Freiburger Nachrichten

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Mittwoch, 16. November 2016
Freiburger Nachrichten
Er studierte Wirtschaft, gründete einen Piraten-Radiosender und wurde Chef von Sat 1 in Berlin: Roger Schawinski gilt
in der Schweiz als Medienpionier. Nun hat ihn die Universität Freiburg zum Ehrendoktor gemacht.
Der Journalist mit Unternehmergeist
Urs Haenni
FREIBURG Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg ernannte gestern Roger Schawinski zum Ehrendoktor. Die
FN trafen ihn zum Interview.
Roger Schawinski, sind Sie ein
geduldiger Mensch?
Eigentlich nicht, ich bin fast immer
ungeduldig. Ich versuche, dies zu ändern, und habe schon Meditationsseminare besucht, versucht, meine spirituelle Seite wieder hervorzuholen.
Es gelingt mir dann auch, eine gewisse Zeit geduldiger zu sein, aber ich
falle dann doch wieder in den alten
Rhythmus zurück.
Wie war es bei der Feier zum Dies
academicus: Anderthalb Stunden
warten, um den Ehrendoktortitel
in Empfang zu nehmen?
Damit hatte ich überhaupt kein Problem, weil ich wusste, dass mich etwas schaurig Gutes erwartet. Da fühlte sich das Warten leicht an.
Bei Ihrer Talkshow «Schawinski»
im Schweizer Fernsehen gewinnt
man den Eindruck einer sehr
ungeduldigen Person. Drückt da
Ihre Persönlichkeit durch,
oder ist das Taktik?
Es ist Taktik und Persönlichkeit.
Wenn man die Leute ausreden lässt,
dann sprechen sie immer länger und
länger und länger, und das Tempo der
Sendung geht den Bach ab. Ich will
aber ein relativ hohes Tempo in dieser Sendung behalten, damit die Zuschauer so kurz vor Mitternacht nicht
wegdösen.
Bei einer Veranstaltung vor einem
halben Jahr in Freiburg sagten
Sie, ein Journalist müsse zuhören
können. Sind Sie ein guter Zuhörer?
Ich glaube schon. Es gibt nichts
Schlimmeres als Personen, die immer
nur von sich selber erzählen. Solche
gibt es ja. Ich bin als Journalist immer
interessiert, etwas Neues zu erfahren,
stelle deshalb auch viele Fragen und
warte auf spannende Antworten.
Wem und wann können Sie
­besonders gut zuhören?
Natürlich den Menschen in meinem
engeren Umfeld. Meiner Frau, wenn
sie findet, ich müsse mir wieder etwas
mehr Zeit für sie nehmen, und auch
meiner Tochter. Da haben sie meine
absolute Aufmerksamkeit, meine ‹undivided attention›. Vielleicht müssen
sie mich zwischendurch ermahnen,
nicht immer aufs Handy zu schauen.
Gibt es bestimmt Themen, die Sie
so richtig aufsaugen?
Ja, vor allem Sachen innerhalb der
Familie. Man muss sich immer wieder finden, wenn man unterschiedliche Standpunkte hat. Aufgrund meiner Lebenserfahrung mit gescheiterten Beziehungen erkenne ich Fehler
vielleicht etwas früher als in jüngeren
Jahren. Das heisst aber nicht, dass ich
die Fehler nicht mache.
2014 brachten Sie das Buch ‹Wer bin
ich?› heraus. War das der Moment,
auf Sie selber zu hören?
Ja, und es war eine sehr gute Erfahrung. Das Buch ist eine Autobiografie,
und ich habe beim Schreiben sehr viel
über mich entdeckt. Das war überraschend. Alles aufzudatieren und Sachen aus den Archiven hervorzuholen
war eine spannende Reise zu mir selber. Die hat mir gutgetan.
Sie haben schon einen Doktortitel
in Nationalökonomie. Worüber
schrieben Sie Ihre Dissertation?
Ich interessierte mich damals stark
für Entwicklungsländer und schrieb
über den Tourismus in solchen Regionen. Es war eine Gelegenheit, die Dis-
Roger Schawinski bezeichnet sich als ungeduldig; er will aber daran arbeiten.
sertation nicht wie viele andere in der
Bibliothek zu schreiben, sondern vor
Ort zu machen: Ich war damals ein halbes Jahr in Guatemala. So habe ich meine Dissertation geschrieben und gleichzeitig viel über Lateinamerika erfahren.
