Handout November 2016 Bundesdelegiertenkonferenz 2016 Bündnis 90/Die Grünen Münster, 13. November 2016 (Es gilt das gesprochene Wort.) Dr. Dieter Zetsche, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars Vielen Dank, Herr Özdemir. Meine Damen und Herren! Ich lese zwar nur unregelmäßig taz, aber dafür öfter Twitter. Deshalb ist auch mir nicht entgangen, dass es schon im Vorfeld eine lebhafte Diskussion zu meiner Einladung gab. Aber sagen wir mal so: Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Daimler-Fahrer sogar in Süddeutschland noch mit Flinten beschossen – aus Angst vor der Kutsche ohne Pferd. Im Vergleich dazu denke ich: Unsere Diskussion zu Kutschen ohne Emissionen wird sicher konstruktiver. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Was die Befürchtungen zu meiner Rolle hier angeht, möchte ich betonen: Ich bin nicht gekommen, um diese Bühne für eine Werbe-Show zu missbrauchen oder mich in den Wahlkampf einzumischen. Ich bin hier, weil mich Ihr Bundesvorstand eingeladen hat, über den Tagungsordnungspunkt „Energie- und Verkehrswende“ zu reden. Das möchte ich gerne tun. Deshalb danke für das Dialogangebot! Ich glaube: Wenn heftig gestritten wird, ob man miteinander sprechen darf, ist das vielleicht der beste Beleg, dass man miteinander sprechen sollte. Der „Antrag zur Energie- und Verkehrswende“ Ihres Bundesvorstands bietet jedenfalls eine Menge Gesprächsstoff. Da heißt es zum Beispiel: „Die Automobilwirtschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie Fahrzeuge entwickelt, die kein CO2 verursachen.“ Meine Damen und Herren, es wird manche von Ihnen vielleicht überraschen, aber dem stimme ich ausdrücklich zu. Abschluss und Inkrafttreten des Pariser Klima-Abkommens sind auch aus meiner Sicht wichtige Erfolge der internationalen Staatengemeinschaft. Die Welt hat sich damit auf den richtigen Weg gemacht. Denn die Dekarbonisierung der Industriestaaten ist notwendig. Und ja, auch die Autoindustrie wird weiterhin ihren Beitrag leisten. Klar ist, dass der Autobestand aufgrund der weltweiten Nachfrage weiter steigen wird. Deshalb ist genauso klar, dass wir die Emissionen jedes einzelnen Fahrzeugs weiter senken müssen. Wir stellen uns unserer klimapolitischen Verantwortung. Neben dem unfallfreien Fahren ist das emissionsfreie Auto der Kern unserer Unternehmensstrategie. Dem ersten Ziel sind wir mittlerweile schon sehr nahe. Und ich habe keinen Zweifel, dass uns das auch beim zweiten gelingen wird. Falls Sie also erwarten, dass ich Ihnen heute erzähle, warum der Verbrenner alle Zeiten unersetzlich bleibt, muss ich Sie enttäuschen. Was die Ziele betrifft, gibt es mehr Übereinstimmung zwischen Ihrer Partei und unserer Branche, als manche auf beiden Seiten wahrhaben wollen. Natürlich: Wer meint, der Erfinder des Automobils sei die Wurzel allen Übels, der hat womöglich nicht gemerkt, dass Daimler schon seit knapp zehn Jahren Elektroautos im Programm hat. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 2 Und wer die hiesige Automobilindustrie grundsätzlich für Schnarchnasen hält, der hat vielleicht übersehen, dass in Westeuropa bereits gut jeder zweite Elektro-Pkw aus deutscher Produktion stammt. Aber damit kann ich umgehen. Ich bin seit 40 Jahren im Geschäft, und ich habe in dieser Zeit kein Jahr erlebt, in dem es nicht hieß: Die deutsche Autoindustrie hat alles verschlafen. Bemerkenswert ist dabei nur, dass einer von hundert Menschen auf der Welt einen deutschen Pass hat, aber gut 20 von hundert Autos weltweit einen deutschen Markennamen. Dabei ist allen Beteiligten eines bewusst: Technologische Paradigmenwechsel sorgen oft dafür, dass der bisherige Platzhirsch einer Branche abgelöst wird. Aber wir haben alles was wir brauchen, um diese Statistik zu schlagen. Und wir werden alles daran setzen, dass uns das auch gelingt. Heute geht es längst nicht mehr darum, ob wir mit alternativen Antrieben loslegen. Die Frage ist: Wie sorgen wir dafür, dass der Markt endlich in großem Stil Fahrt aufnimmt? Aus meiner Sicht kommt es