Ich danke Ihnen für Ihren Besuch dieser alljährlichen

Volkstrauertag 13.11.2016 Ich danke Ihnen für Ihren Besuch dieser alljährlichen Gedenkveranstaltung und ich danke all denen, die den Rahmen dafür mit Musik, Wortbeiträgen und orga‐
nisatorischer Unterstützung gestalten. Wir sind mit dieser Veranstaltung der politischen Gemeinde Gast in der katholischen Pfarrkirche. Auch dafür möchte ich meinen Dank aussprechen. Lange Jahrzehnte schon gehört dieser Tag dem Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt. Anfangs war er ein Heldengedenktag. Die Gefallenen der großen Kriege wurden nicht als Opfer von kriegerischen Herrschern, sondern als freu‐
dig aktiv handelnde Personen, die ihre Erfüllung als Held im Tod für das Vater‐
land fanden, geehrt. Wir wissen heute längst, dass dieses Bild schon immer falsch war und im Kern dazu diente, die nächsten Helden auf ihr absehbares Ende vorzubereiten. Ob eine feindliche Granate ihren Leib zerfetzte, ob der unerbittliche Frost Russ‐
lands zum Verlust von Gliedmaßen oder des Lebens führte, ob Auszehrung durch Hunger und Durst, ob schwere Verwundungen zum Tod führten, kein Kriegsopfer ist freudig erregt in den Tod gegangen. Alle wollten leben, eine Fa‐
milie gründen oder zu ihr zurückkehren. Jeder war der geliebte Sohn, der ge‐
liebte Ehemann und Vater. Die Opfer der Bombardements in den Städten Europas und der Welt, von Guernica, Warschau, Hamburg, Dresden, Hiroshima, Nagasaki und all den ande‐
ren Städten dieser Welt hatten keine Blechschilder um den Hals getragen, da‐
mit man ihre Leichen noch als Mensch mit Namen und Bewusstsein identifizie‐
ren konnte. Ihr Leben wurde vernichtet, ihre Persönlichkeit ging unter in der großen anonymen Menge der zivilen Kriegsopfer. Wir sind uns in den Jahren nach dem Kriegsende 1945 der Verlogenheit der Heldenverehrung vergangener Jahrzehnte bewusst geworden und trauern heute als Volk um die Opfer von Krieg und Gewalt. Dieser Tag ist auch ein An‐
lass darüber nachzudenken, welche Voraussetzungen geschaffen sein müssen, um ein ganzes Volk in seine eigene Vernichtung zu treiben. Aus Worten werden Taten. Dem bösen Wort folgt der Mord. Wir erleben heute wieder, dass Politiker, die Hass predigen, immer mehr Zustimmung finden. In seinem sehr lesenswerten Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ zeigt der amerikanische Kommunikationspsychologe Paul Watzlawik, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit durch Kommunikation konstruiert. So können wir auch verstehen, wieso Demagogen mit ganz offenkundigen Lügen, mit Halb‐
wahrheiten und Wahrheitsverdrehungen die Menschen erreichen. Es kommt Seite 1 Volkstrauertag 13.11.2016 nicht darauf an, was objektiv wahr ist. Was ich fühle, ist meine Wirklichkeit, Tatsachen, die nicht zu meinen Gefühlen passen, sind keine Tatsachen. Die sich die wahren Volksvertreter nennen, konstruieren eine Wirklichkeit, die zu den Gefühlen einer zunächst kleinen, aber entschlossenen Gruppe passen. Mit kleinen Verstößen gegen die geltenden politischen und gesellschaftlichen Sitten wird der Wirkungskreis ausgeweitet. „Das wird man doch einmal sagen dürfen“, ist die Standardentschuldigung, wenn es darum geht, das Niveau der Diskussion in die gewünschte Richtung zu bewegen. So werden die Grenzen des Anstands immer weiter abgesenkt. Werden aus Worten zur Unzeit Taten, wenn Asylbewerberheime brennen, Menschen angegriffen und gar getötet werden, bevor auch die noch unent‐
schlossene Mitte der Gesellschaft dies gutheißen würde, folgt prompt eine Dis‐