Jetzt ist es der Ehrendoktortitel
der Universität Freiburg.
Welcher Doktortitel ist mehr wert?
Die beiden Titel sind etwas völlig Unterschiedliches. Auf den einen
kann man hinarbeiten: Man weiss,
was zu tun ist. Den anderen kann man
nicht direkt beeinflussen. Der eine
kommt zu Beginn einer Karriere, der
andere meist am Ende. Der Ehrendoktor ist eine Art Preis für das Lebenswerk und für eine ausserordentliche
Leistung. Das ist in der Eigenbeurteilung immer schwierig einzustufen.
Weil ich den Ehrendoktor nie erwartet
habe, ist die Freude doppelt und dreifach gross.
Die Urkunde ist in Latein verfasst.
Verstehen Sie etwas davon?
Latein habe ich nie gelernt. ‹Rugerum Schawinski›, das verstehe ich
noch einigermassen. ‹Turicensum›,
das ist Zürich. Und dann ‹quoque contro monopoli informacionis›, und so
weiter: Doch, mit Italienisch und Spanisch kommt man der Sache schon
näher.
Wenn es denn eine Auszeichnung
für ein Lebenswerk ist: Was denken
Sie, was gab in Ihrem Fall den
Ausschlag für die Auszeichnung?
Ich war sehr oft am richtigen Ort zur
richtigen Zeit. Ich erkannte beispielsweise 1979 zum richtigen Zeitpunkt,
dass man mit Radio etwas Neues machen konnte. Das Gleiche war 1994 mit
Telezüri, oder schon vorher, 1974 mit
dem ‹Kassensturz›: Diese Sendung ist
ja heute noch erfolgreich wie eh und
je. Und erstaunlicherweise lebt derjenige noch, der diese Sendung gegründet hat: Das bin ich, und ich komme
nicht mal im Rollator daher. Ich habe
auch zum richtigen Zeitpunkt meine
Firma verkauft und bin als Angestellter und Manager zu Sat 1 nach Berlin
gegangen. Das war eine wunderbare
Zeit und hat mein Leben bereichert.
Wenn man Sie selber um Ihre
Meinung befragt: Welches Werk ist
am nachhaltigsten?
Nachhaltig war ganz sicher der
‹Kassensturz›: das erste Konsumentenmagazin am Schweizer Fernsehen,
das sogar die Westschweiz übernommen hat. Dann natürlich Radio 24
und die Radioszene, die daraus entstanden ist, und natürlich die Lokalfernsehszene. Das alles ist nachhaltig.
Vor allem auch die Tatsache, dass die
Radios sich auf Journalismus konzentriert haben und nicht nur Klamauk
machen, wie zum Teil Privatsender in
Italien oder Frankreich.
Waren Sie rückblickend gesehen
mehr Journalist oder mehr Unternehmer?
Früher sagte man immer, es brauche eine klare Trennung zwischen
Verlag und Redaktion. Ich war anderer Meinung. Als Journalist habe
ich auch die verlegerische und unternehmerische Aufgabe übernommen.
Aber weil ich Journalist bin, habe ich
immer die journalistischen Kriterien
in den Vordergrund gestellt. Ich glaube, das Resultat spricht für sich: Ich
konnte als Journalist etwas erreichen,
während irgendwelche seelenlosen
Manager mit irgendwelchen abhängigen Journalisten versuchen, etwas
zustande zu bringen.
Im Namen der neuen Ehrendoktoren
hat Mario Vargas Llosa eine Ansprache gehalten. Hat es Sie gewurmt,
dass nicht Sie diese halten durften?
Überhaupt nicht. Ich bin ein grosser
Verehrer von Vargas Llosa. Ich lese
seine Bücher seit vielen Jahren und
habe allgemein eine besondere Beziehung zu Lateinamerika. Ich habe
auch eine Schule in Chile gegründet,
die es heute noch gibt. Vargas Llosa
ist für mich nach dem Tod von Gabriel Garcia Marquez der grösste lebende
lateinamerikanische Dichter. Es ehrt
mich, dass ich neben ihm sein durfte an diesem Anlass. Das war absolut
wunderbar.
Kam es auch zu einem Austausch
zwischen Ihnen beiden?
