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Gottesdienst am Ewigkeitssonntag
Jubilatekirche am 20.11.2017
Pastorin Dr. Kirstin Faupel-Drevs
Gottes Hütte bei den Menschen
Epistel und Predigttext: Offenbarung 21,1-7
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste
Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue
Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für
ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die
Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker
sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle
Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach:
Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und
gewiss! 6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und
das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
7 Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein
Sohn sein.
Liebe Gemeinde,
wo wohnt Gott in dieser Zeit, und wo wohnen wir? Ich meine nicht die Wohnungen
und Häuser, die wir real bewohnen, sondern die Orte, zu denen es unsere Gedanken
hinzieht. Innere Bilder wie diese aus dem Buch der Offenbarung: Und ich sah einen
neuen Himmel und eine neue Erde ... Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von
Gott aus dem Himmel herabkommen... Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,
die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! – Wie stelle ich mir diese Hütte
vor?
Das himmlische Jerusalem, die „Hütte Gottes“ bei den Menschen - Vielleicht
erscheinen mir diese visionären Bilder deshalb so stark, weil der heutige Sonntag,
überhaupt diese letzte Zeit im Kirchenjahr, den Bogen so weit aufspannt; weit über
unsere Häuser und Städte hinaus, auch weit über die Gräber unserer Verstorbenen,
an die wir denken an diesem Ewigkeitssonntag.
Tod und Ewigkeit – beides können wir nicht fassen, weil wir Menschen sind und in
der Zeit leben; leben müssen. Eine Zeit, die sich gerade düster und wie toll gebärdet
mit ihren Gestalten, die derzeit die Weltbühne besetzen. Das apokalyptische Szenario
im letzten Buch der Bibel scheint die Offenbarungen des Sehers Johannes real zu
vergegenwärtigen mit ihren wilden apokalyptischen Reitern, die die Welt in den
Abgrund treiben. Manchmal habe ich Angstphantasien und ich sehe bei ihnen die
Gesichter von Trump, Erdogan, Assad und Putin. Aber das ist eine gefährliche
Vermischung, die ihnen zu viel Macht zuschreibt. Die „Hütte Gottes“ wirkt dagegen
so bedroht, wie ein zartes Gespinst, das wie derzeit so vieles andere dem Erdboden
gleichgemacht werden könnte. Sie erinnert mich auch schmerzlich an die über 65
Millionen Flüchtlinge, die derzeit heimatlos unterwegs sind, und von denen viele
nur einfache Hütten und Zelte als Wohnung haben.
Und doch – vielleicht gerade vor dem Hintergrund der Angstphantasien, der
angespannten Weltlage und – noch näher - der Traurigkeit im Verlust eines geliebten
Menschen – vor diesem dunklen Abgrund wirken die Bilder des heutigen
Predigttextes hell und schön und unbegreiflich tröstlich:
„Alles neu“, sagt der, der um alles weiß --- Himmel und Erde, Anfang und
Ende, das kein Ende mehr ist --- Wasser des Lebens, das die Feuer löscht und
unseren ganzen Durst nach Lebendigsein --- Aah und Ooh! – Und ER, sein Name ist:
„Gott mit uns“, wird hier bei uns wohnen, in einer Hütte. Alles wird gut. Denn „er
wird abwischen alle Tränen“ – was für eine liebevolle zarte Geste! Es ist die Geste
einer Mutter, die sich vor das traurige Kind hinkniet, ihm die Haare aus dem Gesicht
streicht und mit einem Taschentuch die Tränen trocknet und sagt: „Alles gut“.
Alles gut? Nichts ist gut, wenn mir gerade die Welt untergegangen ist und wenn ich
Angst um die Welt und die Menschen habe, die ich liebe.
Genau an der Grenze zwischen Trost und aussichtsloser Verzweiflung sind
diese Bilder damals entstanden. Der Seher Johannes lebte in einer Zeit brutaler
Christenverfolgung und die Botschaft seiner Bilder hat eine politische und eine
persönliche Dimension.
Die politische: Die Herren dieser Welt können sich gebärden wie sie wollen. Ihre Zeit
ist begrenzt und auch ihre Macht. Herr über alles ist Gott, der Zeit und Ewigkeit in
der Hand hält. Er sagt, auch zu uns: „Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch alle Tage bis
ans Ende der Welt“. Er sagt, durch den Mund Jesu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben.“ Die Christen damals wie heute werden aufgefordert, nüchtern und
vertrauensvoll zu sein. Nicht Angstmache, sondern ein festes Herz voller Liebe und
Zuversicht, das ist die angemessene Haltung, um gelassen leben zu können und
Verantwortung wahrzunehmen, wenn es von uns gefordert ist.
