland an.
Messinstrumente und statistische Verfahren
Neben einigen Personenangaben (Alter, Geschlecht etc.) wurden im ersten Teil des
Fragebogens Fragen zur schulischen und beruflichen Ausbildung, sowie zur aktuellen
beruflichen Position der Pbn gestellt (Fragestellung 2). Im zweiten Teil wurden einige
Informationen zur Schiedsrichtertätigkeit erhoben. Unter diesen Fragen befand sich ein
einzelnes Item zum Selbstbild der Schiedsrichter (Fragestellung 1). Hintergrund der
gewählten Formulierungen sind die im deutschen Schiedsrichterwesen aktuell geführten
Diskussionen zur Philosophie des Schiedsrichterns (z. B. in der Sportart Basketball: „feeling
for the game“, vgl. Mascarenhas et al., 2002). In Frage steht dort, in welchen Situationen
bzw. ob es Schiedsrichtern in den professionellen Spitzenligen überhaupt erlaubt sein soll,
spezielle Regelauslegungen zu treffen, die durch die kodifizierten Regeln eigentlich nicht
abgedeckt sind. Auf einem neunstufigen semantischen Differential gab deshalb jeder
Schiedsrichter Auskunft darüber, ob er sich eher als strikte Instanz der Regeldurchsetzung
sieht (1 = „Die Aufgabe des Schiedsrichters ist es, die Einhaltung der Spielregeln zu
überwachen und Regelverletzungen zu ahnden. Seine Rechte und Pflichten sind in
Wettkampfordnung und Regelwerk festgehalten.“) oder ob er sich als Game-Manager
begreift (9 = „Der Schiedsrichter fungiert als Spielleiter, der zwar regelbasierte
Entscheidungen trifft, die aber vor allem von einer sinngerechten Auslegung des
Regelsystems zeugen und den gegebenen Spielkontextbedingungen angemessen sein müssen.
[fett hervorgehoben:] Zugunsten des Spiels sind situationsspezifische Regelauslegungen
möglich“). Zur standardisierten Erfassung der motivationalen Merkmale (Fragestellung 3)
wurde auf das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 16
zurückgegriffen4 (Hossiep & Paschen, 1998). Es handelt sich hierbei um einen normierten
Test, dessen Skalen nicht nur vor dem Hintergrund theoretischer Befunde und Ansätze der
differentiellen Psychologie und Motivationspsychologie entwickelt wurden, sondern sich vor
allem auch an den Anforderungen der organisationspsychologischen Praxis orientieren
(Ziegler, 2002). Das BIP leistet unter anderem die Beschreibung der beruflichen Orientierung
des Probanden in den drei Dimensionen Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation und
Führungsmotivation. (Tabelle 2)
Die Auswertung der Fragebögen erfolgte grundsätzlich anonym. Jeder Schiedsrichter
hatte jedoch mit der Eintragung eines Kennworts die Möglichkeit, eine individuelle BIPAuswertung zu erhalten. 138 Personen nutzten diese Gelegenheit und bekamen in einem für
Dritte anonymisierten Verfahren ihre individuelle Auswertung zurückgemeldet.
Sämtliche statistischen Auswertungen wurden mit Hilfe der Software SPSS 11.5
durchgeführt. Zur Überprüfung von Gruppenunterschieden wurden eine einfaktorielle
Varianzanalyse (Rollenselbstbild der Schiedsrichter, Fragestellung 1), ein !2-Test (berufliche
Qualifikation, Fragestellung 2), sowie eine multivariate Kovarianzanalyse berechnet (BIPDimensionen, Fragestellung 3).