Ja, ich hatte mit ihm schon vor der
Bild Corinne Aeberhard
Feier kurz gesprochen. Zum einen
über die politische Lage im Zusammenhang mit Donald Trump. Zum
andern über sein Buch ‹Das Fest des
Ziegenbocks›: eines seiner vielen Bücher, das mich total beeindruckt hat.
Er hat mir dazu noch ein paar Hintergrundinformationen gegeben, etwa
wie er für das Buch recherchiert hat.
Es war wie andere Begegnungen heute sehr bereichernd.
Sie haben am Tag vor dem Dies in
Freiburg eine Vorlesung gehalten.
Was ist Ihre Beziehung zur Uni
Freiburg?
Bisher eigentlich eine sehr lockere. Ich selber habe in St. Gallen studiert. Die Beziehung zu Freiburg ist
jetzt erst langsam am Entstehen. Wir
sind daran, unsere Tochter, die gerade die Matur gemacht hat, dafür zu
interessieren, dass sie hier an die Uni
kommen und so nebenbei auch noch
richtig Französisch lernen könnte.
Das kann ich mir gut vorstellen. Die
Stadt und die Umgebung gefallen mir
enorm. Ich werde heute Nachmittag
noch die Altstadt so richtig erkunden.
Als Zürcher scheint man keinen wich-
tigen Grund zu haben, nach Freiburg
zu kommen. Ich hatte jetzt einen und
bin froh darum.
Gibt es etwas, das Sie aus der
Fassung bringen kann? Zum Beispiel
ein Kabarettist mit Gockelfrisur?
Ach, das war nur ein einmaliges Ereignis und nichts Weltbewegendes.
Und sonst?
Sonst schon, laufend. Zum Beispiel zuletzt die Nacht der amerikanischen
Präsidentschaftswahlen:
Da sass ich um 23 Uhr vor den Fernseher und um 2 Uhr morgens hatte
ich das Gefühl, da fahre ein riesiger
40-Tönner mit heulendem Motor und
Scheinwerfern auf mich zu. Er kam
immer näher und wurde immer lauter, und ich konnte mich nicht wegbewegen: Er würde mich überfahren.
Und um 4.30 Uhr morgens, als klar
wurde, dass Donald Trump gewinnt,
war ich emotional tatsächlich überfahren. Ich bin bis um 10 Uhr ungläubig vor dem Fernseher geblieben. Das
brachte mich wirklich aus der Fassung, weil wir alle nicht wissen, was
jetzt da passieren wird.
Zur Person
Vom Radiopirat zum Sat-1-Geschäftsführer
«Wer bin ich?»: Unter diesem Titel hat
Roger Schawinski 2014 ein Buch über
sein Leben und sein Werk in der Medienbranche herausgegeben. Der Titel
ist eine Anspielung auf die Frage «Wer
bist Du?», mit der er heute noch seine
wöchentliche Talkshow «Schawinski»
auf dem Fernsehsender SRF 1 eröffnet.
Der 71-jährige Zürcher Journalist und
Medienunternehmer hatte die Handelsschule absolviert und die Matura
im Selbststudium erlangt. Nach einem
Wirtschaftsstudium an der Hochschule
St. Gallen und einem MBA in Michigan
wurde er 1972 Doktor in Nationalökonomie. Bereits während des Doktorats
wurde Schawinski journalistisch tätig.
1974 gründete und leitete er die Sendung «Kassensturz» im Schweizer Fern-
sehen, von 1977 bis 1978 war er Chefredaktor der Tageszeitung «Die Tat» des
Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler.
1979 sendete Schawinskis Radiosender
Radio 24 erstmals. Da damals noch ein
absolutes Monopol der SRG galt, strahlte Schawinski mit dem damals stärksten
UKW-Rundfunk-Sender der Welt vom
Pizzo Groppera aus in die Schweiz. Darin
gründet Schawinskis Ruf als Radiopirat.
Nach Demonstrationen und einem
Song von Polo Hofer erhielt Radio 24
vier Jahre nach dem Start offiziell eine
Konzession. Später lancierte er auch
Zürcher Lokalfernsehen. Von 2003 bis
2006 war Schawinski Geschäftsführer
bei Sat 1 in Deutschland. Zurück in der
Schweiz gründete er Radio 1 und kaufte
den Jugendsender Radio 105. uh
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Mittwoch, 16. November 2016
Freiburger Nachrichten
Staatsratswahlen
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Nobelpreisträger mobilisiert für Kultur
Am Feiertag der Universität Freiburg, dem Dies academicus, wurden gestern fünf Persönlichkeiten
zu Ehrendoktoren ernannt. In ihrem Namen rief Mario Vargas Llosa dazu auf, sich für die Kultur einzusetzen.
