Abteilung: Sendereihe: Sendedatum: Produktion: Kirche und Religion Gott und die Welt 13.11.2016 07.11.2016 Redaktion: Autor/-in: Sendezeit: Anne Winter Ingrid Norbu 9.04-9.30 Uhr/kulturradio 9.15-17.00 Uhr/T9 _____________________________________________________________________________ Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt; eine Verwertung ohne Genehmigung des Autors ist nicht gestattet. Insbesondere darf das Manuskript weder ganz noch teilweise abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Eine Verbreitung im Rundfunk oder Fernsehen bedarf der Zustimmung des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg). _____________________________________________________________________________ GOTT UND DIE WELT Protestanten am Polarkreis Bei den Inuit in Grönland Sprecherin: die Autorin Sprecherin: Ulrike Bieritz Sprecher 1: Markus Hoffmann Sprecher 2: Ulrich Blöcher 2 1. Musik: "Nanook" aus Grönland (1)/ 1. Atmo: Vor der Erlöserkirche in Godthaab Autorin Sonntagmorgen in Grönlands Hauptstadt Nuuk. Sieben junge Inuit sollen in der Erlöserkirche konfirmiert werden. Für diesen Festtag tragen alle Kirchenbesucher ihre grönländischen Trachten: Die Frauen ein rotes Oberteil mit buntem Perlenumhang, kurze Hosen aus Robbenfell und weiße Stiefel mit Spitzen und Stickereien, die bis übers Knie reichen. Die langen schwarzen Haare haben sie hochgesteckt. Die Männer führen ihre wasserdichten weißen Anoraks aus Walrossdarm aus, dazu tragen sie Hosen aus schwarzem Stoff. Atmo hoch, unter Titel kreuzblenden mit 2. Atmo: Glocken Titelsprecherin: Protestanten am Polarkreis - Bei den Inuit in Grönland Eine Sendung von Ingrid Norbu 2. Atmo: Glocken läuten Autorin Ein junger Inuit-Pfarrer steht vor der Tür der Erlöser-Kirche und begrüßt jeden mit Handschlag. Zur Evangelisch - Lutherischen Volkskirche gehören nahezu alle Grönländer. In den Gottesdienst finden meist nur wenige. Es sei denn, ein Familienfest steht an - oder ein Geistlicher wendet sich ihren Problemen zu. Ob die Grönländer das frömmste Volk der Welt sind, wie es oft heißt, daran hat Kirchenbesucher Aqqaluq Lynge seine Zweifel. 1. O-Ton: Aqqaluq (I am also member of the Greenlandic church ...) Sprecher 1 Ich bin Mitglied der Grönländischen Kirche, aber niemand zwingt mich in den Gottesdienst. Allerdings möchte ich, dass meine Familienmitglieder auch alle kirchlich beerdigt werden. Wir singen dann unsere Lieder und trauern zusammen. Und auch unsere Kinder sollen hier getauft werden. Danach nutzen wir die Gelegenheit, ein richtig großes Fest zu feiern. Ich glaube nicht, dass sich bei den meisten alles um Gott dreht, aber es ist unsere Kirche. Sie ist Teil unseres täglichen Lebens, ohne dass wir 3 ständig zu allem Amen sagen. Wichtig ist die Kultur, die unsere Lutherische Kirche umgibt. (... that is surrounding our Lutheran church here.) 3. Atmo: Gottesdienst beginnt mit Orgel, Gesang Autorin Die Kirche ganz aus Holz wird von flackernden Kerzen erleuchtet. Sie wurde 1849 geweiht und ist heute die Domkirche der etwa 57 000 Grönländer. Davon leben rund 17.300 in der Hauptstadt Nuuk, alle anderen wohnen oft Hunderte Kilometer entfernt. 