Ergebnisse
Regeldurchsetzung und Game-Management (Fragestellung 1)
Zur Frage nach dem Selbstbild der Schiedsrichter ergibt sich für die Gesamtgruppe
bei einem Modus = Median = 8 (Perz25% = 7, Perz75% = 8, M = 7.14, SD = 1.87) ein
eindeutiges Bild: Die Schiedsrichter selbst sehen sich viel mehr als Spielleiter denn als
Regelverwalter. Ein differenzierteres Ergebnisbild ergibt sich, wenn man die Schiedsrichter
nach Ligenzugehörigkeit (1. Bundesliga vs. Kontrollgruppe) und nach Sportarten
unterscheidet (Basketball, Handball, Eishockey). Die Berechnung einer einfaktoriellen
Varianzanalyse (Gruppenbildung aus Ligenzugehörigkeit ! Sportart) liefert einen
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signifikanten Haupteffekt, F(5, 156) = 2.579, p = .029, "2 = .079, der bei Analyse der
Kontraste zum Gesamtmittelwert auf den Beitrag der Handball-Kontrollgruppe
(Kontrastschätzer = -0.79, p = .049) zurückgeführt werden kann (mit einem Median von 7
und M = 6.24 tendiert die Gruppe aber immer noch in Richtung Game-Management). Die
visuelle Inspektion der Daten zeigt außerdem, dass neben den Antworten der HandballKontrollgruppenschiedsrichter auch die der Eishockey-Spitzenschiedsrichter – verglichen mit
den anderen Gruppen – weniger homogen ausfallen. (Abbildung 1)
Berufliche Qualifikation der Schiedsrichter (Fragestellung 2)
Mit Ausnahme eines einzelnen Eishockey-Profischiedsrichters gehen zum Zeitpunkt
der Befragung alle Schiedsrichter einer anderen beruflichen Alltagsbeschäftigung nach.
77.9% (n = 127) der Befragten sind berufstätig und weitere 12.9% (n = 21) studieren (je 3.1%
befinden sich in einer Ausbildung oder besuchen eine Schule, 3% geben keine Auskunft;
insgesamt n = 15). 59.6% (n = 96) geben als ihren höchsten erreichten Schulabschluss das
Abitur oder Fachabitur an. Weitere 28.2% (n = 46) der Schiedsrichter haben die mittlere
Reife erreicht. Der Anteil an Studierten beträgt insgesamt 39.3% (abgeschlossenes oder
laufendes Hochschulstudium; n = 64).
Zur Beschreibung der aktuellen beruflichen Tätigkeiten (Schüler und Studierende
werden für diese Analysen aus der Stichprobe ausgeschlossen) wurde wie folgt vorgegangen.
Schiedsrichter, die im Fragebogen angaben, dass ihre Tätigkeit am ehesten der eines
„Gruppen-/Teamleiters“, eines „Abteilungsleiters“, „Hauptabteilungsleiters“,
„Geschäftsführers“ „Vorstandes“ oder eines „Selbstständigen/Freiberuflers“ ähnele und die
gleichzeitig angaben, dass sie im Beruf Führungsaufgaben wahrnehmen, wurden in der
Gruppe der „hoch qualifiziert Berufstätigen“ zusammengefasst. Schiedsrichter, die ihre
berufliche Tätigkeit am ehesten mit der eines „Sachbearbeiters“ verglichen oder eine
„sonstige Tätigkeit“ angaben und aktuell keine Führungsverantwortung tragen, wurden in die
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Gruppe der „niedriger qualifiziert Berufstätigen“ eingeordnet. Die für die Untersuchungsund die Vergleichsgruppe resultierenden Verteilungen können Tabelle 3 entnommen werden.
Die Berechnung eines !2-Tests liefert das Ergebnis, dass die Anzahl an beruflich
höher qualifiziert Tätigen in der 1. Bundesliga signifikant höher ist, als unter den
Schiedsrichtern aus niederen Spielklassen, !2(1, N = 120) = 5,612, p = .018.
Exploration BIP-Werte (Fragestellung 3)
Die im BIP unter dem Bereich berufliche Orientierung zusammengefassten Variablen
Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation und Führungsmotivation korrelieren
hochsignifikant mit Werten zwischen r = .545 und r =.595, so dass eine multivariate
Varianzanalyse berechnet wird. Als feste Faktoren gehen die zweigestuften Variablen
‚Ligenzugehörigkeit’ und ‚berufliche Qualifikation’ in das allgemeine lineare Modell ein.