tanzierung. Man verabscheue diese Gewalt, schuld daran aber seien andere, die etablierten Parteien, die Politik, die Gutmenschen, die die angeblich wahren Probleme ignorieren würden. Die Gewalt sei ein Ausdruck der Verzweiflung und eine Gegenwehr für die Nichtbeachtung legitimer Interessen des Volkes. Der Täter nimmt vorweg, was später alle tun werden, lautet die eigentliche Botschaft. Die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke, schreibt in ihrem Essayband „Gegen den Hass“, ich zitiere: „Der Hass von dem hier die Rede ist, ist so wenig individuell wie zufällig. Er ist nicht einfach nur ein vages Gefühl, das sich mal eben, aus Versehen oder aus vorgeblicher Not ent‐
lädt. Der Hass ist kollektiv und er ist ideologisch geformt. Der Hass braucht vor‐
geprägte Muster, in die er sich ausschüttet. Die Begriffe, in denen gedemütigt, die Assoziationsketten, die Bilder, in denen gedacht und sortiert, die Raster der Wahrnehmung, in denen kategorisiert und abgeurteilt wird, müssen vorge‐
formt sein. Der Hass bricht nicht plötzlich auf, sondern er wird gezüchtet. Alle, die ihn als spontan oder individuell deuten, tragen unfreiwillig dazu bei, dass er weiter genährt werden kann.“ Ende des Zitats. Die Deutschen der dreißiger Jahre, unsere Urgroßväter und Urgroßmütter, un‐
sere Großeltern und Eltern waren anständige Menschen mit christlichen Über‐
zeugungen, fester in ihrem christlichen Glauben verankert, als dies heute noch der Fall ist. Einem Glauben, dessen höchstes Gebot die Liebe zum Nächsten ist. Sie ließen es in ihrer großen Zahl zu, dass den späteren Opfern zuerst die Würde genommen wurde, es folgte der Entzug elementarer Rechte, schließlich Seite 2 Volkstrauertag 13.11.2016 der Raub der Freiheit und am Ende die Vernichtung ihrer Leben. Aus den jüdi‐
schen Mitmenschen, deren Namen und Vornamen man kannte, die man mit Du ansprach und die hohes Ansehen genossen hatten, waren „die Juden“ gewor‐
den. Eine immerhin noch als menschlich erachtete Gruppe, die aber irgendwie andersartig war, die nicht zum Volk gehörte. Über die Nachbarfamilie Josef und Rachel Liebenstein ließ man nichts kommen, die waren nicht so, wie die ande‐
ren Juden, die man ja nicht kannte. Kann man heute ein ähnliches Muster sehen? Haben die selbsternannten Ver‐
teidiger des christlichen Abendlandes den Gedanken der Nächstenliebe verin‐
nerlicht und wollen diesen hohen kulturellen Wert verteidigen? Die Aufteilung der Welt in abgeschlossene Gruppen, in wir, das Volk und ihr die Anderen, wahlweise Muslime, Asylbewerber, Flüchtlinge, Gutmenschen, Sozialschwär‐
mer, jedenfalls scheint schon wieder selbstverständlich und legitim zu sein. Es gibt aber auch eine systematische Verstärkung dieser Abgrenzung, die ver‐
mutlich sogar unbewusst geschieht, aber fatal dieser Entwicklung Vorschub leistet. Keiner würde auf die Idee kommen, einem durchschnittlichen deutschen Straf‐
täter das Attribut „christlich“, „katholisch“ oder „ohne Glaubensbekenntnis“ anzuhängen. Ein junger Mann ersticht aus Eifersucht einen anderen Jugendli‐
chen und verletzt seine ehemalige Freundin schwer, die aber überlebt. Eine Randnotiz in der täglichen Nachrichtenflut. War der Täter aber ein Muslim er‐
hält derselbe Sachverhalt plötzlich völlig andere Konnotationen. Die Glaubens‐
angehörigkeit und nicht krankhafte Eifersucht scheint die Ursache der Straftat zu sein. Die Häufung der Meldungen in unserer Presse und im Internet mit bei‐
gestellten Gruppenzuweisungen, dient in Wahrheit nicht der besseren Beurtei‐
lung eines Sachverhalts. Er ordnet sich dem Sensationsbedürfnis einer Leser‐
schaft unter, die bereit scheint, ihre Vorurteile zu Urteilen zu verfestigen. Der Eindruck, „die sind alle so“ verfestigt sich nicht sofort in der Mitte der Gesell‐
schaft, sie wuchert aber wie ein Geschwulst von ihren Rändern her in die Mitte hinein. Mir geht es dabei nicht um das Verschweigen von Verbrechen, die von Migran‐