3. Atmo geht über in 4. Atmo: am Fjord Autorin Auf einem Felsen neben dem Gotteshaus steht die riesige Skulptur des dänischnorwegischen Missionars Hans Egede, der 1728 diese dänische Kolonie gründete. Er nannte sie "Godthoob", Gute Hoffnung. Sein steinernes Ebenbild trägt Halskrause und einen Hirtenstab in der rechten Hand. Mit der linken presst er eine Bibel an die Brust. Bis zu seiner Ankunft waren die Inuit Animisten – sie glaubten an die Beseeltheit der Natur. Der evangelische Pfarrer war mit seiner Familie nach Grönland gekommen, um sie davon abzubringen und zum Christentum zu bekehren. Sehr einfühlsam ging er dabei nicht vor. Besonders seine Methoden, den Schamanen Grönlands, ob Mann oder Frau, die alten Rituale auszutreiben, waren harsch. Zitator/Sprecher 2 ( S. 87) Nachdem schließlich die ganze Zeremonie zu Ende war, fragte ich sie, was das alles war und was das überhaupt bedeuten sollte. Sie antwortete, dass eine solche Zeremonie der Heilung der Kranken diene. Ich bestrafte sie deshalb und belehrte sie so gut es ging, wie schlecht und völlig nutzlos solche Faxen seien. Autorin Wie so eine Strafe aussah, erwähnt Hans Egede in seinem Grönland-Buch: "Heiden im Eis": Zitator/Sprecher 2 (S.149) Selbigem (Hexenmeister), den ich oft sah, (...) hatte ich gedroht und ihn ermahnt, dass er jetzt auf keinen Fall mehr sein übliches Affenspiel ausüben dürfe. Nichtsdestotrotz hat er kürzlich doch vor einigen gehext. Weshalb ich ihn, da er das nicht leugnete, ordentlich verprügelte. 4 Autorin Der Inuitpolitiker und Dichter Aqqaluq Lynge, 70 Jahre alt, blickt lieber auf die Vorteile, die die Mission Egedes für die Inuit in Grönland brachte. 2. O-Ton: Aqqaluq (When Europeans talk about the history 300 y ago ...) Sprecher 1 Wenn Europäer heute über die Zeit vor 300 Jahren sprechen, sollten sie daran denken, wie es damals in Deutschland oder Dänemark zuging, nämlich ganz anders als heute. (...) Bei uns gibt es im Vergleich zu anderen indigenen Völkern rund um die Welt eine Besonderheit: Wir bekamen Unterricht und in der Mitte des 18. Jahrhunderts konnten wir Grönländer unsere eigene Sprache in lateinischer Schrift lesen und schreiben. (...everyone could read, everyone could write.) 5. Atmo: Pfarrer singt Grönländisch Autorin Bis heute wird im Gottesdienst grönländisch gesungen und die meisten wachsen mit ihrer Muttersprache auf – aus der wir die Wörter „Anorak“ und „Kajak“ übernommen haben. Auch die Bibel gibt es in der Sprache der Inuit. Das verdanken sie den Herrnhuter- Missionaren, die ab 1733 mit der Erlaubnis des dänischen Königs nach Grönland kamen. Die deutschen Herrnhuter blieben bis zum Jahr 1900 im Land und gelten als eigentliche Begründer eines gelehrten Christentums auf der Insel. Der Skandinavier Egede empfand sie als Konkurrenz. Durch seine Mission waren die Grönländer über die Jahrhunderte hinweg mehr oder weniger stark an Dänemark gebunden. Erst seit 2009 können sie sich mit einigen Einschränkungen selbst regieren. Neben der Erlöserkirche ist der Amtssitz der Bischöfin von Grönland, Sophie Peterson. Sie ist Mitte 50 und seit 20 Jahren im Amt. Ende der 1980er Jahre war sie die zweite Frau in Grönland, die als Pfarrerin geweiht wurde. Nun steht sie einer Landeskirche vor, deren Mitglieder auf ein riesiges Gebiet verstreut leben: 3. O-Ton: Bischöfin Sophie (When you have snow storms, its very windy...) Sprecherin Wenn es Schneestürme gibt und sehr windig ist, dann muss ich bei Besuchen viele Tage an einem Ort ausharren. Das ist nicht einfach und manchmal träume ich davon, 5 wie ein Bischof in Europa meine Sachen ins Auto zu bringen, loszufahren und eine Nacht im Hotel zu verbringen, oder nach Hause zu fahren. (... or can back home.) Autorin: Der Blick von ihrer