Pastoralreferentin Stephanie Rieth, Mainz-Kastel hr1-Sonntagsgedanken am 20. November 2016 Aus der Tiefe zum Leben in Fülle kommen Vor wenigen Wochen war ich in Rom zusammen mit 30 jungen Leuten, die sich auf einen Beruf in der Kirche vorbereiten. Sie wollen Priester werden – oder auch Pastoralreferent und Pastoralreferentin. Das ist auch ein Beruf in der katholischen Kirche, einer der Männern und Frauen offensteht, verheiratet oder nicht. Ich begleite diese jungen Leute in ihrer Ausbildung und dazu gehört eben auch diese Studienfahrt nach Rom, in die ewige Stadt, zu einigen der wichtigsten Stätten des Christentums. Für mich war es tatsächlich das erste Mal in Rom, und so habe ich vor allem viel gestaunt: über die gigantischen Bauwerke, die Spuren, die das Christentum dort hinterlassen hat und über die Menschenmassen, die sich davon angezogen fühlen. Und die Begegnung mit Papst Franziskus war klasse. Alles das mit Menschen zu erleben, die auch gläubig sind und in der Kirche arbeiten, das war richtig beeindruckend, und es hat mir Mut gemacht, mich in meinem Glauben bestärkt. Ein echtes Highlight: Das war der Besuch der Domitilla-Katakomben, etwas außerhalb von Rom. Und daran muss ich besonders heute an diesem Novembersonntag denken. Mitten in dem Monat, der mehr graue und trübe Tage hat als sonnige. Und in dem Monat im Jahr, in dem viele mal wieder auf den Friedhof gehen. Ich war auch dort an Allerheiligen und hab an all die lieben Menschen gedacht aus Familie und Freundeskreis, die schon gestorben sind. Auch der Volkstrauertag steht für November im Kalender. Und heute ist in der evangelischen Kirche der Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag – oft werden in den Gottesdiensten heute die Namen der Verstorbenen noch einmal genannt, man denkt an die, die nicht mehr unter uns leben. Mitten in dem Monat also, in dem das Totengedenken einen so großen Platz hat, da muss ich an mein Erlebnis in dem größten der unterirdischen Friedhöfe in Rom denken. Sonntags bei strahlendem Sonnenschein sind wir Stufe um Stufe in die Tiefen der Erde hinabgestiegen. Durch eine unterirdische Kirche hindurch, durch zahlreiche Gänge und an vielen Grabkammern vorbei. Und dann haben wir in einer solchen Kammer einen Gottesdienst gefeiert. Dicht an dicht haben wir dort um einen Altar aus Stein gestanden, und nicht nur das hat diesen Gottesdienst zu einem wirklich dichten Erlebnis gemacht. Um uns herum waren Einbuchtungen in den Wänden, in denen einmal Menschen gelegen haben, in denen jetzt nur noch Staub liegt. Es sind große Nischen, aber auch sehr kleine zu sehen, manche sind noch mit einer Steinplatte bedeckt, und auf vielen finden sich christliche Zeichnungen und Symbole. Symbole, die ich auch heute auf unseren Friedhöfen wieder finde: die zwei griechischen Anfangsbuchstaben für Christus, ein einfacher Fisch, eine Taube mit Ölzweig, Symbole, mit denen Christen immer schon die Hoffnung auf Leben verbunden haben. Musik In der Hoffnung auf Leben bestatten die Christen ihre Toten – damals wie heute. In den Katakomben haben die ersten Christen in Rom ihre Toten bestattet. Katakombe: das ist griechisch und bedeutet: herab und Grab. Sie haben ihren Ursprung zu einer Zeit, als es in Rom noch verboten war, die Toten innerhalb der Stadtmauern zu begraben. Und dann gab es da im ersten Jahrhundert nach Christus eine adlige Christin aus dem Haus des Kaisers Vespasian, Flavia Domitilla hieß sie. Mit ihrem Geld erwarb sie ein Grundstück außerhalb der Stadtmauern und überließ es ihren Glaubensschwestern und –brüdern, um darauf zunächst einen oberirdischen Friedhof zu bauen. Aber bald musste man in die Tiefe ausweichen, denn nach und nach sollten 150.000 Menschen hier ihre letzte Ruhestätte finden. Und so grub man sich Meter um Meter tiefer in die Erde aus weichem Vulkangestein. Vier unterirdische Stockwerke entstanden so, jedes etwa fünf Meter hoch. Die Katakombe der Domitilla ist eine der wenigen, die man heute noch besichtigen kann. Konstante 18 °C hat es dort unten, kein