GSK Update Urlaub und Urlaubsabgeltung

23. November 2016
Urlaub und Urlaubsabgeltung
EuGH ergänzt seine Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen und der Abgeltung
von Urlaub.
Executive Summary
> EuGH: Arbeitnehmer haben bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Abgeltung von
Resturlaub, unabhängig davon, durch wen und
aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis beendet wird.
> Der gesetzliche Urlaubsanspruch kann nach Ablauf bestimmter Fristen verfallen.
> War der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt und
konnte deshalb keinen Urlaub nehmen, ist nach
derzeitiger Rechtsprechung von EuGH und BAG
allerdings nur eine zeitliche Begrenzung des
Übertragungszeitraums auf 15 Monate zulässig.
Der Anspruch verfällt somit spätestens am 31.
März des zweiten auf die Urlaubsentstehung folgenden Jahres.
> Für über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus
gewährten Mehrurlaub sind abweichende Regelungen möglich.
Hintergrund
Die geltende Rechtslage zu Urlaub und Urlaubsabgeltung ist unübersichtlich und verwirrend. Welche
grundsätzlichen Regeln gelten für die Übertragung
von Urlaub? Wann und in welchem Umfang ist Urlaub abzugelten? Gibt es Unterschiede zwischen
gesetzlichem und darüber hinaus gehenden
(tarif-)vertraglichem Urlaub? Welche vertraglichen
Regelungen in Bezug auf Urlaub und Urlaubsabgeltung sind zulässig?
Ein Urteil des EuGH vom 20.07.2016 (EuGH, Urteil
vom 20.07.2016 – C-341/15), das die bisherige
Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen
und der Abgeltung von Urlaub bestätigt und er-
gänzt, soll daher zum Anlass genommen werden,
einen Überblick über die geltenden Grundsätze zu
geben.
Grundlagen zur Übertragbarkeit von Urlaub
Im laufenden Arbeitsverhältnis entsteht der gesamte Jahresurlaub grundsätzlich zu Beginn des Jahres
und muss im jeweiligen Kalenderjahr vollständig
genommen werden. Eine Übertragung auf das
Folgejahr ist gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG nur zulässig, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle einer solchen Übertragung muss
der Urlaub dann in den ersten drei Monaten des
folgenden Kalenderjahres, also bis zum 31. März,
gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 3
BUrlG), andernfalls verfällt der Anspruch.
Verfall des Urlaubsanspruchs bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Nach einer grundlegenden Entscheidung des
EuGH im Jahr 2009 (EuGH, Urteil vom
20.01.2009 – C-350/06 – „Schultz-Hoff”) kann eine
nationale Regelung zwar den Verlust des Urlaubsanspruchs nach Ende des Bezugszeitraums (in der
Regel das Kalenderjahr) oder nach Ablauf einer
Übertragungszeit von 3 Monaten vorsehen. Voraussetzung für einen Verfall ist jedoch, dass der Arbeitnehmer zuvor tatsächlich die Möglichkeit hatte,
den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies ist nach
dem EuGH nicht der Fall, wenn der Urlaubsanspruch
infolge durchgehender Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt werden konnte.
Das BAG hat diesen Grundsatz auf das deutsche
Urlaubsrecht
übertragen
(BAG,
Urteil
vom
24.03.2009 – 9 AZR 983/07). Danach verfällt der
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Urlaub und Urlaubsabgeltung
gesetzliche Urlaubsanspruch nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres
und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und
deshalb arbeitsunfähig ist. Dies gilt nicht nur für
den gesetzlichen Mindesturlaub nach § 3 Abs. 1
BurlG, sondern für jeglichen gesetzlich festgelegten
Urlaub wie beispielsweise den Sonderurlaub eines
Schwerbehinderten gemäß § 125 SGB IX (BAG,
Urteil vom 23.03.2010 – 9 AZR 128/09).
