48 VDWF im Dialog 2/2016 Mit Verantwortung lernen – Paul-Horn-Auszubildende bauen ihre eigene «Seifenkiste» für den «British Pedal Car Grand Prix» von Angelo Arabia Industriemeister Nico Sauermann (l.) betreut bei Paul Horn das Pedal-Car-Projekt, daneben Jonas Wick, frisch ausgebildeter Industriemechaniker und ehemaliges Mitglied des Lehrling-Rennteams. Die Hälfte der Projektzeit können sich die Auszubildenden dabei als Arbeitszeit anrechnen lassen, die andere Hälfte jedoch geht zulasten der Freizeit. VDWF im Dialog 2/2016 49 Das Sprichwort «den Karren gemeinsam aus dem Dreck ziehen» kennt jeder. Bei Paul Horn wurde dieser Satz fast schon wörtlich genommen. Zwar befindet sich das Unternehmen aus Tübingen geschäftlich keinesfalls im Morast, doch im Rahmen eines Betriebs-Sportprojekts machen Auszubildende immer wieder gemeinsame Sache, um am «British Pedal Car Grand Prix» teilzunehmen – mit einem selbstgebauten Fahrzeug natürlich. Wer bei «Pedal Car» an eine Seifenkiste mit Tretkurbeln und Hinterhof-Basteleien denkt, der irrt. Dank Paul-Horn-Firmen-Know-how und einer Kooperation mit Roding Automobile ist bei der dritten Generation des Renngeräts vielmehr ein Produkt entstanden, das viele technologische Raffinessen birgt, aber durchaus auch als fahrende Skulptur sinnlich wahrgenommen werden kann. «Das können unsere Lehrlinge besser», kommentierte Lothar Horn 2011 das schlechte Abschneiden des Teams der englischen PaulHorn-Tochtergesellschaft wegen eines technischen Defekts. Der Firmenchef gab dadurch den Startschuss für ein Projekt, das komplett in den Händen der Lehrlinge liegt – die Ausbilder bei Paul Horn sind hier lediglich beratende Unterstützer. Rund fünf Monate setzte sich zuletzt das 5-köpfige Azubi-Team intensiv mit dem aktuellen Renner auseinander. Mindestens zwei Stunden pro Woche wurde geplant, geschraubt und trainiert, erinnert sich Jonas Wick, frisch ausgebildeter Industriemechaniker und ehemaliger Horn-Lehrling. «Das ist Zeit, die man gerne einbringt. Nicht nur wegen der Vorfreude auf das Rennwochenende in England, vielmehr weil man lernt, eigenständig zu arbeiten.» Denn neben der technischen Fertigung war auch das ganze Projektmanagement in der Verantwortung der jungen Paul-HornMitarbeiter. «Wir mussten Entscheidungen selbst fällen, aber den Meistern auch Rechenschaft ablegen, um wieder ‹grünes Licht› bei Budgetfragen zu bekommen», erklärt Jonas Wick. Selbst bei der FE-Simulation der Krafteinwirkung auf das Chassis beim Leichtbauspezialisten Roding waren die Azubis involviert. Im Entwicklungs- und Geschwindigkeitsrausch Die beiden Vorgängermodelle des aktuellen Pedal Cars mit 5-kg– CFK-Chassis waren noch komplett aus Alu. Hier liegt ein lehrreicher Versuchs-und-Irrtums-Prozess hinter dem Paul-HornRennteam. Eine Federung bei Version eins des Fahrzeugs, eine lange Übersetzung – alles zunächst als vorteilsbringende Extras geplant und umgesetzt – brachten jedoch nicht den gewünschten Effekt und wurde bei der nächsten Version korrigiert. Zudem erhielt das zweite Pedal Car anstatt einer Werferschaltung eine 14-Gang-Getriebenabe für hohe Lasten eingebaut, «und schon fuhr das Ding 50 km/h auf der Geraden», erinnert sich Meister Nico Sauermann, der das Pedal-Car-Projekt im Unternehmen betreut. Doch ein Gewichtsproblem zwang das Azubi-Team auch hier, wieder umzudenken. 34 kg waren einfach zu viel. Also griff man beim aktuellen Pedal Car wieder auf klassische Rennrad- bzw. Mountainbike-Komponenten zurück, um wertvolle Gramm ein- Vier Horn-Padal-Car-Varianten: Das erste deutsche Fahrzeug neben dem britischen Wagen in Gelb (oben), die zweite Generation dann ohne Federung (Mitte) und die aktuelle Renn-«Seifenkiste» mit CFK-Chassis, 10-Gang-Kettenschaltung und Doppelfreilaufsystem (unten). Auch die Hinterachse besteht eigentlich aus CFK mit eingeklebten Metallteilen. Als sie am Vortag des Rennens riss, wurde die Achse kurzerhand vor Ort aus Alu minium-Vollmaterial gedreht. 