Energy Harvesting für Embedded Systeme

Energy Harvesting für Embedded Systeme
Juan-Mario Gruber, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW
Der Begriff Energy Harvesting bezeichnet Verfahren,
die Energie aus der Umgebung sammeln und in elektrische Energie umwandeln. Im Zusammenspiel mit
energiesparender Mikroelektronik können damit Embedded Systeme energieautark betrieben werden. Solche Systeme erreichen eine hohe Standzeit und arbeiten wartungsfrei.
Eine Herausforderung für Energy Harvesting besteht
darin, auf möglichst kleiner Fläche bzw. mit kleinem
Volumen eine möglichst grosse elektrische Energiemenge zu sammeln. Die Leistungsdichte (gemessen in
Leistung pro Volumen oder Fläche) ist ein wichtiger
Faktor für die Effizienz eines Energy Harvesters.
Je nach Einsatzort und Applikation können unterschiedliche Energiequellen genutzt werden. Heute
existierende Anwendungen nutzen vor allem Licht,
Temperaturdifferenzen oder kinetische Energie. Es
existieren weitere Verfahren, die noch in der Erforschung sind. Ein hohes Potential besitzen z.B. BioBrennstoffzellen oder RF-Harvesting.
Kinetische Energie
Mechanische Harvester existieren in unterschiedlichen
Bauformen. Man unterscheidet sie nach dem Wandlungsprinzip. Für praktische Anwendungen spielen im
Wesentlichen piezoelektrische (Abbildung 1) und induktive Wandler eine Rolle.
Abbildung 1: Piezoelektrischer Schwinger im Betrieb
Je nach Anwendung werden die Harvester als Schwinger in Resonanz oder (quasi-)statisch im nicht-resonanten Bereich betrieben. Nahezu alle mechanischen Anwendungen verfügen über vibrierende Bauteile. Der
Harvester wird direkt am vibrierenden Bauteil befestigt
und nutzt die Vibrationen zur Erzeugung elektrischer
Energie. Dabei sind Leistungsdichten im Bereich von
mehreren 100 W/cm³ möglich [1, 2].
Das System sammelt die benötigte Energie mit einem
induktiven Harvester direkt aus den Schwingungen des
Antriebs. Es sendet Messdaten mittels Funk an eine
Auswerteeinheit und arbeitet komplett ohne Kabel.
Für den Demonstrator wurde als Funkprotokoll Bluetooth Low Energy (BLE) implementiert, so dass die Daten von einem handelsüblichen Smartphone empfangen werden können.
Nachteilig ist, dass die meisten Harvester auf die Frequenz der Anregung abgestimmt werden müssen. Der
Resonanzbetrieb beschränkt sich damit auf Applikationen, die mit einer konstanten Frequenz schwingen. Sobald der Resonanzbereich verlassen wird, bricht die abgegebene Leistung ein. Für Anwendungen, in denen
sich die Frequenz der Schwingungen ändert, arbeitet
die Forschung an Lösungsansätzen zur Nutzung eines
breiteren Frequenzspektrums. Multimodale Harvester
besitzen mehrere Resonanzfrequenzen. Vielversprechend sind Ansätze, die eine eigenständige Frequenzanpassung durchführen, indem die Steifigkeit
des Schwingers mechanisch, magnetisch oder piezoelektrisch beeinflusst wird [3 - 5].
In vielen Umgebungen existieren keine Schwingungen, sondern nur unregelmässig auftretende Bewegungen. Ein besonders interessantes Gebiet sind
die sogenannten Wearables. Das sind energieautarke Systeme, die wie Schmuck- oder Kleidungsstücke getragen werden und Körperbewegungen
zur Energiegewinnung nutzen. Ein weithin bekanntes Beispiel ist die Automatikuhr. Die geernteten
Energiemengen sind jedoch gering im Vergleich zu
resonanzbetriebenen Schwingern. Die am menschlichen Körper erreichbaren Leistungsdichten durch
kinetisches Energy Harvesting liegen in Grössenordnungen von 5 W/cm³ [6].
Anwendungen in Resonanz finden sich häufig im Bereich der Antriebstechnik im industriellen Umfeld oder
im mobilen Bereich. Abbildung 2 zeigt einen an der
ZHAW erstellten Demonstrator zur Überwachung von
Produktionsmaschinen.
Abbildung 2: Monitoring-System mit Energy Harvesting
für industrielle Antriebe
Lichtenergie
Solarzellen sind bei Tag im Freien ein sehr effektiver
Energiewandler. Im Innenbereich sind sie aufgrund
der beschränkten Beleuchtungsstärke und -dauer
nicht uneingeschränkt einsetzbar. Künstliche Beleuchtung bildet nur einen Teil des Frequenzspektrums des Sonnenlichts ab. Licht im Innenbereich ist
nicht permanent verfügbar. Liegt die erreichbare
Leistungsdichte photovoltaischer Generatoren im
Sonnenlicht bei 10 mW/cm², so können im Innenbereich etwa 10 W/cm² erreicht werden [7]. Indoor-Solarzellen sind für Anwendungen unter diesen Voraussetzungen optimiert. Sie eignen sich zur
Speisung von Sensoren oder Bedienterminals (Abbildung 3). In Verbindung mit energiesparenden
Displaytechnologien wie E-Ink werden autarke Displays z.B. als Preisschilder im Supermarkt möglich.
