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„Die Urkunde. Text – Bild – Objekt.“
Interdisziplinäre Tagung an der Universität Bonn, 27. bis 29. September 2017
Das europäische Mittelalter gilt allgemein als „Urkundenzeitalter“, doch auch in anderen vormodernen
Kulturen sind Urkunden zahlreich überliefert. Bei nahezu allen Themenfeldern mediävistischer
Forschung spielt dieser Quellentyp eine bedeutende Rolle. Deshalb soll der Schwerpunkt der Tagung
auf den Urkunden der Vormoderne als Analyseobjekt liegen.
Urkunden sind nach der klassischen, mittlerweile leicht modifizierten Definition Harry Bresslaus
Dokumente rechtlichen Inhalts, die unter Berücksichtigung bestimmter Vorgaben ausgefertigt und
beglaubigt wurden. Diese Umschreibung ist auch heute noch tragfähig und auf unterschiedliche
Disziplinen anwendbar, jedoch hat sich der Zugriff auf Urkunden als historische Quelle bedeutend
erweitert. Neben Edition, Regestierung, Urkundenkritik und Kanzleigeschichte sind mittlerweile
zahlreiche Fragestellungen getreten, die nicht vorrangig nur die Texte von Urkunden zum
Untersuchungsgegenstand machen, sondern den Produktionsbedingungen, den äußeren Formen oder der
Überlieferungsgeschichte von Urkunden ihren je eigenen Aussagewert zubilligen.
Urkunden werden folglich nicht mehr nur als „Textspeicher“ gesehen, sondern auch als Objekte, die in
einem durch Rituale definierten und symbolisch deutbaren Kommunikationszusammenhang stehen und
wichtige Funktionen sowohl für die Aussteller ebenso wie für die Empfänger hatten. Dabei wird dem
oft hohen Grad an Bildlichkeit insbesondere von Herrscher- und Papsturkunden, aber auch der Urkunden
vieler anderer Aussteller eine große Bedeutung zuerkannt. So dienten Urkunden der Repräsentation von
Rechtsstellung und Rang ihrer Aussteller, oft genug dokumentierten sie seitens des Empfängers ein
Nahverhältnis zum oft höherrangigen Aussteller und trugen damit auch zur Selbstdarstellung der
Empfängerseite bei. Betrachtet man Urkunden als serielle Quellen, so bieten sie wichtige Aufschlüsse
nicht nur „klassisch“ zur Herrschafts- oder Rechtsgeschichte, sondern auch zur vormodernen Sachkultur
oder zu Feldern wie der Ideen-, Mentalitäts- und Frömmigkeitsgeschichte. Zudem wendet man sich
neben den Originalen verstärkt der abschriftlichen Überlieferungspraxis als eigenem
Untersuchungsgegenstand zu, der neue Aufschlüsse über die Nutzung von Schriftlichkeit ermöglicht,
da die Urkunden nicht nur zur Rechtssicherung aufbewahrt und kopiert wurden, sondern auch zu
memorialen und historiographischen Zwecken.
Urkunden werden von zahlreichen Disziplinen untersucht, um die verschiedenen Funktionen von
Schriftlichkeit besser nachzuzeichnen und diese in ihren gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen
zu analysieren. Es wird nach ihrem rechtlichen, aber auch dem symbolischen Wert von Urkunden
gefragt, nach den Bedingungen der Urkundenproduktion, nach Kommunikationsprozessen sowie nach
zugrundeliegenden Diskursen.
Um die Vergleichbarkeit zu erhöhen und den interdisziplinären Austausch anzuregen, wurden die
Referierenden gebeten, eine oder mehrere der folgenden Leitfragen in den Blick zu nehmen:
- Urkunden als Objekte der Repräsentation für Aussteller und/oder Empfänger
- Visuelle Strategien und Textstrategien bei der Urkundengestaltung
- Originale und abschriftliche Überlieferung von Urkunden
- Generierung von Rechtskraft und Rechtssicherheit
- Wirksamkeit von Urkunden im Rechtsleben
- Funktion von Urkundenfälschungen
- Urkunden als Quelle für historische Fragestellungen
Ziel der Tagung „Die Urkunde. Text – Bild – Objekt“ ist es, anhand ausgewählter Beiträge aus
unterschiedlichen Disziplinen sowohl den gewandelten Stand der Diplomatik im 21. Jahrhundert
deutlich zu machen, als auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die die Analyse von Urkunden den
verschiedenen historisch arbeitenden Disziplinen für allgemeingeschichtliche Fragestellungen etwa
kultur- oder gesellschaftsgeschichtlicher Ausrichtung bietet.
Veranstaltet von: Prof. Dr. Andrea Stieldorf, Universität Bonn, Institut für Geschichtswissenschaft,
Abt. Historische Hilfswissenschaften und Archivkunde
Gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung.
Nähere Informationen folgen im Februar 2017.