50 VDWF im Dialog 2/2016 Neben der ausgeklügelten Kettenführung durch das CFK-Chassis waren vor allem tragende Leichtbauteile, wie die Achsträger, eine technische Herausforderung. Alle Anbauteile wurden hier aus Alu-Vollmaterial gefräst – bis zum nächsten Einsatz des Pedal Cars sollen sie durch Titan-Bauteile ersetzt werden. zusparen. Auch wurde das Fahrzeug kompakter und mit tiefem Schwerpunkt konstruiert. Dank zusätzlicher CFK-Komponenten fasst die dritte Version der Paul-Horn-«Seifenkiste» heute gerade mal 16 kg. Schaut man auf das Budget für die Optimierung des Fahrzeugs, so hat sich auch hier etwas entwickelt: In das erste Modell investierte man 6000 Euro, bei der dritten Auflage sei es bereits ein «deutlich größerer Betrag», so Sauermann. Über 15 000 Zuschauer beim Rennwochenende Am Standort Ringwood in Hampshire, an der südlichen Küste Englands, sind Rennen mit pedalbetriebenen Rennwagen nichts Neues. Der «British Pedal Car Grand Prix» findet jedes Jahr statt, abwechselnd in Ringwood oder im 15 km entfernten New Milton. «Kurz vor den Rennen ist bei uns im Unternehmen die Stimmung immer wie bei einer Fußball-WM. Alle fiebern mit», so Ausbilder Nico Sauermann. Kein Wunder, beschert die hohe Popularität vor Ort der Veranstaltung jedes Mal etwa 15 000 Zuschauer. Ein Team besteht aus 4 Fahrern, einem Anschieber und einem Mechaniker. Beim Rennen auf dem ein Kilometer langen städtischen Rundkurs gewinnt das Team, das nach zwei Stunden am weitesten gekommen ist. «Etwa alle zwei Runden haben wir gewechselt», berichtet Jonas Wick. Dank GPS kann die Rennleitung die Fahrzeuge tracken und die zurückgelegte Distanz automatisch ermitteln. «Im letzten Jahr in New Milton haben wir 56 Runden geschafft – das sind rund 30 Stundenkilomer im Schnitt. Allerdings ist uns die Kette aus der Führung gesprungen, das hat uns auf den letzten Metern den 3. Platz gekostet», ärgert sich Nico Sauermann heute noch. Schon jetzt plant er aber für das diesjährige Rennen am 10. Juli, tüchtig an den anstehenden Optimierungen des Pedal Cars zu arbeiten, denn «in Ringwood findet man die unterschiedlichsten Untergrundverhältnisse wieder. Randsteine, Betonpisten und sogar Pflasterbelag erwarten uns. Da brauchen wir mehr Bodenfreiheit, ohne die Streckenhaftung zu verlieren.» «Für unsere Auszubildenden ist das Pedal-CarProjekt ausgesprochen lehrreich», erklärt Firmenchef Lothar Horn. Wettbewerbsanalyse, Kon struktion, Produktion, Einkauf, mit eigener Budgetierung der Kosten – das ganze Arbeitsspektrum eines modernen Unternehmens werde hier abgebildet. Übrigens auch Marketing. Denn die Lehrlinge präsentieren ihr Gefährt auf Messen, und beim Rennwochenende geht es auch um die Frage, «wie verkaufe ich mich in England», beschreibt Lothar Horn die Herausforderung für seine Auszubildenden. «Wer immer bei diesem Projekt mitmachen will, der ist auch an Bord», sagt Meister Nico Sauermann und versichert, dass es so etwas wie Neid oder Missgunst unter den insgesamt rund 60 Auszubildenden im Betrieb nicht gibt. Bei den Rennen in England schielte man aber gern ein bisschen wettbewerbslustig auf die Paul-Horn-Kollegen von der Insel. Beim «German Team», wie es der Event-Moderator via Lautsprecher gern bezeichnet, steht jedoch das Miteinander im Fokus des Wochenend-Trips. «Wir pflegen zwar eine gesunde Rivalität», so Wick, das Rennen sei aber vornehmlich die Gelegenheit, sich über den Ausbildungsplan hinaus mit anderen Lehrlingen auszutauschen. Gleichzeitig ist es für eine Belegschaft auch die große Möglichkeit, ein «Team-Gefühl» zu entwickeln, beschreibt Nico Sauermann die Gefühlslage. Eine Firmenbesichtigung der englischen Produktion, etwas Taschengeld für die «Jungs» und der gemeinsame PubBesuch mit den englischen Kollegen sei mindestens genauso wichtig wie das Rennen selbst. | Angelo Arabia, Augsburg
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