Seifenkiste» für den «British Pedal Car Grand Prix

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VDWF im Dialog 2/2016
Mit Verantwortung lernen –
Paul-Horn-Auszubildende bauen ihre eigene
«Seifenkiste» für den «British Pedal Car Grand Prix»
von Angelo Arabia
Industriemeister Nico Sauermann (l.) betreut
bei Paul Horn das Pedal-Car-Projekt, daneben
Jonas Wick, frisch ausgebildeter Industriemechaniker und ehemaliges Mitglied des Lehrling-Rennteams. Die Hälfte der Projektzeit können sich die
Auszubildenden dabei als Arbeitszeit anrechnen
lassen, die andere Hälfte jedoch geht zulasten
der Freizeit.
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Das Sprichwort «den Karren gemeinsam aus dem Dreck
ziehen» kennt jeder. Bei Paul Horn wurde dieser Satz fast
schon wörtlich genommen. Zwar befindet sich das Unternehmen aus Tübingen geschäftlich keinesfalls im Morast,
doch im Rahmen eines Betriebs-Sportprojekts machen Auszubildende immer wieder gemeinsame Sache, um am «British
Pedal Car Grand Prix» teilzunehmen – mit einem selbstgebauten Fahrzeug natürlich. Wer bei «Pedal Car» an eine
Seifenkiste mit Tretkurbeln und Hinterhof-Basteleien denkt,
der irrt. Dank Paul-Horn-Firmen-Know-how und einer Kooperation mit Roding Automobile ist bei der dritten Generation des Renngeräts vielmehr ein Produkt entstanden, das
viele technologische Raffinessen birgt, aber durchaus auch
als fahrende Skulptur sinnlich wahrgenommen werden kann.
«Das können unsere Lehrlinge besser», kommentierte Lothar Horn
2011 das schlechte Abschneiden des Teams der englischen PaulHorn-Tochtergesellschaft wegen eines technischen Defekts.
Der Firmenchef gab dadurch den Startschuss für ein Projekt,
das komplett in den Händen der Lehrlinge liegt – die Ausbilder
bei Paul Horn sind hier lediglich beratende Unterstützer.
Rund fünf Monate setzte sich zuletzt das 5-köpfige Azubi-Team
intensiv mit dem aktuellen Renner auseinander. Mindestens zwei
Stunden pro Woche wurde geplant, geschraubt und trainiert,
erinnert sich Jonas Wick, frisch ausgebildeter Industriemechaniker
und ehemaliger Horn-Lehrling. «Das ist Zeit, die man gerne
einbringt. Nicht nur wegen der Vorfreude auf das Rennwochenende in England, vielmehr weil man lernt, eigenständig zu arbeiten.»
Denn neben der technischen Fertigung war auch das ganze Projektmanagement in der Verantwortung der jungen Paul-HornMitarbeiter. «Wir mussten Entscheidungen selbst fällen, aber den
Meistern auch Rechenschaft ablegen, um wieder ‹grünes Licht›
bei Budgetfragen zu bekommen», erklärt Jonas Wick. Selbst
bei der FE-Simulation der Krafteinwirkung auf das Chassis beim
Leichtbauspezialisten Roding waren die Azubis involviert.
Im Entwicklungs- und Geschwindigkeitsrausch
Die beiden Vorgängermodelle des aktuellen Pedal Cars mit 5-kg–
CFK-Chassis waren noch komplett aus Alu. Hier liegt ein lehrreicher Versuchs-und-Irrtums-Prozess hinter dem Paul-HornRennteam. Eine Federung bei Version eins des Fahrzeugs, eine
lange Übersetzung – alles zunächst als vorteilsbringende Extras
geplant und umgesetzt – brachten jedoch nicht den gewünschten
Effekt und wurde bei der nächsten Version korrigiert. Zudem
erhielt das zweite Pedal Car anstatt einer Werferschaltung eine
14-Gang-Getriebenabe für hohe Lasten eingebaut, «und schon
fuhr das Ding 50 km/h auf der Geraden», erinnert sich Meister Nico
Sauermann, der das Pedal-Car-Projekt im Unternehmen betreut.
Doch ein Gewichtsproblem zwang das Azubi-Team auch hier,
wieder umzudenken. 34 kg waren einfach zu viel. Also griff man
beim aktuellen Pedal Car wieder auf klassische Rennrad- bzw.
Mountainbike-Komponenten zurück, um wertvolle Gramm ein-
Vier Horn-Padal-Car-Varianten: Das erste deutsche
Fahrzeug neben dem britischen Wagen in Gelb
(oben), die zweite Generation dann ohne Federung
(Mitte) und die aktuelle Renn-«Seifenkiste» mit
CFK-Chassis, 10-Gang-Kettenschaltung und
Doppelfreilaufsystem (unten). Auch die Hinterachse besteht eigentlich aus CFK mit eingeklebten
Metallteilen. Als sie am Vortag des Rennens riss,
wurde die Achse kurzerhand vor Ort aus Alu­
minium-Vollmaterial gedreht.
