SCHULE NRW | 11 / 2016 | BLICKPUNKT LERNZIEL GLEICHWERTIGKEIT P räventiv gegen menschenfeindliche Ideologien Technologische, politische und soziale Entwicklungen stellen unsere Gesellschaft vor große HerausforderunSanem Kleff, Leiterin gen. Irritation, Unruhe und des Netzwerks »Schule Angst machen sich breit. Und ohne Rassismus – Schule mit Courage« wo Angst überhandnimmt, sind menschenfeindliche Ideologien wie Rechtsextremismus, Islamismus oder Nationalismus, die einfache Lösungen für komplexe Problemlagen propagieren, nicht weit. Dies zeigen aktuelle Wahlergebnisse und Umfragen. Das Netzwerk »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« ermuntert und unterstützt Schulen, sich mit allen gesellschaftlichen Herausforderungen aktiv auseinanderzusetzen. Dies geschieht als Teil des regulären Schulalltags und nicht etwa nur dann, wenn Konflikte auftauchen. Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zu einem gewaltfreien und den Menschenrechten verpflichteten Umgang mit divergierenden Interessen in einer offenen Gesellschaft zu befähigen. Dafür reicht es nicht, menschenfeindliche Ideologien abzulehnen. Es gilt, das schulische Klima und die Strukturen nachhaltig so zu gestalten, dass Zivilcourage gefördert wird. Gegenseitige Achtung darf nicht zu Werterelativismus führen, sondern muss mit der gemeinsamen Definition verbindlicher Werte und Regeln für alle einhergehen. Das psychologisch-emotionale Bedürfnis von Jugendlichen nach Radikalität speist sich häufig aus existenziellen Kompensationsbedürfnissen, die erkannt und ernst genommen werden müssen. Präventionsmaßnahmen sind daher nur erfolgreich, wenn sie diese Gründe für undemokratisches Handeln einbeziehen. Radikalisierte, militante Jugendliche haben ein gefestigtes Weltbild und sind mit pädagogischen Instrumenten nicht mehr zu erreichen. Hier hat die schulische Präventionsarbeit auch ihre Grenzen. Es geht nicht darum, sich mit Mitgliedern militanter islamistischer Gruppen oder neonazistischen Kadern auseinanderzusetzen. Stattdessen sind zielgruppenspezifische Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme und die Intervention der Sicherheitsdienste gefragt. Systemischer Ansatz Effektive Maßnahmen betrachten Schule als Ganzes und nehmen die Rollen der verschiedenen Gruppen und Ideologien der Ungleichwertigkeit gleichermaßen in den Blick. Die gesellschaftliche und politische Praxis betrachtet Ideologien der Ungleichwertigkeit hingegen in aller Regel getrennt. Auch an Schulen zielen Maßnahmen gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Regel isoliert auf eine Variante wie Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Homophobie ab. Undemokratische Verhaltensweisen müssen jedoch ganzheitlich, das heißt in ihren Zusammenhängen und ihren verwandten Strukturen, betrachtet werden. Wie das im Schulalltag gelingen kann, zeigt der programmatische Ansatz von »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«: Der Präventionsgedanke geht davon aus, dass viele Faktoren, die menschliches Verhalten bestimmen, veränderbar sind – etwa Sozial- oder Pro blemlösungskompetenz. Erfolgreiche Präventionsmaßnahmen wirken daher in zwei Richtungen. Sie zielen darauf ab, der Entstehung undemokratischer Entwicklungen zuvorzukommen und sie stärken Maßnahmen, mit denen demokratische Haltungen und Einstellungen der Zielgruppe geschaffen und befördert werden. Engagiert und couragiert gegen Rassismus; Foto: Aris Papadopoulos 13 SCHULE NRW | 11 / 2016 | BLICKPUNKT sind unverzichtbar für ein gewaltfreies Schulklima und