Meldung als pdf - Pressestelle der Universität Augsburg

 UniPressedienst Verantwortlich: Pressestelle der Universität Augsburg Klaus P. Prem, Michael Hallermayer 86135 Augsburg Telefon 0821/598‐2096 [email protected]‐augsburg.de [email protected]‐augsburg.de www.presse.uni‐augsburg.de 152/16 – 14. November 2016 Einkristallsynthese: kostengünstig und einfach in heißer Luft Physiker der Universität Augsburg berichten mit Kollegen aus Oxford in Nature Scientific Reports über eine neue Methode zur Herstellung Lithium‐basierter Übergangsmetalloxid‐
Kristalle Augsburg/PhG/KPP ‐ Zur Synthese von keramischen Kristallen sind meist sehr komplizierte Ver‐
fahren notwendig. Die Ausgangsmaterialen müssen entweder in Pulverform gemischt, mehrmals gepresst und vorreagiert werden, bevor Einkristalle durch kontrolliertes Schmelzen bei hohen Temperaturen entstehen, oder das Kristallwachstum erfolgt aus Lösungen bzw. in Gasströmen während komplexer Prozesse. Die Einkristallsynthese von Lithium‐Iridat, das aufgrund seiner vor‐
hergesagten außergewöhnlichen magnetischen Eigenschaften aktuell von großem Interesse ist, war bislang mit keiner der etablierten Methoden möglich. Augsburger Physikern ist nun mit einer sehr einfachen und unkonventionellen Methode die Synthese von α‐Li2IrO3 ‐Kristallen gelungen. Diese neue, auf isothermen Gastransport basierende Methode benötigt weder eine Durchmischung der Ausgangselemente noch besondere Vorsynthesen oder Zusätze. Sie funktioniert einfach und kostengünstig in heißer Luft. Lithium‐Iridat: ein Material mit hohem Potential Bei der Erforschung exotischer magnetischer Grundzustände erregte Lithium‐Iridat (α‐Li2IrO3) in jüngster Vergangenheit große Aufmerksamkeit. Es fällt in die Klasse der sogenannten Honig‐
waben‐Iridate, die als verheißungsvolle Kandidaten für die Realisierung einer neuartigen mag‐
netischen Wechselwirkung – benannt nach dem Physiker Alexei Yurevich Kitaev – gelten. Diese Kitaev‐Wechselwirkung verknüpft auf einem Honigwabengitter benachbarte magnetische Mo‐
mente in einer ganz speziellen Form, die für die Realisierung von topologischen Quantencompu‐
tern wichtig sein könnte. Bisher konnte α‐Li2IrO3 nur als Pulver synthetisiert werden, das ent‐
sprechende Fehlen von Einkristallen verwehrte den Forschern weitere wichtige Erkenntnisse über dieses Material. Mit der von den Augsburger Physikern um Prof. Dr. Philipp Gegenwart und Dr. Anton Jesche nun in Nature Scientific Reports beschriebenen Methode wurden erstmals sol‐
che Einkristalle hergestellt. Und darüber hat diese Methode sich inzwischen als vielseitig an‐
wendbar erwiesen. Auch Einkristalle weiterer Verbindungen lassen sich mit ihr herstellen. UPD 152/16, Seite 1 von 3
Einkristalle: Voraussetzung für tiefere Materialeinblicke Die Verfügbarkeit von Einkristallen ist für die Materialforschung eine grundlegende Vorausset‐
zung. Denn Einkristalle erlauben z. B. Messungen entlang spezifischer kristallographischer Ach‐
sen, wie sie bei einem Pulver nicht möglich sind. Weiterhin lassen sich Röntgenstrukturanalysen qualitativ verbessern, wenn hinreichend große Einkristalle vorliegen, und auch die Bestimmung von magnetischen Strukturen gelingt oft erst unter dieser Voraussetzung. Überwindung der Grenzen gängiger Kristallzuchtmethoden Um Kristalle für neue Materialien herzustellen, bedient man sich üblicherweise gängiger Kris‐
tallzuchtmethoden: Festkörperreaktionen, Schmelz‐ bzw. Flusszucht oder Gasphasentransport. Die Natur erschwert dies mit mancherlei Hindernissen, und diese klassischen Methoden führen nicht immer zum erwünschten Ergebnis. „Wenn alle Versuche auf etablierten Wegen scheitern, sind neuartige unkonventionelle Ideen gefragt“, sagt Philipp Gegenwart. An seinem Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik VI/EKM ist es der Nachwuchsgruppe um Anton Jesche jetzt erstmals gelungen, Einkristalle von α‐Li2IrO3 mit einer völlig neuen Technik herzustellen. Die Bestätigung der mit dieser neuen Technik erreichten hervorragenden kristallinen Qualität und die Untersuchung der magnetischen Eigenschaften dieser auf neue Art erzeugten Lithium‐Iridat‐
