Die Nulllösung

Nr. 280 - DER PATRIOT
Donnerstag
ERWITTE
1. Dezember 2016
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Resolution aus
Erwitte ablehnen
BI wendet sich mit Petition an den Bundestag
Sollte der Deutsche Bundestag den Beschluss des Bundesverkehrsausschusses durchwinken, steht alles in Erwitte wieder auf Anfang. Unser Karikaturist Gerd Korge lässt
den Bundestag (in Form des Bundesadlers im Druidenkostüm) den Zaubertrank „Nulllösung“ über Erwitte ausgießen. Das führt zum absoluten Verkehrschaos.
Die Nulllösung
Viele Fragen wirft die Entscheidung zu den Umgehungsstraßen auf. Hier die Antworten
Von Björn Winkelmann
ERWITTE ■ Für einige Verwirrung und Verunsicherung hat
im Laufe der vergangenen
Tage die Klarstellung aus dem
Bundesverkehrsministerium in
Berlin zur UmgehungsstraßenProblematik in Erwitte gesorgt. Am morgigen Freitag
geht die Debatte zum Bundesverkehrswegeplan (BVWP) im
Bundestag in die zweite und
dritte Beratung – auf Grundlage der Empfehlungen aus dem
Bundesverkehrsausschuss.
Was bedeutet die jüngste Entscheidung und wie geht es nun
in Erwitte weiter? Wie hat sich
die Diskussion in diesem Jahr
entwickelt? Und wie haben
sich Politik und Bürger positioniert? Kommt es für Erwitte
nun zur Nulllösung? Wir geben
Anworten.
• Warum ist die Diskussion
um die Umgehungsstraßen in
diesem Jahr erneut entbrannt?
Im Zuge der Aufstellung
des Bundesverkehrswegeplans 2030 im Entwurf hatte der Bund in Abstimmung
mit dem Land NordrheinWestfalen entschieden, dass
die B55n als Westumgehung nicht mehr im so genannten vordringlichen Bedarf steht. Allerdings haben
nur Projekte, die diesen Status besitzen, überhaupt die
Chance, weiter geplant und
dann mitunter auch verwirklicht zu werden.
• Welche Rolle spielt für die
Entscheider in Bund und Land
die Ostumgehung?
Eine Ostumgehung, die
zwischen Erwitte und Bad
Westernkotten hindurchführen würde, wäre kürzer
und somit für den Bund sicher zunächst kostengünstiger, als die Westumgehung. Argumentiert wird
u.a. mit dem Nutzen-Kosten-Faktor, der für die Ostumgehung – in Kombination mit einer B1n in Erwitte
und einer B1n in Salzkotten
– deutlich höher angesetzt
wird, als für die Westumgehung. Zudem ist davon aus-
zugehen, dass – anders als
bei der Westumgehung –
Natur- und Vogelschutzprobleme keine oder nur eine
geringe Rolle spielen dürften.
Kernstadt Erwitte durch die
Ostumgehung vom LkwVerkehr – im Gegensatz zu
(laut BI Stirpe) nur etwa 50
Prozent bei der Westumgehung.
• Warum erhebt sich zur Ostumgehung so großer Widerstand in der Bevölkerung?
Der Widerstand in der Bevölkerung, besonders auch
in Reihen der Bürgerinitiative gegen die Ostumgehung
und für die Westumgehung, erhebt sich unter anderem deshalb, weil eine
Osttrasse viel mehr Menschen in direkter Nähe zu
der Straße beeinträchtigen
würde, als eine Westtrasse,
darüber hinaus die Kureinrichtungen wie Kurkliniken
in Bad Westernkotten.
Ebenso durchschneidet eine
solche Trasse das Erwitter
Bruch. Die Gegner der Ostumgehung argumentieren
außerdem, dass die Trasse
nicht die notwendige Entlastung für Erwitte und Stirpe bringen würde.
• Wie hat sich die Politik in
der Sache positioniert?