ten begangen werden. Verbrechen bleiben Verbrechen, gleich aus welcher Ge‐
sinnung heraus sie begangen werden. Acht Sprengstofffunde bei Migranten waren dieses Jahr durch das BKA gemeldet worden. Eine schlimme Zahl und wir können froh sein, dass unsere Sicherheitsbehörden, zu denen auch die oftmals verachteten Geheimdienste gehören, wachsam Anschläge verhindern konnten. Seite 3 Volkstrauertag 13.11.2016 Wussten Sie aber auch, dass im gleichen Zeitraum bei deutschen Neonazis in 862 Fällen Sprengstoff gefunden wurde? Ich bin davon überzeugt, dass unser Gastrecht denen offensteht, die unsere Werte akzeptieren und leben. Wer sich hier nicht an Gesetz und Moral hält, muss dieses Land verlassen. Wie aber verhalten wir uns gegenüber unseren Landsleuten, die unsere Werte ebenfalls mit Füßen treten? So wenig, wie wir Unfrieden, Hass und Zwist in unser Land einladen dürfen, so wenig dürfen wir es in unserem Land tolerieren. Die Flüchtlinge, die zu uns kamen und noch kommen, sind Menschen, die auf der Grundlage unserer Werte und unseres Grundgesetzes hier Aufnahme fin‐
den. Sie haben Vornamen und Namen. Sie werden als Kinder von ihren Eltern geliebt, sie lieben ihrerseits ihre Kinder, ihre Familie und Freunde. Sie glauben an Gott und an seine Güte, sie haben Begabungen und sind kreativ, sie erziehen ihre Kinder in ihrem Glauben. Sie haben einen Vornamen mit dem sie von ihren Mitmenschen angeredet werden und sie haben einen Namen unter dem sie für uns ansprechbar sind. So will ich Ihnen zum Ende meiner Ausführungen die Geschichte von Sami, sei‐
ner Frau Nebeat Adesalem und ihrer beider Kind Hana erzählen. Auf einer entbehrungsreichen Flucht durch die Wüsten Nordafrikas und den Abgründen der Städte auf ihrem Fluchtweg, lernen sich die beiden kennen. Sie helfen einander, stehen einander in Gefahren bei und beschützen sich gegen‐
seitig. Ihre Sympathie füreinander wird zur Liebe und die Frucht ihrer Liebe kommt hier in Deutschland zur Welt, es ist die kleine Hana. Sie sind noch nicht verheiratet, als die Schwangere ihrem Vater, der zusammen mit ihnen nach Deutschland kam, erzählt, sie sei von Sami schwanger und dass sie künftig mit Sami zusammenleben wolle. Sie ist fortan Misshandlungen ihres Vaters ausgesetzt, der die Schande, wie er es nennt, nicht ertragen kann. Die Behörden schreiten schließlich ein und trennen Vater und Tochter. Sami und seine kleine Familie leben nun in Ruppertsberg. Nebeats Vater, Nebeat und Sami sind Christen. Die kleine Hana wird am nächsten Samstag in Ludwigshafen in der griechisch‐orthodoxen Kirche getauft. Im bescheidenen Rahmen feiert die Familie die Taufe in unserem Bürgerhaus. Viele Ruppertsberger engagieren sich im Verein Freunde für Flüchtlinge, die auch Sami, Nebeat und Hana mit Rat und Tat unterstützen. Ihnen Dank und Respekt auszusprechen ist mir ein wichtiges Anliegen, gerade an diesem Tag. In Seite 4 Volkstrauertag 13.11.2016 einer Zeit hoher Gefahren für unsere Kultur und unseren gesellschaftlichen Zu‐
sammenhalt sind sie ein Zeichen der Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Aber auch Sie, verehrte Anwesende können Teil dieser Wende sein. Seien Sie wachsam den Feinden unserer Zivilisation gegenüber. Lassen Sie sich nicht von den kleinen Hassbotschaften der Abgrenzung und Verallgemeinerung gefangen nehmen. Seien Sie streitbar gegenüber den Wegbereitern des Hasses. Verges‐
sen wir alle nicht: Aus Worten werden Taten. Wir legen nach dem letzten Musikstück der Blaskapelle einen Kranz zum Ge‐
denken an alle Opfer von Krieg und Gewalt nieder, als Zeichen unserer gemein‐
samen Trauer. Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme und Ihre Aufmerksamkeit. Ursula Knoll Ortbürgermeisterin Es gilt das gesprochene Wort. Seite 5