Aufgrund der Altersunterschiede zwischen den Gruppen wird das Lebensalter der
Schiedsrichter als Kovariate eingeführt (vgl. die Anmerkungen zum Alter im Abschnitt
Diskussion). Die Berechnung liefert eine nicht signifikante Interaktion, F(3, 113) = 0.916, p =
.436, 1-# < .99, einen signifikanten Haupteffekt von mittlerer praktischer Bedeutsamkeit für
die ‚Ligenzugehörigkeit’, F(3, 113) = 3.985, p = .010, "2 = .096, sowie einen signifikanten
Haupteffekt von großer praktischer Bedeutsamkeit für die ‚berufliche Qualifikation’, F(3,
113) = 8.840, p < .001, "2 = .190. Der Einfluss der Kovariate ‚Alter’ ist nicht signifikant, F(3,
113) = 0.968; p = .410. Aus den Kontrastanalysen wird zum einen deutlich, dass sich 1.
Bundesligaschiedsrichter von in niedrigen Spielklassen agierenden Kollegen durch höhere
Leistungsmotivations- und Führungsmotivationswerte unterscheiden (als Kontrastschätzer
resultieren Werte von 0.277 bzw. 0.443 bei p = .047 bzw. p = .004). Zum anderen weisen die
hoch qualifiziert Berufstätigen mehr Führungsmotivation auf, als die niedrig qualifiziert
Berufstätigen (Kontrastschätzer war 0.680 bei p < .001).
Diskussion
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 19
Schiedsrichter beschreiben ihre Aufgabe im Sportspiel eher im Sinne eines GameManagements. Als Spielleiter betrachten sie es als ihre Aufgabe, das kodifizierte Regelwerk
sinnvoll und situationsgerecht auszulegen. Zu einer Rollenbeschreibung, wonach sie als
Instanzen der Regelüberwachung diese durchsetzen und sich dabei strikt an das Regelsystem
und die Wettkampfordnung halten, neigen nur einzelne Schiedsrichter. Dies gilt
gleichermaßen für Bundesligaschiedsrichter, wie auch für in unteren Spielklassen tätige
Schiedsrichter. Wir ziehen hieraus zusätzliche Bekräftigung für unsere Argumentation, dass
in zukünftigen sportpsychologischen Untersuchungen die Unterscheidung nach Typen von
Entscheidungen und die Differenzierung zwischen Schiedsrichtern in Sportspielen oder
Kampf- oder Punktrichtern in Individualsportarten gewinnbringend sein wird.
Für praktische Belange in den Sportverbänden maßgeblich erscheint uns das Ergebnis,
dass sich die Schiedsrichterkader der verschiedenen Sportarten im Hinblick auf das Merkmal
‚Regelverwaltung oder Game-Management’ mehr oder weniger inhomogen darstellen. Vor
allem die breite Merkmalsverteilung im Spitzenkader der Eishockey-Schiedsrichter
überrascht uns. Dreiviertel der Kaderangehörigen, beschreiben sich eher als Spielleiter. Das
übrige Viertel der Schiedsrichter präferiert eher das Bild des strengen Regelüberwachers.
Besonders für die gemeinsam in einer Liga antretenden Mannschaften ist es wichtig, dass
Schiedsrichter die Spiele von Woche zu Woche nach vergleichbaren Maßstäben leiten.
Unterschiedliche Auffassungen der Schiedsrichter darüber, wie die Spielregeln angewandt
werden sollen, erschweren es den Mannschaften, sich auf konkrete Spielpaarungen
einzustellen. Genauso wenig dürfte es einem Schiedsrichter leicht fallen, bei den
Spielbeteiligten Akzeptanz für seine konkrete Regelhandhabung zu finden, wenn diese im
Spiel zuvor von einem Kollegen anders gehandhabt wurde. Möglicherweise sollten die
Schiedsrichterkommissionen in den Sportverbänden also stärker als bisher auf die
Entwicklung einer von allen Schiedsrichtern geteilten Philosophie des Schiedsrichterns
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 20
hinwirken.
Psychologische Unterschiede zwischen Personen, die Spiele auf Ebene der 1.