Unbeachtlichkeit der Art und Weise der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Mit der Entscheidung vom 20.07.2016 hat der
EuGH diese Rechtsprechung nochmals bestätigt
und dahingehend ergänzt, dass es für die Geltung
dieser Grundsätze unerheblich ist, durch wen und
aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis beendet
wird; im entschiedenen Fall ging beispielsweise die
Beendigung vom Arbeitnehmer aus, der auf eigenen
Wunsch in den Ruhestand versetzt wurde (EuGH,
Urteil vom 20.07.2016 – C-341/15).
Übertragungsgrenze 15 Monate
Urlaubsansprüche können jedoch auch nach dieser
Rechtsprechung nicht unbegrenzt angesammelt
werden.
Im Falle der andauernden Arbeitsunfähigkeit
des Arbeitnehmers sieht die Rechtsprechung es als
zulässig an, dass der Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch nach 15 Monaten, also mit Ablauf
des 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres, erlischt (BAG, Urteil vom
07.08.2012 – 9 AZR 353/10).
Ein Arbeitnehmer erwirbt auch während eines zwischenzeitlichen Ruhens seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Urlaub.
Ist der Arbeitnehmer im Anschluss an das Ruhen
des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt,
behält er für einen Zeitraum von bis zu 15 Monaten
seinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub.
Gleiches gilt für die Urlaubsansprüche, die während
des tarifvertraglich angeordneten Ruhens eines
Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Erwerbsminderungsrente entstehen. Auch in derartigen Fällen erlischt der gesetzliche Mindesturlaub bei
andauernder Arbeitsunfähigkeit erst 15 Monate
GSK Update / 23.11.2016
nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres (BAG,
Urteil vom 07.08.2012 – 9 AZR 353/10).
Nach § 17 Abs. 2 BEEG ist Resturlaub, den der Arbeitnehmer vor Beginn der Elternzeit nicht oder
nicht vollständig antreten konnte, nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu
gewähren; schließt sich nahtlos eine weitere Elternzeit an, wird auch der Urlaubsanspruch weiter übertragen (BAG, Urteil vom 20.05.2008 - 9 AZR
219/07). Kann der entsprechend übertragene Urlaub im Anschluss an die Elternzeit dann wegen
einer dauerhaften Erkrankung im laufenden oder
dem folgenden Jahr nicht fristgemäß genommen
werden, verfällt er bei andauernder Arbeitsunfähigkeit ebenso erst 15 Monate nach Ablauf des Folgejahres (LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.11.2014 – 12
Sa 982/14).
Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber den –
nach den oben dargestellten Grundsätzen noch
nicht verfallenen – Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers abzugelten, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt
werden kann. Auf die Gründe, die zur Beendigung
des Arbeitsverhältnisses geführt haben, kommt es
dabei nicht an.
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht
der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch in Höhe des bis dahin noch nicht erfüllten
und noch nicht verfallenen Urlaubsanspruchs.
Was gilt, wenn das Arbeitsverhältnis nach
Gesundung des Arbeitnehmers weiterhin fortbesteht?
Der wieder gesundete Arbeitnehmer muss grundsätzlich sämtlichen ihm zustehenden Urlaub innerhalb des jeweiligen (restlichen) Urlaubsjahres bzw.
des Übertragungszeitraums nehmen, sonst erlischt
der Anspruch. Lediglich der Teil des Urlaubs, der
mangels verbleibender Restzeit in diesem Zeitraum
auch theoretisch nicht mehr genommen werden
könnte, bleibt darüber hinaus erhalten und tritt zu
dem neu entstehenden Urlaubsanspruch des nächsten Jahres hinzu (BAG, Urteil vom 09.08.2011 – 9
AZR 425/10).