Residenz, die früher das Lehrerseminar war, reicht über den Nuukfjord bis ans offene Meer. 4. O-Ton: Bischöfin Sophie (I think its very common in countries nearby...) Sprecherin Ich denke, es ist ganz häufig so, dass wir Menschen in Ländern nahe des Ozeans an etwas glauben wollen, das uns beschützt. Wenn ein Fischer oder Jäger draußen unterwegs ist, wird er nicht sagen, dass er gläubig ist. Natürlich sagen die Pfarrer den Kindern, dass Gott gut auf sie aufpasst. So ist es Tradition und mit einem Glauben fühlt man sich eben auch sicherer. (.. but its also safe with their faith.) 2. Musik von Nanook: Anfang, geht über in: 6. Atmo: am Wasser Autorin Nicht weit von der Erlöserkirche, unten im flachen Fjordwasser, ragt eine schwarze Granitskulptur aus den Wellen: Sedna, die Herrin der Seetiere. Eine nackte Frau mit großen Brüsten, umgeben von einem Walross, Robben und Fischen. Ein junger Mann, ein Schamane, steht vor ihr, um ihr die langen Haare zu kämmen. Nur wenn die sauber und glatt sind, versorgt die Meeresgöttin die Menschen mit Nahrung, so erzählt es ein alter Inuitmythos. Es scheint so, als lebten viele Grönländer zwischen ihrem alten Glauben an gute und böse Kräfte in der Natur, und dem christlichen Luthertum, bis heute. 5. O-Ton: Bo Albrechtsen (There were many sprits in the mountains, in the...) Sprecher 2 Es gab viele Geister, ob in den Bergen, dem Meer oder dem Himmel. Jedes Naturphänomen wie das Nordlicht, Stürme oder Steinmuren war beseelt. Die Herrin der Winde und die der Seetiere hatten sogar Namen. Wirklich in allem, in Steinen oder Eisbergen wohnten Geister, deren Wohlwollen man sich auf besondere Weise erhalten musste. (... to those spirits and tread them in special ways.) 6 Autorin Bo Albrechtsen ist in Dänemark geboren, aber schon als Kind begeisterte er sich für Grönland. Er studierte Eskimologie und ist heute der stellvertretende Leiter des Nationalmuseum in Nuuk. 6. O-Ton: Albrechtsen (This question who could harm us in that way ...) Sprecher 2 Wer könnte uns derart schaden wollen – diese Frage und die Antwort darauf sind Teil der ursprünglichen Religion: Es muss ein seltsames Wesen in den Bergen leben, das wir beleidigt haben und nun rächt es sich. Ich denke, der Glaube diente der Erklärung von Katastrophen und Naturphänomenen. (... of catastrophes and natural phenomena.) Autorin Der Missionar Hans Egede kämpfte gegen diesen Glauben, aber er war lediglich an der Westküste unterwegs. Grönland ist sechsmal so groß wie Deutschland. Die einzelnen Siedlungen sind nicht durch Straßen verbunden, sie sind völlig auf sich gestellt. 2. Musik ab 54 sec. leise darunter Autorin Von Nuuk bis zur Ostküste ist man heute drei Stunden mit dem Flugzeug unterwegs. Nur eine Handvoll Abenteurer hat das Inlandeis, das bis zu dreieinhalb Kilometern Höhe in der Mitte Grönlands aufragt, zu Fuß überquert. Erst vor rund 100 Jahren wurden die Inuit-Siedlungen an der Ostküste von Missionaren entdeckt. Einige Traditionen wie das Trommeln haben überlebt, wenn auch nur vor Touristen. 7. Atmo: Trommeln Autorin Eisberge treiben wie Tupfen auf dem Ozean. Die vom kalten Wind hauchdünn geschliffenen Wolkenfahnen drehen sich wie feine Zuckerwatte um felsige Bergriesen. Ein alter Mann steht am Ufer des Meeres im kleinen Ort Kulusuk. Mit einer Hand hält er die flache Trommel an einem Griff fest, mit der anderen schlägt er mit einem dünnen Stock von der Rückseite gegen den Holzrahmen. Dazu singt er ein Lied über 7 den Raben und die Gans, die über den Ozean fliegen wollen. Die ungleichen Tiere können sich nicht einigen, wie sie sich gegenseitig bei diesen Unternehmen helfen können und ertrinken. 