Stellungnahme

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Anousch Mueller
STELLUNGNAHME
Heinrich-Mann-Str. 13
16/4464
13156 Berlin
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A01
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Stellungnahme
zum Antrag der Fraktion der FDP
»Für die Patientensicherheit Anforderungen für die Berufsausübung von
Heilpraktikern erhöhen«
In Deutschland dürfen Piloten künftig ohne Flugpraxis Flugzeuge fliegen. In Zukunft reicht ein
bestandener Ankreuztest zum Erwerb des Pilotenscheins. Ferner soll es gestattet werden auch
ohne langwieriges Jura-Studium, Personen rechtlich beraten und vertreten zu können. Auch für
zahlreiche weitere Berufe wie Lokführer, Elektriker, Hebamme, Erzieher, Altenpfleger, Krankenschwester und Steuerberater entfallen die bisherigen Ausbildungsregelungen. Bislang musste ein
Berufsanwärter eine mehrjährige Ausbildung bzw. ein Studium samt Zwischenprüfungen, Klausuren, Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, Praktika etc. absolvieren, um sich für einen Beruf zu
qualifizieren. Dieser mühselige Weg entfällt künftig. Auch soll es den Anwärtern selbst überlassen sein, ob sie ein privates Ausbildungsinstitut besuchen oder sich im Alleingang auf die
Überprüfung vorbereiten. Dann künftig reicht es, wenn Interessenten bei den zuständigen örtlichen Behörden mit einem Multiple-Choice-Test Grundlagenwissen nachweisen. Praktische
Fähigkeiten werden nicht mehr geprüft. Es reicht demnächst der Verweis auf die Sorgfaltspflicht.
Jeder Mensch weiß schließlich selbst am besten, was er kann.
Mit diesem Vorstoß orientiert sich die Politik am Beispiel der Heilpraktiker. Heilpraktiker
beweisen, dass weder eine staatlich regulierte Ausbildung noch wissenschaftliche Standards
nötig sind, um in einem Gesundheitsberuf arbeiten zu können. Wenn es die Politik gestattet, das
höchste Gut des Menschen, die Gesundheit, in Hände von Laien zu legen, dann sollte das für
unverfänglichere Gebiete doch erst recht gelten! Und wozu braucht es aufgeblähte Apparate wie
Handwerks-, Handels-und Ärztekammern, wenn man auch weitgehend unbehelligt von Fachund Rechtsaufsichtsbehörden sowie Verwaltungsvorschriften munter drauflos therapieren kann?
Kaum ein anderer Berufszweig genießt so viel Freiheiten wie der Heilpraktiker. Theoretisch dürften sie sogar Herz-Operationen durchführen. Übrigens erhalten Heilpraktiker als Super-Bonus
zur Heilerlaubnis auch die Erlaubnis zur Ausübung der Psychotherapie. Und das gänzlich ohne
eine einzige Lehrstunde in Psychologie nachweisen zu müssen! Warum also sollen sich andere
Berufsanwärter jahrelang mit Pauken und Prüfungen quälen?
Diese kleine Fiktion soll den Irrwitz sichtbar machen, dem der Heilpraktikerberuf anhaftet. Es ist
erstaunlich, dass es in Deutschland - dem Land, das weltbekannt ist für seine Sicherheitsvor-
schriften - möglich ist, dass man ohne große Hürden eine Heilerlaubnis erlangen kann. Dass man
ohne fundierte Ausbildung Krebs, Multiple Sklerose, Asthma und vieles weitere behandeln darf.
Übrigens gibt es nicht einmal in der Behandlung von Kindern Einschränkungen. Doch die mangelnde Ausbildung ist nur ein Teil des Problems. (Und aus dem obigen Absatz sollte nicht
geschlossen werden, dass es gar eines Heilpraktiker-Studiums bedarf. Denn wie soll man an
einer Universität etwas lehren, das wissenschaftlichen Erkenntnissen vollkommen zuwider läuft?
Man lehrt ja auch keine »alternative« Physik, Biologie oder Chemie.) Mindestens genauso
schwer wiegt der ideologische und irrationale Überbau der sog. »Alternativmedizin«. Ich habe
vor einigen Jahren selbst eine Heilpraktiker-Ausbildung absolviert und konnte daher Einblicke in
die Welt der Parallelmedizin gewinnen. Meine haarsträubenden Erlebnisse an der Heilpraktikerschule führten zu einer völligen Abkehr von der Pseudo- bzw. Paramedizin (Buch »Unheilpraktiker« im Riemann-Verlag). Ich bin überzeugt, dass ich nicht einfach nur Pech gehabt habe, sondern dass Verschwörungsdenken und Ablehnung der Wissenschaft dem Heilpraktikerwesen
immanent sind. Ich führe im folgenden zwei Aspekte an, die das Heilpraktikerwesen so bedenklich machen.
• Esoterik und Lügen
Heilpraktiker arbeiten oft mit den Vorstellungen von Energie-Leitbahnen, energetischen Blockaden, gestörten Energie-Haushalten, feinstofflichen Schwingungen. Des Weiteren behaupten
sie gerne, der Patient sei vergiftet, z.B. durch Amalgam, Quecksilber aus Impfungen oder durch
den Lebenswandel. Verschiedene Mittel und Methoden sollen eine »Entgiftung« herbeiführen.
Auch ist bei Heilpraktikern stets die Rede von einer »Stärkung des Immunsystems«.
