ANJA RESCHKE Journalistin Begründung Der 26. Martinipreis wird im Jahr 2016 an Anja Reschke verliehen. Frau Reschke macht sich als Fernsehjournalistin und -moderatorin seit Jahren um Demokratie, politische Kultur, Aufklärung und Wahrhaftigkeit im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben verdient. Sie wurde im Laufe der letzten beiden Jahre zur öffentlichen Figur eines angeblichen System- und Meinungsjournalismus. Der Zorn und die Aggression, die ihr dabei entgegenschlagen, sind insofern bemerkenswert, als dass es in der jüngeren deutschen Geschichte nicht das journalistische Medium oder seine Akteure und Akteurinnen waren, die im Zentrum des Hasses standen, sondern meist Politik, der öffentliche Raum selbst oder das global agierende Kapital. Der radikalisierte Angriff auf den Journalismus ist jedoch systemischer Teil rechter Propaganda und verschwörungstheoretischer monokausaler Erklärungsmodelle. Im Sommer des vergangenen Jahres sprach Anja Reschke einen in den folgenden Tagen und Wochen viel beachteten Kommentar für die tagesthemen. Die hierauf folgenden Entgleisungen, die sich im geschützten virtuellen Raum bahnbrachen, waren von einer verstörenden Einzigartigkeit. Hier stand nicht nur Vertrauensverlust oder Kritik, begleitet von üblichen Beschimpfungen und Verleumdungen, im Vordergrund, sondern gleichsam die Verachtung von Staat, Demokratie, Journalismus, eben allen Möglichkeiten und Errungenschaften einer kritischen Öffentlichkeit, kapriziert auf eine Person. Getragen von Gewalt im Wort und der Androhung widerwärtigster physischer Gewalt. Dabei rief Anja Reschke im Grunde zu nicht mehr auf als zu widersprechen, zu demokratischem Diskurs; zu nicht mehr und nicht weniger. Der persönliche Einsatz, die Courage, die nötig ist, solchen Diffamierungen und Drohungen standzuhalten, ist allein schon aller Ehrung hinreichend. Anja Reschke jedoch reflektiert sich und die Rolle des kritischen und investigativen Journalismus. Sie überdenkt die Aufgaben ihres Mediums und stellt sich in kritische Distanz den Problemen einer informationsüberfluteten Medienlandschaft, die in immer schnelleren Zeitabläufen Fakten zu sammeln, sortieren und einzuordnen sucht. Sie erkennt die Untrennbarkeit faktischer Datenlage und einordnendem Subjekt und setzt diesem Mangel an Objektivität einen Begriff von journalistischer Wahrhaftigkeit entgegen, der nicht frei von persönlicher Erfahrung und Einstellung ist und nicht sein kann. Diesen Gedanken greift sie in ihrer Rede als Journalistin des Jahres 2015 auf: Ich glaube, dass wir einer falschen Vorstellung von Journalismus aufsitzen. Und zwar der, dass wir neutral Bericht erstatten können. […] Journalisten haben sich lange darauf verlassen, dass sie eine elitäre Stimme sind. […] Wir wissen, wie es ist. Wir wissen's, wir senden's, wir schreiben's - zack, könnt ihr mit klarkommen. Aber die Leute haben das gemerkt, dass unsere Berichte geprägt sind. Es gibt keine neutrale Berichterstattung, nicht einmal in den Nachrichten: es ist ja immer ein Mensch, mit seiner Prägung, seiner Sichtweise, seiner Ausbildung. Wir sind nur Journalisten. Aber was ist dann unsere Aufgabe? Auf Rudolf Augsteins Interpretation von Journalismus als „schreiben, was ist“ antwortet Anja Reschke in ihrer zitierten Rede: „Wir versuchen herauszufinden, was ist und weiter diese Gesellschaft kritisch zu begleiten. Aber nicht so zu tun, als wüssten wir alles besser“. Dieser Versuch von Journalismus, zu versuchen, zu sagen, was ist, ist die Fortführung humanistischer und liberaler, aufklärerischer Denktradition. Es ist ein verletzlicher Journalismus und eine Antwort auf ein Überangebot an Information und Desinformation. Es ist letztlich genau das Gegenteil des neuerdings wiederentdeckten antidemokratischen, nazistischen Kampfbegriffs der ‚Lügenpresse‘. In einem Text aus den ersten Jahren des Martinipreises heißt es, „Wir brauchen heute Menschen, die sich um den Bestand der Demokratie sorgen, die offen darüber sprechen und durch ihr Verhalten ein Beispiel für eine wirklich demokratische Tugend geben.“ und weiter „Für solche Menschen ist der MartiniPreis gedacht“. Anja Reschke ist die Preisträgerin des Martinipreises 2016.
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