Prof. Dr. Andreas Deutsch Diplôme de droit Comparé (Paris) Universität Heidelberg Einführung in die deutsche Rechtssprache B. Entwicklung und Probleme der Rechtssprache 1. Entwicklungsstufen der Deutschen Rechtssprache ● Germanische Wurzeln „Wulfila-Bibel“ (um 370 n.Chr.) = Übersetzung der Bibel ins Germanische (genauer: Westgotische) durch Bischof Wulfila; gilt als ältester überlieferter germanischer Text und enthält zahlreiche Termini der Rechtssprache (z.B. Mord). ● „Germanische Volksrechte“ („Leges Barbarorum“) Rechtsaufzeichnungen der germanischen Völkerschaften bis ca. 800 n.Chr.; verfasst in lateinischer Sprache, aber mit einzelnen germanischen Einschüben = ältester germanisch-deutscher Wortschatz in Normtexten. Beispiel „Blutraub“: „Et si expolia de ipso mortuo tulerit, id est plodraub, conponat octugenta solidûs“, LLangob. 15 (Edictum Rothari), 643. ● Sachsenspiegel (um 1224/35) Berühmtestes Rechtsbuch des Mittelalters, verfasst von Eike von Repgow (heute: Reppichau zwischen Magdeburg und Leipzig), einem nicht-studierten Rechtspraktiker, der das Buch wohl als Privatarbeit verfasste; später wurde es im sächsisch-magdeburgischen Rechtsraum gleich einem Gesetz angewendet. Das älteste Prosawerk in deutscher Sprache enthält zahlreiche Rechtswörter, die bis heute geläufig sind. Beispiel „auslegen“: „sal die greve sin ding utlecgen buten den gebundenen dagen“, SspLR. III 61 § 1. ● Universitätsgründungen – Latein als Wissenschaftssprache Latein ist die Unterrichtssprache an den Universitäten – die Terminologie der Rechtswissenschaft mithin lateinisch; unterrichtet wird vornehmlich kanonisches Recht (=Recht der Kirche) und römisches Recht in der durch die (v.a. italienischen) Rechtswissenschaftler geprägten Form. Einige der ältesten Universitäten: Bologna, gegründet 1088 Paris, gegründet um 1150 … Prag, gegründet 1348 Wien, gegründet 1365 Heidelberg, gegründet 1386 Köln, gegründet 1388 Erfurt, gegründet 1392 Würzburg, gegr. 1402 (bestand nur kurz, Neugründung: 1582) Leipzig, gegründet 1409. ● Rezeption des römischen Rechts in Deutschland Rezeption bedeutet die (weitgehende) Übernahme eines fremden Rechts. Gegen Ende des Mittelalters (genauer: insb. zwischen ca. 1450 und 1550) erfolgte die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland. Übernommen wurde das Recht, wie es durch die mittelalterlichen Juristen v.a. Italiens gelehrt und dort auch angewendet wurde. Zahlreiche bis heute angewendete juristische lateinische Fachtermini stammen aus dieser Zeit. Der sich ausbreitende Buchdruck ermöglicht die Verbreitung einer neuen Generation von Rechtsbüchern, die das römische Recht in deutscher Sprache vermitteln. Da die Masse der Rechtspraktiker um 1500 keine Universität besucht, sind diese Werke für die Ausbildung der Praktiker sehr wichtig. Sie fassen die römischen Rechtsinhalte in deutscher Sprache zusammen und (er)finden hierfür zahlreiche neue deutsche Rechtswörter (oft Lehnübersetzungen), die zum Teil bis heute geläufig sind. Die bedeutendsten dieser Rechtsbücher der Rezeptionszeit sind: ● Klagspiegel (verfasst bereits um 1436 von Conrad Heyden) ● Laienspiegel (verfasst von Ulrich Tengler, Erstdruck 1509). Beide Werke wurden (wie viele andere dieser Epoche) über Jahrzehnte hinweg immer wieder gedruckt. ● Deutsch als Wissenschaftssprache – auch des Rechts Erst im 17. Jahrhundert beginnt das Deutsche als Wissenschaftssprache relevant zu werden. Ab 1687 hielt der berühmte Rechtsprofessor Christian Thomasius Vorlesungen auf Deutsch ab. 1700 forderte der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz die Erarbeitung eines „Deutschen Rechtswörterbuchs“ zum historischen deutschsprachigen Rechtswortschatz. Christian von Wolff präsentiert 1754 seine „Grundsätze des Natur- und Völckerrechts – auf Verlangen ins Teutsche übersetzt“, ein Werk, das zahlreiche sogenannter „Kunstwörter“ vorstellt, also (zum Teil neu erfundene, zum Teil neu geprägte) deutsche Fachwörter, die an die Stelle der lateinischen Terminologie treten sollen. Beispiele: Unterlassungstat – statt factum omissionis Vergeltungsschenkung – statt donatio remuneratoria Versprechungsannehmer – statt promissarius Wiederzueignung – statt vindicatio Zueignung – statt occupatio Zurechnung – statt imputatio. ● Naturrechtskodifikationen Stichworte: Naturrecht und aufgeklärter Absolutismus Idee der Kodifikation zur abschließenden Regelung wenigstens eines Rechtsgebiets Konzept der Allgemeinverständlichkeit und Allgemeingültigkeit der Gesetze. Mit den großen Kodifikationen der Naturrechtsepoche kommt es zu einer weiteren Präzisierung der Terminologie, die bis in die modernen Gesetze nachwirkt. ► Vorläufer: Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756). ► Preußisches Allgemeines Landrecht (1794); versucht in 20.000 Paragrafen neben Zivil- und Strafrecht auch weitere Materien abschließend zu regeln. ► Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich, 1811 – Vorversion ist schon zuvor in Kraft); äußerst klar und knapp formuliert – und in weiten Teilen bis heute geltendes Recht. ► Napoleons Kodifikationen (am wichtigsten: der Code Civil von 1804) werden ins Deutsche übertragen und gelten zum Teil auch in nachnapoleonischer Zeit u.a. in den linksrheinischen Gebieten Deutschlands fort. ● Kodifikationswelle im Kaiserreich Nach Gründung des Wilhelminischen Kaiserreichs kommt es zu einer großen Kodifikationswelle. Sie prägt die deutsche Gesetzeslandschaft bis heute. Die – u.a. von der damals einflussreichen sog. Pandektenwissenschaft ausgeformte – Rechtsterminologie des 19. Jahrhunderts bildet daher den Kernbestand der heutigen Gesetzessprache. Kodifikationswelle nach der Gründung des Kaiserreichs 1871: 1872 Reichsstrafgesetzbuch 1879 Reichsjustizgesetze: Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozessordnung, Strafprozessordnung, Konkursordnung, Rechtsanwaltsordnung, Gerichtskostengesetz samt Einführungsgesetzen. 1900 Bürgerliches Gesetzbuch, Handelsgesetzbuch. Das BGB ist wegen seiner hohen Abstraktion zeitlos und ließ sich in zahlreiche Länder „exportieren“. Es ist jedoch wegen der Abstraktheit auch schwer verständlich. Dass es weitgehend ohne Fremdwörter auskommt, ist der Kritik am ersten Entwurf zu verdanken (insb. den einflussreichen Schriften von Otto von Gierke, der vergeblich auch mehr Volksnähe der Sprache gefordert hatte). ● Europa als rechtssprachliche Herausforderung Zu den derzeit 24 Amtssprachen der Europäischen Union kommen noch 7 Amtssprachen in EU-Mitgliedsstaaten/ Halbamtliche Sprachen der EU. Eine Einheitlichkeit und (unbestreitbare) inhaltliche Übereinstimmung der Übersetzungen erscheint vor diesem Hintergrund fast nicht mehr möglich. 2. Uneinheitlichkeit der modernen Rechtsterminologie Bei der Kodifikationswelle 1872 ff. war der Gesetzgeber um eine Einheitlichkeit der Rechtsterminologie über die Grenzen einzelner Gesetze und Materien hinaus bemüht. Inzwischen haben sich die Rechtsmaterien spezialisiert und auseinander entwickelt. Der moderne Gesetzgeber hat die sprachliche Einheit nicht mehr im Fokus. Problemstellung ● Einerseits: Möglichst hohe Einheitlichkeit der Terminologie im gesamten Rechtssystem, z.B. Notwehr, Sache: Beispiel: Sache § 303 StGB Sachbeschädigung (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. (3) Der Versuch ist strafbar. § 90 BGB Begriff der Sache Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände. Die Einfügung des § 90a BGB durch das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht“ (TierVerbG) von 1990 führte dazu, dass Tiere im Bürgerlichen Recht zwar noch faktisch, nicht aber mehr rein formell unter den Sachbegriff fallen – in Abweichung von der bis dahin in den Rechtsgebieten einheitlichen Bestimmung