Trotz durchaus unterschiedlicher Argumentationen haben die Fraktionen
im Stadtrat einstimmig eine
gemeinsame Positionierung
beschlossen, die von der Erwitter Stadtverwaltung im
Vorfeld der jüngsten Sitzung des Bundesverkehrsausschusses nach Berlin geschickt wurde. Im Wortlaut
heißt es in der Resolution:
„Rat und Verwaltung der
• Wie argumentiert die Bürgerinitiative Stirpe?
Die BI Stirpe weist vor allem darauf hin, dass die Planung der Westumgehung
aus ihrer Sicht schon aus
rechtlichen Gründen nicht
fortgeführt werden kann.
Auch einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung im
Rahmen eines Klageverfahrens würde die Trasse nicht
standhalten. Daher habe die
Westumgehung
keine
Chance auf Realisierbarkeit
und führe unweigerlich zur
Nulllösung. Die Idee zu einer Ostumgehung in Verbindung mit einer B1n als
Erwitter Umgehung in einem Zuge wurde übrigens
vor einigen Jahren erstmals
von der BI Stirpe ins Gespräch gebracht. Ihre Argumente sind unter anderem
Synergieeffekte durch die
Verschmelzung zweier Umgehungsstraßen, die Anbindung der beiden Gewerbegebiete und der Zementindustrie und die Entlastung der
Lokales Thema des Tages
Ortsumgehung
Erwitte – der
Bund entscheidet
Stadt Erwitte fordern vom
Deutschen Bundestag eine
Lösung, die die zwingenden
öffentlichen Interessen der
Stadt beachtet und das Ziel
eines besseren Fernverkehrs
erreicht: Bau der B 1n und
Netzverbindung zur B 55
über die optimierte Verfahrenstrasse Westumgehung.
Das laufende Planfeststellungsverfahren wird fortgesetzt und abgeschlossen.“
Die NRW-Länderbeauftragten des Berliner Verkehrsausschusses, Reinhold Sendker (CDU) und Andreas Rimkus (SPD), an die das Schreiben gerichtet war, hatten
bereits im Vorfeld zugesichert, sich für die Erwitter
einzusetzen. Dazu hatte unter anderem Bürgermeister
Peter Wessel gemeinsam
mit allen Erwitter Fraktionsvorsitzenden von CDU,
SPD, FDP und BG das persönliche Gespräch in Berlin
gesucht.
• Wie hat sich der Verkehrsausschuss des Bundes nun po-
sitioniert?
Aus dem Bundesverkehrsministerium, genauer gesagt vom zuständigen parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU),
heißt es laut Mitteilung
vom 22. November, dass die
im Rahmen der Bewertung
zur Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes
zugrunde gelegte Ostvariante
eine, keineswegs aber die
einzige Variante darstelle.
Vor allem stellt Ferlemann
aber fest, dass die konkrete
Ausgestaltung der Straßenführung einschließlich der
Prüfung von Alternativen
Gegenstand anschließender
Planungsphasen ist. An dieser Stelle ist wieder das Land
Nordrhein-Westfalen
am
Zug. Die von ihm zu beauftragenden Planer müssen
sich auch in einer Variantenuntersuchung um die
Ermittlung
alternativer
Streckenverläufe
kümmern. Hier ist durchaus
auch die Westumgehung
möglich.
möglichen Variante geht.
Das wirft das Projekt um
Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück – ganz zu schweigen von weiteren Millionen
Euro Steuergeldern, die in
die Hand genommen werden müssen.
• Was hat der Einsatz aus Erwitte dann gebracht?
Die einen sagen: Nichts.