7. Atmo: Trommeln hoch Autorin Ivi nennen sich die insgesamt 3500 Bewohner, die in zwei größeren und sieben kleineren Siedlungen an der 2700 Kilometer langen Ostküste leben. Sie sprechen eine andere Sprache als die Menschen an der Westküste. 8. Atmo: Hundebellen Autorin Schlittenhunde an Ketten jaulen oder dösen vor kleinen bunten Holzhäusern in der Sonne. Die zerklüftete Ostküste Grönlands wird bis in den Juli hinein von einem Treibeisgürtel bedeckt. Erst spät im Sommer kann das erste Versorgungsschiff aus Dänemark anlegen. Früher verschenkten die Inuit, was sie nicht sofort brauchten. Heute in Zeiten der Geldwirtschaft klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. 9. Atmo: auf einem Boot Autorin Der eisige Wind trägt Papiertüten und Plastikfetzen davon. Wer sich ein Motorboot leisten kann, sucht im Sommer zwischen treibenden Eisbergen nach Robben, um die Schlittenhunde zu füttern. Bengt Abelsen aus dem Dorf Kulusuk hat einen festen Job im Postamt und ein eigenes Boot. So lange die Küsten aber zugefroren sind, gelangt er nur mit Hundeschlitten bis zur Eiskante, den Robbenjagdgründen. Ein gefährliches Unterfangen. 7. O-Ton: Bengt (We always take a kajak in dog sledge, kajak.) Sprecher 1 Wir transportieren immer auch ein Kajak auf dem Hundeschlitten. Nach rund 40 Kilometern erreichen wir die Eiskante und das offene Meer. Dort tummeln sich die Robben. Wir versuchen auf etwa 20 Meter an sie heran zu kommen, schießen, paddeln 8 dann schnell zu ihnen hin und holen sie aufs Eis. (... take the seal and back up to the ice.) 10. Atmo: am Meer Autorin Das Meer ist schon zum Grab vieler Inuit geworden. Ein Bootsunfall – das wäre nach ihrem traditionellen Glauben keine hinreichende Erklärung für die Hinterbliebenen des Toten, meint der Eskimologe Bo Albrechtsen vom Nationalmuseum in Nuuk. 9. O-Ton: Albrechtsen (There would figure out some more intrigues ...) Sprecher 2 Sie hätten eine Intrige vermutet. In diesem Fall wäre ein Tupilak ins Spiel gekommen, eine kleine Kreatur, die jemand selbst aus verschiedenen Teilen von Tieren oder Pflanzen hergestellt hätte: Robbenfell oder Knochen, Vogelschwingen oder sogar menschliche Knochen. Der Besitzer des Tupilak würde es zum Leben erwecken und im Meer versenken, mit dem Auftrag, jemanden, mit dem er Streit hat, zu töten. (... has an argue or something like that.) Autorin In einer Vitrine des Nationalmuseums sind heute vieler solcher Tupilaks zu sehen. Mittlerweile sind die kleinen Figuren, geschnitzt aus Knochen oder Horn, der Renner bei Grönlandtouristen. Mit Fratzen als Gesichter und zu kurz geratenen Armen oder Beinen, wirken sie eher belustigend. Die wirklich alten Tupilaks sammelten Missionare an der Ostküste Grönlands ein. Die christianisierten Inuit waren oft froh, dass ihr schrecklicher Zauber gebannt wurde. 11. O-Ton: Albrechtsen (Some of the people were asked about what do ...) Sprecher 2 Einige wurden befragt, was haltet ihr vom Christentum, was habt ihr gewonnen? Einer sagte wörtlich: Heute leben wir friedlicher miteinander, weil wir die tödliche Rache unseres Nachbarn nicht mehr fürchten müssen. (...that they come and kill us.) 7. Atmo: Trommeln, leise 9 Autorin Streitigkeiten wurden aber unter den Inuit auch direkt ausgetragen. 