des Sachgriffs: § 90a BGB Tiere Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. ● Andererseits: Die Spezialisierung der einzelnen Rechtsmaterien führt im Laufe der Zeit zu eigenständiger Terminologie. Die Bedeutung einzelner Termini technici weicht daher oft nicht nur von derjenigen in der Allgemeinsprache erheblich ab, sondern auch von derjenigen in der Fachsprache anderer Rechtsmaterien, z.B. Störer/Störung, Urkunde: Beispiel: Urkunde § 126 BGB Schriftform (1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. § 131 ZPO Beifügung von Urkunden (1) Dem vorbereitenden Schriftsatz sind die in den Händen der Partei befindlichen Urkunden, auf die in dem Schriftsatz Bezug genommen wird, in Urschrift oder in Abschrift beizufügen. (2) Kommen nur einzelne Teile einer Urkunde in Betracht, so genügt die Beifügung eines Auszugs, der den Eingang, die zur Sache gehörende Stelle, den Schluss, das Datum und die Unterschrift enthält. (3) Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder von bedeutendem Umfang, so genügt ihre genaue Bezeichnung mit dem Erbieten, Einsicht zu gewähren. § 267 StGB Urkundenfälschung (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Vgl. hierzu die strafrechtliche Definition der Urkunde: „Eine Urkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt.“ § 26 AGG Rechtsstellung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle (1) Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernennt auf Vorschlag der Bundesregierung eine Person zur Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie steht nach Maßgabe dieses Gesetzes in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund. Sie ist in Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. (2) Das Amtsverhältnis beginnt mit der Aushändigung der Urkunde über die Ernennung durch die Bundesministerin oder den Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Abgrenzung der einzelnen juristischen Materien („Fächer“) a. Öffentliches Recht (kurz: „Ö-Recht“) Theorien zur Abgrenzung ● Interessentheorie ● Subordinationstheorie ● Zuordnungstheorie (auch Sonderrechtstheorie) Teilfächer des Öffentlichen Rechts b. Privatrecht (Zivilrecht im weiteren Sinne) Teilfächer des Privatrechts c. Strafrecht Historische Nähe zum Privatrecht Heute: Abtrennbarkeit vom Öffentlichen Recht? Teilfächer des Strafrechts d. Zugehöriges Prozessrecht Abgrenzung des Rechtswegs Gemeinsamer Senat Große Senate zivilrechtlicher strafrechtlicher Zweig Zweig Ordentliche Gerichtsbarkeit der obersten Gerichte des Bundes SozialVerwaltungsFinanzArbeitsGerichtsbarkeit Gerichtsbarkeit Gerichtsbarkeit Gerichtsbarkeit Instanzenzug in Zivilsachen (vereinfacht) Bundesgerichtshof Revision, wenn zugelassen Sprungrevision Sprungrevision Landgericht Oberlandesgericht Berufung bei Streitwert über 600 EUR oder Zulassung Berufung, wenn zugelassen Berufung Familiensachen Amtsgericht (Verfahren mit Streitwert bis 5.000 EUR, sowie Mietsachen und Familiensachen) Landgericht (Verfahren mit Streitwert über 5.000 EUR) Vgl. hierzu insb. §§ 23, 71ff., 119 GVG, § 511 ZPO Instanzenzug in Strafsachen (vereinfacht) Bundesgerichtshof Strafsenat (5 Richter) als Revisionsinstanz Oberlandesgericht Oberlandesgericht Strafsenat als Erstinstanz (3 Richter); § 120 GVG: bei Friedens-, Hoch-, Landesverrat u.ä. Strafsenat für Revisionen (3 Richter) als Revisionsinstanz Sprungrevision Landgericht Landgericht Kleine Strafkammer (1-2 Richter, 2 Schöffen) als Berufungsinstanz Amtsgericht Strafrichter (§ 25 GVG), Straferwartung bis 2 Jahre Freiheitsstrafe Große Strafkammer (2-3 Richter, 2 Schöffen) v.a. Straferwartung über 4 Jahre (und nicht OLG) Amtsgericht Schöffengericht (1 Richter, 2 Schöffen), Straferwartung bis 4 Jahre Freiheitsstrafe Vgl. hierzu insb. §§ 74 ff., 120 ff., 135, 139 GVG, § 312 StPO Bundesgerichte
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