Bundesliga (oder höher) leiten und Personen, die ihr Schiedsrichteramt in niederen
Spielklassen ausfüllen, zeigen sich hinsichtlich zweier Motivationsausprägungen. Die
berufsbezogene Leistungs- und Führungsmotivation von Bundesligaschiedsrichtern ist höher
als die der Vergleichsschiedsrichter, die in niedrigen Ligen aktiv sind. Da der erwartete
Interaktionseffekt im statistischen Modell jedoch nicht signifikant ist, sollte dies aber eher
darauf zurückgeführt werden, dass Bundesligaschiedsrichter häufiger als niedrigklassig
agierende Schiedsrichter hoch qualifizierten Berufstätigkeiten nachgehen. Aus arbeits- und
organisationspsychologischen Untersuchungen ist bekannt, dass beruflich höher Qualifizierte
im BIP günstigere Motivationswerte aufweisen (Hossiep & Paschen, 1998; Ziegler, 2002).
Aufgrund des realisierten Untersuchungsdesigns erlauben unsere Daten keine ursächliche
Erklärung für die größere Zahl beruflich hoch Qualifizierter in den 1. Bundesligen. Vor dem
Hintergrund der dargestellten theoretischen Überlegungen bevorzugen wir jedoch eine
Interpretation, wonach sich das gleichzeitige Agieren in zwei an sich verschiedenen
Kontexten, die jedoch einige vergleichbare Anforderungen an die Person stellen, günstig auf
die Entwicklung von motivationalen Personeigenschaften auswirkt. Diese wiederum, so
nehmen wir an, wirken sich begünstigend auf beide Karrierebereiche aus. Denkbar wäre aber
genauso, dass sich berufliche Erfahrungen stärker auf spielleitungsbezogene Erfahrungen
übertragen, oder dass ein spill-over in gerade umgekehrter Richtung stattfindet. Diese Frage
aber könnte allein im prospektiven Design, also anhand von Längsschnittuntersuchungen
beantwortet werden. Zu solchen regen wir hiermit, auch unter dem folgenden Gesichtspunkt,
nachdrücklich an.
Es erscheint uns sinnvoll, in zukünftigen Untersuchungen Schiedsrichter bereits zu
Karrierebeginn, d. h. in möglichst jungen Jahren auf qualifizierende personale Merkmale hin
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 21
zu untersuchen. In unserer Untersuchung unterscheiden sich Schiedsrichter, die bereits in der
1. Bundesliga agieren, im Altersmittel von ihren Kollegen in niederen Ligen. Das Lebensalter
der Schiedsrichter stellt eine konfundierende Variable bei der Analyse solcher
Fragestellungen dar, weil die Karriere und der Aufstieg im sportlichen Ligensystem genauso
wie im Berufsleben Zeit verbraucht. Wir halten es zwar für unplausibel, dass die gefundenen
Unterschiede zwischen Schiedsrichtern (oder Berufstätigen) allein auf deren
Altersunterschiede zurückzuführen sein könnten. Dennoch kann unter der Voraussetzung der
Alterskonfundierung ein strenger Nachweis über die vermuteten Beziehungen erst im
prospektiven Design geführt werden.
Zum Schluss unserer Datenexploration ist es uns wichtig festzuhalten, dass die
gefundenen qualifizierenden Merkmale keine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche
Schiedsrichterkarriere darstellen. Vielleicht aber erleichtern sie Spielleitern den Aufstieg in
der Kaderhierarchie, bis hin zum Bundesligaschiedsrichter.
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 22
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SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 25
Fußnoten
1
Der begrifflichen Einfachheit halber bevorzugen wir hier den Ausdruck
„Individualsportarten“, meinen damit aber „Individualsportarten, die nicht zu den
Sportspielen zählen.“
2
„However, we feel that their [Mascarenhas et al.; RB & WN] alternative view on
referee decisions based on the natural decision making approach may overemphasize the
artistic factor in refereeing. How dangerous it is to prevent decision-making in sports from a
scientific evaluation could be seen, for example, in the figure skating event of the 2002
Winter Olympics in Salt Lake City.“ (Plessner & Betsch, 2002, S. 336)
3
Wir bedanken uns bei den Verantwortlichen für das Schiedsrichterwesen des
Deutschen Eishockeybundes, des Deutschen Handballbundes und des Deutschen
Basketballbundes für das Anbieten der Schiedsrichterkader, sowie die Unterstützung bei der
Darbietung der Fragebögen.