Das gilt auch fürs ganz Persönliche, die andere Dimension. Wer einmal jemanden
begleitet hat auf dem Weg zum Tod, weiß, dass die Grenze des Lebens nicht nur
schrecklich ist, sondern dass sich genau dort eine neue Tür öffnet. Dass irgendwann
Angst und Unruhe einem Frieden weichen, der größer ist als alles, was wir uns
vorstellen können.
Ich hatte vor ein paar Tagen die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die von
dieser Grenze nicht mehr weit entfernt sind, Menschen aus dem Seniorenkreis von
Marianne Wölk. Es hat mich berührt, was sie erzählt haben. „Ich bin mein ganzes
Leben lang dafür dankbar gewesen“, so sagte eine, „dass ich meine Mutter beim
Sterben begleiten durfte. Ich hab irgendwie gespürt, dass es kommen würde. Und
dann bin ich zu ihr gefahren und wir haben miteinander noch Vieles geteilt. Seit
damals habe ich keine Angst mehr vor dem Tod.“
Es ist ein großes Geschenk, wenn ein Sterben so verläuft, dass Frieden für alle
erfahrbar wird. Denn es gibt ja auch andere Erfahrungen. Das Gefühl, versagt zu
haben oder zu spät gekommen zu sein. „Er ist genau in dem Moment gegangen, als
ich nicht da war. Das hat mir sehr wehgetan.“ Auch das sagte jemand. Und
manchmal werden auch alle Schwierigkeiten und Belastungen, die unsere
Beziehungen zu Lebenszeiten geprägt haben, im Sterben noch einmal so richtig
deutlich.
Das ist so. Jede und jeder geht einen ganz eigenen Weg. Warum sollte es an
der Grenze zum Tod anders sein als sonst auch? Und wir, die wir begleiten, tun
unser Bestes und sind doch oft nur hilflos und traurig und bleiben einsam zurück,
und fragen nach Gott: Wo warst du? Wo bist du? Gibt es dich überhaupt?
„Gott berührt uns durch die Wirklichkeit“ – dieser Satz, den ich einmal von einer
katholischen Schwester gehört habe, hat mich schon oft getröstet. Gott berührt uns
durch die Wirklichkeit, durch das, was gerade jetzt geschieht, angesichts des Todes
wie des Lebens: was ich höre, was ich spüre, was ich erleide, worüber ich mich freue.
Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir
einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel
(2. Kor 5,1)
Wenn die visionären Bilder der Bibel einen Sinn haben, dann doch den, dass sie
durch unsere zerbrechliche Wirklichkeit hindurchstrahlen. Dieses Licht Gottes, aus
dem alles kommt, und in das wir alle einmal wieder zurückgehen. In diesem Haus
aus Licht sind unsere Verstorbenen geborgen. Wir sind noch nicht dort, wo sie sind,
im „alles neu“. Aber sie sind uns nur vorausgegangen. Nicht mehr greifbar, und
doch nicht weit weg. Die Kerzen erinnern daran, dass jedes Lebenslicht Teil der
Flamme von Gottes großem Licht ist. Wir haben Teil an dieser Quelle, die alles und
alle miteinander verbindet, immer.
Aus dieser Quelle kommen die Bilder des Trostes. Auch das von der Hütte Gottes bei
den Menschen. Gott wohnt nicht jenseits von uns im fernen Licht, sondern „Gott will
im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“. Der Advent leuchtet darin schon auf,
so wie das Licht durch die Ritzen einer einfachen Holzhütte, oder durch ein leichtes
Zelt hindurchscheint. Und so heißt es in einem anderen Kirchenlied:
Komm in unser festes Haus, / der du nackt und ungeborgen. / Mach ein leichtes Zelt
daraus, / das uns deckt kaum bis zum Morgen; / denn wer sicher wohnt, vergißt, /
dass er auf dem Weg noch ist. (EG 428,4).
Liebe Gemeinde, wir leben in unsicherer Zeit, aber niemals außerhalb von Gottes
Gegenwart. Wir sind auf dem Weg, aber nie ohne sein Geleit. Die himmlischen
Wohnungen öffnen sich – so hoffe ich doch - irgendwann auch für uns, aber JETZT
sind wir noch hier. Eingeladen zu wohnen in Gottes Hütte, die leicht ist wie ein Zelt
und die so weit ist, dass sie den ganzen Himmel und die Erde umspannt.
So sei es, Amen.