Einkristalle steuerte eine kooperierende Forschergruppe der Universität Oxford bei. Die neue Methode: isothermer Gasphasentransport mit separierten Edukten Die sogenannten Edukte, also die Ausgangsmaterialien ‐ im Fall von α‐Li2IrO3 sind dies Lithium und Iridium ‐ liegen bei dem neuen Verfahren zunächst vertikal voneinander getrennt vor. Wäh‐
rend des Aufheizens in Luft bilden sie Oxide und Hydroxide, die bei einer Temperatur von 1020°C durch Gasphasentransport über die ursprüngliche Trennung hinweg zueinanderfinden und miteinander reagieren. Die aus dieser Reaktion resultierende Kristallisation findet bevor‐
zugt an Kristallisationspunkten statt, die durch einen speziellen Aufbau vorgegeben werden (siehe Abbildung). Einzigartig bei dieser Methode ist, dass der Reaktions‐ bzw. Kristallisations‐
prozess in offener Atmosphäre an Luft und mit räumlich separierten Ausgangsmaterialien er‐
folgt. Ein Konzentrationsgefälle zwischen den Reaktionsgasen ermöglicht die fortlaufende Bil‐
dung der Kristalle. „Damit unterscheidet sich unsere Technik grundlegend von der etablierten Methode des Gasphasentransports. Bei dieser Methode wird das Material in einer ganz speziel‐
len Atmosphäre in einem abgeschlossenen Volumen durch einen Temperaturunterschied trans‐
portiert , wobei sich die Kristalle dann am kältesten Punkt des abgeschlossenen Volumens bil‐
den“, erläutert Anton Jesche. Bereits entziffert: die magnetische Struktur von Lithium‐Iridat Auf der Grundlage der mit der neuen Methode erzeugten Kristalle konnte mittels resonanter Röntgendiffraktometrie bereits die magnetische Struktur von α‐Li2IrO3 entziffert werden, wie die Augsburger Physiker und ihre Kollegen aus Oxford in einer weiteren Veröffentlichung in UPD 152/16, Seite 2 von 3
Physical Review B berichten. „Außerdem“, so Gegenwart, „zeigen Messungen auch hochtinteres‐
sante Ergebnisse zur richtungsabhängigen magnetischen Anisotropie von Lithium‐Iridat.“ Auch auf die Einkristallzucht verwandter Verbindungen anwendbar Besonders hervorzuheben sei aber, dass sich mit der neuen Methode nicht nur α‐Li2IrO3 Kristal‐
le synthetisieren lassen. Gegenwart: „Nachdem wir mittlerweile auch Einkristalle verwandter Verbindungen wie der Hochtemperaturphase β‐Li2IrO3 oder Li2RuO3 herstellen konnten, sind wir davon überzeugt, dass sich unsere Methode erfolgreich auf eine Vielzahl weiterer Verbin‐
dungen wird anwenden lassen.“ __________________________________ Publikationen: F. Freund, S.C. Williams, R.D. Johnson, R. Coldea, P. Gegenwart, A. Jesche, Single crystal growth from separated educts and its application to lithium transition‐metal oxides. Sci. Rep. 6, 35362 (2016), http://www.nature.com/articles/srep35362 S.C. Williams, R.D. Johnson, F. Freund, S. Choi, A. Jesche, I. Kimchi, S. Manni, A. Bombardi, P. Ma‐
nuel, P. Gegenwart, R. Coldea. Incommensurate counterrotating magnetic order stabilized by Ki‐
taev interactions in the layered honeycomb α‐Li2IrO3. Phys. Rev. B 93, 195158 (2016), http://journals.aps.org/prb/abstract/10.1103/PhysRevB.93.195158 __________________________________ Illustration zu dieser Pressemitteilung: http://idw‐online.de/de/image?id=281281 __________________________________ Englischsprachige Ausgabe: https://idw‐online.de/de/news663146 __________________________________ Kontakt: • Prof. Dr.Philipp Gegenwart [email protected]‐augsburg.de • Dr. Anton Jesche [email protected]‐augsburg.de Lehrstuhl für Experimentalphysik VI/EKM Universität Augsburg D‐86135 Augsburg Tel. +49(0)821‐598‐3651 http://www.physik.uni‐augsburg.de/exp6 UPD 152/16, Seite 3 von 3