vor allem auf drei Punkte an: Erstens: Wir werden deutlich mehr Geld in die Hand nehmen. Zweitens: Wir wollen viel mehr verändern als nur den Motor. Drittens setzen wir dabei auf das Prinzip: Alternative Antriebe müssen attraktive Antriebe sein. Und dafür gibt es jetzt eine Fülle an technischen Möglichkeiten. Fangen wir mit den Investitionen an. Hier ist die erste Botschaft: Der Verbrennungsmotor muss seine Abschaffung selbst finanzieren. Auch wenn Tesla nun erstmals in einem Quartal schwarze Zahlen geschrieben hat: EMobilität wird nur dann erfolgreich, wenn Hersteller dauerhaft nicht mehr darauf angewiesen sind, an den Finanzmärkten oder gar beim Steuerzahler die Hand aufzuhalten. Gleichzeitig ist klar: Wenn Elektroautos endlich über ihren homöopathischen Marktanteil hinauskommen sollen, dann schaffen wir das nicht mit homöopathischen Investitionen. Im Ergebnis haben wir seit Jahren die klassische Henne-Ei-Debatte: Kommen die Kunden erst, wenn richtig investiert wird? Oder investiert man lieber erst, wenn die Kunden kommen? Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 3 Unsere Antwort sieht so aus: Daimler investiert aktuell drei Milliarden Euro in die weitere Optimierung des Verbrennungsmotors. Mehr als 10 Milliarden fließen in den nächsten Jahren in den Ausbau unserer Elektroflotte. Bis 2025 bringen wir damit 10 neue Elektroautos in Serie. Und der Anteil an Investitionen in Zukunftstechnologien wird bei Daimler insgesamt weiter steigen. Wir stecken allein in die Batterie-Produktion für Elektroautos eine Milliarde Euro. Vor drei Wochen war der Spatenstich für unser zweites Batteriewerk in Sachsen. Ein Deutschland ohne starke Automobilindustrie mag dennoch für manche eine Wunschvorstellung sein. Damit muss ich leben. Aber diese Skeptiker müssen damit leben, dass die Autoindustrie der mit Abstand bedeutendste Industriezweig Deutschlands ist. Und es ist gut, wenn das so bleibt. Denn so entstehen die Gewinne und die Ideen, um die automobile Energiewende zu stemmen. Allein in unserem Entwicklungsbereich bei Daimler arbeiten mehr als 15.000 Kolleginnen und Kollegen. Ich habe großes Vertrauen in deren Fähigkeiten. Insgesamt bietet unsere Branche fast 800.000 Menschen in Deutschland gute Arbeit und leistet damit einen Beitrag zu Integration und sozialem Frieden. Gerade die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigen: Wer Hand in Hand arbeitet, kann auch Tür an Tür leben. Dabei hat unsere Branche längst verstanden: Das größte Risiko für Arbeitsplätze wäre ein Festhalten am Status Quo. Das etablierte Mobilitätssystem in Frage zu stellen, war schließlich unser Startpunkt bei der Erfindung des Automobils vor 130 Jahren. Diese Einstellung ist heute stärker denn je. Und damit wird sich die Automobilindustrie bis 2030 mehr verändern als wir uns das hier alle im Jahr 2016 vorstellen können. Das ist mein nächster Punkt: Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel, der weit über neue Motoren hinausgeht. Wer glaubt, Mobilität werde dadurch nachhaltig, dass wir eine Antriebsform zu einem Stichtag X verbieten, der springt entschieden zu kurz. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 4 Heute kann doch niemand mit Gewissheit sagen, wann Elektroautos inklusive Plug-in Hybride bei den Neuwagen die absolute Mehrheit haben werden. Einige Studien erwarten das für 2025 – andere erst für 2040. Aber das ist nebensächlich. Anstatt lange zu diskutieren, wann genau wir ankommen, geht es eher darum, beim Tempo zuzulegen. Und mein Punkt ist: Unterwegs sollten wir alle verfügbaren Mittel zur schnelleren Dekarbonisierung nutzen. Dafür ist die Elektrifizierung des Antriebs der zentrale Hebel. Aber bis der in der Breite wirkt, können wir noch mehr tun. Zumal wir wissen: Auch gegenüber Elektroautos gibt es berechtigte Kritik. Von der Herstellung der Batterien bis zur Frage mancher NGOs: Wie grün ist ein E-Auto wirklich, so lange der Strom auch aus Kohle gewonnen wird? Schon deshalb sind Verbrenner in der Übergangszeit ein Teil der Lösung. Insbesondere moderne Diesel – denn die stoßen deutlich weniger CO2 aus als aktuelle Benziner. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, was Herr Resch von der Deutschen Umwelthilfe vorhin zum Thema Stickoxid gesagt hat. Ich will nur hinzufügen, was seine eigene Organisation gemessen hat: Der Mercedes E220 Diesel unterbietet auch im realen Betrieb den Euro 6Grenzwert für Stickoxid und damit zukünftige RDE-Vorgaben. Dieses Auto ist heute verfügbar – genau wie die acht Plug-in Hybride, die wir bei Mercedes aktuell im Angebot haben. Auch die leisten ihren Beitrag schon jetzt. Ein weiterer Stellhebel sind eFuels – also synthetische, klimaneutrale Kraftstoffe. Sie könnten helfen, den heutigen Fahrzeug-Bestand sogar nachträglich sauberer zu machen – lange bevor eine global flächendeckende Ladeinfrastruktur realistisch ist. Schließlich sind weltweit mehr als 1,2 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs. Und nicht nur in Ländern wie Indien wird das noch viele Jahre so bleiben. Wer also nur die deutsche Brille aufhat, sieht nicht das ganze Bild. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 5 Und auch jenseits des Antriebs gibt es wirksame Mittel, um Emissionen weiter zu reduzieren – allen voran Autonomes Fahren, Shared Mobility und vor allem digitale Vernetzung. Jeder einzelne Baustein hat das Potenzial, unsere Industrie auf den Kopf zu stellen. Die Kunst besteht aber darin, sie zu verknüpfen. Das Modewort dafür, mit dem derzeit jeder Unternehmensberater in der Autoindustrie hausieren geht, heißt: Mobility Ecosystem – oder in schlichtem Deutsch: „Ökosystem“. Ein Beispiel: Das stationsunabhängige Teilen von Autos ist heute schon in vielen Städten selbstverständlich. Mit car2go sind wir dabei seit 2009 Vorreiter. Heute sind zwei Millionen Kunden damit unterwegs – etliche elektrisch. In den letzten drei Jahren wurden mit unserer car2go-Flotte über 35 Millionen lokal emissionsfreie Kilometer zurückgelegt. Auch die oft geforderte Verknüpfung der Verkehrsträger nimmt dank Digitalisierung längst Fahrt auf: Alle zwei Sekunden wird über unsere App moovel ein ÖPNV-Ticket gekauft. Das ist gut – nicht nur, weil Daimler der weltgrößte Bushersteller ist. Neben dem selbstfahrenden Bus wird auch das selbstfahrende Auto kommen: Es wird nicht nur emissionsfrei unterwegs sein, sondern viele neue Möglichkeiten bieten – über Sicherheit und Komfort hinaus: Wenn Autos wirklich bedarfsgerecht angefordert werden, kann das beispielsweise dazu beitragen, den Verkehr in Städten erheblich zu reduzieren. Und die Digitalisierung verändert auch den Güterverkehr: 2.000 Tonnen Kies lassen sich weiterhin am besten mit dem Güterzug transportieren, keine Frage. Aber wenn die Deutschen vor Weihnachten täglich zehn Millionen Pakete im Internet bestellen, können die nicht per Bahn bis zur Haustür geliefert werden. Deshalb entwickeln wir intelligente Logistikkonzepte mit elektrischen Transportern und einer vernetzten Lieferkette. Dabei könnten zum Beispiel auch Lieferdrohnen zum Einsatz kommen. Meine Damen und Herren, der springende Punkt ist: von Carsharing über Mobility-Apps bis zum autonomen Fahren – was heute möglich ist, hatte vor 14 Jahren kaum jemand auf dem Schirm. Genau deshalb bin ich zuversichtlich, was die Innovationskraft unserer Ingenieure betrifft. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 6 Ich bin überzeugt, wir kommen weiter, wenn sich die Politik auf die Vorgabe realistischer und verbindlicher Ziele beschränkt und den Weg zu ihrer Erreichung der Wissenschaft, den Unternehmen und vor allem den Kunden überlässt. Und damit sind wir beim dritten Punkt: Faszination. Das war ein Erfolgsrezept des Verbrenners. Und die Faszination für neue Technologien können wir auch nutzen, um ihn abzulösen. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten E-Autos zum Beispiel in den USA einen Marktanteil von fast 40 Prozent. Bereits 1930 war das E-Auto aber nur noch eine Randerscheinung und mehr als 250 unabhängige und innovative Autohersteller waren wieder von der Bildfläche verschwunden. Warum? Weil der Verbrenner für die Menschen praktischer, leistungsfähiger und billiger war. Und ich bin überzeugt: Wenn die automobile Energiewende ein Erfolg werden soll, dann nicht, indem wir Verbrenner politisch schlechter stellen, sondern den Elektroantrieb attraktiver machen. Dreh- und Angelpunkt dieser Überzeugung sind die Kundinnen und Kunden. Die sind für Unternehmen, was Wählerinnen und Wähler für Parteien sind. Sie können zwischen Alternativen „wählen“. Wer sie für sich gewinnen will, der muss sie überzeugen, besser noch: begeistern – mit einem wettbewerbsfähigen Angebot. Und mir bricht kein Zacken aus der Krone, wenn ich sage: Hier hat Elon Musk sicherlich Pionierarbeit geleistet. Er hat die Wahrnehmung des Elektroautos verändert: weg vom Verzichtmobil, hin zum begehrenswerten Produkt. Nur für’s Protokoll: Daimler hat sich schon vor Jahren mit einer Anschubfinanzierung bei Tesla engagiert. Und vom Know-how Transfer haben beide Unternehmen profitiert. Denn eines hat sich mit den neuen technischen Möglichkeiten nochmal verstärkt: Autobau ist wie Zehnkampf. Wer auf Dauer vorne sein will, der muss viele Disziplinen beherrschen. Markantes Design und wettbewerbsfähige Reichweite sind bei E-Autos entscheidend. Aber genauso sind es Qualität, Sicherheit, Service, Vernetzung –und auch Verfügbarkeit durch ein globales Produktionsnetzwerk. Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 7 In einigen dieser Disziplinen sind wir seit Jahrzehnten stark. Das können wir auf Basis unserer heutigen Finanzkraft weiter ausbauen. In anderen Disziplinen lernen wir – wie jeder Hersteller – ständig dazu. Dafür braucht es Innovationskraft, Neugier und den Willen zur Veränderung. Und auch das bringen wir mit. Deshalb: Daimler setzt auf Elektroautos, die Kunden aus eigenem Antrieb kaufen wollen – und nicht kaufen sollen. Und wir stellen uns dieser Aufgabe mit Begeisterung – weil auch wir begeisternde E-Autos bauen wollen. Nicht weil wir sollen. Nun fragt sich der eine oder andere vielleicht: Schön und gut, aber warum erst jetzt? Faire Frage. Klare Antwort: Jetzt ist technisch der Stand erreicht, um Elektroautos zu entwickeln, die dem Verbrenner in puncto Reichweite kaum noch unterlegen und in puncto Fahrspaß sogar überlegen sind. Jetzt hat die Zelltechnologie einen Stand erreicht, den Experten vor wenigen Jahren für physikalisch unmöglich gehalten haben. Jetzt bewegt sich etwas beim Thema Infrastruktur und damit kommt auch endlich Bewegung in den Markt. Jetzt ist die Zeit von fundamentalen Umbrüchen und damit auch von riesigen Chancen. Und als Ingenieur kann ich mir keine spannendere Aufgabe vorstellen, als diese Möglichkeiten in wirklich faszinierende Fahrzeuge zu übersetzen. Meine Damen und Herren, eine Chance, die sich aus diesem Umbruch ergibt, hat nichts mit Technik zu tun – aber sie ist von genauso großer Bedeutung: Das alte Lagerdenken zwischen vermeintlich fortschrittsfeindlichen PS-Fetischisten auf der einen Seite und freudlosen Anti-AutoÖkos auf der anderen wird von der Realität überholt. Das ist gut so, denn die Transformation, vor der die Autobranche steht, betrifft unser ganzes Land. Da kann sich niemand wegducken und mit dem Finger auf andere zeigen. Weil dem so ist, meine ich, dass wir nicht nur der Umwelt einen besseren Dienst erweisen, wenn wir alte Feindbilder hinter uns lassen und miteinander statt gegeneinander arbeiten. Für einen tragfähigen Mobilitätskonsens müssen beide Seiten liefern. Auch jenseits der Verkehrspolitik brauchen wir gerade heute mehr denn je alle fortschrittlichen Kräfte, die nicht dem populistischen Irrtum unterliegen, man könne das Rad der Zeit zurückdrehen. Dementsprechend setze ich vor Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 8 allem auf einen Satz aus Ihrem Antrag: „Wir Grüne wollen, dass Deutschland vorangeht“. Über den Weg können wir gern weiter diskutieren. Vielen Dank. *** Daimler Communications, 70546 Stuttgart, Germany Seite 9
© Copyright 2024 ExpyDoc