Urs Haenni
Stéphane Peiry
SVP-Staatsratskandidat
Warum sollen die
Freiburgerinnen und
Freiburger gerade
Sie wählen?
Durch meine zehn Jahre im
Freiburger Grossen Rat, wovon fünf in der Finanz- und
Geschäftsprüfungskommission, habe ich wichtige politische Erfahrung sammeln können. Ich kenne viele Dossiers
und weiss, welches die Herausforderungen der nächsten
Jahre für den Kanton Freiburg
sind. Durch meinen Beruf als
Treuhänder kenne ich auch
die Sorgen und Schwierigkeiten der kleinen und mittleren Unternehmen. Ich finde
es wichtig, dass jemand aus
der Wirtschaftswelt Einsitz
im Staatsrat nimmt. Nicht zuletzt hat die SVP durch ihre
Wählerstärke die Legitimität,
Verantwortung in der Regierung zu übernehmen und damit Anrecht auf einen Staatsratssitz.
I
Was möchten Sie unbedingt in das nächste
Legislaturprogramm
einbringen?
Die grösste Herausforderung für den Kanton Freiburg
ist das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen für junge Leute. Viele, die in Freiburg eine
Lehre oder eine höhere Schule abgeschlossen haben, müssen in anderen Kantonen nach
Arbeit suchen und verlassen
Freiburg deshalb. Diesen müssen wir wieder Stellen anbieten können.
II
Was kann der Kanton
III tun, um die Wirt-
schaftsleistung
zu verbessern?
Der Kanton Freiburg muss
möglichst schnell die Unternehmenssteuerreform III umsetzen. Auch brauchen wir eine aktive Bodenpolitik. Der
Kanton soll Teile des Landes,
die als strategische Zonen definiert wurden, kaufen können. Dafür soll er meiner Meinung nach hundert Millionen
Franken aus dem Vermögen
nehmen. Dieses Land kann er
dann Unternehmen mit einer
hohen Wertschöpfung zur Verfügung stellen.
Was würden Sie sagen,
IV wenn in der nächsten
Legislatur nur eine Frau
im Staatsrat wäre?
Dieser Entscheid liegt bei
den Wählerinnen und Wählern. Und es ist auch die Wahl
der linken Parteien. Wir Bürgerlichen haben immer gesagt, dass wir das Recht haben auf fünf Sitze. Für die
Linke bleiben damit zwei
Sitze; Jean-François Steiert
könnte den beiden Frauen also den Vortritt lassen. Dass
wir auf der bürgerlichen Liste
für die diesjährigen Wahlen
keine Frau aufstellen konnten, war ein Zufall. Bei den
nächsten kantonalen Wahlen
in fünf Jahren werden wir sicher Kandidatinnen präsentieren können. mir/Bild cr/a
Am 27. November findet der zweite
Wahlgang für den Freiburger Staatsrat
statt. Die FN stellen diese Woche allen
vier Kandidatinnen und Kandidaten
dieselben Fragen.
FREIBURG Der Ehrendoktortitel bedeute für ihn Emotion
und Anerkennung, aber auch
Engagement und Verantwortung. Dies sagte der peruanische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Mario
Vargas Llosa gestern am Dies
academicus der Universität
Freiburg. Vargas Llosa sprach
in seinem Namen und in dem
der anderen neuen Ehrendoktoren Timothy Radcliffe, Jacques de Watteville, Roger Schawinski (siehe Interview Seite 2)
und Albert W. Bally.
Mit Engagement meinte Vargas Llosa nicht nur, dass er gestern Nachmittag einen öffentlichen Vortrag an der Universität hielt, sondern viel mehr das
Engagement für die Kultur und
die Wahrheit. Die Männer und
Frauen der Kultur stünden alle im selben Kampf, so der Literat. «Die Feinde der Kultur
sind mitten unter uns. Sie banalisieren und frivolisieren die
Kultur.» Er rief die Künstler,
Professoren, Denker, Forscher
und Schaffer dazu auf, für die
Kultur einzustehen. «Geben
wir den Ängsten nach, droht
die Katastrophe. Doch nichts
kann uns vor Katastrophen
besser schützen als die Kultur», so Vargas Llosa in tadellosem Französisch.
