Löcher in der Matrix – Schummeln bis sich der

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Löcher in der Matrix – Schummeln bis sich der Auspuff krümmt
Von Stefan Preuß
„Autokonzerne tricksen immer dreister” (17.11.16, spiegel.de)
Automobile verbrauchen viel mehr Sprit als in den Prospekten angegeben. Das ist keine neue Erkenntnis. Wer
ahnte, dass nicht nur geschönt wird, dass sich die Auspuffrohre krümmen, sondern die Schönfärberei vielmehr
immer weiter ausgeweitet wird, wurde nun bestätigt: „Die Kluft zwischen realem Kraftstoffverbrauch und dem vom
Hersteller angegebenen Testverbrauch sei so groß wie noch nie“ berichteten Spiegel & Co. über wissenschaftlich
erhobene Daten des Öko-Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation (ICCT). Noch vor zehn
Jahren seien die realen Werte um 15 Prozent abgewichen. 2013 seien es 25 Prozent gewesen – und inzwischen
42 Prozent, vermeldeten die Agenturen.
„Der überwiegende Anteil der Überschreitung sei darin begründet, dass Hersteller die bestehenden Schlupflöcher
in der gegebenen Regulierung immer drastischer ausnutzten", heißt es von Seiten des ICCT. Prall aufgefüllte
Reifen, speziell geschmierte Lager, besondere Batterien – der Strauß an Optimierungsmöglichkeiten ist
ausgesprochen breit gefächert. Nun ja, die Sache sei ein wenig unbefriedigend, wird von Branchenvertretern
eingeräumt, aber weit weg von einem Skandal, schließlich verstoße man nicht gegen Gesetze, sondern bewege
sich im Rahmen des technisch Vorgegebenen.
Und genau darin liegt der Skandal dahinter. Lobbyisten haben das Ziel der Senkung des Schadstoffausstoßes so
weit ausgehöhlt, dass im Ergebnis völlig realitätsferne Werte ermittelt werden. Wenn man so will lebt die
Automobilindustrie seit Jahrzehnten im postfaktischen Zeitalter. Und die Politiker haben nichts gelernt. Denn im
neuen Testzyklus überlebt nach derzeitigem Stand die Regel, nachdem Plug-in-Hybride-Autos weiterhin mit
lächerlich geringem Verbrauch ausgewiesen werden – so, als ob nach 100 Kilometern stets die Batterie voll
aufgeladen würde.
Wobei „nichts gelernt“ sehr wohlwollend ausgedrückt ist. Ehrlich wäre es zu sagen: Die Automobilindustrie sitzt
am längeren Hebel. Wir könnten schon entsprechende gesetzliche Vorgaben schaffen und durchsetzen, aber dann
drohen Arbeitsplatzverluste hierzulande und Verlagerungen und Verwerfungen in der Zuliefererkette. Deshalb
posaunen wir vorne raus, gaaaaanz strenge Grenzwerte seien beschlossen – und spielen über lächerliche
Prüfparameter auf Zeit.
Das ist wirtschaftspolitisch nachvollziehbar, denn wenn Bundesverkehrsminister Dobrindt die überführten
Schummler von Volkswagen und die vermuteten Schummler anderer Hersteller richtig an die Kandare nehmen
würde, könnte es ziemlich blutig werden. Für Politikverdrossenheit sorgt die Diskrepanz zwischen Reden und
Handeln – weil die Realpolitik der derzeit regierenden Parteien schlicht postfaktisch ist.
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