inzwischen weit verbreitet. Mediatorinnen und Mediatoren sind eine wertvolle Unterstützung im Schulalltag und an der Schnittstelle zwischen Prävention und Intervention anzusiedeln. Partizipation und Selbstwirksamkeit Gleichwertigkeit leben; Foto: MSW NRW/Wilfried Meyer Die beschriebene Praxis führt dazu, dass Lehrkräfte zuständig für einzelne Themenbereiche werden. Eine derartige »Versäulung« von Antidiskriminierungsarbeit ist jedoch in hohem Maße ineffektiv, da sie notwendige Synergieeffekte verhindert und wertvolle Zeit- und Personalressourcen verschwendet. Es ist vielmehr Aufgabe aller Lehrkräfte, das Lernziel »Gleichwertigkeit« im Schulalltag zu leben. Multidimensionaler Präventionsansatz Bei der Entwicklung geeigneter Strategien gegen Menschenfeindlichkeit muss das »didaktische Rad« nicht neu erfunden werden. Bewährte Erfahrungen aus der Gewaltoder Extremismusprävention sollten berücksichtigt werden. Aus der Gewaltprävention wissen wir, dass für den Täter gewalttätiges Ausagieren eine kompensatorische Funktion hat. Sie verspricht ihm die Befriedigung eines Bedürfnisses, das scheinbar auf keinem anderen Weg befriedigt werden kann. Auch der Leidensdruck, den ein mangelndes Selbstwertgefühl auslöst, wirkt gewaltfördernd. Ein Weg, Gewalt entgegenzuwirken, ist demnach, das Ausmaß der unbefriedigten Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu minimieren. Viele Maßnahmen zielen deshalb auf die Stärkung des Selbstwertgefühls der Kinder und Jugendlichen. Positive Selbstwirksamkeitserfahrungen machen Erfolgserlebnisse möglich. Wichtig ist es auch, die gewaltfreie Konfliktlösungskompetenz der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen. Ansätze wie die Ausbildung und der Einsatz von Konfliktlotsen oder Streitschlichtern 14 Kinder und Jugendliche haben das Bedürfnis, sich eigene Standpunkte zu grundlegenden Werten, individuellen Freiheiten und Pflichten in einer pluralen Gesellschaft zu erarbeiten und ihr Umfeld und damit auch das Klima in ihrer Schule auf allen Ebenen mitzugestalten. Dies erfordert einen partizipativen Ansatz in der Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit. Es gibt viele Wege, wie Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern ermöglicht und gestärkt werden kann. Sie müssen ihre bestehenden Mitbestimmungsrechte sowie die Arbeitsweise von schulischen Gremien kennen und nutzen. Demokratie, Zivilcourage und eine solidarische Streitkultur fallen niemandem in den Schoß. Wissen und Gefühle Agitatoren menschenfeindlicher Ideologien setzen gezielt auf die Ängste und Unterlegenheitsgefühle potenzieller Mitläufer, zum Beispiel bei den Verliererinnen und Verlierern des deutschen Bildungssystems. Ihre Diskriminierungs- und Demütigungserfahrungen fördern ihr Bedürfnis nach Kompensation durch das Erfahren von Überlegenheit und Anerkennung – genau das versprechen extremistische Jugendorganisationen zu befriedigen. Sie locken mit Überlegenheitsangeboten, die eine als feindlich empfundene Welt in einfache Freund-Feind-Muster einteilt. Besonders kunstpädagogische Angebote können hier präventiv wirksam werden. Genannt werden können hier Rollenspiele, die Verhalten in Konfliktsituationen trainieren, Ärger, Wut und Unterlegenheitsgefühle auszusprechen und besser mit ihnen umzugehen, um Frustrationstoleranz aufzubauen. Eine respektvolle Atmosphäre, die das Selbstwertgefühl stärkt, können sie nicht ersetzen. Prävention gegen Muslim- oder Judenfeindlichkeit kann nicht ohne die Vermittlung von Wissen über die Religionen sowie die Fähigkeit zur