Institutionen unter Beschuss
Nicht die Kultur als solche, sondern die Institutionen
müssten geschützt werden, forderte Roger de Weck, Generaldirektor der SRG und Ehrenpräsident des gestrigen Dies
der Universität Freiburg. De
Weck mahnte, dass Institutionen wie Regierung, Parlament,
Gerichte, die SRG und Medien
schlechtgeredet werden. «Doch
ein so heterogenes Land wie
die Schweiz ist auf Institutionen angewiesen.» Mit Blick auf
Ein Nobelpreisträger in Freiburg: Der neue Ehrendoktor Mario Vargas Llosa.
die Uni Freiburg betonte er:
«Eine Uni repräsentiert genau
jene Werte, welche die Institutionen stark machen.»
Rektorin
Astrid
Epiney
nahm diese Gedanken in
ihrer Begrüssungsansprache
auf. Bei Themen wie der Krise des Rechtsstaates gehöre es
zu den vornehmsten Aufgaben der Universität, einen Beitrag zu leisten. «Dabei ist gerade die Volluniversität insofern gefragt, als es häufig um
interdisziplinäre Fragestellungen gehen wird und entsprechende Kooperation gefordert
sind», so Epiney. Sie nannte dabei das Zentrum Islam und Gesellschaft an der Schnittstelle
von Religionswissenschaften,
Theologie, Recht und Soziologie. «In der Sache sind alle Disziplinen gefordert», sagte Epiney. «Denn jede Disziplin und
jede Forschungsrichtung steht
in der einen oder anderen Weise in Bezug zu bedeutenden gesellschaftlichen Fragen.»
Rückschau gehalten
Der Dies academicus bietet
jedes Jahr Gelegenheit, einen
Rückblick- und Ausblick auf
die Entwicklung der Universität zu halten. Rektorin Astrid
Epiney erwähnte in erster Linie den Entscheid zur Schaffung eines Master-Studiengangs in Humanmedizin. Aber
Bild Charly Rappo/zvg
auch der Abschluss von internationalen Abkommen, die
Schaffung und Vorbereitung
neuer Studiengänge und der
Erhalt von finanziellen Mitteln
für Forschungsprojekte fanden
Erwähnung. Zum 50-Jahr-Jubiläum des Departements für
Kommunikationswissenschaft
und Medienforschung in diesem Jahr sprach Professor Manuel Puppis zum Thema «Krise
der Medien und mögliche Auswege». Im Namen des Universitätspersonals machte Sophie
Tritten darauf aufmerksam,
dass in Freiburg unter allen
Schweizer Universitäten am
wenigsten Verwaltungspersonal pro Student angestellt sei.
Zum Begriff
Der akademische
Feiertag
Als Dies academicus bezeichnet man einen akademischen
Feiertag, an dem die Lehrtätigkeit unterbrochen wird. Er
diente früher der Förderung
der Identität der Universitätsmitglieder und der Werbung
neuer Studenten. In Freiburg
findet eine Messe statt, die
Uni erstattet den Behörden
Bericht und verleiht die Ehrendoktortitel und akademischen
Preise. uh
Leitartikel
Fahrettin Calislar
M
Damit die Nägel auch wirklich
im Holz stecken bleiben
an müsse den Gürtel
enger schnallen, heisst
es oft, von Politikern,
vom Vorgesetzten oder
vom Ehepartner. Und
nun heisst es auch wieder: Wir müssen
den Gürtel enger schnallen, was
unseren Energieverbrauch betrifft. So
oder so. Egal, ob die ersten Schweizer
Kernkraftwerke nächstes Jahr oder
erst ab 2019 abgestellt werden. Denn
so ruckzuck lässt sich die Versorgungslücke nicht mit sauberem Strom aus
dem In- und Ausland decken. Denn
den Beelzebub mit dem Teufel auszutreiben und deutschen Kohle- oder
französischen Atomstrom einzukaufen
ist politisch nicht mehrheitsfähig.
Da muss man was tun dafür. Also
heisst es so rasch wie möglich die
nötigen sicheren Ersatzkapazitäten
aufzubauen, auf dass sich Frau und
Herr Schweizer auch weiterhin ihr
Frühstücksei kochen können.