13. O-Ton: Bo Albrechtsen (Whenever two men had an argue with each...) Sprecher 2 Wenn zwei Männer sich stritten, sich vielleicht sogar gegenseitig nach dem Leben trachteten, gab es noch die Möglichkeit, den Streit in einem Sommerlager vor versammeltem Publikum auszutragen, das dabei als Richter fungierte. Einer der Männer würde anfangen mit dem Trommeln und dabei ein vorbereites Lied vortragen, in dem er die Dummheit des Gegners ins Lächerliche zieht. Dann ist der andere dran. Und so weiter. Das Publikum würde applaudieren, schreien und lachen. Nach einiger Zeit könnte einer der Männer realisieren, dass die Zuschauer ihn auslachen, sobald er zu trommeln und zu singen anfängt. Tief beschämt würde der sich dann als Verlierer zurückziehen. (... and walk away.) 11. Atmo: am Fjord in Narsaq, Vogelzwitschern, Bachrauschen Autorin Anders als im eisgepanzerten Ostteil Grönlands schmilzt im Süden der Insel das Meereis bereits im April. Schon vor 1000 Jahren kamen Menschen aus Norwegen und Island in diese arktische Oase mit tief eingeschnittenen Fjorden und viel Grün auf den Halbinseln. Diese Wikinger, die sich erst seit wenigen Jahren zum Christentum bekannten, hielten Schafe, jagten Eisbären und Walrosse. Sie trieben Handel mit Europäern und orientierten sich sogar an europäischer Kleidermode. Gardar, ein windgeschützter Platz, war über Jahrhunderte Bischofsitz. Bis um 1400 das Klima kälter wurde und sich die Spuren der Siedler verloren. 11. Atmo: Vogelzwitschern, Bachrauschen Autorin Seit das Klima wieder wärmer wird, versuchen die Einheimischen nun Schafe zu züchten und Gärten anzulegen. Aber auch im Süden gibt es wenig Arbeit. Viele Häuser in Narsaq stehen leer. Einer der ungepflasterten Wege führt zum Friedhof. Weiße Holzkreuze stehen hier in engen Reihen dicht beieinander, umgeben von einem Meer aus Plastikblumen und Stoffschleifen. Manchmal schmückt ein Foto das Grab. 10 Ungewöhnlich viele junge Menschen fanden hier die letzte Ruhe. Unter ihnen ist die Selbstmordrate besonders hoch. 11. Atmo: Vogelzwitschern, Bachrauschen Autorin Jesper Stormly Enevoldsen hätte als junger Historiker in Dänemark niemals so eine gute Stelle bekommen, bekennt er selbst. In Grönland fehlen ausgebildete Kräfte. Das Haus des Pfarrers Henrik Lund in Narsaq gehört heute zum Museum. 30 Jahre, bis zu seinem Tod 1948 lebte der Pfarrer in Narsaq. Er schaffte es, anders als der Missionar Egede, die Einheimischen vom Christentum zu überzeugen – mit Güte und nicht mit Gewalt, erzählt der Museumsdirektor. 15. O-Ton: Enevoldsen (Henrik Lund who used to live in Narsaq ...) Sprecher 2 Henrik Lund war ein praktizierender christlicher Humanist. Durch ihn bekam das Christentum in Grönland seinen modernen Anstrich. Lund war in keiner Weise engstirnig. Er liebte seine Landsleute und sie ihn. Man kann sagen, dass er der Gründervater der Nation ist. (... founding father of the nation in a way.) 2. Musik ab 4:15 min Autorin Für Minik Schmidt wurde Henrik Lund ein Vorbild. Mit 32 ist der große, schwergewichtige Mann heute der jüngste Pfarrer in Grönland. 16. O-Ton: Minik (Before I became priest I live in Dk. Like many Greenlandic...) Sprecher 1 Ehe ich Pfarrer wurde, lebte ich in Dänemark als einer von vielen Grönländern ohne Job, ohne Haus und ohne Geld. Wir gehören in Dänemark zur niedrigsten Klasse und mir wurde klar, so will ich nicht leben. Also ging ich nach Grönland zurück. Das war 2003. Ich war schockiert, denn im Radio wurde über Kindesmissbrauch in Grönland berichtet, über Alkoholprobleme. (... many child get abused, drinking problem.) 