Unterscheidung von Religion und politischen Ideologien erfolgreich sein. Dafür brau- SCHULE NRW | 11 / 2016 | BLICKPUNKT chen die Lehrkräfte nicht zu Expertinnen und Experten für den Islam oder das Judentum zu werden. Sich miteinander an einer Aufgabenstellung abzuarbeiten, die sich auf ein gemeinsames Problem bezieht, ist für das Verständnis »des Anderen« sowie den Abbau von Ängsten und Vorbehalten der heterogenen Gesellschaft gegenüber produktiver als reine Informationsvermittlung. Die reflektierte Auseinandersetzung mit Weltbildern, Werten und Rechtsvorstellungen muss aus menschenrechtlicher Perspektive erfolgen. Den Ausgangspunkt für zielgerichtete Diskussionen bildet die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen. Wichtig ist, nicht nur ihre Fragen zu Religion, Kultur, Tradition und den Herausforderungen des Erwachsenwerdens einzubeziehen, sondern auch »Erwachsenenthemen« – etwa politische Entwicklungen und soziale Problemlagen. Erfolgreiche politische Bildungsarbeit erfordert aber auch Bereitschaft und Fähigkeit sowie Möglichkeiten zur Kommunikation. Viele Einzelmaßnahmen tragen dazu bei, den Lernort Schule so zu gestalten, dass er zu einem zentralen, geschützten Ort wird, an dem sich Kinder und Jugendliche angstfrei mit allen Themen auseinandersetzen können, die sie bewegen. Ziel eines nachhaltigen Präventionsansatzes ist somit auch die Stärkung der Kommunikationskompetenz aller Schulmitglieder. Schülerinnen und Schüler sollten mit dem notwendigen rationalen wie auch emotionalen Rüstzeug versehen werden, das sie befähigt, die Zugriffe von Gruppen, welKONTAKT Landeskoordination »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« Bezirksregierung Arnsberg, Dezernat 37 Landesweite Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren (LaKI) Ruhrallee 1–3, 44139 Dortmund Ansprechpartnerinnen: Renate Bonow – [email protected], Tel.: 02931 8252-14 Gönül Candan – [email protected], Tel.: 02931 8252-40 Katharina Miekley – [email protected], Tel.: 02931 8252-41 che die Abwertung von Menschengruppen propagieren und sie als potenzielle Mitläufer und Aktivisten umwerben, erfolgreich abzuwehren. ZUM WEITERLESEN Sanem Kleff: Der Präventionsansatz von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, Berlin 2016. Bestellung und Download unter: www.schule-ohne-rassismus.org/materialien/ publikationen DIE LANDESKOORDINATION NRW Über 600 Schulen aller Schulformen mit rund 480.000 Schülerinnen und Schüler sind in Nordrhein-Westfalen Mitglied des Netzwerks »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«. Das gemeinsame Anliegen der Courage-Schulen ist es, an der eigenen Schule und im Umfeld aktiv gegen Rassismus und jede andere Form der Diskriminierung zu werden. Refugees welcome – das war und ist ein zentrales Thema der Aktionen an den Courage-Schulen des Landes. Symbolische Aktionen, konkrete Hilfe und die Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Positionen gegenüber Geflüchteten bestimm(t)en das Bild seit dem vergangenen Jahr. Gemeinsam geht es besser: Angebote der Landeskoordination des Netzwerks >Rundbrief mit Berichten, Ideen zu Aktionen, Veranstaltungs- und Fortbildungstipps >Aktuelle Infos auf der Facebook-Seite www.facebook.com/SchuleohneRassismusNRW >Regionale Vernetzungstreffen >Landestreffen in Hattingen gemeinsam mit der DGBJugend NRW vom 10. bis 12. März 2017 >Beratung, Vermittlung von Kooperationspartnerinnen und -partnern Weitere Informationen unter: www.schule-ohne-rassismus-nrw.de 15
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