Sonnenlicht dringt hinab, elektrische Lampen an den Wänden verbreiten schummriges Licht. Damals waren es kleine Öllämpchen, die die Angehörigen mit nach unten nahmen, viele davon sind noch erhalten und dort zu betrachten. Man weiß heute aber: Die Menschen haben ihre verstorbenen Angehörigen damals nicht regelmäßig an den Gräbern besucht, so wie wir das heute kennen und tun. Man hat sie dort bestattet und damit aus den Händen gegeben, in dem festen Glauben: Jetzt sind sie in den Händen Gottes geborgen! Man wusste sie bei Gott und brauchte sich um sie keine Sorgen mehr zu machen. Man hat auch keine Namen an den Grabstätten angebracht, weil man es nicht für nötig hielt, denn Gott kennt den Namen eines jeden Menschen, und das zählt. Zum anderen waren die Katakomben für die ersten Christen so etwas wie eine Schlafstätte. Der Tod war nur ein besonders langer Schlaf, aus dem Gott die Gläubigen irgendwann erwecken würde. Man hat die Grabkammern mit allerlei Bildern und Symbolen gestaltet. Diese Bilder zeigen Jesus, wie er im Kreis sitzt mit den Aposteln und sie lehrt oder wie er mit ihnen zusammen isst. Teilweise hat man damit sogar die Decken der einzelnen Nischen geschmückt. Die Vorstellung war: So fällt der Blick des Verstorbenen direkt darauf, wenn er von Gott aus dem Todesschlaf erweckt wird. Er soll direkt erkennen können, dass er in der Gemeinschaft mit Christus ist. Es sind schöne Bilder, Bilder des Lebens und gar nicht so, wie ich sie erwartet hätte, unter der Erde in einem so großen Friedhof. Musik Bilder des Lebens an einem Ort des Todes. Erstaunlich fand ich auch: Dort in den Katakomben, den Grabstätten der frühen Christen, gibt es kein einziges Bild, das Jesus am Kreuz zeigt. Gerade hier würde man es doch erwarten, an einem Ort, der sicher mit viel Schmerz und Trauer verbunden war. Die Bilder zeigen aber alle einen lebendigen Christus, und besonders berührend fand ich die Darstellung von Jesus als dem guten Hirten. Oft kommt dieses Bild vom Hirten in der Bibel vor, aber die Darstellungen des Guten Hirten in den römischen Katakomben haben eine auffällige Ähnlichkeit mit der damaligen Darstellung des Orpheus. Er ist die Hauptfigur in einem griechischen Mythos. Orpheus, der so bezaubernd musizieren konnte, dass sich die Tiere um ihn scharten, Orpheus, der seine Geliebte aus der Unterwelt befreien wollte, was ihm aber nicht gelungen ist. Mit Christus ist es anders – das soll das Bild vom Guten Hirten in der Katakombe zeigen. Jesus hat den Tod besiegt und kann die Menschen ins ewige Leben führen. Er trägt das schwache, das verletzte oder verirrte Schaf auf den Schultern und führt es zum Leben. In der Bibel sagt Jesus über sich selbst: „Ich bin der gute Hirt, ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ Und es heißt dort weiter: „… die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus.“ Und am Ende dieser Stelle sagt Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Jesus will uns Menschen aus dem Tod in ein Leben in Fülle führen. Und für mich gilt das nicht nur für das Ende meines Lebens. Leben in Fülle, das heißt für mich: nach einem Streit Versöhnung zu erleben, zu erleben, dass etwas wieder gut wird. Wenn ich kostbare Momente in meinem Leben entdecke und zulasse, dann spüre ich das Leben in Fülle. Das kann ein Blick, eine Berührung sein oder ein gemeinsam erlebtes Konzert, ein Spaziergang im Schweigen. Leben in Fülle, diesen Gedanken habe ich mitgenommen, von ganz unten aus der Tiefe der Katakomben, und ich finde ihn tröstlich. Und ich habe Bilder mitgenommen, Bilder, die für das Leben stehen. Die Bilder, die den ersten Christen wichtig waren, nehmen mich mit hinein in ihren Glauben, und so entsteht eine Gemeinschaft über viele Jahrhunderte, sogar Jahrtausende hinweg. Und der Glaube dieser Gemeinschaft sagt: Jesus war nicht einfach nur ein guter Mensch, sondern er hatte die Macht, den Tod zu besiegen, er führt die Menschen heraus aus dem Tod und ins Leben, ins Leben in Fülle!
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