Für die anderen besteht damit nun wieder die Basis für
eine grundlegende Entscheidung. Der Einsatz gegen
die
Ostumgehung
scheint dahingehend erfolgreich zu sein, dass sie nun
nicht mehr die einzige Option ist, über die zu entscheiden ist. Vom Tisch ist sie allerdings nicht. Zugleich besteht die Möglichkeit, dass
eine Westumgehung wieder
ins Gespräch kommt. Vieles
hängt dabei von den Planern an. Ob es überhaupt
eine Umgehungsstraße in
Nord-Süd-Richtung geben
wird, steht derzeit in den
Sternen. Die klassische und
von vielen befürchtete Null• Dennoch erheben sich lösung, anders gesagt: Alles
nach Bekanntwerden der Er- bleibt zumindest nach aktugebnisse nun Sorgen und Be- ellem Stand wie gehabt.
denken. Warum?
• Wie geht es nun weiter?
Der klare Wunsch aus Erwitte war, die bereits weit
Eine letzte, wenn auch
geringe
fortgeschrittenen und viele verschwindend
Millionen Euro teuren Pla- Hoffnung, dass sich das
nungen zur Westumgehung Blatt doch noch wendet, bean der bestehenden Stelle steht am morgigen Freitag,
wieder aufzunehmen und wenn sich der Bundestag in
das Planfeststellungsverfah- zweiter und dritter Beraren auf diese Weise schnell tung mit dem Thema Bunabschließen zu können. Da desfernstraßen auseinanvon Seiten des Bundes aller- dersetzt. Ein entsprechendings nicht etwa konkret der Beschlussvorschlag des
die Westumgehung als Aus- Bundesverkehrsausschusgangspunkt der weiteren ses liegt den Beratungen zuÜberlegungen
genannt grunde. Ob die Erwitter Bewird, sondern von einer Er- lange auf dieser Ebene und
mittlung alternativer Stre- bei der Vielzahl an Maßnahckenverläufe die Rede ist, ist men im BVWP 2030 überdavon auszugehen, dass die haupt noch zum Thema
Fortsetzung des bisherigen werden, wird sich zeigen.
PlanfeststellungsverfahFür die Beratungen zum
rens für die Westumgehung umfangreichen BVWP-Entvom Tisch ist. Damit be- wurf sind in Berlin gerade
ginnt das Linienbestim- einmal knapp eineinhalb
mungsverfahren von vorn, Stunden angesetzt, bevor
in dem es auch um eine neu- der nächste Tagesordnungserliche Untersuchung aller punkt zur Diskussion steht.
STIRPE ■ Zur Resolution, die
der Erwitter Stadtrat zu den
Umgehungsstrraßen
beschlossen hat, nimmt die BI
Stirpe in einer Pressemitteilung Stellung. So wolle die
Stadt darüber die Westumgehung Erwitte mit einem
Trick – über das Projekt NW
B1-G11-NW – wieder in den
„vordringlichen
Bedarf“
aufnehmen lassen. „Die BI
hat diesbezüglich alle Mitglieder des Ausschusses für
Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen
Bundestages,
Bundesverkehrsminister
Alexander
Dobrindt und Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert
Lammert angeschrieben“,
heißt es weiter. Neben einer
detaillierten sachlichen Erläuterung des Sachverhalts
seien auf diese Weise die
wesentlichen Vorteile einer
Ostumgehung gegenüber einer Westumgehung dargestellt worden.
Dazu listet die BI u.a. auf:
Die Länge beträgt 2,5 statt
7,4 km; der Kosten-Nutzenfaktor ist 7,7 statt 1,4; als Synergieeffekte
die
Verschmelzung zweier Umgehungsstraßen statt zwei
Einzelprojekte; Anbindung
der beiden Gewerbegebiete
und der Zementindustrie
statt dass Lkw-Ziel- und
Quellverkehr auch zukünftig durch die Innenstadt von
Erwitte fährt; Entlastung
der Kernstadt Erwitte bei
der Ostumgehung vom LkwVerkehr – statt bei der
Westumgehung um nur ca.
50 Prozent.
Als positiv beschreibt die
BI auch eine touristische
Anbindung des Kurortes
Bad Westernkotten; Gebietsschutz für FFH- und
Vogelschutzgebiete
(„die
Ost-Tangente ist die beste
von vier untersuchten Varianten nach FFH- und Ar-
tenschutzgesichtspunkten,
die Westumgehung die
schlechteste“). Die Westumgehung verliefe durch das
Vogelschutzgebiet
(VSG)
Hellwegbörde und würde
53,5 ha direkt in Anspruch
nehmen, die Ostumgehung
tangierte das VSG nur an einer Ecke und nimmt nur ca.