Das System sammelt Energie bereits ab einer Temperaturdifferenz von 1.5°C am TEG. Bei einer Temperaturdifferenz von 6°C reicht die innerhalb einer Stunde
gesammelte Energie aus, um das Ventil dreimal komplett zu öffnen oder zu schliessen.
Abbildung 3: Sensor mit Indoor-Solarzelle
Thermische Energie
Thermoelektrische Generatoren (TEG) sind interessant für Anwendungen, in denen Temperaturdifferenzen vorkommen, z. Bsp. Industrieanlagen mit
hoher Abwärme sowie im Bereich der Wärmeerzeugung oder –verteilung und der Klimatechnik. TEG
nutzen den Seebeck-Effekt. Die abgegebene elektrische Energiemenge ist abhängig von der Temperaturdifferenz über dem TEG. Neuere Entwicklungen miniaturisieren die Technologie und arbeiten
bereits bei wenigen °C Temperaturdifferenz [8, 9].
Es können Leistungsdichten bis zu einigen 100
W/cm³ erreicht werden. Voraussetzung ist eine
möglichst optimale thermische Anbindung des Harvesters an die Temperaturquelle und -senke. Eine
Herausforderung für die Spannungsaufbereitung ist
die niedrige Ausgansspannung von wenigen 100 mV
bei einem meist hohen Innenwiderstand.
Abbildung 4 zeigt den an der ZHAW entwickelten Prototyp eines vollständig autarken Heizkörperventils. Es
verwendet einen TEG und einen speziell für die Applikation entwickelten Booster für das Energy Harvesting.
Abbildung 4: Autarkes Heizkörperventil
Entwicklung von Embedded Systemen mit Energy Harvesting
In den meisten Umgebungen existieren mehrere
Energiequellen, die für Energy Harvesting genutzt
werden können. So finden sich meist mechanische
Energie in Form von Vibrationen, Temperaturdifferenzen und Licht in direkter Nachbarschaft. Die
Nutzung von Energy Harvesting bedeutet daher
auch immer, die Energieerzeugung und die Applikation aufeinander abzustimmen. Für die Entwicklung
von autarken Systemen ist ein ganzheitlicher Systemansatz notwendig, der die drei Aspekte Energy
Harvesting, Energiemanagement und Energienutzung durch die Applikation gleichermassen berücksichtigt (Abbildung 5). Ausgehend von der Applikation wird das System selbst, vor allem aber auch die
Applikation und Funktionalität von Beginn an auf
Autarkie ausgelegt.
Abbildung 5: Auslegung und Entwicklung autarker Systeme
Energy Harvesting hat heute ein Leistungspotential
erreicht, das es zur Alternative gegenüber Batterien
macht. Der wartungsfreie Betrieb über Jahre, die
Langzeitverfügbarkeit und das einfache Handling für
den Nutzer machen die Technologie für viele Anwendungen interessant. Die Mehrkosten für Energy Harvesting gegenüber einer batteriebetriebenen Lösung
amortisieren sich häufig über die Lebensdauer,
wenn neben den Entwicklungs- und Herstellkosten
auch die Betriebs- und Wartungskosten (Total Cost
of Ownership) betrachtet werden. Die aufgeführten
Beispiele zeigen, dass Energy Harvesting heute in
vielen Anwendungen eine interessante Alternative
zu konventioneller Energieversorgung ist.
Weiterführende Informationen finden sich unter
https://www.zhaw.ch/de/engineering/institute-zentren/ines/autarke-systeme/.
Referenzen
[1] Mitcheson D, Yeatman EM, Rao GK, Holmes AS, Green TC. Energy Harvesting From Human and Machine Motion
for Wireless Electronic Devices. Proceedings of the IEEE 2009; 96 (9): 1457-1486
[2] Vullers RJM, Van Schajk R, Doms I, Van Hoof C, Mertens R. Micropower Energy Harvesting. Solid-State Electronics
2009; 53: 684-693
[3] Jo SE, Kim MS, Kim YJ. Passive-self-tunable vibrational energy harvester. Peking: Transducers ’; 2011
[4] Mukherjee AG, Mitcheson PD, Wright SW, Yeatman EM, Zhu D, Beeby SP. Magnetic Potential Well Tuning of Resonant Cantilever Energy Harvester. Atlanta: Powermems; 2012
[5] Peters C, Maurath D, Schock W, Mezger F, Manoli Y. A closed-loop wide-range tunable mechanical resonator for
energy harvesting systems. Journal of Micromechanics and Microengineering 2009; doi: 10.1088/09601317/19/9/0940042-s2.0-70350676857
[6] Gorlatova M, Sarik J, Cong M, Kymissis I, Zussman G. Movers and Shakers: Kinetic Energy Harvesting for the Internet of Things. arXiv 2013; doi: 1307.0044
[7] Matiko JW, Grabham NJ, Beeby SP, Tudor MJ. Review of the application of energy harvesting in buildings. Measurement Science and Technology 2014; 25 (1)
[8] Frick F. Thermo-Power. Bild der Wissenschaft 2012; 4
[9] Habbe B. Thermal Harvesting for Powering. Wireless Sensors. Mobile: ISA Automation Week; 2011
Impressum
Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften
www.satw.ch
November 2016
Dieser Artikel entstand für die SATW Rubrik „Im Fokus“ zum Thema Neue Energiequellen.
Gestaltung: Claudia Schärer
Bilder: Fraunhofer IIS, ZHAW