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Neben der ausgeklügelten Kettenführung durch
das CFK-Chassis waren vor allem tragende Leichtbauteile, wie die Achsträger, eine technische Herausforderung. Alle Anbauteile wurden hier aus
Alu-Vollmaterial gefräst – bis zum nächsten Einsatz des Pedal Cars sollen sie durch Titan-Bauteile
ersetzt werden.
zusparen. Auch wurde das Fahrzeug kompakter und mit tiefem
Schwerpunkt konstruiert. Dank zusätzlicher CFK-Komponenten
fasst die dritte Version der Paul-Horn-«Seifenkiste» heute gerade
mal 16 kg. Schaut man auf das Budget für die Optimierung des
Fahrzeugs, so hat sich auch hier etwas entwickelt: In das erste
Modell investierte man 6000 Euro, bei der dritten Auflage sei
es bereits ein «deutlich größerer Betrag», so Sauermann.
Über 15 000 Zuschauer beim Rennwochenende
Am Standort Ringwood in Hampshire, an der südlichen Küste
Englands, sind Rennen mit pedalbetriebenen Rennwagen nichts
Neues. Der «British Pedal Car Grand Prix» findet jedes Jahr statt,
abwechselnd in Ringwood oder im 15 km entfernten New Milton.
«Kurz vor den Rennen ist bei uns im Unternehmen die Stimmung
immer wie bei einer Fußball-WM. Alle fiebern mit», so Ausbilder
Nico Sauermann. Kein Wunder, beschert die hohe Popularität
vor Ort der Veranstaltung jedes Mal etwa 15 000 Zuschauer.
Ein Team besteht aus 4 Fahrern, einem Anschieber und einem
Mechaniker. Beim Rennen auf dem ein Kilometer langen städtischen Rundkurs gewinnt das Team, das nach zwei Stunden
am weitesten gekommen ist. «Etwa alle zwei Runden haben wir
gewechselt», berichtet Jonas Wick. Dank GPS kann die Rennleitung
die Fahrzeuge tracken und die zurückgelegte Distanz automatisch
ermitteln. «Im letzten Jahr in New Milton haben wir 56 Runden
geschafft – das sind rund 30 Stundenkilomer im Schnitt. Allerdings
ist uns die Kette aus der Führung gesprungen, das hat uns auf den
letzten Metern den 3. Platz gekostet», ärgert sich Nico Sauermann
heute noch. Schon jetzt plant er aber für das diesjährige Rennen
am 10. Juli, tüchtig an den anstehenden Optimierungen des Pedal
Cars zu arbeiten, denn «in Ringwood findet man die unterschiedlichsten Untergrundverhältnisse wieder. Randsteine, Betonpisten
und sogar Pflasterbelag erwarten uns. Da brauchen wir mehr
Bodenfreiheit, ohne die Streckenhaftung zu verlieren.»
«Für unsere Auszubildenden ist das Pedal-CarProjekt ausgesprochen lehrreich», erklärt Firmenchef Lothar Horn. Wettbewerbsanalyse, Kon­
struktion, Produktion, Einkauf, mit eigener
Budgetierung der Kosten – das ganze Arbeitsspektrum eines modernen Unternehmens werde
hier abgebildet. Übrigens auch Marketing. Denn
die Lehrlinge präsentieren ihr Gefährt auf Messen,
und beim Rennwochenende geht es auch um
die Frage, «wie verkaufe ich mich in England»,
beschreibt Lothar Horn die Herausforderung für
seine Auszubildenden.
«Wer immer bei diesem Projekt mitmachen will, der ist auch
an Bord», sagt Meister Nico Sauermann und versichert, dass
es so etwas wie Neid oder Missgunst unter den insgesamt rund
60 Auszubildenden im Betrieb nicht gibt. Bei den Rennen in
England schielte man aber gern ein bisschen wettbewerbslustig
auf die Paul-Horn-Kollegen von der Insel. Beim «German Team»,
wie es der Event-Moderator via Lautsprecher gern bezeichnet,
steht jedoch das Miteinander im Fokus des Wochenend-Trips.
«Wir pflegen zwar eine gesunde Rivalität», so Wick, das Rennen
sei aber vornehmlich die Gelegenheit, sich über den Ausbildungsplan hinaus mit anderen Lehrlingen auszutauschen.
Gleichzeitig ist es für eine Belegschaft auch die große Möglichkeit,
ein «Team-Gefühl» zu entwickeln, beschreibt Nico Sauermann die
Gefühlslage. Eine Firmenbesichtigung der englischen Produktion,
etwas Taschengeld für die «Jungs» und der gemeinsame PubBesuch mit den englischen Kollegen sei mindestens genauso
wichtig wie das Rennen selbst. | Angelo Arabia, Augsburg