11 Autorin Das Entsetzen angesichts all der Probleme seiner Landsleute ließ in ihm den Entschluss reifen, ihnen zu helfen, am besten als Seelsorger. Minik wurde der erste in seiner Familie, der eine akademische Ausbildung bekam, für die er allerdings wieder nach Dänemark gehen musste. Heute hat er eine Stelle in Qaqortoq, seinem Geburtsort, mit 3600 Einwohnern die größte Siedlung in Südgrönland. Bunte Wohnblocks stehen aufgereiht wie Dominosteine am steilen Hang, der den kleinen Hafen halbkreisförmig umschließt. 12. Atmo: Orgel Szene in der Kirche von Qaqortoq Autorin Die große, schneeweiße Kirche steht gleich neben dem Supermarkt. Zum Sonntagsgottesdienst kommen fast nur alte Leute und die meisten sind der Kleidung nach zu urteilen offensichtlich arm. Um diese Menschen und die vielen anderen, die nicht in die Kirche kommen, will sich Minik Schmidt kümmern. 17. O-Ton: Minik Schmidt (They have a kitchen here in the church, but they ...) Sprecher 1 Es gibt eine Küche hier in der Kirche, die aber nie benutzt wurde. Das ist traurig, weil es keine Tradition gibt, den Menschen zu helfen und ihr Leben eines Tages zu ändern. Als ich anregte, den Menschen Nahrung anzubieten, hielten viele das aber für eine gute Idee. Ich beredete das mit meiner Mitarbeiterin, die sagte, dass die Armut sich auch innerlich zeigt. Es wird immer Arme geben, (...we will always have poor peo, but...) 13. Atmo: er telefoniert "I will just take that..." Autorin Minik Schmidt will immer für seine Gemeinde erreichbar sein. Auch draußen vor seinem Büro warten Menschen auf ihn. Die Ursachen für den Alkoholismus, die Armut und die soziale Verwahrlosung der Grönländer lägen im letzten Jahrhundert, sagt er: 12 18. O-Ton: Minik Schmidt (We call it G 60. It is in Greenland the most ...) Sprecher 1 Wir nennen es G 60, die Zeit des größten Umbruchs in unserer Geschichte in den 1960er Jahren. Nach dem 2. Weltkrieg gaben die USA, die hier viele Militärbasen unterhielten, Grönland an Dänemark zurück. Vorher hatten wir 200 Jahre lang isoliert vom Rest der Welt gelebt. Nun aber verlangte die dänische Regierung, dass viele der kleinen Siedlungen mit ihrem traditionellen Jägerleben aufgegeben werden sollten. Die Bevölkerung siedelte man zwangsweise in Hochhaussiedlungen in Nuuk um. Die Grönländer standen hilflos da und schauten zu, wie sich ihr Leben veränderte. Sie konnten sich nicht wehren. Ausländer kamen zum Arbeiten nach Grönland. Sie hatten Geld und nahmen sich einheimische Frauen. Viele grönländische Männer waren machtlos dagegen. (...They felt powerless, many of the men.) Autorin Den Schmerz über den Verlust des traditionellen Lebens betäubten viele auch mit Drogen. Leidtragende waren vor allem die Kinder. Verletzungen werden von Generation zu Generation weitergegeben, weiß Minik Schmidt. Dazu kommt die weit auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich, auch in Qaqortoq. 