4
Wir bedanken uns bei den Testautoren für die Überlassung der aktuellen BIP-
Forschungsversion sowie die Berechnung und Rückmeldung der Dimensions-Scores.
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 26
Tabelle 1
Deskriptive Statistiken
Alter
Sportart
n
M (SD)
Selbstbildb Leistungc Gestaltungd Führunge
M (SD)
M (SD)
M (SD)
M (SD)
1. Bundesliga (Untersuchungsgruppe)
Basketball
23
38,1 (5,0)
7,6 (1,9)
4,2 (0,8)
4,0 (0,8)
4,3 (0,8)
Handball
30
38,2 (4,1)
6,8 (2,3)
4,2 (0,6)
3,8 (0,5)
3,9 (1,0)
Eishockeya
16
41,1 (5,0)
6,3 (2,5)
4,3 (0,6)
3,8 (0,4)
4,1 (0,6)
Dritthöchste Liga und niedriger (Vergleichsgruppe)
Basketball
61
26,9 (7,2)
7,4 (1,3)
3,9 (0,7)
3,7 (0,6)
3,7 (0,8)
Handball
17
39,4 (5,7)
6,2 (2,2)
3,8 (0,8)
3,8 (0,9)
3,5 (1,0)
Eishockeya
16
36,4 (6,3)
7,8 (0,9)
4,1 (0,5)
3,8 (0,4)
3,6 (0,7)
Anmerkungen. Von den zehn weiblichen Schiedsrichtern entstammen acht der Sportart Basketball
(alle Kontrollgruppe) und zwei der Sportart Handball (internationale Ebene). a Erfragt wurde die
aktuelle Ligenzugehörigkeit in der Funktion als Hauptschiedsrichter. bSemantisches Differential zur
Erfassung des Rollenselbstbilds (1 = Regelverwaltung bis 9 = Game Management). cBIP-Skala
Leistungsmotivation. dBIP-Skala Gestaltungsmotivation. eBIP-Skala Führungsmotivation.
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Tabelle 2
Drei Dimensionen des BIP mit Beschreibungen (Hossiep & Paschen, 1998, S. 17f.)
Dimensionen
Leistungsmotivation
Gestaltungsmotivation
Führungsmotivation
Beschreibung
- stellt hohe Anforderungen an die eigene Leistung
- ist bereit, sich bei der Verfolgung seiner
Ziele stark zu engagieren
- möchte die eigene Arbeit kontinuierlich
verbessern
- verfügt über einen starken Willen, durch seine
Tätigkeit gestaltend einzugreifen
- ist motiviert, Missstände zu beseitigen
- möchte eigene Vorstellungen umsetzen
- möchte Führungsverantwortung wahrnehmen
- kann andere Personen überzeugen und für seine
Auffassung gewinnen
- wirkt auf andere mitreißend und begeisternd
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Tabelle 3
Anzahl Schiedsrichter klassifiziert nach beruflicher Qualifikation und erreichte
Ligenzugehörigkeit als Schiedsrichter
Ligenzugehörigkeit
Berufliche Qualifikation
Hoch
Niedrig
1. Bundesliga
38
24
Niedere Liga
23
35
SCHIEDSRICHTER ALS GAME-MANAGER 29
Abbildung 1
Boxplots zum Selbstbild der Schiedsrichter
Anmerkung zu Abbildung 1
Antennen entsprechen der Spannweite, die Boxlänge dem Interquartilbereich, die dunkle
Linie in der Box dem Median. Kreise symbolisieren Ausreißer (1,5 bis 3 Boxlängen vom
Rand der Box), Sterne Extremfälle (mehr als 3 Boxlängen vom Rand der Box).
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