So oder so heisst: Im Kern wollen die
Atomausstiegsinitiative der Grünen,
über die wir am 27. November abstimmen, und die Energiestrategie 2050
des Bundes dasselbe – den Verzicht auf
Atomstrom, so rasch wie möglich. Um-
stritten ist das Tempo, die einen betonen «rasch», die anderen «wie möglich». Die einen wollen den vollständigen Ausstieg 2029, die anderen 2034.
Der Unterschied ist – im Vergleich der
über 50-jährigen Geschichte der Kernkraft in der Schweiz – klein. Welche der
beiden Varianten ist also nun die bessere? Die Antwort ist keine Antwort des
Kopfes, sondern des Bauches. Und des
Vertrauens.
Die Energiestrategie und das daraus
resultierende Gesetz – so ausgewogen
und mehrheitsfähig sie auch sind –
müssen viele Klippen überwinden, bis
sie tatsächlich umgesetzt werden. Eine
Volksinitiative und ein Ausführungsgesetz sind in ihrer Tragkraft stärker.
Wenn also tatsächlich der echte Wille
da ist, auf die Energiegewinnung aus
spaltbarem Uran zu verzichten, ist die
konsequentere Initiative vorzuziehen.
Wenn auch die Alpeninitiative beweist,
dass Volksinitiativen nicht leicht umzusetzen sind. Will man sich jedoch
die Option offen halten, in zehn Jahren
wieder aus dem Ausstieg aussteigen zu
wollen, ist die Energiestrategie wohl
der bessere Weg. Kosten werden beide
ein Heidengeld. Denn der teuerste Pos-
ten ist das geplante Atomendlager. Das
kommt unabhängig vom Tempo des
Ausstiegs. Irgendwo müssen die Abfälle aus dem Betrieb und Rückbau der
fünf Kraftwerke ja hin.
Der Ersatz der wegfallenden Kapazitäten – das ist allen klar – braucht Anstrengungen. Die Förderung erneuerbarer Energien muss forciert werden,
die Schweiz muss sich im Ausland um
«saubere» Energie bemühen, die Effizienz bestehender Kraftwerke und bei
den Verbrauchern muss erhöht werden. Das lässt sich rasch realisieren. Vor
bald 31 Jahren ging das Sowjet-AKW
Tschnernobyl in die Luft. Der nukleare Fallout breitete sich über halb Europa aus. Salat essen war nicht empfohlen. Fisch? Erst recht nicht. Auch bei
der Muttermilch gab es Vorbehalte. Die
Schweiz beschloss viel später, Anpassungen an ihrer Energiepolitik vorzunehmen. 2007 – 21 Jahre nach Tschernobyl – wurde ein erstes griffiges Massnahmenpaket lanciert. Und 2011, nachdem im japanische Kraftwerk Fukushima die Reaktorkerne schmolzen, stellte
der Bundesrat umgehend eine Strategie
auf die Beine. Und mit ihr hat er Nägel mit Köpfen gemacht. Mit dieser Er-
kenntnis – wenn es sein muss, kann
die Politik effizient arbeiten – lässt sich
hoffen, dass der Bund rasche Massnahmen umsetzt und der Ersatz absehbar
ist, vorausgesetzt, der Wille dazu bleibt.
Schliesslich hat die Schweiz eine der innovativsten und effektivsten Industrien
der Welt. Und es ist heute schon so, dass
nie alle Kraftwerke gleichzeitig laufen.
Beznau 1 ist seit März 2015 abgestellt
und geht wohl nie mehr ans Netz. Leibstadt ist auch schon während einer Weile down und wird nicht vor Februar 2017
hochgefahren.
Kurzum: Wenn schon aussteigen,
dann gleich richtig. Der Rückbau der
Anlagen muss ohnehin geplant werden und ist eine grosse Herausforderung; egal, ob heute oder morgen damit
begonnen wird. Die Schweiz soll schon
heute damit beginnen und es nicht auf
morgen verschieben. Der genaue Zeitpunkt ist auch bei einer Volksinitiative
nicht in Stein gemeisselt, einen Blackout riskiert niemand. Mit der Energiestrategie hat der Bund zwar tatsächlich
einen Nagel gemacht, doch am Kopf
kann man einen Nagel wieder aus dem
Holz herausziehen. Die Verfassung und
die Initiative garantieren den Ausstieg.