19. O-Ton: Minik Schmidt (I try to preach every Sunday or I try to give hope in ...) Sprecher 1 Ich predige jeden Sonntag. Ich will der Stadt Hoffnung geben. Wir müssen furchtlos sein. Wir haben Geld. Wir bekommen jedes Jahr Milliarden aus Dänemark, aber wir verwenden es nicht gut. Ausländer kommen hierher zum arbeiten, aber wir könnten unser Land selbst entwickeln. () Es gibt ein Modell im Norden Grönlands, in Aasiaat, eine Stadt von etwa gleicher Größe, mit einem System, in dem zehn bis 20 Leute zusammen ein Warenhaus besitzen, nicht einer oder zwei, wie hier in Qaqortoq. Einkommensverteilung und Zusammenarbeit der Nachbarn könnte wie zu Zeiten der gemeinsamen Jagd mehr Vertrauen untereinander schaffen. Wir würden investieren und alle könnten vom Warenhandel profitieren. (...they can invest and all will benefit.) Autorin Jetzt lebt jemand, der keine Arbeit findet, von Sozialhilfe, beklagt der junge Pfarrer, und viele ziehen um nach Nuuk. 13 15. Atmo: in Nuuk Autorin In der Hauptstadt stehen riesige Wohnblöcke in Reihen auf Felsrippen verankert. Lange Holztreppen führen hinauf zu den Eingängen, denn im Winter liegt hier meterhoch der Schnee. Wenn es draußen dann den ganzen Tag dunkel ist, sitzen viele vor dem Fernseher, besonders Männer. Die Bischöfin Sophie Petersen hat die Erfahrung gemacht, dass die Frauen die Anpassung an den westlichen Lebensstil besser hinbekommen. 20. O-Ton: Bischöfin Sophie (I think from early time were the hunters ...) Sprecherin So lange wir denken können, waren die Männer die Jäger und hatten die wichtigste Position inne. Natürlich waren sie auf die Frauen angewiesen, die kochten und die Kleidung herstellten. Heute dagegen haben Frauen oft Top-Positionen inne. Sie bezahlen die Miete und das Essen. Der Verlust der Identität der Männer gehört zu unseren größten gesellschaftlichen Problemen derzeit. (...And we have a lot of problems about on that, too.) 16. Atmo: in der Kirche Autorin Von den insgesamt 25 ordinierten Geistlichen sind etwa die Hälfte Frauen. Die Lutherische Kirche Grönlands gehört zur Nationalen Dänischen Volkskirche, mit der dänischen Königin als Repräsentantin, aber über grönländische Kirchenangelegenheiten entscheidet das grönländische Parlament. In Grönland gab es zwar keine Reformation, sagt Bischöfin Sophie - ihr Missionar Hans Egede war ja bereits Protestant - aber zum 500jährigen Jubiläum hat die Kirche auch hier etwas geplant: 21. O-Ton: Bischöfin Sophie (756 Its not big and very difficult, because of the ...) Sprecherin Groß zusammen feiern können wir in Grönland nicht, weil alle Gemeinden so weit entfernt voneinander liegen. Aber wir wollen einige Schriften neu ins grönländische übersetzen. Einige Pfarreien werden sich auf Luther und die Reformation 14 konzentrieren. Bei einer Zusammenkunft aller Geistlichen wollen wir zusammen Hymnen und Predigten Luthers übersetzen. (... we want to focus on that. ) 16. Atmo: Gesang in der Kirche in Nuuk Autorin Die Lutherische Kirche gehört heute genauso zu den Grönländern, wie der westliche Lebensstil. Ihre Fähigkeiten, sich autonom auf ihrer lebensfeindlichen Insel in der Arktis zu behaupten, wie all die Jahrhunderte zuvor, verlieren sie zusehends. Ein hoher Preis, angesichts der sozialen Verwerfungen, die die Seelsorge bisher nur in Ansätzen mildern konnte. Musik 1 Titelsprecherin: Protestanten am Polarkreis - Bei den Inuit in Grönland Sie hörten eine Sendung von Ingrid Norbu Es sprachen: Markus Hoffmann, Ulrich Blöcher, Ulrike Bieritz und die Autorin Ton: Bernd Bechtold Redaktion: Anne Winter Das Manuskript der Sendung können Sie telefonisch bei unserer Service-Redaktion bestellen, aus Berlin oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email: [email protected]. Und zum Nachhören oder Lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter kulturradio.de
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