0,5, ha in Anspruch. Im Gegensatz zur Osttangente
würden beim Artenschutz
im Bereich der Westtangente zwölf Vogelarten nach
Anhang 1 der FFH-Richtlinie erheblich beeinträchtigt. Und die Trasse, so die
BI, tangiere weiter unmittelbar das Brutgebiet der
Rohrweihe im VSG „Olle
Wiese“ mit bis zu sieben
Brutpaaren pro Jahr.
Daher erklärt die BI abschließend an die Bundespolitiker: Aufgrund der vorliegenden Alternativenprüfung zum Gebiets- und Artenschutz aus dem Jahr
2012, des hierzu vorgelegten Rechtsgutachtens von
2013 und der weiteren planungsrechtlichen Überprüfung durch die DEGES
(2015) sei es zum Planungsstillstand gekommen, weil
es sich hier um einen unzulässigen Eingriff laut Bundesnaturschutzgesetz handele, der auch einer verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung im Rahmen eines
Klageverfahrens
nicht
standhalten könne.
„Die Westumgehung hat
auch künftig keine Chance
auf Realisierbarkeit und
würde zu einer Nulllösung
für Erwitte führen“, so die
BI, die daher die Bundespolitiker gebeten hat, die Resolution der Stadt abzulehnen
und mit der Möglichkeit einer Ostanbindung zwischen
B 1 n und B 55 im Norden
von Erwitte eine Lösungsmöglichkeit anzubieten.
Wiederholt haben die Bürger in Erwitte und Bad Westernkotten
gegen eine Ostumgehung protestiert. ■ Foto: Görge
Der Leser hat das Wort
Wir freuen uns über jeden Leserbrief, müssen uns aber Kürzungen vorbehalten. Außerdem weisen wir darauf hin, dass Leserbriefe ausschließlich
die Meinung der Einsender wiedergeben und nicht unbedingt mit der Auffassung der Redaktion übereinstimmen.
Viel Verunsicherung
Betrifft Diskussion über die
Umgehungsstraßen-Entscheidung
„Der Patriot berichtete in
seiner Ausgabe vom 26. November ausführlich über die
Informationen aus dem Bundesverkehrsministerium. Leider wurde schon aus den
Überschriften jedem Leser bewusst: Hier stimmt doch einiges nicht. Während ein Teil
der Informanten positiv „Eine
klare Botschaft“ sahen bzw.
mit großer Freude festgestellt
wurde „Einsatz hat sich gelohnt“, hieß es an anderer
Stelle „Seit August hat sich
nichts geändert“ bzw. die
„Kuh ist noch nicht vom Eis“.
Und in Reihen der Bigo spürt
man „Blankes Entsetzen“ und
fürchtet eine Nulllösung. Zur
weiteren allgemeinen Verunsicherung der Bürger/innen
fehlen jetzt nur noch die Inter-
pretationen von Kreistagsmitgliedern und der BI Stirpe
(Anm. d. Red.: siehe oben).
Wer aus der Kommunal-,
Landes- u. Bundespolitik
kennt und sagt denn nun die
Wahrheit, nichts als die
Wahrheit und nur die reine
Wahrheit? Wie ist denn der
tatsächliche
Verfahrensablauf? Mit den o.a. Artikeln
wurde der „normale“ Leser jedenfalls nicht klar und deutlich informiert, eher verunsichert. In Anbetracht der bevorstehenden Wahlen zum
Land- und Bundestag befürchte ich durch diese Art von
Informationen und Interpretationen eine weiter zunehmende allgemeine Verunsicherung der Wähler/innen,
die sich sicher beim Wahlverhalten bemerkbar macht.
Antonius Pieper
Erwitte