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Urlaub und Urlaubsabgeltung
Unterscheidung zwischen gesetzlichem und
vertraglichem Urlaubsanspruch und Regelungsmöglichkeiten
Die oben dargestellten Grundsätze zur Übertragbarkeit und zur Abgeltung von Urlaub gelten grundsätzlich sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch als auch für den übergesetzlichen,
also einen arbeits- oder tarifvertraglich vereinbarten Anspruch auf Mehrurlaub.
Die Arbeits- oder Tarifvertragsparteien können insgesamt abweichende Regelungen hinsichtlich der
Übertragung oder der Abgeltung des Urlaubs treffen, sofern diese abweichenden Vereinbarungen für
den Arbeitnehmer günstiger sind. Sie können z.B.
andere oder längere Übertragungszeiträume vereinbaren, wobei vorsorglich allerdings gewisse
Obergrenzen (wie beispielsweise das gesamte
Folgejahr) nicht überschritten werden sollten, um
noch das Gebot der zeitnahen Erfüllung des Urlaubsanspruchs zu wahren (BAG, Urteil vom
21.06.2005 – 9 AZR 200/04). Für den Arbeitnehmer ungünstige Abweichungen im Hinblick auf den
gesetzlichen Mindesturlaub können nicht vereinbart
werden.
Für den übergesetzlich gewährten Urlaub können
die Parteien auch Regelungen treffen, die für den
Arbeitnehmer nachteilig sind. So kann z.B. vereinbart werden, dass der zusätzliche Urlaub in jedem
Fall, also unabhängig von den Gründen für eine
Nichtinanspruchnahme, nach Ablauf des Übertragungszeitraums verfällt, oder dass übergesetzlicher
Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
nicht abzugelten ist.
Arbeitsvertragliche Regelungen hinsichtlich des
übergesetzlichen Mehrurlaubs setzen nach der
Rechtsprechung eine deutliche Trennung und Unterscheidung zwischen dem gesetzlichen und dem
übergesetzlichen Urlaubsanspruch voraus. Ist eine
solche Trennung im Arbeitsvertrag nicht erkennbar,
ist der vertragliche Urlaubsanspruch genauso zu
behandeln wie der gesetzliche (BAG, Urteil vom
22.05.2012 – 9 AZR 575/10).
GSK Update / 23.11.2016
Klauselvorschlag
Möchten Arbeitgeber die derzeitige Rechtslage hinsichtlich des gesetzlichen Urlaubsanspruchs im Arbeitvertrag abbilden und zugleich den vorhandenen
Regelungsspielraum in Bezug auf vertraglichen
Mehrurlaub nutzen, bietet sich beispielsweise folgende Formulierung an:
(1) Der Arbeitnehmer erhält kalenderjährlich den
gesetzlichen Erholungsurlaub von 20 Arbeitstagen
unter Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche. Darüber hinaus wird dem Arbeitnehmer zusätzlicher
Urlaub im Umfang von [Anzahl] Tagen bei einer 5Tage-Woche gewährt.
(2) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr
genommen werden; er verfällt zum 31. Dezember.
Für den gesetzlichen Mindesturlaub gilt dies nur,
sofern nicht persönliche oder betriebliche Gründe
eine Inanspruchnahme verhindert haben. In diesem
Fall können verbleibende Urlaubstage in das Folgejahr übertragen werden und sind bis zum 31. März
zu nehmen. Danach erlischt der entsprechende
Anspruch, sofern er nicht aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden
konnte. In diesem Fall erlischt der Urlaubsanspruch
15 Monate nach Ende des Kalenderjahres, in welchem er entstanden ist.
(3) Bei der Gewährung von Urlaub wird zunächst
der gesetzliche Mindesturlaub gewährt, sodann der
darüber hinausgehende Mehrurlaubsanspruch.
(4) Eine Abgeltung von Urlaub bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses erfolgt nur in Bezug auf den
gesetzlichen Urlaubsanspruch.
Wolfgang Böhm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Standort Heidelberg
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Anja Schröder
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Nicole Deparade
Rechtsanwältin
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