Nach Stand der Wissenschaft gibt es weder Energieleitbahnen im Körper noch feinstoffliche
Schwingungen. Woher sollten Heilpraktiker von Energien wissen, die der Physik bislang unbekannt sind? Häufig wird von Heilpraktikern die Quantenphysik ins Feld geführt, um zu untermauern, dass es Phänomene gibt, die sich der Alltagserfahrung entziehen. Hier werden physikalische Phänomene schlicht mystifiziert. Einen Wirknachweis z.B. der Homöopathie gibt es auch
dadurch nicht.
Patienten, die in der Lage sind, eine Heilpraxis aufzusuchen, sind sehr wahrscheinlich nicht vergiftet. Andernfalls wären sie ein Notfall. Denn im Normalfall entgiftet der Körper pausenlos von
alleine. Auch lässt sich nach Meinung führender Immunologen das Immunsystem kaum stimulieren.
An diesen Beispielen zeigt sich, dass Heilpraktiker verquere Vorstellungen von körperlichen Prozessen in die Welt setzen und sie Patienten damit verunsichern, ja, dass Patienten irregeleitet, gar
belogen werden. Wäre die Heilpraktiker-Überprüfung so bedeutsam, wie es Heilpraktiker gerne
verlautbaren, dann müssten sie es eigentlich besser wissen. Denn in der Überprüfung wird rein
naturwissenschaftliches Wissen abgefragt. Heilpraktiker behaupten also Dinge, die dem widersprechen, was sie »gelernt« haben.
• Impfangst und Hetze
Ich habe während meiner Heilpraktiker-Ausbildung keinen einzigen Heilpraktiker und Dozenten
kennengelernt, der Impfungen befürwortet. Es gibt darunter absolute Impfgegner, die jegliche
Impfungen ablehnen, selbst gegen Tetanus. Mehrheitlich sprechen sie sich gegen Impfungen im
ersten Lebensjahr und vor allem gegen Mehrfachimpfungen aus. Auf den Einwand, dass Keuchhusten und Masern lebensgefährlich sein können, gerade für Babys, erhält man zur Antwort, dass
man diese Erkrankungen gut homöopathisch begleiten könne und dass das Kind gestärkt aus
dieser Krankheitserfahrung hinausgeht. Manche Heilpraktiker gestehen, dass im Fall der Fälle
schulmedizinische Intervention nötig werden könne. Hier soll die sog. Schulmedizin rettend eingreifen, die ansonsten pausenlos verächtlich gemacht wird. Auch wird die pharmazeutische
Industrie nicht etwa kritisiert, so wie es mitunter nötig ist, sondern dämonisiert. Politik und
Medien seien reine Handlanger der Pharmaindustrie. Verschwörungstheoretisches Denken ist
fester Bestandteil der Paramedizin.
Fazit
Heilpraktiker üben eine heilkundliche Tätigkeit aus, die in keinerlei Hinsicht den Erkenntnissen
der Medizin seit Mitte des 19. Jahrhunderts genügt. Der Verweis auf die lange Tradition, das
Erfahrungswissen und die Popularität ist nichts als Augenwischerei. Die Naturheilkunde konnte
zu keinem Zeitpunkt etwas gegen ernsthafte Krankheiten ausrichten. Weder in früheren Jahrhunderten, noch heute. Sie taugt allenfalls zur Prävention und Entspannung. Das wäre auch ein
Ansatz, wie mit Heilpraktikern in Zukunft zu verfahren wäre. Statt Heilpraktiker durch eine
staatlich regulierte Ausbildung, gar ein Studium, aufzuwerten, sollten ihre Befugnisse stark eingeschränkt werden. Denkbar wäre ein neues Berufsbild. Statt des Heilpraktikers könnte ein »Genesungsbegleiter« in Absprache mit dem Arzt den Patienten unterstützen. Er könnte dort weitermachen, wo dem Arzt die Zeit fehlt: Sich dem Patienten widmen, ihm zuhören (ohne Wertung),
ihn massieren und mit ihm Entspannungsverfahren üben, die ja nachweislich wirksam sind.
Allerdings gibt es viele gut ausgebildete Physiotherapeuten, so wie jede Menge Entspannungstherapeuten und Wellnesstrainer. Es ist also die Frage, ob es Heilpraktiker überhaupt noch geben
sollte. Welche Leerstelle füllen sie? Es fallen dabei oft die Begriffe »letzte Hoffnung« und »einziger Strohhalm«. Diese beziehen sich meistens auf schwer erkrankte Patienten, die nichts unversucht lassen möchten, um am Leben zu bleiben. Darf man verzweifelte Menschen mit dem
Segen der Politik in die Hände von unqualifizierten Heilern geben?
Ich bin mir bewusst, dass eine Abschaffung des Heilprakikergesetzes bzw. ein Verbot für Heilpraktiker nicht durchzusetzen ist. Daher unterstütze ich die sechs Punkte der Beschlussfassung
des Antrags der Fraktion der FDP. Es ist bitternötig, den Heilpraktikerberuf zu regulieren. Nicht,
um Heilpraktiker zu degradieren, sondern um Patienten zu schützen. Denn die hatten bislang das
Nachsehen, wenn sie nicht das Glück einer Wunderheilung hatten.
Empfehlung:
Facebook-Seite »Dinge, die Heilpraktiker sagen«. Hier gibt es einen Einblick ins Denken und
Handeln von Heilpraktikern.